L 9 SO 360/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 21 SO 207/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 360/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Die Frage, ob ein gehörloses Kind im Gemeinsamen Unterricht an einer weiterführenden Schule Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung hat, setzt u.a. eine umfassende Einzelfallprüfung unter Beachtung der konkreten schulischen Unterrichtssituation und der diese prägenden Lernbedingungen sowie der im Stundenplan festgesetzten Unterrichtsfächer voraus.
2.
Die Erforderlichkeit und Eignung der Hilfe verlangt wie auch sonst eine am Einzelfall orientierte, individuelle Beurteilung und ein individualisiertes Förderverständnis, das einer Kategorisierung der in Betracht kommenden Hilfen bzw. Maßnahmen nach abstrakt-generellen Kriterien entgegensteht.
3.
Dementsprechend kann die Frage nach dem Umfang des Einsatzes von Gebärdendolmetschern nur einzelfallbezogen von Fall zu Fall beantwortet werden.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichtes Köln vom 11.05.2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des erstinstanzlichen Urteils wie folgt gefasst wird:
Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 und des Bescheides vom 10.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 für die Zeit vom 30.03.2015 bis zum 08.07.2016 nebst den bereits bewilligten Leistungen (Inanspruchnahme eines Gebärdensprachdolmetschers in Einzelbesetzung) auch die Kosten für die Inanspruchnahme eines zweiten Gebärdensprachdolmetschers (Doppelbesetzung) in den Pflichtunterrichtsstunden des Klägers inklusive der kleinen Pausen und mit Ausnahme der Unterrichtsstunden in den Fächern Sport, Kunst und Informatik sowie der Unterrichtsstunden mit Klassenarbeiten in gleicher Höhe (75 EUR pro Stunde) zu bewilligen. Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme von Kosten für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung anlässlich des Schulbesuchs des Klägers im Gemeinsamen Unterricht der Realschule der Stadt L für die Zeiten vom 01.03.2015 bis 29.06.2015 (2. Schulhalbjahr 2014/2015) und vom 11.08.2015 bis 10.07.2016 (Schuljahr 2015/2016).

Der am 00.00.2004 geborene Kläger ist Sohn gehörloser Eltern und selbst gehörlos. Das Versorgungsamt des Beklagten hat einen Grad der Behinderung von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "H", "RF" und "Gl" festgestellt. Der Kläger hat eine ältere Schwester, die ebenfalls gehörlos ist und das H-Gymnasium in C besucht.

Der Kläger besuchte ab der 5. Klasse (Schuljahr 2014/2015) bis zum Ende der 8. Klasse (Schuljahr 2017/2018) im Rahmen des sog. Gemeinsamen Unterrichts (GU) die Realschule. Seit dem Schuljahr 2018/2019 besucht er die Förderschule für Hörgeschädigte in Dortmund. Die Schultage des Antragstellers in der Realschule gliederten sich in Schulstunden von jeweils 45minütiger Dauer, wobei einzelne Fächer in Doppelstunden unterrichtet wurden. Große Unterrichtspausen fanden zwischen der 2. und der 4. Stunde im Umfang von 15 (+5) sowie 10 (+5) Minuten statt; die übrigen Unterrichtsstunden trennten kleine Pausen von jeweils fünf Minuten. Der Unterricht begann für den Kläger täglich um 07:50 Uhr und endete in der Regel nach der 6. Stunde um 13:10 Uhr, in der 5. Klasse freitags bereits nach der 5. Stunde um 12:20 Uhr. In der 5. Klasse fand zudem mittwochs verpflichtender Nachmittagsunterricht über 2. Schulstunden (Förderunterricht) von 13:30 Uhr bis 15:00 Uhr (mit 5-minütiger Pause) statt.

Vor dem Wechsel auf die Realschule wurde der Kläger in einer Regelgrundschule beschult. Dort erhielt er Unterstützung durch den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern in Einzelbesetzung. Die Kosten hierfür trug der Beklagte als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Rahmen eines persönlichen Budgets. Auch für den Besuch der Realschule im Schuljahr 2014/2015 bot der Beklagte dem Kläger den Abschluss einer Zielvereinbarung (§ 4 BudgetV) zur Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen in Gebärdensprache (Einzelbesetzung, 68 EUR pro Dolmetscherstunde) im Rahmen eines persönlichen Budgets an, die jedoch vom Kläger nicht unterzeichnet wurde. Zur Begründung führte er aus, dass er sich adäquate Dolmetscherleistungen zu diesem Preis und den Bedingungen einer Einzelbesetzung nicht beschaffen könne. Der Besuch einer weiterführenden Regelschule im Rahmen des Gemeinsamen Lernens bringe gegenüber der Grundschule derart gesteigerte Anforderungen mit sich, dass nunmehr der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung erforderlich werde.

In dem anschließenden Eilverfahren vor dem Sozialgericht Köln - S 35 SO 456/14 ER verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten mit Beschluss vom 11.11.2014, die vom Kläger geltend gemachte Vergütung über einen Stundensatz von 75 EUR (in Anlehnung an § 9 JVEG) für die Zeit vom 11.11.2014 bis zum 23.01.2015 vorläufig zu übernehmen, und wies den Eilantrag im Übrigen mangels Anordnungsgrundes ab. In den Gründen regte es an, dass der Beklagte im Wege der Amtsermittlung nähere Feststellungen zur Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen in Doppelbesetzung für den Schulbesuch des Klägers treffen möge. Nach Abschluss einer Zielvereinbarung am 19.11.2014 für die Zeit vom 20.08.2014 bis zum 23.01.2015 erteilte der Beklagte am 24.11.2014 einen entsprechenden Bewilligungsbescheid und beauftragte sodann den Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. B, mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage der "Notwendigkeit der Doppelbesetzung von Gebärdensprachdolmetschern ab der 5. Klasse einer Realschule und eines Gymnasiums". Prof. Dr. B kam in seinem arbeitsmedizinischen Fachgutachten vom 20.02.2015 zu dem Ergebnis, dass sich aus medizinischer, insbesondere arbeitsmedizinischer Sicht die Notwendigkeit einer Doppelbesetzung der Gebärdensprachdolmetscher zur Vermeidung von Erkrankungen und Beschwerden für den Gebärdensprachdolmetscher nicht begründen lasse. Allerdings sei das wesentliche Argument der Gebärdensprachdolmetscher für eine Doppelbesetzung in der Schule nicht die Prävention von Beschwerden und Erkrankungen, sondern die kognitive Ermüdung und damit der Verlust der Leistungsfähigkeit, der sich bei ununterbrochenem Dolmetschen ab einer bestimmten Dauer der Tätigkeit einstelle. Als Arbeitsmediziner mit beschränktem Gutachtenauftrag könne er jedoch zu der sich daraus ergebenden Frage, ob eine Doppelbesetzung zur Steigerung bzw. zur Wahrung der Qualität des Dolmetschens über einen Schultag notwendig sei, nicht Stellung nehmen.

Mit Bescheid vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014) bewilligte der Beklagte, ohne dass zuvor eine neue Zielvereinbarung abgeschlossen worden war, Hilfen zur angemessenen Schulbildung durch Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers in Form des persönlichen Budgets für die Zeit vom 01.03.2015 bis zum 29.06.2015 (Ende des zweiten Schulhalbjahres) in Höhe von insgesamt 45.837,02 EUR. In der Budgetkalkulation ging der Beklagte dabei von einem Stundensatz von 75 EUR und dem Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern in Einzelbesetzung aus. Die Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen in Doppelbesetzung lehnte der Beklagte weiterhin unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. B ab. Hiergegen erhob der Kläger am 04.03.2015 zunächst Widerspruch und nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 am 13.05.2015 Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 21 SO 207/15).

Zuvor hatte der Kläger einen erneuten Eilantrag beim Sozialgericht gestellt, nachdem die Gebärdensprachdolmetscher die weitere Dolmetschertätigkeit für ihn wegen der fehlenden Kostenübernahme für eine Doppelbesetzung ab dem 08.03.2015 abgelehnt hatten. Das Eilverfahren endete mit Beschluss des LSG NRW vom 03.06.2015 (L 20 SO 167/15 B ER) dahingehend, dass die Kosten für die Inanspruchnahme eines weiteren Gebärdensprachdolmetschers (Doppelbesetzung) in einem zeitlichen Umfang von zwei Schulstunden (90 Minuten) sowie zusätzlich je einer großen (15 Minuten) und einer kleinen (5 Minuten) Pause zu übernehmen seien. Dementsprechend übernahm der Beklagte vorläufig in diesem Umfang die Kosten für eine Doppelbesetzung bis zum Schuljahresende.

Auf den Antrag des Klägers vom 11.06.2015 für das Schuljahr 2015/2016 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 10.08.2015 die Kostenübernahme für den Einsatz der Gebärdensprachdolmetscher im Unterricht für das Schuljahr 2015/2016 (11.08.2015 bis 10.07.2016) in Einzelbesetzung; eine Doppelbesetzung berücksichtigte der Beklagte dabei lediglich dergestalt, dass bei einer Beschulung von mindestens sechs Schulstunden nach der 4. Unterrichtsstunde ein Wechsel der Gebärdensprachdolmetscher stattfinden könne, so dass pro Schultag max. zwei Gebärdensprachdolmetscher in Ablösung zum Einsatz kämen. Der Widerspruch des Klägers vom 14.08.2015 blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.10.2015); der Beklagte übernahm aber vorläufig aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts Köln vom 02.09.2015 (S 21 SO 346/15 ER) für jeden Schultag neben den Kosten für die Inanspruchnahme eines Gebärdensprachdolmetschers in Einzelbesetzung die Kosten für die Inanspruchnahme eines weiteren Gebärdensprachdolmetschers (Doppelbesetzung), an vier Tagen in einem zeitlichen Umfang von nur zwei Schulstunden (90 Minuten) sowie zusätzlich je einer großen (15 Minuten) und einer kleinen (5 Minuten) Pause, und dienstags wegen des Nachmittagsunterrichts in einem zeitlichen Umfang von vier Schulstunden und Pausen (Bescheid vom 21.09.2015).

Gegen den Bescheid vom 10.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 hat der Kläger am 25.11.2015 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben (S 21 SO 530/15), die das Sozialgericht mit Beschluss vom 02.05.2016 mit dem vorliegenden Verfahren verbunden hat.

Der Kläger begehrt hinsichtlich beider Streitzeiträume, die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung im Rahmen des Gemeinsamen Unterrichts ab dem 30.03.2015 zu übernehmen. Eine ausschließliche Begleitung während des gesamten Schultages durch nur einen Gebärdensprachdolmetscher sei unzumutbar und benachteilige ihn ganz erheblich; denn Gebärdensprachdolmetscher könnten nur eine begrenzte Anzahl von Stunden ohne Qualitätsverlust arbeiten. Nach einer gewissen Zeit des Dolmetschens könne weder ein inhaltlich noch grammatikalisch korrektes Ergebnis der Zielsprache geliefert werden. Daher entspreche es nicht nur dem Standard für Dolmetscher der Gebärdensprache, sondern auch der Konferenzdolmetscher aller Lautsprachen, bei einem Setting über 60 Minuten in Doppelbesetzung zu arbeiten. Dies gelte ebenfalls für Übersetzungen in Schulen. Einzige Ausnahme bildeten hier die Grundschulen wegen der dort im Vergleich zu den weiterführenden Schulen signifikant mehr vorkommenden passiven Unterrichtszeiten. Beim Unterricht in der Realschule, der überwiegend im Frontalunterricht stattfinde, sei der Schultag nicht in Einzelunterricht ohne spürbaren Qualitätsverlust zu leisten. Er könne nicht darauf verwiesen werden, einen Qualitätsverlust hinnehmen zu müssen, denn ein Qualitätsverlust in der Übersetzung wirke sich unmittelbar bei ihm aus; er habe dann nicht dieselbe Chance, den Lernstoff so aufzunehmen und zu verstehen wie seine Mitschüler, und unterliege zusätzlich der Gefahr, dass seine Wortbeiträge bereits aufgrund einer fehlerhaften oder unkorrekten Übersetzung unrichtig seien und sich notenmäßig niederschlügen; vollständige Teilhabe werde so nicht verwirklicht. Es müsse zudem den Gebärdensprachdolmetschern überlassen bleiben festzustellen, wann ein Qualitätsverlust beim Dolmetschen nicht mehr hinnehmbar sei, wenn die notwendige Konzentrationsleistung /-fähigkeit fehle.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014) unter Einbeziehung des Änderungsbescheides vom 02.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2015 und des Bescheides vom 10.08.2015 unter Einbeziehung des Änderungsbescheides vom 21.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 zu verurteilen, für ihn die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung im Rahmen des Gemeinsamen Unterrichts ab dem 30.03.2015 zu übernehmen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Eine dauerhafte parallele Besetzung von Schulstunden mit jeweils zwei Gebärdensprachdolmetschern sei nicht erforderlich. Zwei Gebärdensprachdolmetscher würden im Rahmen von Vorlesungen an Hochschulen (90 Minuten) eingesetzt, da diese am Stück stattfänden und qualitativ anspruchsvoll seien. Eine Doppelbesetzung sei auch bei Veranstaltungen ab 60 Minuten erforderlich, in Ausnahmefällen auch bei Veranstaltungen von 45 Minuten mit hoher Rededichte. Wollte man die Doppelbesetzung an der Regelschule bejahen, bliebe für eine Angemessenheitsprüfung im Falle von qualitativ und quantitativ darüber hinaus gehenden Anlässen z.B. Fachhochschulen, Universitäten oder groß angelegter Fachvorträge in Bezug auf eine Doppelbesetzung kein Raum mehr. Auch habe der Wissenschaftler Prof. Dr. L von der Universität zu L, Humanwissenschaftliche Fakultät - Department Heilpädagogik und Rehabilitation, auf Nachfrage gegenüber dem Beklagten geäußert, eine Dauerbesetzung mit zwei Dolmetschern sei übertrieben, weil eine Schulstunde rhythmisiert ablaufe und sich Dolmetscherzeiten und Erholungsphasen abwechselten. Dem Gutachten von Prof. Dr. B vom 20.02.2015 könne entnommen werden, dass spontane, nicht planbare Pausen und geplante Pausen alleine 40 Prozent der Beobachtungszeit ausmachten, in denen kaum gesprochen werde, nur Blickkontakt bestehe und vereinzelt Übersetzungen stattfänden. Der eigentlich belastende Teil, der offene Unterricht, werde mit etwa der Hälfte der Unterrichtszeit beziffert. Hier erarbeite der Lehrer dialogisch mit den Schülern die Lerninhalte und der Dolmetscher übersetze alle Redebeiträge. Der Schulleiter des Gymnasiums C, das die ebenfalls gehörlose Schwester des Klägers besuche, habe gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger (Ausgabe vom 30.10.2014) nicht bestätigt, dass im Unterricht ein zweiter Dolmetscher dringend notwendig wäre. Er, der Beklagte, halte einen Wechsel des Dolmetschers nach der 4. Unterrichtsstunde für ausreichend, um einen eventuellen Qualitätsverlust des Dolmetschens zu vermeiden.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat Prof. Dr. L mit Schreiben vom 29.09.2015 mitgeteilt, dass er in der Frage der Doppelbesetzung von Gebärdensprachdolmetschern im Rahmen der inklusiven Beschulung an Gymnasien und anderen Schulen bisher nicht begutachtet habe. Sodann hat das Sozialgericht Prof. Dr. C, Leiterin der Abteilung Gebärdensprach- und Audiopädagogik des Instituts für Rehabilitationswissenschaften der I-Universität C, mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach der 2-tägigen Hospitation im Unterricht des Klägers beauftragt.

Die Sachverständige hat nach den Unterrichtshospitationen am 22.09.2015 und 23.09.2015 in ihrem Gutachten vom 18.10.2015 dargelegt, dass es nicht möglich sei, eine Qualitätsanalyse mit Hilfe einer Unterrichtsbeobachtung durch eine Person durchzuführen. Um die Frage nach Ermüdungserscheinungen bei einem Gebärdensprachdolmetscher in Einzelbesetzung im Laufe des Schultages mit der Folge von nachlassender Konzentration und Zunahme von fehlerhaften Übersetzungen beantworten zu können, seien in der Unterrichtsbeobachtung die Aktivitäten der Gebärdensprachdolmetscher, die Zeitgestaltung des Unterrichts sowie zusätzliche Belastungsfaktoren protokolliert worden. Die Ergebnisse der Unterrichtsbeobachtung seien mit den Ergebnissen aus der Forschung zum Einfluss der Dauer des Dolmetschereinsatzes und potentieller Belastungsfaktoren auf die Qualität des Dolmetschens abgeglichen worden. Auf diese Weise könne eingeschätzt werden, ab wann und unter welchen Bedingungen es zu einem wesentlichen Qualitätsverlust komme. In den Unterrichtsstunden Französisch und Englisch seien besonders hohe Belastungsfaktoren beobachtet worden. Auch das Dolmetschen von Fachsprachen, wie z.B. die mathematisch-abstrakte Sprache oder die poetische Sprache in Deutsch seien als besondere Belastung zu werten. Im Gegensatz hierzu führe der hohe Anteil an praktischen Tätigkeiten in den Fächern Kunst, Sport und Informatik zu einer geringen Beanspruchung der Gebärdensprachdolmetscher. In allen Fächern seien Pausen und Leerlauf nicht vorhersagbar, sondern entstünden spontan und würden oft mit anderen notwendigen Tätigkeiten seitens der Dolmetscher gefüllt. Im Ergebnis werde ein bedarfsorientiertes, flexibles Vorgehen mit einer Kombination aus Einzel- und Doppelbesetzung empfohlen. Eine Einzelbesetzung sei in den Fächern Sport, Kunst und Informatik möglich. Eine Doppelbesetzung sei in den Fremdsprachen erforderlich und in Fächern, in denen besondere Belastungsfaktoren bestünden. Da letzteres nicht an dem Schulfach selbst, sondern am Unterrichtsablauf und Gesprächsstil der Lehrkraft hänge, werde empfohlen, dass ein Team bestehend aus einem Vertreter der Dolmetscher, der Sonderpädagogin und dem Klassenlehrer bzw. dem Verantwortlichen für die Stundenplangestaltung den Einsatz der Dolmetscher in Doppelbesetzung flexibel und bedarfsorientiert abspreche. Durch den Einsatz der Sonderpädagogin entstehe im Fall des Klägers keine Entlastung der Gebärdensprachdolmetscher.

Der Beklagte hat gegen das Gutachten von Prof. Dr. C eingewandt, die Sachverständige habe die Frage nach den möglichen mentalen und kognitiven Ermüdungserscheinungen bei den Gebärdensprachdolmetschern versucht zu beantworten, obwohl sie einleitend festgestellt habe, dass eine Qualitätsanalyse mit Hilfe einer Unterrichtsbeobachtung durch eine Person nicht möglich sei. Dies sei nicht plausibel und widersprüchlich. Auch seien die weiteren Darlegungen der Sachverständigen im Konjunktiv verfasst und als vage und unverbindlich zu bezeichnen. Ihr abschließender Vorschlag, ein Team aus Vertretern der Dolmetscher, Lehrer etc. solle entscheiden, welche Stunden in Einzel- oder Doppelbesetzung gedolmetscht werden sollen, sei befremdlich. Das hieße, diejenigen, die die Frage aufgeworfen hätten, auch über die Antwort entscheiden zu lassen. Wenn die Sachverständige weiter fordere, wenn nötig solle der Einsatz in Doppelbesetzung erfolgen, damit die Qualität des Dolmetschens ausreichend abgesichert sei, nehme sie genau zu dieser Notwendigkeit in ihrem Gutachten keine abschließende Stellung. Er verweise erneut auf die bereits mitgeteilte Aussage von Prof. Dr. L, wonach eine Schulstunde rhythmisiert verlaufe und verbleibe bei seiner Auffassung, dass ein Dolmetscherwechsel nach der vierten Stunde ausreichend sei.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 11.05.2016 den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014), unter Einbeziehung des Bescheides vom 02.04.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015 und des Bescheides vom 10.08.2015 unter Einbeziehung des Bescheides vom 21.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 für die Zeit vom 30.03.2015 bis zum 08.07.2016 verpflichtet, neben den Kosten für die Inanspruchnahme eines Gebärdensprachdolmetschers (Einzelbesetzung) die tatsächlich entstandenen und entstehenden Kosten für die Inanspruchnahme eines zweiten Gebärdensprachdolmetschers (Doppelbesetzung) in den Pflichtunterrichtsstunden des Klägers inklusive 5-Minuten-Pausen - ausgenommen in den Unterrichtsstunden Sport, Kunst und Informatik und abzüglich der Unterrichtsstunden mit Klassenarbeiten - unter Anrechnung der bereits erstatteten Kosten für erbrachte Dolmetscherleistungen zu übernehmen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Der Kläger habe einen Anspruch auf den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung im ausgeurteilten Umfang nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit § 12 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglH-VO). Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII seien Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet seien, den behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern (§ 12 Nr. 1 EinglH-VO). Im Rahmen des Schulbesuchs im Modell des Gemeinsamen Unterrichts bedeute Teilhabe dabei die gleichberechtigte Teilhabe am Unterricht. Das bedeute, dass der Kläger fordern könne, die gleichen Chancen auf Schulbildung wie nichtbehinderte Kinder zu haben. Dieses Teilhabeziel könne nur erreicht werden, wenn die eingesetzten Gebärdensprachdolmetscher den Unterricht auch ordnungsgemäß übersetzten, d.h. eine Übertragung über den gesamten Schultag ohne Qualitätsverlust gesichert sei. Nach Durchführung der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Unterricht in der vom Kläger besuchten Realschule zur Vermeidung eines Qualitätsverlustes - bis auf die Fächer Sport, Kunst und Informatik und die Klassenarbeiten - den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung erfordere. Dies habe die Sachverständige überzeugend nicht zuletzt aufgrund ihres zweitätigen Unterrichtsbesuchs dargelegt. Der Unterricht sei nicht an die Wahrnehmungs- und Lernbedingungen des gehörlosen Klägers und an das Verstehen von Sprache mit Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers angepasst. Der gehörlose Kläger müsse eine hohe Anpassungsleistung erbringen, um am Unterricht und sozialen Leben in der Klasse zu partizipieren. Er sei insoweit auf eine hohe Übersetzungsleistung angewiesen, damit die nötige Anpassung gelingen könne. Gleichzeitig seien die Bedingungen für die eigentliche Dolmetschertätigkeit durch Faktoren wie Klassengröße (28 Kinder), Sitzordnung, Gesprächsführung im Unterricht (hohes Sprechtempo, Umgebungslärm, Fachsprache etc). und der notwendigen geteilten visuellen Aufmerksamkeit (sowohl für den Dolmetscher als auch den Kläger) sehr ungünstig. Insbesondere der Fremdsprachenunterricht stelle eine besondere Herausforderung dar, weil der Dolmetscher drei Sprachen mental aktivieren (Deutsch, Fremdsprache, Gebärdensprache) und zwischen verschiedenen Kommunikationsmodi (Deutsche Gebärdensprache, Fingeralphabet, lautsprachbegleitendes Gebärden mit fremdsprachlichem Mundbild) wechseln müsse. Zu den bestehenden Schwierigkeiten und Anforderungen für den Gebärdendolmetscher kämen besondere Belastungsfaktoren aus der Klasse des Klägers hinzu wie Störlärm, viele Gesprächsteilnehmer mit unstrukturierten Gesprächen und ein häufiger Sprecherwechsel.

Von der Doppelbesetzung in den übrigen Stunden könne auch nicht deshalb abgesehen werden, weil es während des Unterrichts regelmäßig bei Einzel- und Stillarbeiten zu geplanten und ungeplanten Pausen für den Dolmetscher komme, die er zur Erholung nutzen könne. Denn nach Angaben der Sachverständigen seien diese Pausen zum einen nicht kontinuierlich und nicht planbar und zum andern entlastend nur für das eigentliche Gebärden (also in physischer Hinsicht), es sei dennoch weiterhin konstante Aufmerksamkeit allen Äußerungen im Raum gegenüber und eine ständige Bereitschaft, die Übersetzung jederzeit wieder aufzunehmen, erforderlich, so dass mental keine Erholung eintreten könne. Anders verhalte es sich bei Klassenarbeiten. In diesen Stunden könne die Notwendigkeit, in Doppelbesetzung zu dolmetschen, nicht erkannt werden; gleiches gelte für die Stunden in Sport, Kunst und Informatik. Soweit nach Angaben der Sachverständigen Maßnahmen ergriffen werden könnten, die den Einsatz von Doppelbesetzung im Unterricht vermieden oder zumindest minimieren würden (u.a. Reduzierung der Klassengröße; Sitzanordnung; Erlernen der Gebärdensprache durch Mitschülerinnen und Mitschüler), lägen diese nicht in der Hand der Beteiligten, sondern seien von der Schule oder Schulpolitik abhängig. Solange aber diese Faktoren sich nicht änderten, müsse von der tatsächlichen Situation für den Schüler ausgegangen werden, die hier den Einsatz der Doppelbesetzung für die überwiegende Anzahl der Schulstunden erfordere.

Gegen das ihm am 10.06.2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30.06.2016 Berufung eingelegt.

Das Sozialgericht stütze seine Entscheidung zu Unrecht auf das Gutachten von Prof. Dr. C. Die Gutachterin habe direkt zu Beginn ihres Gutachtens herausgestellt, dass mit einer systematischen Unterrichtsbeobachtung durch eine Person keine umfassende Qualitäts- bzw. Fehleranalyse einer Dolmetscherleistung durchgeführt werden könne, die für die Beantwortung der Beweisfragen notwendig wäre. Um eine solche Analyse zu leisten, bedürfe es einer aufwändigen Forschung, die die Festlegung der Evaluationskriterien im Setting Schule sowie detaillierte Videoanalysen umfasse. Ähnlich habe sich Prof. Dr. B geäußert. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, dass die Gutachterin dies dann gleichwohl versuche, und da das nicht gelinge, alle vermeintlichen Feststellungen nur unter Verwendung des Konjunktivs treffe. So schreibe die Gutachterin auf Seite 15 des Gutachtens: "Von den 12 beobachteten Unterrichtsstunden wurden bei 8 Stunden mehrere Belastungsfaktoren beobachtet, die zur Ermüdung und Konzentrationsabfall führen können." Und auf Seite 17: "Sie liefern ernstzunehmende Hinweise darauf, dass ab 30 Minuten durchgehendes Dolmetschen die Dolmetscherleistung stark nachlässt." Auch berücksichtige das Sozialgericht nicht, dass beide Gutachter zu dem Schluss kämen, dass spontane, nicht planbare Pausen und geplante Pausen allein 40 Prozent der Beobachtungszeit ausmachten, in der dann kaum gesprochen werde. Es finde daher kaum eine Dolmetschertätigkeit im Unterricht statt. Unberücksichtigt sei auch geblieben, dass "sogar einige Mitschülerinnen mit der gehörlosen Schülerin mit Gebärdensprache direkt kommunizieren können, so dass auch in Gruppenarbeiten teilweise keine Gebärdensprachdolmetscher benötigt würden".

Vergleiche man das mit anderen Tätigkeiten von Gebärdensprachdolmetschern, könne rechtlich nicht die Notwendigkeit für eine Doppelbesetzung erkannt werden. So werde beispielsweise im Nachrichtensender Phoenix das "Heute Journal" in einer Länge von 30 Minuten von einem einzigen Dolmetscher ununterbrochen übersetzt. Die Themen wechselten nahtlos, die Dolmetschertätigkeit werde ohne Unterbrechung bei den Berichterstattungen durchgeführt, d.h. der Dolmetscher werde ununterbrochen in einer Dauer von 30 Minuten tätig. Daher erschließe sich für den Beklagten nicht, wie die Dolmetschertätigkeit in einer rhythmisierten Unterrichtstunde mit spontanen Pausen und Stillarbeit anders gesehen werden solle, als die hoch anspruchsvolle und sicher auch belastende und ohne spontane Pausen oder Stillarbeit zu leistenden Übersetzungen in Fernsehsendungen.

Auf Anforderung des Senats hat der Beklagte die Abrechnungen der Gebärdensprachdolmetscher sowie eine tabellarische Aufstellung über die im Zeitraum vom 13.04.2015 (30.03.2015 bis 12.04.2015: Osterferien) bis 08.07.2016 geleisteten Dolmetscherstunden vorgelegt. Dieser Zeitraum umfasste 195 Schultage. Der Beklagte trägt hierzu vor, dass seine Auswertungen ergeben hätten, dass an 42 Schultagen eine Doppelbesetzung stattgefunden habe. Dies ergebe eine Doppelbesetzung von 21 Prozent. Diese geringe Doppelbesetzung könne nicht durch die von der Doppelbesetzung ausgenommenen Stunden in Sport, Kunst und Informatik erklärt werden. Denn der Stundenplan des Klägers habe 30 Schulstunden umfasst, von denen lediglich 3 Stunden auf das Fach Sport entfallen wären. Dies entspreche einem Anteil von 10 Prozent des Gesamtschulstundenaufkommens, so dass 90 Prozent der Unterrichtsstunden in Doppelbesetzung hätten erfolgen können.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.05.2015 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und des Beschlusses im Verfahren S 39 SO 428/16 ER vom 25.10.2016. Da die Beigeladenen aufgrund der vorläufigen Leistungsbewilligungen infolge der gerichtlichen Eilentscheidungen unmittelbar gegenüber dem Beklagten abgerechnet hätten, könne er keine Übersicht vorlegen, an welchen Tagen und in welchen Unterrichtsstunden tatsächlich in Doppelbesetzung gedolmetscht worden sei. Der Einsatz in der Schule werde von den Beigeladenen selbst organisiert und umgesetzt. Diese hätten ihm zum Arbeitseinsatz mitgeteilt, dass Doppelbesetzung in allen Fächern außer Sport, Kunst und Informatik erfolge, und zwar an Tagen, die sehr redeintensiv seien oder an denen Fächer unterrichtet würden, die schwierig zu dolmetschen seien, oder an denen erfahrungsgemäß der Anteil von Frontalunterricht hoch sei. Der Dolmetschermangel führe zu einer hohen Auslastung der Dolmetscher, so dass sie auf einen Einsatz in der Regelschule nicht angewiesen seien. Hinzu komme, dass maßgeblich für die Beurteilung, in welchen konkreten Unterrichtsstunden die Doppelbesetzung notwendig werde, der Stundenplan sei. Dieser werde aber immer erst sehr kurzfristig herausgegeben, erst mit oder nach Beginn des neuen Schuljahrs bzw. wenige Tage vor Beginn des 2. Halbjahres. Dies führe hinsichtlich der Doppelbesetzungen zu erheblichen Planungsschwierigkeiten, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Terminplanung der Gebärdensprachdolmetscher in der Regel schon abgeschlossen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 06.12.2018 die im Streitzeitraum tätigen Gebärdensprachdolmetscher beigeladen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Der Senat hat am 21.02.2019 einen Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin durchgeführt, in dem die ehemalige Klassenlehrerin des Klägers, C, als Zeugin vernommen worden ist und an dem die Beigeladenen zu 1 - 3), 6) und 7) teilgenommen haben. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der Erörterung wird auf das Terminprotokoll Bezug genommen. Auf Anfrage des Senats haben sich die Beteiligten im Erörterungstermin bzw. schriftlich mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten S 35 SO 428/16 ER (L 9 SO 605/16 B ER, LSG NRW), S 21 SO 90/15 ER (L 9 SO 133/15 B ER, LSG NRW), S 21 SO 91/15 ER (L 20 SO 167/15 B ER, LSG NRW) und der beigezogenen Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

I. Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und nach § 151 Abs. 1, 2 SGG fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat der Klage auf Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen zur Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in Doppelbesetzung zu Recht in dem von ihm tenoriertem Umfang für die Zeit vom 01.03.2015 bis 10.07.2016 stattgegeben, weil sie insoweit begründet ist.

1. a. Allerdings war der Tenor des vom Beklagten angefochtenen Urteils des Sozialgerichts klarzustellen. Denn das Sozialgericht hat den Gegenstand des Verfahrens, insbesondere die streitgegenständlichen Bescheide verkannt. Gegenstand des Verfahrens sind zum einen der Bescheid vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2015, der den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 29.06.2015 betraf, zum andern der Bescheid vom 10.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 zum Schuljahr 2015/2016 (11.08.2015 bis 29.06.2015). Nicht Gegenstand des Verfahrens sind die als Änderungsbescheide bezeichneten Bescheide vom 02.04.2015 und vom 21.09.2015. Denn bei diesen handelte es sich lediglich um Bescheide, die in Ausführung der zuvor ergangenen einstweiligen Anordnungen ergangen sind und die nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werden (BSG, Urt. v. 20.04.2016 - B 8 SO 20/14 R - juris Rn. 11; Senat, Urt. v. 27.03.2014 - L 9 SO 497/11 -, juris Rn. 53).

Zudem hat das SG verfahrensfehlerhaft ein Grundurteil erlassen. Dem Erlass eines Grundurteils steht § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG entgegen, der ein solches Urteil nur bei einer Leistung in Geld vorsieht. Da es sich bei der beantragten Übernahme noch unbezahlter Kosten im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis um einen Schuldbeitritt des Beklagten, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem Leistungserbringer handelt, lagen die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG jedoch nicht vor (BSG, Urt. v. 30.06.2016 - B 8 SO 7/15 R -, juris Rn. 16).

Allerdings war das wohlverstandene Interesse des Klägers, nachdem dieser erkennbar nicht mehr das Ziel verfolgte, Leistungen in Form des persönlichen Budgets zu erhalten, (noch) nicht bereits auf Erlass eines konkreten Bewilligungsbescheids in Form eines Schuldbeitritts gerichtet, sondern auf ein der späteren Kostenübernahme ggf. vorgeschaltetes Stadium auf Erteilung einer Zusicherung oder auf Erlass eines Grundlagenbescheides. Denn weder stand zum Zeitpunkt der Antragstellung des Klägers noch zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung durch den Beklagten der Kreis der tätigen Gebärdensprachdolmetscher fest, noch der jeweilige Umfang, in dem diese selbst bei positiver Entscheidung über die beantragte Doppelbesetzung für den Kläger im Verlaufe des Schuljahres tätig werden würden. Der Kläger hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich in organisatorischer Hinsicht allein aufgrund des sehr kurzfristigen Erhalts des Stundenplans zum Schuljahresbeginn bzw. zum Schulhalbjahr ergeben. Wegen des großen Bedarfs an Gebärdensprachdolmetschern und weil viele Dolmetscher häufig aufgrund von Dauereinsätzen bereits langfristig verplant seien, brauche man erfahrungsgemäß eine Vorlaufzeit von mindestens vier Wochen für einen konkreten Dolmetschtermin. Dies haben die im Erörterungstermin anwesenden Beigeladenen bestätigt und zudem darauf hingewiesen, dass das aufgrund der einstweiligen Rechtsschutzverfahren praktizierte sog. Dänische Modell nicht attraktiv gewesen sei, ausreichend Dolmetscher zu gewinnen. Denn die Doppelbelegung in der Mitte des Unterrichtstages (3./4. Stunde) führe nur zu einem vergleichsweise kleinen Auftrag, verhindere aber durch seine zeitliche Lage und die evtl. mit dem Einsatz verbundene Fahrzeit die Annahme anderer Aufträge am Vormittag. Der Beigeladene zu 3) hat zudem angegeben, dass es schwierig sei, einen Kollegen zum "Doppeln" zu bekommen, wenn man keine Kostenzusage vorlegen könne.

Da zum Zeitpunkt der Entscheidungen der Beklagten daher noch nicht sämtliche Schuldverpflichtungen feststanden, ist eine Vorabentscheidung über die Übernahme von Kosten für eine Doppelbesetzung hinsichtlich deren Geeignetheit, Erforderlichkeit und der Höhe der Vergütung nach der gesetzlichen Systematik sinnvoll und entspricht sowohl den Interessen des Hilfebedürftigen als auch denen der Behörde. Die hilfebedürftige Person benötigt und erhält durch eine bindende "Vorabentscheidung", an die die Behörde bei der Entscheidung über den Schuldbeitritt und die Zahlung an den Dritten gebunden ist (BSG, Urt. v. 30.09.2009 - B 9 VS 3/09 R -, juris Rn. 29), Planungssicherheit. Es ist der hilfebedürftigen Person nicht zuzumuten, ohne Rechtssicherheit bezüglich der Kostentragung das Risiko eingehen zu müssen, einen Vertrag mit dem Leistungserbringer zu schließen, ggf. zu verauslagende Kosten aber nicht erstattet zu erhalten (BSG, Urt. v. 09.12.2016 - B 8 SO 8/15 R -, juris Rn. 16). Zwar kann dieses Risiko auch im Rahmen des Beitritts zu einer künftigen Schuld (dazu BGHZ 133, 220 ff) vermieden werden, wenn nämlich im Schuldbeitritt die künftige Verpflichtung nach Inhalt und Beschaffenheit im Zeitpunkt der Entscheidung hinreichend bestimmt ist, wodurch vermieden werden kann, dass die Schuld des Beitretenden durch spätere Rechtsgeschäfte des Hauptschuldners ohne sein Zutun erweitert und damit gegen das Verbot der Fremddisposition verstoßen wird (vgl. BSG, Urt. v. 18.11.2014 - B 8 SO 23/13 R -, juris Rn. 16 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 07.11.1995 - XI ZR 235/94). Diesen Anforderungen kann entsprochen werden, wenn der Einsatz der Dolmetscher im Hinblick auf den zeitlichen Umfang, Art des Einsatzes (Einzel- oder Doppelbesetzung) und die Höhe der zu übernehmenden Kosten im Bescheid klar benannt werden (vgl. BSG, aaO, Rn. 16). Interessenorientierter dürfte es aber gerade im Fall eines nicht feststehenden Kreises von Leistungserbringern sein, die wesentlichen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch einen Grundlagenbescheid zu regeln. Für den Erlass eines Grundlagenbescheids bedarf es keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es genügt, dass sich dessen Zulässigkeit aus dem normativen Kontext ergibt (BSG Urt. v. 09.12.2016 - B 8 SO 8/15 R -, juris Rn. 16; Urt. v. 17.12.1997 - 11 RAr 103/96 -, juris Rn. 35; Jaritz/Eicher in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SozR, 2. Aufl. 2014, § 75 SGB XII Rn. 48.2). Das ist hier, wie oben dargelegt, der Fall.

b. Richtige Klageart ist auch dann die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG). Selbst neben einem Schuldbeitritt könnte der Kläger nicht vom Beklagten verlangen, erneut die Beigeladenen zu bezahlen. Es bedürfte dann vielmehr (nur) noch der Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung (Schuldbeitritt), der im Verhältnis aller an der Leistungsverschaffung Beteiligten einen Rechtsgrund für die Zahlung schafft (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2016 - B 8 SO 8/15 R -, juris Rn. 16).

2. Die Berufung ist unbegründet, weil das Sozialgericht mit Recht der Klage im erkannten Umfang stattgegeben hat.

Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichtes in dessen Urteil vom 11.05.2016 an, macht sich diese zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG) und weist ergänzend auf Folgendes hin: Zutreffend hat das Sozialgericht angenommen, dass der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung (§§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII, § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 SGB XII - Eingliederungshilfeverordnung - EinglHV) hat. Denn er gehört aufgrund der Einschränkung seines Hörvermögens offensichtlich zu dem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anspruchsberechtigten Personenkreis (vgl. § 1 Nr. 5 EinglHV), und eine sinnvolle Beschulung im Rahmen des Gemeinsamen Unterrichts (GU) ist an der von ihm im Streitzeitraum besuchten Realschule nur möglich, wenn er adäquate Dolmetscherleistungen erhält. Da es sich bei den Dolmetscherleistungen um "klassische" Assistenz handelt, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit unberührt lassen, ist die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe an den Kläger auch unter diesem Gesichtspunkt nicht ausgeschlossen (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 10/12 R -, juris Rn 18 ff.; Senat, Beschl. v. 20.12.2013 - L 9 SO 429/13 B ER -, juris Rn. 24 u. Beschl. v. 05.02.2014 - L 9 SO 413/13 B ER -, juris Rn. 9). Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten beruht mangels einer landesrechtlichen Sonderzuweisung auf § 97 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 AG-SGB XII NRW. Seine örtliche Zuständigkeit ist § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII zu entnehmen.

Der Kläger verfolgt seinen Anspruch mit Auslaufen der Bewilligung durch Bescheid vom 25.02.2015 (nicht: 25.02.2014) zum 29.06.2015 nicht mehr auf Gewährung eines persönlichen Budgets, sondern nur noch auf Sachleistungsverschaffung. Unerheblich ist, dass der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.03.2015 bis zum 29.06.2015 trotz fehlender Zielvereinbarung in Form des persönlichen Budgets bewilligt hat. Denn bei den bewilligten Leistungen handelte es sich nur um die Übernahme der Kosten für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern in Einzelbesetzung, die hier nicht in Streit steht.

Der Senat stimmt auch der vom Sozialgericht vorgenommenen Konkretisierung des Teilhabeziels als gleichberechtigte Teilnahme am Unterricht zu, die dem Kläger dieselben Chancen auf Schulbildung wie seinen nichtbehinderten Mitschülerinnen und Mitschülern gewährt. Zur Erlangung dieses Bildungsziels ist der Einsatz von Gebärdendolmetschern im Unterricht in Doppelbesetzung während der Unterrichtsstunden in allen wesentlichen Fächern mit Ausnahme von Sport, Kunst, Informatik und der Klassenarbeiten einschließlich der 5-Minuten-Pausen zur Erreichung der Eingliederungsziele geeignet (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) und der Sache nach - auch in quantitativer Hinsicht - erforderlich. Die Erforderlichkeit und Eignung der Hilfe verlangt eine am Einzelfall orientierte, individuelle Beurteilung, ein individualisiertes Förderverständnis (BSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urt. v. 06.12.2018 - B 8 SO 4/17 R -, juris Rn. 17; Urt. v. 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -, juris Rn. 21; Urt. v. 29.09.2009 - B 8 SO 19/08 R -, juris Rn. 22), das einer Kategorisierung der in Betracht kommenden Hilfen bzw. Maßnahmen nach abstrakt-generellen Kriterien entgegen steht. Diesen individuellen und personenzentrierten Beurteilungsmaßstab hat das Sozialgericht in nicht zu beanstandender Weise seiner Entscheidung zugrunde gelegt und sowohl das Teilhabedefizit, das sich bei der vom Beklagten gewährten Hilfe aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse und Bedingungen, unter denen der Kläger am Gemeinsamen Unterricht teilnimmt, ergibt, als auch die zur Teilhabeverwirklichung erforderliche Hilfe umfassend und zutreffend gewürdigt und festgestellt.

Da sich eine Beurteilung der erforderlichen Hilfe anhand eines abstrakt-generellen Maßstabs verbietet, ist es unerheblich, dass es derzeit weder hinreichende Forschungen noch definierte Qualitätsstandards für Gebärdensprachdolmetschen im Unterricht (Setting Schule) gibt, auch wenn diese für eine erfolgreiche Umsetzung der Idee des Gemeinsamen bzw. inklusiven Unterrichts sinnvoll wären. Denn die erforderliche Einzelfallprüfung anhand der individuellen Verhältnisse könnte auch durch diese nicht ersetzt werden. Dies wird vom Beklagten in seinem Berufungsvorbringen grundlegend verkannt. Insofern ist auch der Einwand des Beklagten nicht durchschlagend, das Gutachten der Sachverständigen C sei nicht verwertbar, da die Sachverständige selbst zugestanden habe, dass eine systematische Unterrichtsbeobachtung durch lediglich eine Person nicht zu einer umfassenden Qualitäts- und Fehleranalyse der Dolmetscherleistung führen könne, hierzu vielmehr eine aufwändige Forschung erforderlich sei. Wenn der Beklagte zudem die Auffassung vertritt, die Sachverständige habe offensichtlich den Anspruch erhoben, die fehlende Forschungsarbeit durch das eigene Gutachten ersetzen zu wollen, vermag der Senat dies an keiner Stelle im Gutachten verifiziert zu sehen. Zuzustimmen ist dem Beklagten darin, dass es nicht Aufgabe eines Sachverständigengutachtens in einem gerichtlichen Beweisverfahren ist, generalisierte Qualitätsstandards zu entwickeln. Die Sachverständige hat aber weder solche formuliert noch allgemeingültige Feststellungen zur Fehleranfälligkeit der Dolmetscherleistung im Setting Schule getroffen. Zudem macht - im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten - das Fehlen generalisierter Qualitätsstandards die einzelfallbezogene Beweiserhebung bzw. eine Begutachtung weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich. Die Sachverständige hat in Ermangelung von allgemeingültigen Qualitätsstandards für Gebärdensprachdolmetschen im Unterricht die Beweisfragen anhand von Literaturrecherche und -auswertung (einschl. Anfrage an Fachleute), durch eine systematische Unterrichtsbeobachtung am 22.09.2015 und 23.09.2015 (6 Unterrichtsstunden, davon nur 1 in Doppelbesetzung) sowie anhand von Interviews mit den beobachteten Gebärdensprachdolmetscher, Lehrkräften, der Klassenlehrerin und dem Konrektor beantwortet. Das methodische Vorgehen der Gutachterin und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse und gezogenen Schlüsse sind nicht zu beanstanden. Wenn ausreichende Studien und Standards über die Anforderungen an qualitativem Dolmetschen in Schulen nicht vorhanden sind, ist es naheliegend, auf die allgemeinen Erkenntnisse und Forschungen zur Qualität des Simultandolmetschens und zu potentiellen Belastungsfaktoren zurückzugreifen. Die Sachverständige hat die diesbezüglich vorhandenen - wenigen - Studien dargestellt, die wesentlichen Aussagen zusammengefasst und dabei insbesondere die in der Forschung allgemein als Belastungen für die Dolmetschqualität beschriebenen Faktoren und deren Vorkommen in der besonderen Unterrichtssituation des Klägers überprüft. In die Prüfung hat die Sachverständige auch die Frage einbezogen, ob und ggf. welche Belastungssituationen zur Qualitätssicherung vermieden werden können, und ob der Kläger oder der jeweilige Gebärdensprachdolmetscher hierauf Einfluss hat. Dass ein solchermaßen methodisches Vorgehen nicht sachgemäß sein sollte, kann nicht erkannt werden und wird vom Beklagten auch nicht substantiiert dargelegt. Soweit er diesbezüglich bemängelt, dass die Gutachterin ihre Erkenntnisse überwiegend in den Konjunktiv kleide und daher keine bestimmten Aussagen zur Dolmetscherleistung tätige, ist dies dann nicht erheblich, wenn - wie beispielsweise zu dem vom Beklagten zitierten Beispiel: "Sie liefern ernstzunehmende Hinweise darauf, dass ab 30 Minuten durchgehendes Dolmetschen die Dolmetscherleistung stark nachlässt." - es sich um die Auswertung von Forschungsergebnissen handelt, die eben nur in diesem Erkenntnisgrad vorliegen.

Auch der Einwand des Beklagten, die Sachverständige habe in ihrem Gutachten spontane, nicht planbare und geplante Pausen in einem Umfang von 40 Prozent der Beobachtungszeit festgestellt, die in ihrer Bedeutung für die Dolmetscherleistung weder von der Gutachterin noch vom Sozialgericht ausreichend gewürdigt worden seien, überzeugt nicht. Dem Gutachten von Prof. Dr. C kann eine solche Feststellung nicht entnommen werden, ebenso wenig wie das vom Beklagten angeführte Zitat, dass "sogar einige Mitschülerinnen mit der gehörlosen Schülerin mit Gebärdensprache direkt kommunizieren können, so dass auch in Gruppenarbeiten teilweise keine Gebärdensprachdolmetscher benötigt würden." Hier handelt es sich ganz offensichtlich um eine Verwechslung von Aussagen aus dem Gutachten der Sachverständigen aus dem die Schwester des Klägers betreffenden Gutachten.

Der Beklagte verkennt die Unterrichtssituation einer 5. und 6. Klasse, die schon altersabhängig offenkundig immer durch ein lebhaftes Unterrichtsgeschehen gekennzeichnet ist. Die Prüfung der für die Dolmetschertätigkeit (in Gebärdensprache) allgemein anerkannten Belastungsfaktoren bezogen auf die konkrete Unterrichtssituation des Klägers, die Feststellung der individuellen Verhältnisse und die Würdigung durch die Sachverständige wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt. Die Klassenlehrerin, die Zeugin C, hat äußere Bedingungen als besondere Belastungsfaktoren bestätigt. Es habe sich um eine sehr schwierige Klasse gehandelt, die sehr laut, sehr undiszipliniert und mit vielen Konflikten behaftet gewesen sei. Die Bedingungen für ein gehörloses Kind, unter Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern dem Unterricht zu folgen und den Stoff zu meistern, seien bereits aus diesem Grund alles andere als einfach gewesen. Die Bedingungen seien im Übrigen auch davon abhängig, inwieweit der jeweilige Lehrer sich auf die besondere Situation einstelle und seinen Unterricht anpasse. Das sei in den streitgegenständlichen Schuljahren nicht hinsichtlich aller Unterrichtsfächer der Fall gewesen. Konkret hat die Zeugin die Unterschiede zwischen der einfachen und der Doppelbesetzung anhand des Faches Mathematik aufgezeigt: Stehe nur ein Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung, müsse die Lehrperson Mathematik-Aufgaben grundsätzlich an die Tafel schreiben und immer wieder im Buch zeigen, an welcher Stelle man sich gerade befinde, sonst könne der gehörlose Schüler nicht folgen. Bei zwei Gebärdensprachdolmetschern könne man unterrichten wie in nichtinklusiven Klassen auch. Dann sei auch die Hausaufgabenkontrolle unproblematisch; ein gehörloser Schüler könne nicht gleichzeitig auf den Dolmetscher schauen und seine Aufgaben kontrollieren.

Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten über die von der Klassenlehrerin geschilderten Situationen hinaus noch weitere besondere Wahrnehmungs- und Verarbeitungssituationen gleichzeitiger visueller und akustischer Informationen ausführlich beschrieben, die von den im Beweisaufnahme- und Erörterungstermin am 21.02.2019 anwesenden Beigeladenen bestätigt wurden. Dazu gehört die Arbeit mit Atlanten, Tafel, Buch, Overheadprojektor und insbesondere die Verwendung von Unterrichtsfilmen. Hörende Schüler können die visuelle und akustische Information gleichzeitig zu einem Verstehensprodukt verarbeiten, bei dem gehörlosen Schüler fällt dieser Lernprozess als doppelt visueller Prozess auseinander. Der Gebärdensprachdolmetscher muss das ausgleichen und sich das Gesagte merken, um zu übersetzen, wenn der Blickkontakt wieder hergestellt ist. Dies stellt hohe Anforderungen an den Dolmetscher und seine Simultanleistung. Dies gilt auch zur Vermeidung von sog. time lags, den kurzen Zeitverlusten zwischen dem Gesprochenen und dem Übersetzten, die ein Hindernis für eine gleichberechtigte Teilnahme des gehörlosen Schülers am Unterricht sind.

Zeitliche Verzögerungen ergeben sich auch, wenn der Unterricht neue Fremd- oder Fachwörter behandelt. Die Gebärdensprachdolmetscher haben anschaulich dargestellt, welche Herausforderungen sich für den Dolmetscher, aber auch für den gehörlosen Schüler bei Einfachbesetzung ergeben. Hierbei ist es sehr oft erforderlich, nicht nur das neue (Fremd-)Wort über das von der Lehrperson erforderliche Maß hinaus zu erläutern, sondern auch die neue Gebärde. Auch wenn der gehörlose Schüler Gebärdensprache als Muttersprache hat, ist diese ebenso noch Teil des Lernprozesses wie für den hörenden Schüler die Muttersprache Deutsch. In zeitlich wie qualitativer Hinsicht erfordern auch diese Anforderungen eine Doppelbesetzung.

Wie realitätsfern demgegenüber der Beklagte offenbar das Setting Schule und die schulspezifische Klassensituation einschätzt, offenbart sein Vergleich mit dem Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers in einer Nachrichtensendung im Fernsehen. Dass die Arbeitsbedingungen für den Gebärdensprachdolmetscher im wohltemperierten Studio unter besten akustischen und optischen Bedingungen, ohne störende Geräusche, ungeplanten Unterbrechungen und ohne die Notwendigkeit, auf Fragen des Gehörlosen eingehen zu müssen, während gleichzeitig der Vortragende weiterspricht, aber mit der Möglichkeit, bereits vor Beginn des Dolmetschens die Wortbeiträge und die zu dolmetschenden Filmbeiträge studieren und damit die eigentliche Übersetzung vorbereiten zu können, nicht - auch nicht ansatzweise - mit denjenigen eines Gebärdensprachdolmetscher in einer 5. oder 6. Klasse bei einer Klassengröße von bis zu 28 Schülerinnen und Schülern vergleichbar sind, bedarf keiner weiteren Begründung. Der sehr individuelle Grundlärmpegel, der im Laufe des Vormittags nicht nur eine, sondern über 30 Personen bei hohem Sprechtempo, Störgeräuschen unterschiedlicher Intensität, bei nicht immer geordneter Gesprächsführung und einer für das Dolmetschen ungünstigen Sitzordnung vereint, erschwert die Tätigkeit erheblich, zu dem zeitweise auch noch drei Sprachen mental aktiviert (Deutsch, Fremdsprache, Gebärdensprache) werden müssen und zwischen verschiedenen Kommunikationsmodi (Deutsche Gebärdensprache, Fingeralphabet und lautsprachbegleitendem Gebärden mit fremdsprachlichem Mundbild) gewechselt werden muss, das Ganze ohne die Möglichkeit, die zu übertragenden Wortbeiträge vorher ausreichend studiert zu haben.

Der Einwand des Beklagten, die Beweiswürdigung des Sozialgerichts sei fehlerhaft, weil es seiner Entscheidung lediglich das Gutachten der Sachverständigen C zugrunde gelegt und wesentliche Aussagen im Gutachten von Prof. Dr. B, das gleichwertig mit dem Gutachten von Prof. Dr. C sei, nicht beachtet habe, trifft nicht zu. Der Senat weist darauf hin, dass das Sozialgericht - wenn auch nur in geringem Umfang - das Gutachten von Prof. Dr. B verwertet hat. Im Übrigen hatte das Sozialgericht bereits im Beschluss vom 30.03.2015 - S 21 SO 91/15 ER - dargelegt, dass und aus welchen Gründen das arbeitsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. B nicht streitentscheidend ist und welche weiteren Ermittlungen von Amts wegen erforderlich sind.

Unabhängig hiervon weist auch der Senat darauf hin, dass dem vom Beklagten eingeholten arbeitsmedizinischen Gutachten von Prof. Dr. B vom 20.02.2015 keine verwertbare gutachterliche Aussage entnommen werden kann, ob bzw. in welchem genauen Umfang die Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen durch den Kläger in Einzelbesetzung ausreichend bzw. eine Doppelbesetzung notwendig ist. Das Gutachten behandelt im Kern lediglich die gesundheitlichen Auswirkungen der Tätigkeit des Gebärdensprachdolmetschers aus Sicht der Arbeitsmedizin, die so nicht streitrelevant sind und nur insoweit Gewicht haben, als der das Ausmaß der Leistungsfähigkeit eines Gebärdensprachdolmetschers im konkreten Einsatz relativiert wird. Nur am Rande werden die Auswirkungen der Belastungsfaktoren auf die Qualität des Dolmetschens erörtert. Allein letzteres ist jedoch von Relevanz für die vorliegende Fragestellung. Hierzu stellt der Gutachter fest, dass die interviewten Gebärdensprachdolmetscher geäußert haben, dass zentrales Argument für die Doppelbesetzung im Unterricht die mentale, genauer kognitive Ermüdung und damit der Verlust der Leistungsfähigkeit sei, grob abschätzend bereits nach 30 Minuten ununterbrochenen Dolmetschens eintretend und sich im Verlauf eines anstrengenden Schultages verstärkend. Hierzu hat der Gutachter - im Übrigen zutreffend im Rahmen des vom Beklagten selbst eingeschätzten Gutachtenauftrags - klargestellt, dass sein Gutachten keine Expertise zur Qualität der Dolmetscherleistung im Verlauf des Einsatzes und keine Beurteilung erlaube, wann die Qualität der Dolmetscherleistung unter einen in der Schule tolerablen Wert falle. Hierzu wäre seines Erachtens eine entsprechende fachliche Kompetenz allein nicht ausreichend, da nicht nur die Qualität der Leistung gemessen werden müsste, sondern auch zu bestimmen wäre, welche Qualität für die Entwicklung und den Lernerfolg der gehörlosen Kinder tolerabel und damit ausreichend sei. Wenn die Auswirkungen der Belastungsfaktoren für die Gebärdensprachdolmetscher auf die Qualität des Dolmetschens und damit auf die Teilhabemöglichkeit des Klägers an Unterricht und Bildung nicht Gegenstand des Gutachtens sind und der Gutachter dementsprechend hierzu keine Aussage trifft, ist das Gutachten für die vorliegende Beweisfrage nicht oder eben nur eingeschränkt verwertbar. Dass Prof. Dr. B - ähnlich wie die Sachverständige Prof. Dr. C - weitergehende Studien zur Qualitäts- und Fehleranalyse für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern im Unterricht und darüber hinaus die zusätzliche Festlegung, welche Qualität für die Entwicklung und den Lernerfolg der gehörlosen Kinder tolerabel und damit ausreichend sei, für erforderlich hält, macht eine Begutachtung weder unmöglich noch unzulässig. Ohnehin können die Erkenntnisse aus derartigen Studien die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Leistungsfalls nicht vollständig abbilden, dessen Beurteilung - wie oben dargelegt - nach einem individuellen und personenzentrierten Maßstab erfolgt. Nur angemerkt sei, dass der methodische Ansatz des Gutachters, Qualität sei verhandelbar, es dürfe auch darüber diskutiert werden, welche Qualität des Dolmetschens für einen Teilhabeanspruch (noch) ausreichend sei, zweifelhaft ist. Gleichberechtigte Teilhabe im Sinne eines gleichberechtigten Zugangs zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen (vgl. Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung vom 03.05.2008) ist nicht schon dann verwirklicht, wenn dem Gehörlosen überhaupt der Besuch der Regelschule ermöglicht wird; gleichberechtigte Teilhabe erfordert wirksame, individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet. Die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen hat die Sachverständige Prof. Dr. C in ihrem Gutachten unter Berücksichtigung der spezifischen Situation in der Klasse des Klägers und der Inklusionsbereitschaft sämtlicher beteiligter Personen festgestellt.

Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf die fernmündliche Stellungnahme von Prof. Dr. L die Notwendigkeit einer Doppelbesetzung bestreitet, weil eine Schulstunde rhythmisiert ablaufe, wird darauf hingewiesen, dass die Nachfrage des Sozialgerichts bei Prof. Dr. L nicht zu einem verwertbaren Ergebnis geführt hat. Im Übrigen ist mit dieser Äußerung keine Aussage über die Erforderlichkeit einer Doppelbesetzung verbunden, denn es fehlt bereits der kausalitätsstiftende Sachverhalt zwischen einem rhythmisiert ablaufenden Unterricht und der Belastung für den Dolmetscher. Auch bleibt unklar, ob sich die Aussage auf ein konkretes Unterrichtsmodell oder auf jede Form von Unterricht bezog. Deshalb sind auch die von ihm angenommenen Erholungsphasen in einer Unterrichtsstunde nicht quantifizierbar. Bezieht sich die Aussage auf ein konkretes Modell, wäre zur Abschätzung des Verhältnisses von Belastung und Erholung pro Schulstunde (für den Gebärdendolmetscher) erforderlich festzustellen, ob das den Betrachtungen von Prof. Dr. L zugrundeliegende Modell auch demjenigen entsprach, das im Unterricht des Klägers Anwendung fand. Denn nur die individuellen Verhältnisse und Bedürfnisse des Betroffenen sind zur Feststellung und Reichweite eines Eingliederungshilfeanspruchs relevant.

Auch der Einwand des Beklagten, dass die geringe Doppelbesetzung im Streitzeitraum nicht für eine generelle Notwendigkeit einer Doppelbesetzung spreche, vermag nicht zu überzeugen. Der Beklagte führt aus, dass im 2. Halbjahr 2014/2015 und im Schuljahr 2015/2016 insgesamt 195 Schultage zu absolvieren waren. Davon habe nur an 42 Tagen Doppelbesetzung stattgefunden, dies entspreche einer Quote von 21 Prozent. Auch die abgerechneten Dolmetscherstunden sprächen gegen die Notwendigkeit einer Doppelbesetzung. Wenn der Beklagte vorrechnet, dass der Stundenplan des Klägers bei 30 Schulstunden lediglich 3 Stunden für das Schulfach Sport vorgesehen habe, dies 10 Prozent des Gesamtstundenaufkommens entspreche, so dass in 90 Prozent der Unterrichtstunden Doppelbesetzung hätte erfolgen müssen, lässt er unberücksichtigt, dass die vorliegenden Stundenpläne sowohl in der Klasse 5 als auch in der Klasse 6 nebst Sportunterricht noch weiteren nicht für eine Doppelbesetzung relevanten Unterricht vorgesehen haben. So hatte der Kläger in der Klasse 5 neben 2 Stunden Sport noch 2 Stunden Kunstunterricht wöchentlich sowie in der Klasse 6 neben 3 Stunden Sport noch 2 Stunden Informatik. 5 Stunden entsprechen 16,67 Prozent des Gesamtstundenaufkommens, zu denen dann auch noch die keine Doppelbesetzung erfordernden Klassenarbeiten hinzugerechnet werden müssten. Der Beklagte lässt bei seiner statistischen Auswertung unberücksichtigt, dass die in den Eilverfahren ergangenen Entscheidungen, soweit sie den hier vorliegenden Streitzeitraum betreffen, Doppelbesetzung lediglich in einem zeitlichen Umfang von 2 Unterrichtsstunden zusätzlich je einer großen und einer kleinen Pause anordneten. Die Beigeladenen haben deutlich gemacht, dass nicht nur das sog. Dänische Modell (nur 3. und 4. Stunde in Doppelbesetzung) sondern auch die Doppelbesetzung für 2 Stunden pro Schultag ohne Schulstundenbindung für Gebärdensprachdolmetscher unattraktiv ist, weil eine lediglich nur kurze Beschäftigung in der Mitte des Vormittags bei zusätzlicher Fahrzeit die Annahme anderer Termine verhindert. Nicht unberücksichtigt bleiben darf auch, dass seitens der Dolmetscher auch das wirtschaftliche Risiko angesichts des nicht entschiedenen Hauptsacheverfahrens kalkuliert werden musste, über die in den Eilentscheidungen angeordneten Stunden hinaus in Vorleistung zu gehen. Möglicherweise auch vor diesem Hintergrund kam es im Schuljahr 2014/2015 zu einer besseren Absprache dahingehend, dass die Schule zunehmend versuchte, den Stundenplan auf die Bedürfnisse des Klägers und der Gebärdensprachdolmetscher anzupassen, indem bspw. Sport in die Mitte des Vormittags gelegt wurde, so dass sich einige der Beigeladenen entschlossen, den restlichen Tag ohne Doppelbesetzung zu dolmetschen. Derartige Möglichkeiten entsprechen den Ausführungen der Gutachterin C, die insgesamt ein bedarfsorientiertes, flexibles Vorgehen mit einer Kombination aus Einzel- und Doppelbesetzung empfahl, allerdings auch hervorhob, dass letztlich keine Handhabe bestehe, Absprachen und Rücksichtnahmen zu erzwingen. Können solche nicht getroffen werden, bleibt es bei der Notwendigkeit einer Doppelbesetzung bis auf die beschriebenen Ausnahmen. Eine Doppelbesetzung kann im Übrigen auch aus anderen Gründen erforderlich werden. Ist die Assistenz in Doppelbesetzung die einzig in Betracht kommende Teilhabeleistung, weil sich kein Gebärdensprachdolmetscher zum Dolmetschen in Einzelbesetzung findet, steht auch nur eine adäquate Teilhabeleistung zur Verfügung, eine Auswahlmöglichkeit besteht dann nicht mehr. Dass die abstrakte Bereitschaft der Gebärdensprachdolmetscher zu einem Dolmetschen in Einzelbesetzung gering bis nicht vorhanden ist, hat der Beklagte bei seiner vom Sozialgericht veranlassten Recherche feststellen dürfen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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