L 1 AS 3778/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 6850/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 3778/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.08.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen die Direktzahlung der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) für seine Wohnung an den Hauseigentümer. Er fordert für den Zeitraum vom 01.02.2017 bis zum 31.03.2017 die Auszahlung der Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 440 EUR an sich selbst.

Der Kläger bezieht von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und wohnt zur Untermiete in einer Wohnung im Erdgeschoss in der C. Str. in S ... Der Untermietvertrag wurde zum 15.10.2005 mit dem Hauptmieter der Wohnung G. (im Folgenden: G.) geschlossen, der ebenfalls im Leistungsbezug des Beklagten steht. Die Miete des Klägers betrug im Februar und März jeweils monatlich 350 EUR (kalt) zuzüglich Nebenkosten von 90 EUR, insgesamt also 440 EUR.

Mit Bescheid vom 21.09.2016 (Bl. 765, Bd. VII Verwaltungsakten des Beklagten - VA -) bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 01.10.2016 bis 31.03.2017 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 844 EUR, davon 440 EUR monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU). Die Auszahlung erfolgte an den Kläger. Mit Änderungsbescheid vom 28.12.2016 (Bl. 797, Bd. VII VA) hob der Beklagte den Bewilligungsbetrag für die Regelleistung für Februar und März 2017 um 5 EUR monatlich an und teilte dem Kläger mit, dass gemäß § 22 Abs. 7 Nr. 1 SGB II seine Untermiete ab Februar 2017 direkt an den Eigentümer gezahlt werde. Als Zahlungsempfänger der KdU wurde in dem Bescheid allerdings der Untervermieter G. genannt.

Den vom Kläger dagegen mit Schreiben vom 30.12.2016 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 zurück. Mit Schreiben vom 06.04.2017 wandte sich der Kläger mit einer Klage (S 21 AS 1811/17) beim Sozialgericht Stuttgart (SG) gegen die Direktüberweisung der Miete und forderte sinngemäß eine Auszahlung der KdU für Februar und März 2017 an sich selbst. Er beantragte zugleich einstweiligen Rechtsschutz (S 21 AS 1810/17). Nach Einvernahme des Hauseigentümers und des G. als Zeugen im Erörterungstermin vom 24.05.2017 erklärte der Kläger zu Protokoll: "Ich nehme die Verfahren S 21 AS 1811/17 und S 21 AS 1810/17 ER zurück."

Mit Schreiben vom 11.06.2017 stellte der Kläger Antrag auf Überprüfung aller Leistungsbescheide, die seit dem 01.01.2016 gegen ihn ergangen sind. Mit Bescheid vom 27.06.2017 lehnte hierauf der Beklagte die Rücknahme und Neubescheidung der Bescheide vom 15.03.2016, 06.04.2016, 21.09.2016, 28.12.2016 und 07.03.2017 nach § 44 SGB X ab. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2017 zurück. Dagegen erhob der Kläger wiederum Klage zum SG (S 22 AS 4764/17). Diese Klage und den zugehörigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 22 AS 6404/17 ER) erklärte der Kläger im nichtöffentlichen Erörterungstermin vom 28.11.2017 für erledigt.

Mit Schreiben vom 09.12.2017 hat der Kläger erneut Klage zum SG (S 15 AS 6850/17) erhoben und auf Nachfrage mitgeteilt, seine Klage beziehe sich auf den Bescheid des Jobcenters von Ende Dezember 2016. Darin habe sich der Beklagte mit Hilfe des § 22 SGB II die Kontrolle über sein Leistungskonto verschafft. Dessen Voraussetzungen - Mietzahlungsrückstände - seien nicht gegeben. Die Verpflichtung zum rechtmäßigen Handeln zwinge den Beklagten logischerweise dazu, den Bescheid von Ende Dezember 2016 in einen rechtmäßigen Bescheid umzuwandeln.

Am 30.01.2018 hat der Kläger bei dem Beklagten nochmals die Überprüfung des Bescheides vom 28.12.2016 beantragt. Mangels Mietrückständen fehle es an einer Grundvoraussetzung für die Anwendung des § 22 SGB II. Eine am 11.06.2018 beim SG erhobene Untätigkeitsklage (S 15 AS 3025/18) hat er in einem Erörterungstermin vom 15.08.2018 für erledigt erklärt. Mit Bescheid vom 30.10.2018 (Bl. 1119, Bd. X VA) hat der Beklagte den neuerlichen Überprüfungsantrag des Klägers abgelehnt und seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2019 zurückgewiesen. Dagegen ist beim SG noch ein Klageverfahren (S 3 AS 1128/19) anhängig.

Mit Verfügung vom 15.03.2018 im Verfahren S 15 AS 6850/17 hat das SG den Kläger darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 28.12.2016 bereits Gegenstand des von ihm für erledigt erklärten Verfahrens S 22 AS 4764/17 gewesen sei und eine erneute Klage keine Aussicht auf Erfolg biete. Hierauf hat der Kläger mitgeteilt, mit einer Ablehnung der Klage sei zu rechnen. Diese ermögliche es ihm, den Streit vor das LSG zu bringen (Schreiben vom 27.03.2018). Im Erörterungstermin vom 06.06.2018 hat der Kläger bekräftigt, dass sich die Klage gegen den Bescheid vom Dezember 2016 richte. Er wisse, dass dieser Bescheid bestandskräftig geworden sei. Er habe deshalb die Überprüfung nach § 44 SGB X beantragt. Weiter hat er ausgeführt: "Ich möchte nicht mehr in die Falle gehen und Klagen zurückziehen, sondern ich möchte jetzt immer eine schriftliche Ausführung hierzu."

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Es fehle bereits am Rechtsschutzinteresse, außerdem an der Durchführung eines Vorverfahrens.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 28.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017 sei bestandskräftig und bindend geworden.

Dagegen hat der Kläger am 28.09.2018 (Eingang beim SG) Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, in der Klageabweisung unterstelle das SG seine nachträgliche Genehmigung der Zahlungen des Jobcenters. Hätte er dies so gewollt, hätte er es durch Verzicht auf die Klage auch ohne Gericht erreichen können. Die Zahlungen seien ohne rechtliche Grundlage erfolgt. Der Beklagte müsse ihn so stellen, als hätten die strittigen Zahlungen nie stattgefunden. Er beabsichtige, den vorsätzlichen Missbrauch der Bestandskraft durch das Jobcenter aufzuzeigen. Er wolle die Frage geklärt wissen, ob es überhaupt möglich sei, eine Handlung des Jobcenters bar jeglicher Rechtsgrundlage im Nachhinein durch eine sog. nachträgliche Genehmigung zu legalisieren.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.08.2018 und den Bescheid des Beklagten vom 28.12.2016 aufzuheben und ihm für den Zeitraum vom 01.02.2017 bis zum 31.03.2017 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 440,00 EUR auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere ist sie statthaft, nachdem Berufungsausschließungsgründe (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) nicht vorliegen.

Die Berufung ist allerdings nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen.

Die Klage, die der Kläger im Berufungsverfahren weiterverfolgt, richtet sich ausweislich seines Vorbringens gegenüber dem SG ausdrücklich gegen den Bescheid vom 28.12.2016. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides hierzu wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Nicht Streitgegenstand ist hier die Klage gegen den Bescheid vom 30.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2019, mit dem der Beklagte über den neuerlichen Antrag vom 30.01.2018 auf Überprüfung des Bescheides vom 28.12.2016 nach § 44 SGB X entschieden hat. Diese ist beim SG (S 3 AS 1128/19) anhängig.

Nach der vom Kläger am 24.05.2017 erklärten Rücknahme seiner im April 2017 erhobenen, gegen den Bescheid vom 28.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2017, auf Auszahlung seiner Kosten der Unterkunft (KdU) für Februar und März 2017 an sich selbst gerichteten Klage vor dem SG (S 21 AS 1811/17) ist seine neuerliche kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) vom 11.12.2017 gegen den Bescheid vom 28.12.2016 unzulässig. Eine zurückgenommene Klage kann nach ihrer Rücknahme unabhängig von der Einhaltung der Klagefrist nicht erneut anhängig gemacht werden. Mit der Klagerücknahme hat der Kläger auf die (weitere) Verfolgung seiner Ansprüche verzichtet und nicht mehr die Möglichkeit, wegen des gleichen Sachverhalts nochmals das Gericht anzurufen, denn mit seiner Erklärung ist der prozessuale Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung über den Klagegegenstand verbraucht (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 8 SO 1/16 R –, BSGE 124, 10-20, SozR 4-3250 § 14 Nr. 26, juris, Rn. 16, mit Verweis auf BSG SozR Nr. 9 und 10 zu § 102 SGG).

In der Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung vom 24.05.2017 vor dem SG im Verfahren S 21 AS 1811/17 ist festgehalten, dass das Verfahren S 21 AS 1811/17 vom Kläger zurückgenommen wurde. Diese Erklärung wurde ordnungsgemäß protokolliert, vorgespielt und genehmigt (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159, 160, 162, 163 Zivilprozessordnung -ZPO -). Hiernach war der Rechtsstreit durch Klagerücknahme in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung, die das Gericht und die Beteiligten bindet. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 8 SO 1/16 R –, a.a.O., Rn. 15; BSG SozR 1500 § 102 Nr. 2; BSG, Beschluss vom 04.11.2009 – B 14 AS 81/08 B –, juris, Rn. 6 m.w.N.; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 102 Rn. 7c m.w.N.).

Die Voraussetzungen für einen nur ausnahmsweise möglichen Widerruf nach den Regelungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 179 und 180 SGG sowie über § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 579, 580 ZPO) sind hier nicht erfüllt. Die pauschale Behauptung eines "vorsätzlichen Missbrauchs der Bestandskraft" durch den Beklagten stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar. Die Rücknahmeerklärung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze oder wegen unzulässigen Drucks oder Drohungen durch das SG ungültig (vgl. hierzu B. Schmidt a.a.O, § 102, Rn.7c). Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das SG gegen grundlegende Verfahrensgesichtspunkte, insbesondere den Grundsatz des fairen Verfahrens, verstoßen hat.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 16.02.2019 ausgeführt hat, er wolle die Frage geklärt wissen, ob es überhaupt möglich sei, "eine Handlung des Jobcenters bar jeglicher Rechtsgrundlage" im Nachhinein durch eine "sog. nachträgliche Genehmigung" zu legalisieren (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), fehlt es bereits an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Die isolierte Klärung abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens. Es fehlt darüber hinaus, was nur ergänzend ausgeführt wird, auch an der instanziellen Zuständigkeit des Senats, nachdem die aufgeworfene Frage nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved