L 8 SB 3870/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 921/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3870/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29.08.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf höhere (Neu-)Feststellung des Grades der Behinderung (GdB; mindestens 50 statt 30) seit 24.08.2015 zusteht.

Bei der 1968 geborenen Klägerin, türkische Staatsangehörige, war mit Bescheid vom 04.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.29013 ein GdB von 20 seit 01.08.2012 festgestellt worden (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (GdB 20); Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, HWS-Syndrom (GdB 10)).

Am 24.08.2015 beantragte die Klägerin beim Landratsamt K. (LRA) die Feststellung des GdB. Sie verwies auf ein allergisches Asthma bronchiale, eine allergische Rhinopathie durch Hausstabmilben, eine arterielle Hypertonie und eine Hypothyreose.

Das LRA zog vom Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie Dr. S. Befundbeschreibungen und Berichte bei (dazu vgl. Blatt 65/137 der Beklagtenakte, u.a. das Gutachten der Dr. G.-S. vom 06.05.2014 für die Unfallkasse BW), der ein allergisches Asthma bronchiale beschrieben. Es habe sich keine Sensibilisierung gegen Milben nachweisen lassen, dennoch habe die Klägerin wiederholt rhinitische Beschwerden geschildert.

Der Versorgungsarzt Dr. B. schätzte in seiner Stellungnahme vom 06.10.2015 den GdB auf 30 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (GdB 10); Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, Halswirbelsäulen-Syndrom (GdB 20); Bronchialasthma, Allergie (GdB 20)).

Mit Bescheid vom 14.10.2015 stellte das LRA den GdB seit 24.08.2015 mit 30 fest. Den anwaltlich hiergegen am 12.11.2015 erhobenen und nicht näher begründeten Widerspruch wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.02.2016).

Hiergegen hat die Klägerin am 17.03.2016 beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe Klage erhoben und das Begehren eines GdB von mindestens 50 weiterverfolgt. Die Funktionsbeeinträchtigungen und die Schmerzen seien unzutreffend bewertet. Insbesondere sei das Bronchialasthma nicht ausreichend berücksichtigt. Sie leide unter ständigem Husten mit Auswurf und Atembeschwerden. Zudem träten retrostenale Schmerzen auf, die teilweise mit Analgetika behandelt werden müssten.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen.

Der Facharzt für Chirurgie und Visceralchirurgie Dr. P. hat dem SG am 18.07.2016 (Blatt 40/41 der SG-Akte) geschrieben, das Venenleiden sei als geringfügig einzustufen, es entfalle eine Bewertung.

Der Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie Dr. S. hat mit Schreiben vom 18.07.2016 (Blatt 42/134 der SG-Akte) hinsichtlich des Asthma bronchiale und der allergischen Rhinopathie der ihm überlassenen versorgungsärztlichen Bewertung des GdB zugestimmt.

Der Facharzt für Innere Medizin Dr. R. hat am 06.08.2016 mitgeteilt (Blatt 135/184 der SG-Akte) es bestehe eine Varicosis, ein Asthma bronchiale, eine Hypertonie, ein depressives Erschöpfungssyndrom und ein gutartiger Tumor im Kiefer. Der GdB sei aus hausärztlicher Sicht mit 30 zu bewerten. Es fehlten aber die in der Schmerzambulanz erhobenen Befunde, weswegen möglicherweise wegen der chronischen Schmerzsituation eine höhere Bewertung von 40 bis 50 gerechtfertigt sei.

Der Notfall- und Schmerzmediziner Dr. K. hat am 04.11.2016 (Blatt 187/196 der SG-Akte) ausgeführt, bei den Schmerzen, die ihren Ursprung in Veränderungen der Lendenwirbelsäule hätten, handele es sich um mittelschwere Gesundheitsstörungen, die mit einem GdB von 30 zu bewerten seien.

Der Beklagte bot unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 30.12.2016 an, den GdB im Wege eines Vergleichs ab dem 24.08.2015 mit 40 zu bewerten (Blatt 198/200 der SG-Akte). Die Klägerin nahm das Vergleichsangebot nicht an und legte Arztberichte von Dr. S. vor (Blatt 203/206 der SG-Akte).

Vom SG als sachverständiger Zeuge schriftlich befragt hat der Orthopäde Dr. L. (Blatt 218/219 der SG-Akte) mit Schreiben vom 05.04.2017 mitgeteilt, es bestehe ein lumbales Wurzelreizsyndrom bei gesichertem Nucleusprolaps L5/S1, eine Schultersteife rechts, ein Hallux valgus links mit Metatarsalgie und ein Reizknie. Der orthopädische GdB betrage 40.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Internist, Rheumatologe und Sozialmediziner Dr. L ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.07.2017 (Blatt 224/245 der SG-Akte; Untersuchung der Klägerin am 19.06.2017) die auf internistischem Fachgebiet bestehenden Erkrankungen mit einem GdB von 20 bewertet. Auch zusammen mit den anderen Funktionsbehinderungen sei der Gesamt-GdB auf 20 zu schätzen.

Der Beklagte hat an seinem Vergleichsangebot nicht weiter festgehalten (Blatt 249 der SG-Akte), die Klägerin hat die Klage nicht zurückgenommen (Blatt 251 der SG-Akte).

Mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe jedenfalls kein höherer GdB als 30 zu.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 04.09.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 04.10.2017 beim Landessozialgericht (LS) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie leide insbesondere unter Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einem Bandscheibenschaden, einer Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, einem Halswirbelsäulen-Syndrom, einem Bronchialasthma, einer Allergie, einem Bluthochdruck, einer Schilddrüsenüberfunktion und einer Rhinopathie. Entgegen den Feststellungen des SG sei jedoch davon auszugehen, dass bei ihr ein Gesamt-GdB von mindestens 50 anzunehmen sei. Wie sich aus der Stellungnahme des Dr. K. ergebe, habe sie im Jahr 2014 einen medialen Bandscheibenvorfall bei LWK 3/4 erlitten, der durch den Duralsack imprimiert sei. Zudem leide sie unter Osteochondrose und deformierter Facettengelenksarthrose sowie einem Bandscheibenvorfall bei LWK5/SWK1. Dieser Bandscheibenvorfall verlagere im Spinalkanal die aus der ersten Kreuzbeinsegment stammende rechtsseitige Spinalwurzel. Sie sei durch die durch die im orthopädischen Bereich bestehenden Gesundheitsstörungen bedingten Schmerzerkrankung erheblich beeinträchtigt. Nach Feststellungen von Dr. K. handele es sich bei den Schmerzen, die ihren Ursprung in Veränderungen der Lendenwirbelsäule hätten um mittelschwere Gesundheitsstörungen die bereits einen GdB von 30 bedingten. Zudem sei bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass bei ihr mehrere Organbereiche betroffen seien. Somit seien die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig und betreffen damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens. Deshalb seien auf der Grundlage des höchsten Einzel-GdB auch die weiteren Gesundheitsstörungen bei der Bildung des Gesamt-GdB zu beachten. Unberücksichtigt geblieben sei auch der Aspekt, dass auch dann, wenn die vorliegenden Behinderungen für sich alleine genommen nicht so schwergradig wären, dass ein GdB von mehr als 20 gerechtfertigt wäre, sie jedoch durch das Zusammenwirken der Erkrankungen und Beeinträchtigungen in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so erheblich beeinträchtigt sei, dass die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB gerechtfertigt sei.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29.08.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2016 zu verpflichten, bei ihr den Grad der Behinderung mit mindestens 50 ab Antragstellung festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Internisten und Sozialmediziner Dr. G. sowie von Zusatzgutachten beim Facharzt für Orthopädie Dr. H. und der Fachärztin für Psychiatrie, Sozialmedizin F ...

Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 20.072.018 (Blatt 63/96 der Senatsakte; Untersuchung der Klägerin am 16.07.2018) ein Zervikalsyndrom, degenerative Veränderungen im Bereich der Segmente C5 bis C7 mit muskulären Verspannungen aber ohne neurologischen Ausfälle, ein Lumbalsyndrom bei initial ausgeprägten degenerativen Veränderungen im Bereich der Segmente L 2/3 und L 5/S l und muskulären Verspannungen aber ohne neurologische Ausfälle, eine Periarthropathie der rechten Schulter, Gonalgien beidseits, einen Senk-Spreizfuß beidseits bei Morton-Neurom Interdigitalraum D II/III linker Fuß und eine Adipositas beschrieben. Die Halswirbelsäule sei funktionell mittelgradig eingeschränkt, die Brustwirbelsäule geringgradig, ebenso die Lendenwirbelsäule. Dementsprechend seien die Wirbelsäulenveränderungen mit einem GdB von 20 zu berücksichtigen. Im Bereich beider Schultergelenke lasse sich eine geringe Funktionseinschränkung objektivieren, im Bereich des rechten Schultergelenkes würden Schmerzen angegeben, die sich durch den objektivierbaren Befund nicht erklären ließen. Die Veränderungen im Bereich beider Schultergelenke bedingten maximal einen GdB von 10. Eine Funktionsstörung im Bereich der Hüftgelenke finde sich nicht. Eine Funktionseinschränkung im Bereich beider Kniegelenke lasse sich aktuell nicht objektivieren. Die Veränderungen im Bereich beider Kniegelenke bedingten dementsprechend GdB von unter 10. Die Funktionsstörung im Bereich beider Füße einschließlich des kernspintomographisch objektivierten Morton Neuromes im Bereich des linken Fußes bedingten einen GdB von unter 10. Den Gesamt-GdB hat Dr. H. auf 20 geschätzt.

Die Gutachterin F. hat in ihrem Gutachten vom 11.04.2019 (Blatt 97/118, Untersuchung der Klägerin am 04.03.2019) auf fachpsychiatrischem Gebiet eine Anpassungsstörung im Sinne einer Trauerreaktion, als Nebendiagnosen Erkrankungen im Bereich des Bewegungsapparates: HWS/LWS-Syndrom, Periarthropathie rechte Schulter, Gonalgien beidseits, cervicogene Kopfschmerzen mit chronischer Schmerzstörung mit psychogener Verstärkung, ein Asthma bronchiale und eine arterielle Hypertonie beschrieben. Auf psychiatrischem Gebiet sei von einer psychogenen Schmerzverstärkung bei Erkrankungen auf dem orthopädischen Fachgebiet auszugeben. Es liege ein besonderes Schmerzsyndrom vor, allerdings können trotz gutem Ansprechen auf Schmerztherapie in der Vergangenheit, die schmerztherapeutischen Maßnahmen als nicht ausgeschöpft angesehen werden. Die hierdurch bedingten Funktionsstörungen (eingeschränkte körperliche Belastbarkeit, Schlafstörungen) könnten als leicht- bis mittelgradig bewertet werden. Da die Schmerzsymptomatik und die damit verbundenen Funktionsstörungen bereits bei den orthopädischen Leiden mitberücksichtigt würden, bilde ein GdB von 10 die psychische Störung und deren Folgen hinreichend ab.

Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 15.04.2019 (Blatt 45/62 der Senatsakte; Untersuchung der Klägerin am 17.12.2018) auf internistischem Fachgebiet ein Asthma bronchiale bzw. eine Hyperreagibilität, eine Allergie und eine allergische Rhinopathie beschrieben. Die Atemwegsstörung sei als leicht einzustufen. Er hat den GdB insoweit auf 10 geschätzt und den Gesamt-GdB mit 20 angegeben.

Nach Anhörung der Beteiligten (Blatt 123, 124 der Senatsakte) wurde der Rechtsstreit durch Beschluss nach § 153 Abs. 5 SGG vom 04.06.2019 (Blatt 126 der Senatsakte) dem Berichterstatter übertragen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 125, 130 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.

Über die Berufung konnte der Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden, nachdem das SG mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2017 entschieden hatte und die Berufung dem Berichterstatter durch Beschluss des Senates nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen worden war. Der Senat hat keine Gründe feststellen können, die eine Entscheidung durch den ganzen Senat erforderlich machen, solche waren auch in der schriftlichen Anhörung von den Beteiligten nicht mitgeteilt worden.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid 14.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2016. Zwar ist dieser Bescheid vom 14.10.2015 ursprünglich rechtswidrig, weil er den GdB der Klägerin mit 30 bewertet hat, der Senat aber lediglich Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen feststellen konnte, die insgesamt einen GdB von lediglich 20 bedingen. Sie hat daher keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30. Die ursprüngliche Rechtswidrigkeit durch Feststellung eines zu hohen GdB verletzt die Klägerin aber nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 ff.). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Einzel- oder Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss damit durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Rechtsgrundlage für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX (§ 152 SGB IX) in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer- Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Abs. 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-)Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderung solche Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt nach § 2 Abs.1 Satz 2 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, zuvor § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Damit gilt weiterhin die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), deren Anlage zu § 2 die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG) beinhalten. Diese stellen – wie auch die zuvor geltenden Anhaltspunkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX) anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen, sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktions-beeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, auch solche, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft – gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 – oder anderer Werte - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB, sondern der Gesamt-GdB ist durch einen Vergleich der im zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen – bei Feststellung der Schwerbehinderung ist der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 oder mehr ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 oder mehr in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen – zu bestimmen. Maßgeblich sind damit grds. weder Erkrankungen noch deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 – L 8 SB 5215/13 – juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist – wie dargestellt – anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nämlich nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau und unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die Teilhabefähigkeit einen höheren Gesamt-GdB als 20 nicht rechtfertigen; dies gilt sowohl unter der seit 01.01.2018 anzuwendenden Rechtslage, als auch unter Anwendung der bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage des SGB IX.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, ist ein Einzel-GdB von 20 anzunehmen. Nach Teil B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder an-haltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z.B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt.

Im Funktionssystem des Rumpfes bestehen bei der Klägerin, wie der Senat auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. festgestellt hat, ein Zervikalsyndrom, degenerative Veränderungen im Bereich der Segmente C5 bis C7 (mit muskulären Verspannungen aber ohne neurologischen Ausfälle) und ein Lumbalsyndrom bei initial ausgeprägten degenerativen Veränderungen im Bereich der Segmente L 2/3 und L 5/S l (mit muskulären Verspannungen aber ohne neurologische Ausfälle).

Dr. H. hat ausgeführt, die Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule seien auf degenerative Veränderungen und muskuläre Verspannungen zurückzuführen. Die Funktion der Halswirbelsäule ist mittelgradig eingeschränkt. Wurzelreizerscheinungen sind dort dokumentiert. Neurologische Ausfälle finden sich nicht. Die Funktionseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule (Kinn-Sternum-Abstand 15-2 cm - normal 21-0 cm) ist mittelgradig, im Bereich der Brustwirbelsäule (Ott sches Zeichen der BWS 32,5 cm - normal 33 cm) und im Bereich der Lendenwirbelsäule (Schober sches Zeichen der LWS 14,0 cm - normal 15,0 cm) jeweils geringradig ausgeprägt, was der Senat mit den Befunden des Gutachtens von Dr. H. feststellt. Der mit 48 cm demonstrierte Finger-Boden-Abstand lässt sich, wie Dr. H. mitgeteilt hat, medizinisch nicht nachvollziehen.

Bei einmalig mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigungen in einem Wirbelsäulenabschnitt sehen die VG einen GdB von 20 vor; schwerere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradige Auswirkungen in mehreren Wirbelsäulenabschnitten konnte der Senat angesichts der Gutachten von Dr. H. und Dr. L. nicht feststellen. Auch die von Dr. K. angenommene Schmerzhaftigkeit konnte der Senat angesichts der Befunde dieses Arztes und der Begutachtungsergebnisse bei Dr. L. , Dr. G., Dr. H. und Frau F. nicht bestätigt sehen, sodass der Senat der GdB-Bewertung des Dr. K. nicht zu folgen vermag. Damit war der Einzel-GdB im Funktionssystem des Rumpfes mit 20 anzunehmen.

Im Funktionssystem der Arme (B Nr. 18.13 VG) ist der Einzel-GdB mit 10 anzunehmen. Hier bestehen im Bereich beider Schultern, was der Senat auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. feststellt, bei unauffälligem radiologischem Befund eine schmerzhafte Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei der aktiven Bewegungsprüfung. Passiv sind beide Schultergelenke gut beweglich. Im Bereich des rechten Schultergelenkes werden Schmerzen angegeben, die sich durch den objektivierbaren Befund nicht erklären lassen. Bei Beweglichkeit beider Schultergelenke für Vor-/Rückhebung von 160-0-30o bzw. 180-0-30o (vgl. Gutachten Dr. H. ) kann jedoch ein GdB von mehr als 10 nicht angenommen werden.

Im Funktionssystem der Beine (B Nr. 18.14 VG) ist ebenfalls der Einzel-GdB mit 10 zu bewerten. Der Senat konnte auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. eine Funktionsstörung im Bereich der Hüftgelenke findet nicht feststellen. Auch eine Funktionseinschränkung im Bereich beider Kniegelenke ließ sich bei der Untersuchung durch Dr. H. nicht objektivieren. Beide Kniegelenke waren beugbar bis 150o. Eine Instabilität, eine Versteifung oder ähnliches konnte der Senat nicht feststellen. Die radiologisch festgestellten Veränderungen im Bereich beider Kniegelenke bedingen entsprechend den VG allenfalls einen GdB von unter 10; anhaltende Reizerscheinungen sind auch mit dem Gutachten von Dr. H. nicht feststellbar. Auch die Funktionsstörung im Bereich beider Füße einschließlich des kernspintomographisch objektivierten Morton Neuromes im Bereich des linken Fußes bedingen, da statisch nicht bedeutsam, einen GdB von unter 10. Die Krampfadern an den Beinen der Klägerin wurden im Jahr 2009 entfernt und bedingen keinen teilhaberelevanten Funktionsbeeinträchtigungen; die Phlebographie ergab zuletzt zwar eine Perdoransinsuffizienz, jedoch ohne Stammvarikose; aktuell besteht eine geringfügige Varikose ohne Hinweis auf Perfusionsstörung. Diese stellt, wie der Senat mit dem Gutachter Dr. G. feststellt, keine funktionelle Behinderung dar, und ist allenfalls kosmetisch relevant. Dr. L. hat die Venenerkrankung mit einem GdB von 10 bewertet. Der GdB ist daher im Funktionssystem der Beine mit allenfalls 10 angemessen bewertet.

Dem von Dr. L. gegenüber dem SG angenommenen höheren orthopädischen GdB konnte der Senat insoweit nicht folgen, denn dessen Befunde tragen seine Bewertung nicht, auch konnte sich der Senat angesichts der aus dem Gutachten von Dr. H. erhobenen Befunde nicht von einer so weitgehenden Funktionsbeeinträchtigung überzeugen.

Im Funktionssystem Herz/Kreislauf (B Nr. 9.3 VG) ist der Einzel-GdB ebenfalls mit 10 anzunehmen. Hier besteht bei der Klägerin, wie der Senat den Gutachten von Dr. L. und Dr. G. entnommen hat, eine Bluthochdruckerkrankung, die medikamentös gut behandelt ist. Eine mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), ein diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung oder eine Leistungsbeeinträchtigung liegen bei der Klägerin nicht vor. Auch sonstige Veränderungen, auch leichten Augenhintergrundveränderungen, bestehen nicht, was der Senat auch dem Gutachten von Dr. L. entnimmt. Auch Herzrhythmusstörungen oder eine Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit bestehen nicht. Dr. L. hat den GdB daher zutreffend mit allenfalls 10 bewertet. Der behandelnde Visceralchiurg Dr. P. hat dagegen keinen GdB angenommen. Ein höherer GdB als 10 konnte der Senat daher nicht feststellen. Auch die von Dr. R. mitgeteilten Befunde rechtfertigen keine höhere GdB-Bewertung.

Im Funktionssystem Stoffwechsel/innere Sekretion (B Nr. 15.6, 15.3 VG) ist ein Einzel-GdB nicht anzunehmen. Es besteht bei der Klägerin insoweit eine Schilddrüsenunterfunktion, die hormonell substituiert ist und zu keiner Funktionseinschränkung führt. Die bestehende Adipositas hat zu keinen weiteren Funktionsbehinderungen oder Folgeerscheinungen geführt. Ein Einzel-GdB ist mangels Funktionsbeeinträchtigungen in diesem Funktionssystem nicht anzunehmen.

Im Funktionssystem Atmung (B Nr. 8 VG) stellt der Senat den Einzel-GdB mit allenfalls 10 fest. Bei der durch Dr. G. erfolgten Abfrage der aktuellen Beschwerden hat die Klägerin Atemprobleme nicht angeschnitten, lediglich aus den Unterlagen ergaben sich Hinweise auf eine Atemwegserkrankung. Die Frage nach einer vorhandenen Allergie hat die Klägerin bei Dr. G. verneint. Aus den vorliegenden Berichten des Pneumologen Dr. S. ergibt sich eine allergische Rhinopathie durch Pollen und durch Hausstaubmilben. Eine Hyposensibilisierung durch den Hausarzt soll daraufhin gefolgt sein. Infolge des positiven Bronchospasmolyse Test mit Berotec leitete Dr. S. den Verdacht eines Asthma bronchiales ab, was dann nachfolgend von den behandelnden Ärzten unkritisch übernommen worden war. Sekundenkapazität und Vitalkapazität schwankten bei wiederholten Lungenfunktionsprüfungen um 70 % im Vergleich zu Norm und können somit als grenzwertig normal eingestuft werden, wie Dr. G. mitteilt. Es wurde eine Vielzahl von Allergenen ausgeschlossen. Die Pneumologin G.-S. stellte in ihrem Gutachten hingegen bei fehlendem Hinweis auf ein Asthma bronchiale eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität fest und ging von einer Irritation der Bronchialschleimhaut durch Desinfektionsmittel aus. Der Pneumologe Dr. S. schloss zudem eine schlafbezogene Atemstörung anhand der Epworth Schläfrigkeitsskala aus. Alle diese genannten pneumologischen Untersuchungen erfolgten zwischen 2012 und 2014. Um ein allergisches extrinsic Asthma anhand einer allergische Diathese für zu erhärten, wurde bei Dr. G. das Gesamt IgE bestimmt, was jedoch keinen eindeutigen pathologischen Wert ergab.

Die Klägerin selbst hat bei Dr. G. angegeben, beim Treppensteigen und schnellem Gehen Atemnot zu bekommen; dies könnte auf ein Anstrengungsasthma hindeuten, doch die Datenlage aufgrund dieser subjektiven Angabe bei gleichzeitiger Adipositas bleibt unzureichend, so Dr. G. Auch eine psychogen bedingte Atemnot im Sinne einer somatoformen Störung wurde von Dr. G. diskutiert, wurde aber von der Gutachterin F. nicht festgestellt.

Einigermaßen objektivere Werte ergaben sich durch die bei Dr. G. durchgeführte Lungenfunktion, die einen normalen Lungenstatus ergab. Dr. G. stellt eine Hyperreagibilität des Bronchialsystem (gegen Scheuermittel) nicht in Abrede, doch eine dauernde Lungenfunktionseinschränkung mit Husten und Auswurf, gegebenenfalls mit freien Intervallen, lässt sich nicht belegen. Daher falle es schwer, einen Behinderungsgrad auszusprechen, zumal aktuell keine pathologisch verwertbare Lungenfunktion und/oder manifeste Symptomatik vorliegt, so Dr. G ... Soweit er daher nur einen GdB von 10 zum Ansatz bringt um zumindest die anamnestischen Angaben berücksichtigen zu können, dürfte der so bemessene GdB nicht zu Lasten der Klägerin zu niedrig sein. Denn auch die aktuelle Verordnung eines Dosieraerosols lässt mit Dr. G. nicht unmittelbar auf die Diagnose oder Schwere der Diagnose schließen. Soweit Dr. S. dem GdB von 20 zugestimmt hat, ergeben sich jedoch auch seinen Befunden keine Anhaltspunkte dafür, dass alleine die Lungenerkrankungen der Klägerin einen solchen GdB rechtfertigen.

Liegen daher keine Befunde vor, aus denen sich eine relevante Lungenfunktionsbeeinträchtigung oder eine chronische Bronchitis, Bronchiektasen, Pneumokoniosen (z. B. Silikose, Asbestose), Krankheiten der Atmungsorgane, ein Bronchialasthma, eine Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder Anfällen oder ein im Schlaflabor nachgewiesenes Schlaf-Apnoe-Syndrom ergibt, konnte der Senat einen höheren GdB als allenfalls 10 in diesem Funktionssystem nicht annehmen.

Auch im Funktionssystem Gehirn einschließlich der Psyche in der GdB mit 10 anzunehmen. Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungs-schwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Mit der Gutachterin F. konnte der Senat feststellen, dass die Klägerin insoweit an einer Anpassungsstörung nach Trauererlebnis und einer chronischen Schmerzsymptomatik leidet. Bei der Gutachterin hat die Klägerin eine Verschlechterung des psychischen Befindens angegeben durch die familiären Todesfälle (Bruder, Mutter). Insoweit hat die Gutachterin jedoch darauf hingewiesen, dass eine normale Trauerreaktion berücksichtigt und zugestanden werden muss. Soweit die Beschwerden über eine solche hinausgehen, wäre bei geklagtem Leidensdruck allerdings zu erwarten, dass zeitnah eine adäquate, psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen würde. Dies ist allerdings bislang nicht erfolgt und auch nicht beabsichtigt, wie der Senat den Angaben der Klägerin entnommen hat. Nach den Schilderungen der Klägerin besteht eine ausreichende berufliche Leistungsfähigkeit; den Tagesablauf schildert sie zunächst als nahezu unbeeinträchtigt, gibt aber an anderer Stelle an, die Töchter übernähmen mittlerweile die gesamte Haushaltsführung. Die Angaben der Klägerin sind nicht konsistent und es zeichnet sich zumindest eine klare Verdeutlichungstendenz bei der Untersuchung ab, wie die Gutachterin F. mitgeteilt hat.

Vor diesem Hintergrund stellt der Senat fest, dass die Klägerin trotz ihrer Leiden in der Lage ist, ihr Leben mit und um die Trauerreaktion und die Schmerzen normal zu gestalten, was der Senat auch dem Berufsalltag der Klägerin als Teamleiterin (vgl. Gutachten F. ) von Reinigungskräften in Teilzeit und dem berichteten Familienleben entnimmt. Einen höheren GdB als 10 kann der Senat daher nicht feststellen. Die von Dr. K. angenommene Schmerzhaftigkeit konnte der Senat angesichts der Befunde dieses Arztes und der Begutachtungsergebnisse bei Dr. L. , Dr. G. , Dr. H. und Frau F. nicht bestätigt sehen, sodass der Senat der GdB-Bewertung des Dr. K. nicht zu folgen vermag.

Weitere - bisher nicht berücksichtigte - GdB-relevante Funktionsbehinderungen, die einen Einzel- bzw. Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, wurden weder geltend gemacht noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen, nicht für erforderlich. Einen Antrag nach § 109 SGG hat die Klägerin nicht gestellt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 30, 40 oder 50 fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris).

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfs (Wirbelsäule), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Arme (Schulter), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Beine, - 10 für die Funktionsbehinderungen im Funktionssystem Herz/Kreislaufs, - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem Atmung und - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche.

Nachdem bei der Klägerin vorliegend von einem zu berücksichtigenden höchsten Einzel-GdB von einmal 20 auszugehen ist, und kein Fall vorliegt, in denen ausnahmsweise GdB-Werte von 10 erhöhend wirken, konnte der Senat einen GdB von mehr als 20 nicht feststellen.

Insgesamt ist der Senat unter Berücksichtigung eines Vergleichs der bei der Klägerin insgesamt vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren gegenseitigen Auswirkungen einerseits und derjenigen Fälle, für die die VG einen GdB von 30, 40 oder 50 und mehr vorsehen andererseits, zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin nicht entsprechend schwer funktionell in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt ist. In ihrer Gesamtheit entsprechen die Erkrankungen der Klägerin seit Antragstellung weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau den nach den VG in Teil B mit einem GdB von 30, 40 oder gar 50 oder mehr bewerteten Gesundheitsstörungen. Dabei war zu berücksichtigen, dass der im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche angenommene GdB bereits Schmerzen mitumfasst, die auch im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule) bewertet wurden, sodass bei der Bewertung des Gesamt-GdB dies zu berücksichtigen ist.

Soweit Dr. R. den GdB auf 30 bzw. 40 bis 50 geschätzt hatte, konnte der Senat dieser Bewertung nicht beitreten, da diese weder durch die vorliegenden Befunde noch durch die rechtlichen bewertungsvorgaben der VG gedeckt ist.

Damit konnte der Senat nicht feststellen, dass im Verhältnis zum Bescheid vom 04.03.2012, mit dem der GdB mit 20 festgestellt worden war, eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30, da der ihr zustehende GdB lediglich 20 beträgt. Damit war die Berufung der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Von der Androhung und Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat der Senat – auch wenn er die Fortführung einer Berufung für missbräuchlich erachtet, nachdem sämtliche Gutachter einen geringeren Gesamt-GdB annehmen, als er bisher bereits festgestellt ist – hat der Senat nach Ermessen noch einmal abgesehen.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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