L 12 SB 3856/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 2273/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SB 3856/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.09.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Höhe von mindestens 50 ab dem 12.12.2016.

Der am 1969 geborene Kläger beantragte am 12.12.2016 seine Gesundheitsstörungen als Behinderungen anzuerkennen sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Der Kläger gab an, an einer leichten depressiven Episode (ICD 10 F 32.0), psychischen und Verhaltensstörungen (ICD 10 F 17.2) sowie an einer somatoformen autonomen Funktionsstörung (ICD 10 F 45.3) zu leiden. Vom 01.11.2016 bis 06.12.2016 sei er stationär in der P.-E.-Klinik in B. H. behandelt worden. Der Beklagte zog den Entlassbericht aus der P.-E.-Klinik bei, in dem die gleichen Diagnosen wie im Antrag angegeben sind.

Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme bei Dr. M. vom 18.01.2017 ein, wonach der Kläger an einer seelischen Störung sowie an einer psychovegetativen Störung leide, es liege ein GdB von 30 vor.

Mit Bescheid vom 19.01.2017 stellte der Beklagte einen GdB von 30 seit 12.12.2016 fest. Es liege somit keine Schwerbehinderung im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX vor. Der Kläger leide an einer seelischen Störung sowie an psychovegetativen Störungen. Die Auswirkung dieser Funktionsbeeinträchtigungen seien mit dem festgestellten GdB angemessen bewertet.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, der GdB sei zu niedrig angesetzt und werde der Art sowie Schwere der bei ihm vorliegenden Behinderungen nicht gerecht. Es lägen u.a. folgende Gesundheits- und Funktionsstörungen vor: - Zwanghaftigkeit und Unsicherheit im Sozialkontakt - Psychotizismus - Depression - phobische Angst und Ängstlichkeit - somatoforme autonome Funktionsstörung des Herzkreislaufsystems - psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak-Abhängigkeitssyndrom. Diese seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Unter dem Gliederungspunkt B 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze werde ausgeführt, dass für schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ein GdB von 50 bis 70 angemessen sei. Somit sei schon allein die soziale Anpassungsschwierigkeit mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten. Die Depression sei als leichte psychovegetative Störung mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten, sodass ein Einzel-GdB von 20 vorliege. Für die phobische Angst und Ängstlichkeit sei ein Einzel-GdB von 30 bis 40 anzunehmen. Für die somatoforme Störung sei ein Einzel-GdB von mindestens 30 anzuerkennen. Darüber hinaus rauche der Kläger 20 Zigaretten pro Tag und habe einen starken Drang und Wunsch auf, die psychotrope Substanz zu konsumieren, sodass hierfür nach 3.8 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) ein GdB von 20 anzusetzen sei. Somit ergebe sich aus der Gesamtheit der Funktionsbeeinträchtigungen ein Gesamt-GdB von mindestens 50.

Der Beklagte befragte den den Kläger behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. S ... Dieser gab mit Schreiben vom 04.04.2017 an, der Kläger leide an mittelgradiger bis schwerer depressiver Episode, somatoformer autonomer Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems sowie Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation. Der Kläger sei aus der Rehamaßnahme arbeitsunfähig entlassen worden. Entlastung habe sich jedoch durch eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsvertrages und Freistellung bis einschließlich 30.04.2017 ergeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Auch unter Berücksichtigung des aktuellen Befundberichts des Psychiaters Dr. S. vom 04.04.2017 sei an einem GdB von 30 festzuhalten.

Am 06.07.2017 hat der Kläger unter Wiederholung der Begründung aus dem Widerspruchsverfahren Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben.

Das SG hat den Dr. S. (erneut) befragt. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 21.08.2017 angegeben, dass der Kläger an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode, einer Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation, einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems sowie einer Nikotinabhängigkeit leide. Der behandelnde Psychologe, Dr. B., hat in seiner Stellungnahme vom 28.08.2017 angegeben, den Kläger in sieben Gruppensitzungen behandelt zu haben. Da der Kläger nach dem Aufnahmegespräch nur im Gruppensetting gesehen worden sei, könne er nur eine grobe Einschätzung geben. Im Aufnahmegespräch habe der Kläger über Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Grübeln und ausgeprägte Schlafstörungen geklagt.

Das SG hat zudem ein Gutachten bei Prof. Dr. R. vom 24.04.2018 eingeholt. Dieser gibt an, der Kläger leide an Angst und Depression, gemischt (ICD 10 F 41.2), sowie einer leichten Panikstörung (ICD 10 F 41.0). Da die ängstlichen und die depressiven Symptome gleichwertig nebeneinander stünden, sei eher die Annahme einer ängstlichen Depression als das Vorhandensein einer leichten episodischen Depression gerechtfertigt. Dr. S. habe zwar angegeben, dass der Kläger niedergestimmt und der Antrieb reduziert sei. Auch sei bei seiner Befunderhebung ein überwiegend subdepressives Stimmungsbild aufgefallen. Die Antriebslage sei jedoch unauffällig, so dass es inzwischen zu einer Besserung des psychischen Befundes gekommen sei und deshalb die Diagnose einer mittelgradigen bis schweren depressive Episode nicht geteilt werde. Vielmehr liege eine ängstliche Depression vor. Dies werde auch von der Beschreibung von Dr. B. gestützt. Die ängstliche Depression und die Panikstörung stellten Behinderungen dar, da sie auf den psychischen Zustand des Klägers nicht nur vorübergehende Funktionsauswirkungen hätten. Der Einzel-GdB für die ängstliche Depression und für die leichte Panikstörung betrage jeweils 20. Angesichts der Überschneidung der Symptomatik sei der Gesamt-GdB für beide Störungen mit 30 ab dem 12.12.2016 einzuschätzen.

Mit Urteil vom 28.09.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach den nachvollziehbaren gutachterlichen Ausführungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. R. leide der Kläger unter einer depressiven Störung gemischt mit Angst sowie unter einer Panikstörung. Für diese Beeinträchtigungen sei zur Überzeugung des Gerichts ein GdB von 30 festzusetzen. Nach Teil B Nr. 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) seien stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem GdB von 30 bis 40 zu bemessen. Für schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten sei gemäß Teil B Nr. 3.7 VG ein Beurteilungsrahmen für die Bemessung des GdB-Wertes von 50 bis 70 eröffnet. Zur Überzeugung des Gerichts liege eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beim Kläger nicht vor. Dies sei nur der Fall bei einer sich in den meisten Berufen auswirkenden psychischen Veränderungen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlaube, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedinge, die auch eine berufliche Gefährdung einschließe sowie erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung. Beim Kläger lägen jedoch weder eine verminderte Einsatzfähigkeit in seinem Beruf als Objektleiter für Schulungen des Reinigungspersonals beim Staatstheater Karlsruhe noch krankheitsbedingte familiäre Probleme vor. Der von Prof. Dr. R. im Rahmen der Begutachtung erhobene Tagesablauf des Klägers sei ordentlich strukturiert und geregelt. So habe der Kläger angegeben, seiner Vollzeittätigkeit als Objektleiter in Schichtarbeit nachzugehen, in seiner Freizeit gemeinsam mit seine Ehefrau die Einkäufe zu erledigen, ihr gelegentlich auch beim Haushalt behilflich zu sein, ab und an Freizeit in einem angemieteten Garten zu verbringen und dort den Rasen zu mähen. Dafür, den GdB mit nicht mehr als 30 zu bewerten, spreche zudem, dass der von Prof. Dr. R. im Rahmen der Begutachtung erhobene psychische Befund des Klägers unauffällig gewesen sei. Bewusstseins-, Orientierungs-, Auffassungs- oder Konzentrationsstörungen hätten ebenso wenig vorgelegen wie Gedächtnisstörungen.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 29.10.2018 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobenen Berufung mit der bereits vor dem SG vorgetragenen Begründung. Außerdem habe er immer noch schwere Schlafstörungen sowie ein Zucken beim Einschlafen. Das Lachen habe er seit Jahren vergessen, Erwartungen für die Zukunft habe er keine.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.09.2018 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2017 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit 12.12.2016 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das Urteil für zutreffend. Soweit der Kläger auf ein Tabak-Abhängigkeitssyndrom abhebe, ergebe sich aus Nr. 3.8 VG, dass die Abhängigkeit von Tabak für sich allein in der Regel keine Teilhabebeeinträchtigung bedinge. In Anbetracht dessen, dass der Kläger einen im Wesentlichen geregelten Tagesablauf und ein normales Familienleben führe und auch wieder eine neue vollschichtige Arbeitsstelle habe antreten können, sei der GdB mit 30 sicherlich nicht zu niedrig bewertet.

Im Erörterungstermin am 25.04.2019 hat die Berichterstatterin die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Berufung unbegründet sein dürfte. Darüber hinaus hat sie darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne ehrenamtliche Richter durch Beschluss zu entscheiden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden von den Beteiligten nicht vorgebracht und liegen auch nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist nach § 143 SGG statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen GdB von mehr als 30.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB ist § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGBX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung bzw. nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB X in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung bzw. nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2018, L 3 SB 5/17; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 geltenden Fassung (vormals § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten (VG, Teil A, Nr. 2 Buchst. e). In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).

Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist der Senat, ebenso wie bereits das SG, überzeugt, dass die beim Kläger vorliegenden Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von 30 zutreffend bewertet sind.

Im Vordergrund steht beim Kläger – auch nach Auffassung des SG in der angefochtenen Entscheidung und der Beteiligen – die Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet. Dabei handelt sich um eine leichtgradig ausgeprägte Angst und Depression, gemischt (ICD 10 F 41.2), sowie um eine leichte Panikstörung (ICD 10 F 41.0). Dies entnimmt der Senat dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. R ... Dagegen kann den Angaben des behandelnden Arztes Dr. S., der in seiner Stellungnahme vom 21.08.2017 angegeben hat, dass der Kläger an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode, Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation, somatoformer autonomer Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems sowie Nikotinabhängigkeit leide, nicht in vollem Umfang gefolgt werden. So wirkte die Stimmungslage des Klägers zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. R. zwar überwiegend subdepressiv, jedoch kam es beim Besprechen angenehmerer Themen rasch zu einer Stimmungsaufhellung. Die affektive Modulationsfähigkeit war nur leichtgradig eingeschränkt und es bestand eine erhöhte Ängstlichkeit. Weder war das Auffassungsvermögen erschwert, noch wurden im Rahmen der Begutachtung Störungen der Merkfähigkeit oder des Konzentrationsvermögens deutlich. Auch war der Antrieb in der Untersuchungssituation intakt. Im Widerspruch zu diesem klinisch weitgehend unauffälligen Befund finden sich deutliche Hinweise für eine Depression in der Selbsteinschätzung. Jedoch verbietet sich eine unkritische Übernahme der vom Kläger gemachten Angaben, weil diese Angaben ebenso wie die Beschwerdeschilderung der subjektiven Einschätzung des jeweiligen Betroffenen unterliegen. Zu Recht weißt Prof. Dr. R. auch darauf hin, dass der Kläger angegeben hat, nur noch ein einziges Psychopharmakon einzunehmen (Trimipramin), während von der P.-Ehrlich-Klinik noch die Antidepressiva Mirtazapin und Venlaflaxin sowie das beruhigende Neuroleptikum Risperdal verordnet worden sei. Dies spricht nach seiner Einschätzung eher für ein Abklingen der noch von der P.-Ehrlich-Klinik diagnostizierten leichten depressiven Episode. Auch der seitens des Klägers gegenüber Prof. Dr. R. geschilderte Tagesablauf spricht gegen die vom behandelnden Arzt angegebene mittelgradige bis schwere depressive Episode sowie die Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation, zumal sich die berufliche Situation des Klägers nach einem Wechsel des Arbeitgebers im Frühjahr 2018 gebessert hat. Der Kläger ist im geteilten Schichtdienst als Objektleiter beim Staatstheater K. tätig und schult und kontrolliert dort das Reinigungspersonal. Er gab an, mit seiner Ehefrau einzukaufen und dieser auch im Haushalt zu helfen und im Garten den Rasen zu mähen. Auch nutze er Whatsapp. Insoweit hat der Senat keine Bedenken, der Einschätzung im Gutachten von Prof. Dr. R. zu folgen.

Der Senat folgt Prof. Dr. R. auch insoweit, als dieser die leichtgradig ausgeprägte Angst und Depression, gemischt (ICD 10 F 41.2), sowie die leichte Panikstörung (ICD 10 F 41.0) mit einem GdB von 30 bewertet hat. Zunächst ist sowohl Prof. Dr. R. als auch dem Versorgungsarzt Dr. M. dahingehend beizupflichten, dass für die Bewertung der aus der Angst und Depression, gemischt, und der Panikstörung folgende Funktionsbeeinträchtigungen die VG, Teil B, Nr. 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörung, Folgen psychischer Traumen) zugrunde zulegen sind; dies wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen. In Anwendung der VG, Teil B Nr. 3.7 kommt eine Bewertung der seelischen Erkrankung mit einem Einzel-GdB von mehr als 30 nicht in Betracht. Eine solche entspricht bereits dem unteren Rahmenwert einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Ein höherer Einzel-GdB ist nicht vertretbar, weil eine solche erhebliche seelische Erkrankung nicht nachgewiesen ist. Prof. Dr. R. hat in Übereinstimmung mit den aktenkundig gewordenen früheren Befunden keinen psychopathologisch belangvoll zum depressiven Pol hin verschobenen Befund erhoben. Weder die gegenüber dem Sachverständigen angegebenen vegetativen Einschränkungen (Ein- und Durchschlafstörungen) noch der vom Kläger dem Sachverständigen gegenüber beschriebene, bereits oben dargestellte, Tagesablauf, welchem keine belangvollen Hinweise auf Beeinträchtigungen im privaten und beruflichen Alltag bzw. Beeinträchtigungen der sozialen Partizipation entnommen werden können, rechtfertigen die Annahme einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die eine Ausschöpfung des Rahmenwertes mit einem GdB von dann 40 gestatten würde. Bezüglich der vom Kläger beklagten Schlafstörungen bleibt festzuhalten, dass er keine Einnahme von schlaffördernden Medikamenten angegeben hat. Unter Berücksichtigung all dessen kann in Übereinstimmung mit Prof. Dr. R. und dem Versorgungsarzt Dr. M. die Bewertung der leichtgradig ausgeprägten Angst und Depression, gemischt, sowie der leichten Panikstörung mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 zugestimmt werden. Prof. Dr. R. hat dabei in Anwendung der VG, Teil A Nr. 2 Buchst. e die Beeinträchtigungen im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" zusammenfassend beurteilt und einen GdB von 30 für angemessen erachtet. Liegt somit bereits eine stärker behindernde Störung mit einem GdB von mehr als 30 nicht vor, kann erst Recht eine schwere Störung (GdB-Rahmen von 50-70) nicht angenommen werden.

Entgegen der Ansicht des Klägers führt sein Zigarettenkonsum, den er ausweislich des Schriftsatzes vom 11.01.2019 bereits von 30 auf 20 Zigaretten reduziert hat, nicht zu einem weiteren Einzel-GdB. Nach den VG, Teil B, Nr. 3.8 (Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen) bedingt allein der schädliche Gebrauch psychotroper Substanzen ohne körperliche oder psychische Schädigung keinen Grad der Schädigungsfolgen. Die Abhängigkeit von Koffein oder Tabak sowie von Koffein und Tabak bedingt für sich allein in der Regel keine Teilhabebeeinträchtigung. Dass die beim Kläger vorliegenden psychischen Störungen durch den Tabakkonsum entstanden, hat weder Prof. Dr. R. noch Dr. S. angegeben.

Auch die Beeinträchtigung des kardio-vaskulären Systems, die noch im Entlassbericht der P.-E.-Klinik angegeben wurde, führt nicht zu einem weiteren Einzel-GdB. Nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 Nr. 1 führt eine Einschränkung der Herzleistung, die keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (also keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse SchM.en) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7–8 km/h], schwere körperliche Arbeit) und keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung) bedingt, allenfalls zu einem GdB von 10. Da der Kläger jedoch keine Beschwerden angibt, sich diesbezüglich nicht in fachärztlicher Behandlung befindet und auch Prof. Dr. R. dem keinen erhöhten Krankheitswert beigemessen hat, sieht der Senat die Annahme eines Einzel-GdB von 10 als nicht gerechtfertigt an.

Damit ist der Gesamt-GdB hier zutreffend mit 30 bewertet worden. Selbst wenn für den Nikotinmissbrauch ein weiterer Einzel-GdB von 10 angenommen würde, würde sich dies schon deshalb nicht erhöhend auswirken, da nach den VG Teil A Nr. 3 Buchst. d, von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.

Die Berufung bleibt nach alledem ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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