L 1 BA 41/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 BA 17/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 41/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2019 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 105.211,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2019 hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2018 erhobenen Widerspruchs anzuordnen.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2018 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Die Vorschrift bestimmt, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. In dem Bescheid vom 13. Dezember 2018 werden Sozialversicherungseiträge und Umlagebeträge für vier Beschäftigte nachgefordert. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (vgl. etwa Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 – L 5 KR 81/12 B ER – juris Rn 14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber – wie es § 86b Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG voraussetzt – an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Dann gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn 12f mit weit. Nachw.).

Bei Beachtung dieser Maßstäbe kann der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hier keinen Erfolg haben. Die von der Antragsgegnerin erhobene Forderung ist nicht offensichtlich rechtswidrig, der Senat hält ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache auch nicht für wahrscheinlicher als ihr Unterliegen. Deswegen muss es bei dem gesetzlichen Grundsatz bleiben, dass der Widerspruch gegen eine Beitragsforderung keine aufschiebende Wirkung hat.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen ihrer Prüftätigkeit (§ 28p Abs. Satz 1 SGB IV) Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Diese Vorschrift findet nach § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und § 359 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) Anwendung auch auf die Erhebung von Umlagen nach dem AAG und die Insolvenzgeldumlage.

Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Tätigkeit bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Voraussetzung ist danach eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Auch die Umlagepflicht nach § 7 AAG und § 358 SGB III knüpft an eine entgeltliche Beschäftigung von Arbeitnehmern an. Eine Beschäftigung wird in § 7 SGB IV definiert als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (Urteile des BSG vom 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – und Urteil vom 12. November 2015 – B 12 KR 10/14 R -, zitiert jeweils nach juris).

Bereits das Sozialgericht, auf dessen Ausführungen der Senat insoweit nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug nimmt, hat die für die Abwägung maßgeblichen Gesichtspunkte zutreffend benannt. Dass die von der Antragsgegnerin als Beschäftigte angesehenen Personen für die Antragstellerin in den angegebenen Zeiträumen tätig geworden sind, steht außer Streit. Für die Einordnung dieser Dienstleistungen als selbständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung ist zunächst von den zwischen den Beteiligten getroffenen vertraglichen Abreden auszugehen (vgl. BSG v. 14. März 2018 - B 12 KR 12/17 R - Rn 24). Die von der Antragstellerin als Beschäftigte angesehenen Kräfte wurden auf der Grundlage von Dienstleistungsrahmenverträgen oder Honorarverträgen tätig. Der Inhalt dieser Verträge deutet zwar darauf hin, dass eine selbständige Tätigkeit gewollt war. Die vertraglich vorgegebene Einordnung als selbständige Tätigkeit muss aber auch vor den tatsächlichen Verhältnissen bestehen können. Denn der Eintritt von Versicherungspflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und kann nicht Gegenstand einzelvertraglicher Vereinbarungen sein. Entscheidend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist deswegen nicht eine von den Parteien gewollte Rechtsfolge, sondern die tatsächliche Ausgestaltung der Verhältnisse, zu denen auch vertraglich vereinbarte Rechtspositionen gehören, soweit sie nicht wirksam wieder abbedungen worden sind. Den tatsächlichen Gegebenheiten kann gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Deklarierungen zukommen (Urteil des BSG vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R - juris Rn 17; Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R - juris Rn 17).

Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die von der Antragsgegnerin als Beschäftigte angesehenen Dienstleister kein eigentliches Unternehmerrisiko getragen haben. Eigenes Kapital oder eigene Arbeitsmittel haben sie jedenfalls nicht im nennenswerten Umfang eingesetzt. Die von ihnen bewirkte Wertschöpfung beruhte weit überwiegend nicht auf dem Einsatz von eigenen Produktionsmitteln, sondern auf der Verwendung ihrer Arbeitskraft. Die Arbeitskraft wurde nicht mit der Gefahr eingesetzt, keine Vergütung zu erhalten. Die pro Tag gewährte Vergütung verhinderte das.

Eine Dienstleistung wird in der Form einer freien Mitarbeit erbracht, wenn der Dienstleistende hinsichtlich der Ausgestaltung und des Inhalts seiner Tätigkeit nach innen hin, also gegenüber seinem Auftraggeber, im Wesentlichen frei ist (vgl. BSG v. 31. März 2017 - B 12 R 7/15 R - juris Rn 41-49). Dabei spricht aber nicht schon jede inhaltliche Freiheit oder die Überlassung von Gestaltungsspielräumen gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Denn auch bei Diensten höherer Art liegt eine Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit funktionsgerecht dienende Teilhabe an einem fremden Arbeitsprozess bleibt (Urteil des BSG vom 9. Dezember 1981 - 12 RK 4/81). Um gleichwohl eine selbständige Tätigkeit annehmen zu können, muss die inhaltliche Freiheit so prägend für den Gegenstand der Tätigkeit sein, dass die Bedeutung der von fremder Hand vorgegebenen äußerlichen Rahmenbedingungen dahinter zurücktritt. Dann führt auch die Verpflichtung, sich an bestimmten inhaltlichen Vorgaben auszurichten, noch nicht notwendig zur Annahme von Weisungsgebundenheit. Tätigkeiten bleiben nämlich weisungsfrei, wenn zwar ihre Ziele vorgegeben werden, die Art und Weise der Ausführung aber dem Dienstleister überlassen bleibt.

Übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass für den sozialversicherungsrechtlichen Status entscheidend darauf abzustellen ist, welches Maß an inhaltlicher Gestaltungsfreiheit den von der Antragstellerin als freie Mitarbeiter behandelten Arbeitskräften tatsächlich zugebilligt worden ist. Nur soweit deren Tätigkeit dadurch geprägt war, dass es allein auf ihre fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen ankam und ihnen entsprechend auch die Entscheidung überlassen war, wie sie die von der Antragstellerin vorgegebenen Ziele erreichen wollten, ohne dabei auf die von der Antragstellerin gestellten Arbeitsmittel oder eine Zusammenarbeit mit deren Arbeitnehmern angewiesen zu sein, könnte von einer freien Mitarbeit ausgegangen werden. Die Antragstellerin hat mit ihrem Beschwerdevorbringen zwar geltend gemacht, dass ihre "freien Mitarbeiter" wesentlich mehr Freiheiten bei der Ausführung ihrer Tätigkeiten gehabt hätten, als von der Antragsgegnerin und dem Sozialgericht angenommen worden sei. Der Senat weist indessen darauf hin, dass M K gegenüber der Antragsgegnerin angegeben hat, ihm seien Weisungen erteilt und seine Arbeit sei kontrolliert worden, auch habe er Berichte abzugeben gehabt. Frau B A-G hat ausgeführt, sie habe in Teams gearbeitet. Herr ML hat erklärt, alle Fragen seien in Teams abgesprochen worden, bei speziellen Fragen habe der Geschäftsführer der Antragstellerin entschieden. S R hat bestätigt, dass er an projektbezogenen Dienstbesprechungen und Teamtreffen teilgenommen habe. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass die genannten vier von der Antragstellerin als Honorarkräfte behandelten Dienstleister tatsächlich in deren betriebliche Organisation eingegliedert gewesen sind, erscheint damit jedenfalls nicht als offensichtlich aus der Luft gegriffen. Die weitere Aufklärung der tatsächlichen Umstände muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren ist hierfür nicht der geeignete Ort.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es grundsätzlich keine besondere Härte darstellen kann, gesetzlich begründete Beitragsansprüche auch durchzusetzen. Eine besondere Härte kann sich bestenfalls daraus ergeben, dass die Durchsetzung einer Beitragsforderung zur Zerschlagung eines Unternehmens führt, das bei einer weiteren Stundung der Forderung in der Lage gewesen wäre, wirtschaftlich zu überleben und die Beitragsschulden zurückzuführen. Dazu ist indessen nichts vorgetragen. Die Antragstellerin hat sich zu den Gewinnaussichten ihres Unternehmens und ihren Vorstellungen zur Tilgung der Beitragsforderungen schon nicht näher geäußert geschweige denn bestimmte Renditeerwartungen glaubhaft gemacht. Im Übrigen gibt § 76 SGB IV den Versicherungsträgern unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, Ansprüche zu stunden, niederzuschlagen oder zu erlassen. Die sofortige Vollziehbarkeit der Beitragsforderung bedeutet deswegen nicht, dass das Unternehmen der Antragstellerin ohne Rücksicht auf eine etwa bestehende Sanierungsmöglichkeit zerschlagen werden muss.

Nach alledem war die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes nach § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 1 und Abs. 3 sowie 52 Abs. 1 und Abs. 3 Gerichtskostengesetz trägt dem Umstand Rechnung, dass vorliegend nicht die Hauptsache, sondern eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren streitbefangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist in Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG, bei welchen die Erfolgschancen im Hauptsacheverfahren zu prüfen sind, grundsätzlich die Hälfte des Hauptsachenstreitwerts anzusetzen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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