S 2 SB 79/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SB 79/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "H” und "B".

Für den am 00.00.1961 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 02.02.2016 ein GdB in Höhe von 100 festgesetzt. Es wurden dabei die Gesundheitsstörungen Psychisches Leiden und Toxikomanie berücksichtigt. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "H" wurden abgelehnt.

Im Februar 2017 beantragte der Kläger die Gewährung der Merkzeichen "H" und "B". Gegenüber der Beklagten gab er an, keine Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung beantragt zu haben. Der Beklagte holte Auskünfte des Dr. C., LWL Klinik N. –Suchtambulanz– ein. Nach Einholung einer gutachterlichen Äußerung, die von Dr. S. erstellt wurde, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.10.2017 den Antrag des Klägers ab.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch. Zu dessen Begründung machte er geltend, über seinen Antrag sei ohne gutachtliche Untersuchung entschieden worden. Die Beklagte ließ den Kläger durch die Ärztin C. untersuchen Diese traf im Untersuchungsbogen vom 07.12.2017 die folgenden Feststellungen:

"Tagesablauf: Zwischen 7 und 8 Uhr stehe er auf, frühstücke, wenn er Geld habe und nicht zu viel Geld an andere im HdW verliehen habe. Täglich besuche er seine Mutter, die im L.-Stift wohne, und die Tochter, die im U. in H. wohne. Mitunter besuche er sie 2x täglich. Die Tochter ziehe bald in ein Betreutes Wohnen um. Mittags und abends esse er im HdW, das Essen sei dort mit einem Euro günstig. Ansonsten sei er in der Stadt unterwegs und besuche Freunde, u.a. in D., er sei ja mit seinem Abo mobil. Gegen Mitternacht gehe er in das HdW und übernachte dort; wenn er jedoch vorher Bescheid sage, könne er auch morgens früh um 3 Uhr kommen. Das nehme er häufig in Anspruch, da er nicht so viel Schlaf brauche. Ansonsten habe er keine körperlichen Einschränkungen, er sei ein Paradiesvogel, sei fröhlich, optimistisch und habe sich bei verschiedenen Wohnungsgesellschaften beworben. Regelmäßig alle 2-3 Tage gehe er zu den Wohnungsgesellschaften, um keine "Karteileiche" zu werden und möglichst bald eine geförderte Wohnung zugewiesen zu bekommen.

Gesamteindruck: Das Gangbild ist bei eigenanamnestisch angegebener Mittelfußfraktur rechts und einer Versorgung mit einer Gipsschiene leicht hinkend. Herr S. bewegt sich jedoch relativ schnell und sicher durch den Raum und auf der Straße. Die Reflexe sind seitengleich unauffällig, keine Einschränkung der groben Kraft, keine Asymmetrie.

Psyche Der wache, bewusstseinsklare und ausreichend orientierte Proband in auffälliger, stark verschmutzter Kleidung und mit ungewöhnlicher Gesichtsbemalung ist im Kontakt freundlich zugewandt und redselig. Bereitwillig berichtet er von seinen Aktivitäten. Der Antrieb ist zum Teil leicht gesteigert, zum Teil ungerichtet, insgesamt jedoch zielorientiert. Das Denken ist leicht beschleunigt, assoziativ gelockert, in sich logisch und nachvollziehbar. Keine Störung der Auffassungs- und Konzentrationsfähigkeit, kein paranoid-halluzinatorisches Erleben, keine Suizidalität."

Die Ärztin C. verneinte die Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "B". Sie führte aus, der Kläger habe im Rahmen seiner Möglichkeiten eine gesellschaftliche Teilhabe und bewege sich sicher und zielgerichtet durch die Stadt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16.10.2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2018 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 31.01.2018 Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er erhebe Klage wegen wiederholter unterlassener Hilfeleistungen sowie unberechtigter Vortäuschung falscher Tatsachen. Sein Gesundheitszustand sei nicht zutreffend bewertet worden. Die begutachtende Ärztin sei am Untersuchungstag nicht in der Lage gewesen, eine Begutachtung durchzuführen. Es sei eine erneute Begutachtung erforderlich, und zwar im NRW-Umfeld.

Der Kläger beantragt sinngemäß. den Bescheid vom 16.10.2017 in der Fassung des Widerspruchs- bescheids vom 22.01.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab dem 28.02.2017 die Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "B" anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags trägt sie vor, die Voraussetzungen für die Anerkennung der Merkzeichen "H" und "B" seien nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtskate und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2018 gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2018 verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in diesem Termin weder anwesend noch durch einen Bevollmächtigten vertreten war. Der Kläger ist nämlich auf diese Möglichkeit in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung zum Termin ausdrücklich hingewiesen worden.

Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die mit der Klage angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "B" abgelehnt.

Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe im Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in § 33b Abs. 6 Satz 2 EStG genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 3 EStG).

Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigen Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Maßnahmen zur psychischen Erholung, zur geistigen Anregung und zur Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 12.02.2003, Az.: B 9 SB 1/02R)

Ein relevanter Anleitungs- und Überwachungsbedarf setzt dabei voraus, dass er zeitlich und örtlich denselben Einsatz wie körperliche Hilfe erfordert. Insofern bedeutet es beispielsweise einen wesentlichen Unterschied, ob eine einmalige Aufforderung zu einer Tätigkeit ausreicht oder ob der Hilfeleistende beim gesamten Vorgang anwesend sein muss, zu Einzelschritten auffordern muss und das Ergebnis kontrollieren muss (Bundessozialgericht, a.a.O.). Es genügt für die Anerkennung des Merkzeichens "H" nicht, dass ein geistig Behinderter einem schulpflichtigen Kind gleich allgemeiner Aufsicht bedarf. Es ist auch nicht ausreichend, dass ein derart Behinderter verwahrlosen würde, wenn er ohne Aufsicht bliebe (Bundessozialgericht, Urteil vom 08.03.1995, Az.: 9 RVs 5/94).

Nach diesen Maßstäben steht das Merkzeichen "H" dem Kläger nicht zu. Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält der Kläger nicht. Aus den von der Ärztin Betz wiedergegebenen Angaben des Klägers zum Tagesablauf wird deutlich, dass ein relevanter Hilfebedarf für den Kläger nicht besteht. Der Kläger ist vielmehr in der Lage, seinen Aktivitäten ohne fremde Hilfe nachzugehen. Begründete Einwendungen gegen die Angaben zum Tagesablauf im Untersuchungsbogen vom 07.12.2017 hat der Kläger nicht geltend gemacht, sodass weitere Beweiserhebungen durch die Kammer nicht erforderlich sind.

Da der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht erfüllt, scheidet auch ein Anspruch auf die Gewährung des Merkzeichens "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) aus. Nach Teil D Nummer 2 Buchstabe b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens "B", dass der schwerbehinderte Mensch die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "Gl" oder "H" erfüllt. Die ist beim Kläger jedoch nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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