S 43 KR 806/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
43
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 43 KR 806/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kosten der Durchführung einer ambulanten Liposuktion.

Die Klägerin leidet unter einem Lipödem, einer voranschreitenden Erkrankung, die durch die atypische, symmetrische Häufung von Fettgewebe gekennzeichnet ist.

Am 14.03.2016 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten einer sogenannten Liposuktion. Hierunter versteht man eine Operation, bei der Fettzellen an bestimmten Stellen unter der Haut mit Kanülen abgesaugt werden. Der Antrag wurde am 18.03.2016 von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, die Liposuktion sei nicht im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten und daher als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) zu qualifizieren. Eine solche werde jedoch nur vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse umfasst, sofern der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) diesbezüglich eine positive Empfehlung abgegeben habe. Dies sei jedoch bisher nicht geschehen. Auch ein Mangel des gesetzlichen Leistungssystems sei nicht zu erkennen.

Hiergegen legte die Klägerin am 24.03.2016 Widerspruch ein. In diesem führte sie aus, dass Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Empfehlung abgegeben habe, gemäß § 137c Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - unter bestimmten Umständen im Zuge einer stationären Behandlung angewandt werden dürften.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In diesem trug sie ergänzend vor, dass auch der Anwendungsbereich des § 2 Absatz 1a Satz 1 SGB V nicht eröffnet sei, da es sich bei dem Lipödem nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Krankheit handele.

Die Beklagte ließ die Liposuktion bei Ihrem behandelnden Arzt, Herrn Prof. Dr. D in insgesamt drei Behandlungen (27.04.2016, 25.05.2016, und 22.06.2016) ambulant durchführen, wofür der behandelnde Arzt 15.970,50 EUR in Rechnung stellte.

Am 25.05.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Hierin verfolgt sie ihr Begehr weiter und trägt ergänzend vor, dass die Liposuktion medizinisch notwendig und ohne Alternative sei. Zudem sei eine konservative Therapie erheblich teurer, weshalb auch das Wirtschaftlichkeitsgebot einer Kostenübernahme nicht im Wege stehe.

Die Klägerin beantragt:

Der Bescheid der Beklagten vom 18.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Kosten einer Liposuktion i.H.v. 15.970,50 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Sie verweist vollumfänglich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässige aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist nicht zu beanstanden und beschwert die Klägerin nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der selbst beschafften Liposuktion.

Als Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch kommt vorliegend allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse demgemäß eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V).

Eine Unaufschiebbarkeit der Leistung ist vorliegend nicht gegeben. Eine solche liegt nur dann vor, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Ausführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht ein zeitlicher Aufschub nicht in Betracht kommt oder mit einer zunächst nicht eilbedürftigen Behandlung so lange gewartet wurde, bis Dringlichkeit eingetreten ist (BSG, Urt. v. 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R - juris Rn. 16 m.w.N.). Diesbezügliche Anhaltspunkte liegen nicht vor.

Auch hat die Beklagte die begehrte Behandlung nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Erstattung der Kosten aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V scheitert daran, dass die begehrte Behandlung nicht vom Leistungskatalog des SGB V erfasst ist. Ein aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2. SGB V resultierender Kostenerstattungsanspruch kann nicht weiter reichen als ein entsprechen-der Sachleistungsanspruch. Der Kostenerstattungsanspruch setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben (st. Rspr., vgl. z.B. BSG, Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R - juris Rn. 14; BSG, Urt. v. 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R - juris Rn. 8; BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R-juris Rn. 11).

Die Klägerin hatte einen solchen Naturalleistungsanspruch auf die durchgeführte Liposuktion jedenfalls nicht im Rahmen vertragsärztlicher ambulanter Versorgung. Insofern schließt sich die Kammer der Rechtsprechung verschiedener Obergerichte (vgl. etwa LSG Hessen, Urt. v. 29.01.2015 - L 8 KR 339/11; Bayerisches Landessozialgericht, Beschl. v. 08.04.2015 – L 5 KR 81/14; Landessozialgericht für das Land Nord-rhein-Westfalen, Urt. v. 16.1.2014 – L 16 KR 558/13) sowie der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R; BSG, 10.05.2012, B 1 KR 78/11 B; BSG, 27.11.2013, B 1 KR 135/12 B) an.

Die Kammer verweist insofern exemplarisch auf die Rechtsprechung des Sozialgerichts Mainz, dem sie sich vollumfänglich anschließt (Urt. vom 23.04.2012 – S 14 KR 143/11 –, juris, Rn. 24): "Ein Anspruch auf eine ambulante ärztliche Liposuktion scheitert daran, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die neue Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlen hat und kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist. Gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V haben Versicherte zwar einen Anspruch auf ärztliche Behandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu heilen, doch besteht dieser Anspruch nur nach Maßgabe der sich aus § 2 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Ein Anspruch besteht folglich nur, wenn die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind, deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Diesen Anforderungen wird die begehrte Behandlung vorliegend nicht gerecht, denn ein Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse wird nicht bereits dadurch begründet, dass die streitige Behandlung von den behandelnden Ärzten empfohlen wird oder nach Einschätzung der Versicherten oder der Ärzte tatsächlich erfolgreich verlaufen ist (vgl, BSG, Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R - juris Rn. 15 m.w.N.). Vielmehr dürfen gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben hat."

Demgemäß besteht kein Anspruch auf eine ärztliche Liposuktion, da eine positive Empfehlung des GBA nicht vorliegt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der GBA mit Beschluss vom 22. Mai 2014 ein Beratungsverfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem eingeleitet hat (Am 12.05.2016 erfolgte ein weiterer Verfahrensschritt durch den GBA). Selbst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss im Ergebnis zu einer Positivempfehlung kommen sollte, könnte sich die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht darauf berufen. Maßgeblich ist, ob ein Leistungsanspruch zum Zeitpunkt der Behandlung bestanden hat, spätere Änderungen zugunsten der Versicherten genügen nicht (LSG Thüringen, Beschluss v. 06.08.2014 - L 6 KR 645/14 B; vgl. auch Brandts in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V Rn. 53). Das gesetzliche Verbot neuer Behandlungsmethoden im ambulanten Bereich (§ 135 SGB V) hat im Interesse der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung den Sinn, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen Maßnahmen zu schützen. Mit diesem Ziel wäre es nicht zu vereinbaren, wenn nachträglich die Kosten für eine Therapie zu erstatten wären, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Zeitpunkt der Behandlung nicht festgestanden hatten (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Februar 2000 - Az.: B 1 KR 18/99 B, nach juris Rn. 9).

Ergänzend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Sozialgerichts Hamburg (Urt. v. 04.09.2015, S 33 KR 822/13 – juris) auf die Übernahme der Kosten einer stationär durchgeführten Liposuktion bezieht, somit für den Fall einer ambulant durchgeführten Behandlung nicht einschlägig ist. Wie § 137c Absatz 3 Satz 1 SBG V verdeutlicht, ist eine Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode ohne Empfehlung des GBA lediglich im Rahmen einer stationär durchgeführten Behandlung grundsätzlich erstattungsfähig.

Auch liegen keine Anhaltspunkte für ein Systemversagen vor (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 2012 - Az.: B 1 KR 78/11 B, juris). Der GBA hat zudem am 22. Mai 2014 beschlossen, den Antrag der Patientenvertretung nach § 140f SGB V vom 20. März 2014 auf Bewertung der Liposuktion bei Lipödem anzunehmen, das diesbezügliche Beratungsverfahren einzuleiten und den Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung der Bewertung zu beauftragen. Zuletzt ist am 12.05.2016 ein weiterer Verfahrensschritt durch den GBA durchgeführt worden (Ermittlung stellungnahmeberechtigter Medizinproduktehersteller: Liposuktion bei Lipödem – Aufforderung zur Meldung –).

Schließlich liegt auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V vor, die den Anspruch der Klägerin begründen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Ahstraße 22, 45879 Gelsenkirchen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-gelsenkirchen.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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