L 4 U 488/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 381/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 488/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 06.06.2015 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 (BK 2301) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Lärmschwerhörigkeit -.

Der am 00.00.1963 geborene Kläger war von April 2001 bis März 2015 im Bereich der Kfz-Aufbereitung als Autopfleger tätig; dies bis März 2002 im E Autopflegezentrum C, seit Mai 2002 im Autohaus D in C - hier bis Ende Mai 2011 am Standort I Straße, anschließend am Standort E Straße. Seit April 2015 übt er diese Tätigkeit als Selbstständiger aus.

Am 03.01.2013 erstattete der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. X, I, der Beklagten Anzeige über den Verdacht einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus und übersandte Tonaudiogramme über Messungen vom 06.11.2012 und 31.01.2013. Hieraus ermittelte die Beklagte einen Hörverlust rechts von 15% und links von 30%.

Der Kläger selbst gab in einem Fragebogen vom 16.04.2013 an, am 06.05.2008 erstmals Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche bemerkt zu haben. Im jetzigen Ausmaß bestünden beide seit Februar 2012. Es handele sich um ein lautes Ohrpfeifen, von dem er sich jederzeit belästigt fühle.

Die Beklagte holte Arztberichte der HNO-Ärzte Dr. X (15.05.2013) und Dr. C (06.06.2013), Arbeitgeberangaben des Autohauses D GmbH (29.04.2013) sowie das Vorerkrankungsverzeichnis und eine Bescheinigung über Mitgliedszeiten der AOK NordWest ein.

In Stellungnahmen vom 29.08.2013 und 03.04.2014 gelangten die Präventionsdienste der Beklagten bzw. der BG Verkehr (Beschäftigungszeitraum 2001-2002) zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinem gehörsschädigenden Lärm ausgesetzt gewesen bzw. - laut Stellungnahme der BG Verkehr - eine Lärmgefährdung bei einem Lärmexpositionspegel von 82-84 dB(A) nicht wahrscheinlich sei.

Auch das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes NRW (Dr. K) ging davon aus, dass eine hinreichende Einwirkungskausalität und deshalb eine BK 3201 nicht vorliege (Stellungnahme vom 30.04.2014).

Mit Bescheid vom 16.05.2014 verneinte die Beklagte das Vorliegen einer BK 2301. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei bei seinen Tätigkeiten seit 2001 keiner Lärmbelastung ausgesetzt gewesen, die zu einer Schädigung des Innenohres führen könne.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 04.06.2011, mit welchem der Kläger geltend machte, der Arbeitsplatz I Straße in C sei nicht hinreichend überprüft worden, und die Überzeugung vertrat, dass die von ihm eingesetzten Arbeitsgeräte (Nebelabsauger, Hochdruckreiniger und Heizlüfter) gehörgefährdend seien, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2014 unter Hinweis auf die Ermittlungen der Präventionsabteilung zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass es am Beweis einer geeigneten schädigenden Einwirkung fehle. Nach medizinischen Erfahrungen könne eine Lärmschwerhörigkeit bei einem Lärmpegel von weniger als 85 dB(A) nicht entstehen.

Der Kläger hat am 15.09.2014 Klage beim Sozialgericht (SG) Detmold erhoben und geltend gemacht, dass die Ermittlungen der Beklagten nicht ausreichten. Er sei von 2002 bis vor zwei Jahren von seiner jetzigen Arbeitgeberin an der I Straße 00 tätig gewesen. Die durchgeführten Messungen bezögen sich jedoch nur auf die jetzige Arbeitsstelle an der E Str. 00. In der I Straße würde ein Absauggerät mit weit höherem Lärmausstoß betrieben als an der E Straße. Auch würden ein Hochdruckgerät und ein Heizlüfter mit hohem Tageslärmexpositionspegel betrieben.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Präventionsdienstes (Herrn T) eingereicht, der ausgeführt hat, dass er am 27.11.2014 die Niederlassung I Straße aufgesucht habe. Als Lärmquellen kämen die Strahlpistole des Hochdruckreinigers, Industriestaubsauger und die Lüftungsanlage des Hallenbereichs in Frage. Besonders das Hochdruckstrahlgerät entwickle während des Einsatzes Lärmpegel, die oberhalb der Gefährdungsgrenze lägen. Gemessen worden seien am Ermittlungstag 86 dB(A) als Mittelwert. Es sei jedoch zu beachten, dass nicht nur die bezeichneten lauten Geräte zum Einsatz kämen, sondern im Rahmen der Wagenpflege sehr leise Tätigkeiten wie das Reinigen der Innenverkleidung, Armaturenbretter, Scheiben, inneren Lackflächen mit normalen Reinigungsmitteln, Lappen, Schwämmen und dergleichen verrichtet worden seien. Auch seien Teile der Lackpflege von außen nicht lärmintensiv, so dass es bei der Stellungnahme vom 29.08.2013 mit dem Hinweis "Tageslärmexpositionspegel ( 85 dB(A)" verbleibe. Die Lärmsituation im anschließend besuchten Standort E Straße stelle sich günstiger dar, da es sich um eine wesentlich höhere Pflegehalle handele.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.06.2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, auch im Rahmen der Nachermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten sei eine gehörschädigende Lärmeinwirkung von mehr als 85 dB(A) als äquivalenter Dauerschallpegel bei einem 8-Stundentag über viele Arbeitsjahre nicht festzustellen gewesen. Eine gerade eben das gehörsschädigende Maß überschreitende Lärmexposition sei beim Kläger lediglich im Umgang mit Hochdruckstrahlgeräten zu konstatieren, für welche im früheren Unternehmensbereich, auf dessen Expositionsbedingungen der Kläger maßgeblich abstelle, ein Lärmpegel von 86 dB(A) gemessen worden sei. Dieser könne allerdings nicht mit dem äquivalenten Dauerschallpegel gleichgesetzt werden, da ein Umgang mit diesen Geräten nach Auskunft des Beschäftigungsunternehmens lediglich für einen Teil der täglichen Arbeit (etwa 2-3 Stunden) stattgefunden und der Kläger in der übrigen Zeit keine gehörgefährdenden Tätigkeiten verrichtet habe.

Gegen den ihm am 22.06.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 22.07.2015, zu deren Begründung er erneut die Ermittlungen des Präventionsdienstes rügt. So habe die Messung des Außendienstes der Beklagten selbst 86 dB(A) ergeben. Soweit das SG ausführe, nur ein Teil der täglichen Arbeitszeit habe über diesem Wert gelegen, werde dies bestritten. Er sei überwiegend einer Lärmexposition von mehr als 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Da er bereits seit Mai 2002 im Autohaus D beschäftigt und damit auch bereits vor 2008 der gehörschädigenden Wirkung ausgesetzt gewesen sei, würden die Annahmen der Beklagten bestritten, dass eine lärmschädigende Einwirkung nur von 2011 bis 2015 bestanden habe. Zudem sei nicht erkennbar, ob bei der Messung die Hauptschallquelle Be- und Entlüftung eingeflossen sei. Zudem sei das Messergebnis mit 84 dB(A) ohnehin mit +/- 3 dB(A) ungenau bzw. unsicher, so dass von einer Überschreitung des Messwertes ausgegangen werden müsse. Auch wenn er - der Kläger - im Rahmen der erneuten Messungen an den Arbeitsplätzen selbst vor Ort gewesen sei, führe dies nicht dazu, dass die Messungen richtig vorgenommen worden seien. Diese könnten als Parteigutachten nicht verwertet werden.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 06.06.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2014 zu verurteilen, bei ihm eine BK 2301 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie pflichtet dem angefochtenen Gerichtsbescheid bei und sieht sich durch die medizinischen Ermittlungen im Berufungsverfahren in ihrer Auffassung bestätigt.

Nachdem die Beklagte die vom Senat angeforderten Messergebnisse der in der Vergangenheit durchgeführten Lärmermittlungen am Arbeitsplatz nicht hat vorlegen können und lediglich auf die jahrzehntelange Erfahrung des zwischenzeitlich ausgeschiedenen Mitarbeiters verwiesen hat, hat sie auf Anforderung des Senates im Beisein des Klägers an beiden Standorten des Autohauses D durch ihren Präventionsdienst erneute Messungen durchführen lassen. Nach dem Ermittlungsprotokoll sind die Messpunkte und zu erfassenden Betriebsbedingungen bei der Besprechung und Begehung einvernehmlich festgelegt worden. Die aufgeführten Teilzeiten seien vom Kläger genannt worden. Eine gehörschädigende Lärmeinwirkung sei vom 01.06.2011 bis 31.03.2015 (Standort E Straße) von 85 dB(A) anzunehmen.Die Belastungen vom 01.05.2002 bis 31.05.2011 (Standort Herforderstraße) hätten 84 dB(A) betragen (Stellungnahme vom 22.01.2016).

Eine BK 2301 könne gleichwohl nicht anerkannt werden, da die Hörverluste ausweislich der Audiogramme von 2008, 2012 und 2013 nahezu konstant geblieben und auch der Tinnitus bereits seit 2008 und damit vor einer gehörschädigenden Lärmeinwirkung bestanden habe. Der Kläger behaupte lediglich, dass die Messungen nicht richtig durchgeführt worden seien, trete allerdings keinen Nachweis hierfür an und könne dies auch nicht.

Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes Prof. Dr. C1 (12.07.2016). Darin ist der Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, eine BK 2301 liege nicht vor, da ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der Innenohrschwerhörigkeit (rechts beginnend, links knapp geringgradig) nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Soweit sich eine lärmtypische Senkenbildung im Hochtonbereich zeige, trete diese auch bei Patienten ohne Lärmexposition auf und sei nicht für eine Lärmschwerhörigkeit beweisend. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen könnten unter Zugrundelegung der Ermittlungen des Präventionsdienstes höchstens in den letzten 4 Jahren als gegeben angesehen werden. Wenngleich die ermittelten Werte mit einer Ermittlungsunsicherheit von +/- 3 dB(A) behaftet seien, könne dies nicht dahingehend berücksichtigt werden, dass zu Gunsten des Versicherten automatisch 3 dB(A) hinzugezählt würden. Entscheidend sei der ermittelte Tageslärmexpositionspegel. Dass der Kläger etwa die gleichen Hörverlust schon 2008 gezeigt habe, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem er lediglich sechs Jahre einem Tageslärmpegel von 84 dB(A) ausgesetzt gewesen sei, spreche gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit damals und heute. Ein typisches weiteres audiometrischen Merkmal einer Lärmschwerhörigkeit sei die Symmetrie der audiometrischen Befunde. An dieser fehle es hier. Eine einseitige Lärmbelastung könne nur an wenigen Arbeitsplätzen, nicht aber für die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Fahrzeugaufbereitung angenommen werden. Nach jahrzehntelanger Lärmexposition seien geringfügige Abweichungen im Hochtonbereich denkbar, aber nicht in der hier nachgewiesenen Form. Zudem sei der Kurvenverlauf beiderseits vom audiometrischen Bild her sehr unterschiedlich. Auch dies spreche gegen eine Lärmschwerhörigkeit.

Das Ohrgeräusch sei nach den Angaben des Klägers im Jahre 2008 plötzlich aufgetreten und könne schon wegen der nicht arbeitsplatzbedingten Schwerhörigkeit nicht als Begleittinnitus interpretiert werden. Darüber hinaus spreche das plötzliche Auftreten eines Ohrgeräusches absolut gegen eine Lärmursache und für einen Hörsturzgeschehen. Die Hörstörung als solche (arbeitsunabhängig) sei mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 10 v.H., unter Berücksichtigung des Ohrgeräusche mit einer MdE um max. 10 v.H. zu bewerten.

Den vom Kläger gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellten Antrag, den Diplom-Psychologen T1 als Sachverständigen zu hören, hat der Senat abgelehnt, da es sich nicht um einen Arzt handelt. Sodann ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG der HNO-Arzt Dr. F als Gutachter beauftragt worden. Auch dieser Sachverständige hat das Vorliegen einer BK 2301 verneint und dem Gutachten von Prof. Dr. C1 zugestimmt. Die sechs Feldmann-Kriterien zur Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit seien nicht sämtlich erfüllt. Zwar liege eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit vor, bestehe ein positives Recruitment und könnten die Tonschwellenkurve noch als lärmtypisch sowie die Hörkurven als symmetrisch angesehen werden. Jedoch liege eine adäquate Lärmexposition erst seit Juni 2011 vor, während die Hörstörung des Klägers jedoch bereits seit 2008 bestehe. Die Lärmexposition bis 2011 sei im Übrigen auch dann als vergleichsweise gering anzusehen, wenn man aufgrund der Unsicherheit der Lärmermittlung davon ausgehe, dass der Grenzwert von 85 dB(A) auch im Zeitraum von 2002 bis 2011 erreicht oder knapp überschritten worden sei. Der Hörverlust im Hochtonbereich sei nach dem Tonaudiogramm von Mai 2008 jedoch mit maximal von 70 bzw. 90 dB(A) schon deutlich ausgeprägt gewesen. Insoweit bestehe ein Missverhältnis zwischen dem Ausmaß der Schwerhörigkeit und der geringen Lärmexposition nach ISO 1999:1990 und eigener gutachterlicher Erfahrung. Die Schwerhörigkeit habe sich auch nicht während der Lärmarbeit entwickelt, da sie seit 2008 vorliege und ein relevanter Expositionspegel bis dahin noch nicht bzw. nur knapp erreicht worden sei (Gutachten vom 11.02.2017).

Dem Kläger ist gemäß § 106a SGG eine Frist bis zum 05.05.2017 gesetzt worden (Richterbrief vom 07.04.2017, zugegangen gegen Empfangsbekenntnis am 18.04.2017 und Richterbrief vom 28.04.2017). Die Beteiligten haben sich auf Anfrage mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Beratung des Senates gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert. Vielmehr hat sie zutreffend die Anerkennung einer BK 2301 abgelehnt.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs. 1 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) in Verbindung mit Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV, die lautet: "Lärmschwerhörigkeit". Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, Rn.17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.

Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 R- = SozR 4-5671 Anl.1 Nr. 2109 Nr. 1, Rn. 12; BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R -BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl.1 Nr.3101 Nr.4, Rn. 16 m.w.N.; BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, Rn. 9 m.w.N.; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R- SozR 4-5671 An. 1 Nr. 4111 Nr. 3 Rn. 14).

Zwar übte der Kläger in dem von ihm als maßgeblich bezeichneten Zeitraum von April 2001 bis März 2015 als Autopfleger eine versicherte Beschäftigung aus. Bei ihm sind auch nach den aktenkundigen Feststellungen der behandelnden Ärzte sowie der im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen eine Schwerhörigkeit sowie Ohrgeräusche als Krankheiten im Vollbeweis gesichert.

Nach den im Berufungsverfahren veranlassen weiteren Ermittlungen steht nunmehr auch im Vollbeweis fest, dass die Einwirkungen am Arbeitsplatz in der Niederlassung an der E Straße im Beschäftigungszeitraum vom 01.06.2011 bis 31.03.2015 mit einem Lärmexpositionspegel von 85 dB(A) grundsätzlich gehörsschädigend sein konnten. Demgegenüber war auch nach den von der Präventionsabteilung der Beklagten durchgeführten Messungen am Standort I Straße kein Tages-Lärmexpositionspegel von mindestens 85 dB(A) festzustellen. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, diese Messergebnisse in Zweifel zu ziehen, denn die von der Beklagten übersandten Messprotokolle vom 16.12.2015 und 17.12.2015 sind auf der Grundlage der Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung - (herausgegeben von der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung - März 2012 -) ordnungsgemäß erstellt worden.

Soweit der Kläger behauptet, die Messungen seien nicht richtig vorgenommen worden, ist dies durch nichts belegt. Vielmehr wurden die Messpunkte und zu erfassenden Betriebsbedingungen bei der Besprechung und Begehung mit dem Kläger einvernehmlich festgelegt.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Klägers, wonach es sich um ein Parteigutachten der Beklagten handelt, das nicht der Entscheidung zugrundegelegt werden kann. Dabei verkennt der Kläger, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und dabei auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen hat (§ 20 Abs. 1 und 2 des Zehnten Sozialgesetzbuches [SGB X]). Der Senat ist daher vorliegend nicht gehindert, dem "Verwaltungsgutachten" der Beklagten zur Feststellung der arbeitsbedingten Lärmexposition als alleinige Entscheidungsgrundlage zu folgen (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2000 - B 2 U 90/00 B - juris Rn. 4; Urteil vom 29.06.2015 - B 9 V 45/14 B - juris Rn. 6). Die Präventionsabteilungen der Berufsgenossenschaften verfügen generell über eine hohe fachliche Kompetenz zur Ermittlung der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, an der zu zweifeln auch die geringfügigen Abweichungen im Rahmen der Nachermittlungen hier keine Veranlassung bieten.

Soweit der Kläger im Hinblick auf die Unsicherheit der Ermittlung von +/-3 dB meint, eine hinreichende Lärmeinwirkung habe auch für den Zeitraum von Mai 2002 bis Ende Mai 2011 bestanden, kann dieser Auffassung mit Prof. Dr. C1 nicht gefolgt werden, da der ermittelte Tageslärmexpositionspegel entscheidend ist.

Insbesondere steht jedoch nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zur Überzeugung des Senates fest, dass jedenfalls ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der beim Kläger bestehenden Innenohrschwerhörigkeit nicht wahrscheinlich gemacht werden kann. Der Senat stützt sich insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C1, der als Mitwirkender bei der Überarbeitung der Königsteiner Empfehlung über eine hohe fachliche Kompetenz verfügt. Danach sprechen die gleichen Hörverluste schon im Jahre 2008 und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger lediglich sechs Jahre einem Tageslärmpegel von 84 dB(A) ausgesetzt gewesen ist, gegen die Annahme einer Lärmschwerhörigkeit. Zusätzlich hat der Sachverständige zutreffend auf die fehlende Symmetrie der audiometrischen Befunde verwiesen, was ebenfalls gegen eine Lärmschwerhörigkeit spricht. Dass das nach Angaben des Klägers im Jahr 2008 plötzlich aufgetretene Ohrgeräusch wegen der nicht arbeitsplatzbedingten Schwerhörigkeit und dem Umstand, dass ein plötzliches Auftreten eines Ohrgeräusche für ein Hörsturzgeschehen spricht, nicht Folge der BK ist, hat Prof. Dr. C1 ebenfalls überzeugend herausgearbeitet.

Bestätigt worden ist dieses Beweisergebnis durch das auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. F. Soweit dieser Sachverständige - abweichend zu Prof. Dr. C1 - unter Berücksichtigung von Schwankungen eine Symmetrie der audiometrischen Befunde bejaht hat, hat er jedoch zusätzlich ausgeführt, der Kausalzusammenhang sei auch dann nicht gegeben, wenn man zu Gunsten des Klägers wegen der Messschwankungen von einer Belastung von 85 dB(A) oder leicht darüber schon ab 2002 ausgehen würde. Abweichende medizinisch begründete Feststellungen liegen nicht vor, so dass der Senat insgesamt keine Veranlassung gesehen hat, dass medizinische Beweisergebnis in Zweifel zu ziehen.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht erforderlich, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt auf der Grundlage der aktenkundigen gutachterlichen Feststellungen geklärt war. Insbesondere bedurfte es nicht der Einholung eines Gutachtens zur Ermittlung der Lärmexposition, da die BK 2301 aus medizinischen Gründen nicht anerkennungsfähig ist und es überdies schon an einer substantiierten Darlegung des Klägers zur Fehlerhaftigkeit der Messergebnisse der Präventionsabteilung der Beklagten mangelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved