L 8 KR 336/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 15 R 245/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 336/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 91/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. September 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers aufgrund seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab dem 20. Dezember 2012 bis zum 31. Oktober 2015.

Die im Versicherungsmaklergeschäft tätige Beigeladene zu 1) wurde am 28. Dezember 2009 mit einem Stammkapital von 25.000,- EUR gegründet. Alleinige Gesellschafter sind der Kläger sowie sein Vater, C.A. (W). Zunächst hielt der Kläger 1 % des Stammkapitals und W die verbleibenden 99%. Dieser war zugleich Geschäftsführer des Unternehmens. Aufgrund einer als "Dienstvertrag des Gesellschafters" bezeichneten Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) wurde der Kläger ab dem 16. Juni 2012 als Außendienstleiter eingestellt. Seit dem 20. Dezember 2012 sind der Kläger mit einem Stammkapital in Höhe von 3.750,- EUR (15 %) und W mit einem Stammkapital in Höhe von 21.250,- EUR (85 %) an der Gesellschaft beteiligt. Am gleichen Tag wurde ein Gesellschaftsvertrag mit folgenden Vereinbarungen geschlossen:
" ...
§ 4 Geschäftsführung
(1) Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, vertritt jeder Geschäftsführer die Gesellschaft allein.
(2) Der bzw. die Geschäftsführer dürfen im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte vornehmen (Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB).
(3) Der bzw. die Geschäftsführer bedürfen der vorherigen Zustimmung durch Gesellschaftsbeschluss für
a.) die Errichtung oder Auflösung von Zweigniederlassungen,
b.) den Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Beteiligungen an anderen Unternehmen,
c.) den Erwerb oder die Veräußerung von Betrieben oder Teilbetrieben,
d.) alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen,
e.) alle Geschäfte, welche die Gesellschafter durch Gesellschaftsbeschluss für zustimmungsbedürftig erklären.
(4) Ein Geschäftsführer kann nur durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafterversammlung abberufen werden. Unberührt bleiben etwa zu beachtende arbeitsrechtliche Bestimmungen."
(5) Die Begründung, Änderung und Beendigung von Verträgen mit Gesellschaftern, insbesondere Verträgen zur Mitarbeit sind, einschließlich aller hiermit verbundenen Folgen, einschließlich etwaiger Weisungen, obliegen ausschließlich der Gesellschafterversammlung. Der Geschäftsführer agiert nur nach entsprechender Weisung durch die Gesellschafterversammlung.
...
§ 10 Gesellschafterversammlungen, Gesellschafterbeschlüsse
...
(3) Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn sie ordnungsgemäß einberufen ist und mindestens 86 Prozent des Stammkapitals vertreten sind. Ist diese Mehrheit nicht vertreten, so ist innerhalb von 4 Wochen zu einer neuen Gesellschafterversammlung einzuladen. Diese ist unabhängig von der Höhe des vertretenen Kapitals beschlussfähig, wenn die Einladung hierauf hinweist.
...
(5) Gesellschafterbeschlüsse werden mit einer Mehrheit von 86 Prozent der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit das Gesetz und dieser Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt.
(6) Je 1,- EUR eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme. Stimmenenthaltung und Stimmengleichheit gelten als Ablehnung.
...
(10) Den Gesellschaftern steht es frei, die Ausübung der Ihnen zustehenden Stimmrechte unter- und aneinander zu binden, Stimmenpools zu bilden, um sich aus diesem Vertrag oder dem Gesetz ergebene Mehrheitserfordernisse zu erreichen. Diese sind der Gesellschaft offen zu legen. Beschlüsse, die dann entgegen einer solchen Vereinbarung getroffen werden, sind unwirksam."

Die Tätigkeit des Klägers als Prokurist wurde in einem Vertrag zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Kläger vom 20. Dezember 2012 wie folgt geregelt:
"§ 1 Tätigkeitsbeginn/-umfang
(1) Herr A.A. ist als Prokurist der Gesellschaft tätig.
(2) Der Prokurist übernimmt eigenverantwortlich die Leitung der Gesellschaft, insbesondere des Außendienstes. Er Ist insoweit auch als Disziplinarvorgesetzter gegenüber seinen unmittelbaren Mitarbeitern uneingeschränkt und den anderen Mitarbeitern gegenüber als Vorgesetzter weisungsbefugt.
(3) Der Prokurist übt seine Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des Handels- und Steuerrechts, und zum Wohle der Gesellschaft aus. Dabei hat er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns anzuwenden. Das stellt keine Beeinträchtigung seiner eigenverantwortlichen Tätigkeitsausübung dar.
(4) Der Prokurist kann nach eigenem Dafürhalten auch andere, in diesem Vertrag nicht geregelte Aufgaben übernehmen.
(5) Seine Tätigkeit erstreckt sich auf alle Handlungen, die der Gewerbebetrieb der GmbH mit sich bringt. Zur Vornahme von Rechtsgeschäften, für die der Prokurist insbesondere einen Beschluss der Gesellschafterversammlung für erforderlich erachtet, ist er befugt, entsprechende Beschlüsse herbeizuführen.
(6) Der Prokurist bestimmt selbst über Zeit, Ort und Inhalt seiner Tätigkeit, steht jedoch, soweit dies das Wohl der Gesellschaft erfordert, zu ihrer Verfügung, bringt seine Kenntnisse und Erfahrungen ein und nimmt Ihre Interessen wahr. Einer Weisungsbindung unterliegt der Prokurist somit nicht.
§ 2 Vertretungsbefugnis — Prokura
Dem Prokuristen wurde Einzelprokura erteilt. Der Prokurist ist von den Beschränkungen des §181 BGB befreit und alleinvertretungsberechtigt
...
§ 4 Nebentätigkeiten
Die Aufnahme von Nebentätigkeiten steht dem Prokuristen frei.
§ 5 Gehaltszahlungen
(1) Als Vergütung für seine Tätigkeit bezieht der Prokurist zunächst ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 2.000,- EUR, zahlbar jeweils zum Ende eines Monats.
(2) Des Weiteren erhält der Prokurist einen von der Gesellschaft gestellten Pkw, den er auch zu privaten Zwecken nutzen darf. Die Kosten für den Betrieb und den Unterhalt des Fahrzeuges trägt die Gesellschaft. Die Steuern des in der Privatnutzung liegenden geldwerten Vorteils trägt der Prokurist.
§ 6 Gehaltsanpassung
Das Gehalt des Prokuristen wird jährlich entsprechend des Erfolgs der Gesellschaft und den Lebenshaltungskosten angepasst.
§ 7 Urlaub
Die Dauer des Urlaubs bestimmt der Prokurist eigenständig, ausgerichtet an den betrieblichen Erfordernissen und bedarf nicht der Zustimmung
...
§ 10 Erklärung
Auf Grund der ausgeübten Tätigkeit und seiner Stellung in der Gesellschaft erklärt sich der Prokurist bereit, das Unternehmen wirtschaftlich zu unterstützen, bspw. durch Übernahme von Bürgschaften, Einbringen von Kapital etc. Einzelheiten bedürfen jeweils einer gesonderten Absprache."

Auf einen Statusfeststellungsantrag des Klägers vom 23. Juni 2012 bezüglich der von ihm ab dem 16. Juni 2012 ausgeübten Beschäftigung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 fest, dass die Tätigkeit als mitarbeitender Gesellschafter bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 16. Juni 2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Nach der Rücknahme des hiergegen eingelegten Widerspruchs wurde dieser Bescheid bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 18. Januar 2013 beantragte der Kläger die Feststellung, dass er aufgrund seiner Eigenschaft als Gesellschafter und Prokurist der Beigeladenen zu 1) spätestens ab dem 20. Dezember 2012 nicht abhängig beschäftigt sei und nicht der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterliege.

Mit Bescheiden vom 5. Juni 2013 gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) lehnte die Beklagte den Antrag vom 18. Januar 2013, den sie als Überprüfungsantrag auslegte, ab. Zur Begründung führte sie näher aus, dass sie mit dem Bescheid vom 24. Oktober 2012 weder das Recht unrichtig angewandt habe noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Hiergegen erhob der Kläger am 2. Juli 2013 Widerspruch, der von der Beklagten mit Widerspruchsbescheiden vom 31. Oktober 2013 gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) zurückgewiesen wurde.

Am 28. November 2013 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, zwischen ihm und seinem Vater habe bereits vor Aufnahme seiner Tätigkeit Einigkeit darüber bestanden, dass beide als gleichberechtigte, gleichwertige Partner agierten, mithin Gesellschafterbeschlüsse auch nur im Konsens einstimmig gefasst werden würden. Er habe aufgrund seiner Gesellschafterstellung die rechtliche Möglichkeit, jederzeit ihm nicht genehme Beschlüsse zu verhindern. Insoweit könne er den Geschäftsbetrieb maßgeblich bestimmen und gestalterischen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen, da in jedem Fall mit ihm ein Konsens herbeigeführt werden müsse. Aufgrund des bestehenden Gesellschaftsvertrages führe auch seine Funktion als Prokurist nicht zu einer Weisungsgebundenheit gegenüber dem Geschäftsführer. Die Gesellschafterversammlung habe dem Geschäftsführer sein Weisungsrecht entzogen und sich selbst übertragen. Die Tätigkeiten des Klägers und des Geschäftsführers seien nicht oder nur insoweit voneinander abzugrenzen, als unterschiedliche Kunden betreut werden würden. Mit seinem Anteil am Stammkapital verfüge er über eine Sperrminorität.

Das Sozialgericht hat in seiner mündlichen Verhandlung vom 24. September 2015 den Kläger und W als Vertreter der Beigeladenen zu 1) persönlich angehört.

Mit Urteil vom 24. September 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid vom 24. Oktober 2012 sei hinsichtlich des streitgegenständlichen Zeitraums ab dem 20. Dezember 2012 rechtmäßig ergangen. Die Tätigkeit des Klägers als Prokurist der Beigeladenen zu 1) seit dem 20. Dezember 2012 stelle eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung mit der Folge der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung dar. Hierfür sprächen zunächst die in dem Dienstvertrag enthaltenen Regelungen zum monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.000 EUR, dem Anspruch auf Erholungsurlaub sowie den Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Falle der Arbeitsunfähigkeit. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger nach der Vorgabe des Vertrags keinen Weisungen unterliege, eigenverantwortlich die Leitung der Gesellschaft, insbesondere des Außendienstes übernehme, selbst über Zeit, Ort und Inhalt seiner Tätigkeit bestimme und dass der Vertrag dem Kläger einen besonders großen Freiraum belasse. Bei der Tätigkeit als Prokurist handele sich um eine Tätigkeit höherer Art, bei der sich die Weisungsgebundenheit zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinere. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es bei Gesellschaftern einer GmbH wesentlich auf den Umfang von deren Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für sie ergebenden Einflusses auf die Entscheidungen der Gesellschaft an. Die Weisungsgebundenheit des Klägers sei vorliegend nicht vollständig entfallen. Vielmehr sei ein Kern an Weisungsbefugnis des Geschäftsführers verblieben, derer sich der Kläger nicht zu entledigen im Stande sei. Zudem sei er in die Arbeitsorganisation, die sich aufgrund der Verteilung der Gesellschaftsanteile als fremde für ihn darstelle, eingegliedert. Die Stellung eines Prokuristen sei nicht mit der eines Geschäftsführers gleichzustellen. Jede GmbH müsse gemäß § 6 Abs. 1 GmbHG einen Geschäftsführer haben. Dieser sei Organ der Gesellschaft und vertrete diese nach außen. Mit der Übernahme der Geschäftsführerfunktion gingen eine Reihe von Obliegenheiten und Verpflichtungen einher. Die Gesellschafterversammlung könne zwar Bereiche der Geschäftsführung an andere Organe übertragen oder an sich selbst ziehen. Jedoch sei es unzulässig, dem Geschäftsführer jede eigene Geschäftsführungsentscheidung zu nehmen. Denn hierdurch würde die Erfüllung ihrer zwingenden Aufgaben schwer gefährdet u die vom Gesetz zugrunde gelegte GmbH-Verfassung pervertiert (Bezug auf Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Auflage 2013, § 37 Rn. 17 u. 21). Die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 2 des Gesellschaftsvertrags würde den Geschäftsführer zu einer über die reine Außenvertretung der Gesellschaft nicht hinausreichenden Marionette der Gesellschafterversammlung ohne eigene Kompetenz machen. Im Übrigen zeige auch der noch aktuelle Anstellungsvertrag des Geschäftsführers vom 30. Dezember 2009, dass es nicht der vertragliche Wille der Gesellschafterversammlung gewesen sein könne, die Funktion derart zu entkleiden. Dessen § 1 Abs. 1 laute: "Herr A. übernimmt alle Funktionen des Geschäftsführers der A. + A. GmbH, die im Rahmen der Tätigkeit des Unternehmens anfallen. Sollten mehrere Geschäftsführer bestellt sein, dann ist Herr A. Sprecher der Geschäftsführung. Bei Abstimmungen zählt seine Stimme doppelt. Die Bestellung eines weiteren Geschäftsführers bedarf seiner Zustimmung." Damit habe die Gesellschafterversammlung dem Geschäftsführer eine starke Stellung zugewiesen. Demgegenüber könne der Geschäftsführer W nach dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrags als Gesellschafter bei Unstimmigkeiten mit seiner Stimmenmehrheit keine Weisungen gegenüber dem Kläger durchsetzen. Bei fehlender Einstimmigkeit seien ihm als Gesellschafter sprichwörtlich die Hände gebunden. Dies könne bei unterstelltem Fehlverhalten des Klägers, sei es vorsätzlich/missbräuchlich oder versehentlich, allerdings dazu führen, dass er die Gesellschaft in erhebliche, z.B. wirtschaftliche Gefahren, manövrieren könnte, ohne dass der Geschäftsführer dem etwa durch Aufforderung zur Auskunft gegenüber dem Kläger vorbeugen oder aber in geeigneter Weise intervenieren könne. Der subjektive Wunsch bzw. das mehrfach betonte entsprechende Bestreben des Klägers und seines Vaters, stets zum Wohle der Gesellschaft zu agieren, seien dabei unbeachtlich. Denn in den betreffenden Fällen gehe es gerade um Fehlverhalten, so dass also nicht auf vernunftbezogenes Konsensverhalten abgestellt werden könne. Im Übrigen biete eine solche Absichtserklärung keine hinreichende rechtliche Sicherheit. Eine solche Lähmung des Geschäftsführers widerspreche nach der ihm gesetzlich zugewiesenen Funktion aber dem Telos des GmbHG, weswegen der Passus des § 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages rechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass dem Geschäftsführer ein Wesenskern an Weisungsbefugnis verbleibe. Wie weit dieser gesellschaftsrechtlich exakt reiche, bedürfe hier keiner näheren Erörterung, weil eine Weisungsgebundenheit nicht vollständig entfallen sei und sich vorliegend in tatsächlicher Hinsicht eine deutliche Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation der Gesellschaft offenbare, die keinen Raum für Zweifel der Kammer an der Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation der Gesellschaft lasse. Er arbeite, wie sich aus seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ergebe, Hand in Hand mit den Mitarbeitern der Gesellschaft zusammen. Die mündliche Verhandlung habe erkennen lassen, dass es sich bei der weitergehenden, dem Kläger aufgrund des Prokuristenvertrags zugewiesenen Funktion der Leitung des Außendienstes, um eine inhaltsleere Hülle handele. Schließlich sei als Indiz für abhängige Beschäftigung in tatsächlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass der Kläger als einzigen Unterschied zwischen der Vortätigkeit des Außendienstleiters zur jetzigen Tätigkeit des Prokuristen benennen konnte, er habe sich einen Dienstwagen gekauft, ohne vorher seinen Vater hätte fragen müssen. Die Kammer sei der Überzeugung, dass mit den vertraglichen Neuregelungen vom 20. Dezember 2012 die Tätigkeit des Klägers lediglich als selbstständige deklariert werden sollte, eine solche aber nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Einklang stehe, vielmehr der geschäftsführende Gesellschafter das Unternehmen dominiere. Hierfür spreche auch die Tatsache, dass der am 20. Dezember 2012 geschlossene Prokuristenvertrag im Unterschriftsfeld "Gesellschaft" ausschließlich von W unterzeichnet worden sei, während nach den geschilderten vertraglichen Rahmenbedingungen die Gesellschafterversammlung den Vertrag hätte abschließen müssen. Dass der Geschäftsführer hier aufgrund vorherigen Gesellschafterbeschlusses tätig geworden sei, sei unwahrscheinlich. Denn auf Befragen hätten weder der Kläger noch W einen solchen benennen können. Dass es auch nicht einer Übung der Gesellschaft entspreche, dass lediglich einer der Gesellschafter unterzeichne, zeigt der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers, der von beiden Gesellschaftern unterzeichnet worden sei.

Das Urteil ist am 5. Oktober 2015 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden. Die Berufung des Klägers ist am 3. November 2015 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Seit dem 1. November 2015 ist der Kläger aufgrund einer entsprechenden Änderung des Gesellschaftsvertrags und auf der Grundlage eines Geschäftsführervertrages als weiterer Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) tätig. Nachfolgend hat die Beklagte ihren Bescheid vom 5. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als festgestellt worden ist, dass Kläger seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 1) nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausübt und daher aufgrund dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und die Berufung im Übrigen fortgeführt. Er ist der Ansicht, ihm stehe aufgrund des Gesellschaftsvertrages eine wirksame Sperrminorität zu, aufgrund dessen weder W als Geschäftsführer noch die Gesellschafterversammlung Weisungen ihm gegenüber durchsetzen könnten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. September 2015 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 aufzuheben, den Bescheid vom 24. Oktober 2012 abzuändern und festzustellen, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab dem 20. Dezember 2012 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich durch das Urteil des Sozialgerichts Marburg bestätigt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 152 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. September 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte war nicht verpflichtet, ihren Bescheid vom 24. Oktober 2012 abzuändern und festzustellen, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab dem 20. Dezember 2012 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt. Das Sozialgericht und die Beklagte sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund der streitgegenständlichen Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) der Versicherungspflicht in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung unterliegt.

Versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRsprg., vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 13/14 R – m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).

Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der formellen Vereinbarung nur vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R –, juris Rn. 16).

Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der im Unternehmen mitarbeitende Gesellschafter einer Personengesellschaft zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Bei mitarbeitenden Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften kann regelmäßig von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen werden, es sei denn, es liegen Umstände vor, die eine Weisungsgebundenheit gegenüber dem Geschäftsführer bzw. der Gesellschafterversammlung im Einzelfall aufheben. Selbst bei Geschäftsführern, die zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine gesellschaftsrechtlich abgesicherte Sperrminorität verfügen, geht das BSG für den Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung aus. Nur derjenige, der kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung, weil er Mehrheitsgesellschafter ist oder jedenfalls über eine sog. Sperrminorität verfügt, als Geschäftsführer-Gesellschafter in der Lage ist, ihm nicht genehme Entscheidungen der Gesellschaft zu verhindern, ist ausnahmsweise nicht abhängig beschäftigt. Die Rechtsprechung des BSG stellt bei der Beurteilung, ob ein mitarbeitender Gesellschafter abhängig beschäftigt ist, im Ergebnis in erster Linie darauf ab, ob der mitarbeitende Gesellschafter aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter die Rechtsmacht hat, unliebsame Weisungen in Bezug auf seine Tätigkeit zu verhindern (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R). Nur einer solchen Rechtsmacht, die auf der Gesellschafterstellung beruht, kommt entscheidende Indizwirkung für eine selbständige Tätigkeit zu (BSG, Urteile vom 11. November 2015, B 12 KR 10/14 R und B 12 KR 13/14 R; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. September 2017 – L 7 R 504/15 –, Rn. 90, juris).

Ein GmbH-Gesellschafter, der von der GmbH angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt wurde, besitzt allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte in der Gesellschafterversammlung nicht regelmäßig zugleich auch die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft nach Belieben aufzuheben oder abzuschwächen. Die Rechtsmacht eines Gesellschafters mit Sperrminorität erschöpft sich in solchen Fällen vielmehr allein darin, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung verhindern zu können (vgl. dazu bereits BSG SozR 3-4100 § 168 Nr. 22 S 64 f). Vorbehaltlich abweichender Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag ist die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Angestellten der GmbH Sache der laufenden Geschäftsführung, nicht dagegen der Gesellschafterversammlung (vgl. BSG Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - Juris Rn 15; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 17 Rn. 15; BSG Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R - juris Rn 23; BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 12 KR 9/14 R –, juris Rn. 28).

Die Sperrminorität eines Minderheitsgesellschafters kann folglich nur dann als Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit gewertet werden, wenn der betreffende Gesellschafter für die Gesellschaft zum Geschäftsführer bestellt war. Dies ist in der herausgehobenen Stellung des Geschäftsführers innerhalb der Organisation einer GmbH begründet. Dem Geschäftsführer als organschaftlichem Vertreter obliegt die Vertretung der Gesellschaft im Rechtsverkehr. Diese Befugnis ist zwingend und darf selbst durch den Gesellschaftsvertrag nicht eingeschränkt werden. Der Geschäftsführer einer GmbH hat deren Geschäfte im Rahmen des Gesetzes, des Gesellschaftsvertrags und der übrigen Vorgaben der Gesellschafter zu leiten. Er ist der Träger der unternehmerischen Initiativ- und Entscheidungsmacht in der Gesellschaft und ihrem Unternehmen, nimmt gegenüber den ihm nachgeordneten Arbeitnehmern der Gesellschaft einschließlich ihrer Prokuristen die Arbeitgeberfunktionen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG) wahr und hat zur Ausübung seiner Geschäftsführungsbefugnis aus § 37 GmbHG die unentziehbare und nur durch die (gesetzliche oder anderweitige) Anordnung von Gesamtvertretung einschränkbare organschaftliche Vertretungsmacht in der Gesellschaft (OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. August 1995, GmbHR 1996, 208, 209; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. Februar 2016 – L 1 KR 217/15 B ER –, Rn. 60, juris).

Vorliegend stand dem Kläger aufgrund seines Geschäftsanteils sowie des Gesellschaftsvertrags zwar eine Sperrminorität zu. Allerdings war er im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht Geschäftsführer der Gesellschaft. Nach dem maßgeblichen Gesellschaftsvertrag vom 20. Dezember 2012 war dies allein W. Dessen hieraus resultierende Weisungsbefugnis gegenüber dem Kläger wird durch die Regelungen des Gesellschaftsvertrages nicht maßgeblich außer Kraft gesetzt. Dies folgt insbesondere nicht aus den Bestimmungen der § 4 Abs. 3 und Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages, welche die Handlungsfreiheit des Geschäftsführers in Teilbereichen einschränken und die betreffende Entscheidungsbefugnis der Gesellschafterversammlung und folglich der maßgeblichen Mitbestimmung des Klägers übertragen. Die vorgenannten Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vermitteln dem Kläger gegenüber dem W keine Rechtsposition, die geeignet sein könnte, seine Weisungsgebundenheit gegenüber dem W als Geschäftsführer maßgeblich einzuschränken. Soweit § 4 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags regelt, dass der Geschäftsführer bei bestimmten Rechtsgeschäften, wie der Errichtung oder Auflösung von Zweigniederlassungen, dem Erwerb, der Veräußerung oder der Belastung von Beteiligungen an anderen Unternehmen, dem Erwerb oder die Veräußerung von Betrieben oder Teilbetrieben sowie allen Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen der Zustimmung durch Beschluss der Gesellschafterversammlung bedarf, wird hierdurch nur ein Teilbereich der Aufgaben eines Geschäftsführers bezeichnet. Gleiches gilt für die Regelung in § 4 Abs. 5 S. 1 des Gesellschaftsvertrages, wonach die Begründung, Änderung und Beendigung von Verträgen mit Gesellschaftern, insbesondere Verträgen zur Mitarbeit, einschließlich aller hiermit verbundenen Folgen sowie etwaiger Weisungen, ausschließlich der Gesellschafterversammlung obliegen. Die vorgenannten Regelungen des Gesellschaftsvertrags gehen insoweit nicht über die sich bereits aus dem Gesetz ergebenden Bindungen des GmbH-Geschäftsführers gegenüber den Beschlüssen der Gesellschaft hinaus. Der GmbH-Geschäftsführer ist zwar Organ der Gesellschaft, aber in seiner Tätigkeit keineswegs völlig unabhängig. Er unterliegt der Prüfung und Überwachung durch die Gesellschafterversammlung (§ 46 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG) und ist an deren Weisungen gebunden (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Dabei umfasst die Weisungsbefugnis der Gesellschafter nicht lediglich Maßnahmen, die für die Gesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung sind, wie bspw. Neuausrichtungen der Unternehmenspolitik, vielmehr ist die Gesellschafterversammlung im Grundsatz allzuständig (Legde, SGb 2017, 25, 28). In dem Gesellschaftsvertrag vom 20. Dezember 2012 findet dies seine Ausdruck in der Regelung des §§ 4 Abs. 3 e.), wonach W als Geschäftsführer auch der Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss bezüglich aller Geschäfte bedurfte, welche von den Gesellschaftern durch Gesellschaftsbeschluss für zustimmungsbedürftig erklärt worden sind.

Dem Sozialgericht ist zuzustimmen, dass die Regelung des Gesellschaftervertrags unter § 4 Abs. 5 S. 2, wonach "der Geschäftsführer nur nach entsprechender Weisung durch die Gesellschafterversammlung agiert" der Auslegung bedarf und jedenfalls nicht so verstanden werden kann, dass die Geschäftsführungsbefugnisse des W gegenüber dem Kläger vollständig entfallen. Gegen eine solche Auslegung dieses Passus des Gesellschaftsvertrages spricht zunächst dessen Position in S. 2 des 5. Absatzes von § 4 des Vertrages. Danach bezieht sich die Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung gegenüber dem Geschäftsführer auf die zuvor unter S. 1 aufgezählten Belange der Begründung, Änderung und Beendigung von Verträgen mit den Gesellschaftern. Eine Auslegung der Regelung des Gesellschaftsvertrags unter § 4 Abs. 5 S. 2, welcher dem W dessen Befugnis als Geschäftsführer vollständig, d.h. bezüglich sämtlicher Geschäftstätigkeiten der Gesellschaft entzieht, steht demgegenüber nach den vorstehenden Ausführungen mit dem Gesellschaftsrecht nicht in Einklang und lässt sich dem Gesamtzusammenhang des Gesellschaftervertrags auch nicht entnehmen.

Für die Annahme der Weisungsunterworfenheit des Klägers gegenüber dem W aufgrund dessen Position als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) kommt es auch nicht maßgeblich darauf an, dass in dem Prokuristenvertrag vom 20. Dezember 2012 unter § 1 Abs. 6 S. 2 ausgeführt wird: "Einer Weisungsbindung unterliegt der Prokurist somit nicht". Dabei verdeutlicht schon die Verwendung des Wortes "somit", dass sich dieser Satz auf den vorangegangenen 1. Satz des 6. Absatz von § 1 des Prokuristenvertrags bezieht, wonach der Prokurist selbst über "Zeit, Ort und Inhalt seiner Tätigkeit bestimmt". Damit bringen die Vertragspartner des Prokuristenvertrags vom 20. Dezember 2012 allerdings allein zum Ausdruck, dass sich ihrer Ansicht nach die mangelnde Weisungsbindung des Prokuristen daraus ergibt, dass dieser über Zeit, Ort und Inhalt seiner Tätigkeit selbst zu bestimmen vermag. Die darin zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung lässt sich mit den sozialversicherungsrechtlich maßgeblichen Kriterien nicht in Einklang bringen. Auch weitreichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten", der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nicht zu einem Selbständigen. Bei der Tätigkeit des Klägers handelt es sich zweifelsfrei um einen solchen "Dienst höherer Art", bei der es ausreichend ist, dass sich die Weisungsgebundenheit auf eine "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" beschränkt. In dem Prokuristenvertrag vom 20. Dezember 2012 findet dies seinen Ausdruck in der ebenfalls in § 1 Abs. 6 S. 1 enthaltenen Bestimmung, wonach der Prokurist der Gesellschaft "zur Verfügung zu stehen, seine Kenntnisse und Erfahrungen einzubringen und die Interessen der Gesellschaft zu wahren hat, soweit dies deren Wohl erfordert". Soweit § 6 des Vertrages darüber hinaus eine jährliche Gehaltsanpassung "entsprechend dem Erfolg der Gesellschaft und den Lebenshaltungskosten" vorsieht, steht dies zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung nicht in Widerspruch. Die Vereinbarung von Gehaltserhöhungen im Falle des wirtschaftlichen Erfolgs des Arbeitgebers und gestiegener Lebenshaltungskosten sind bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen nicht unüblich. Im Übrigen sind der wirtschaftliche Erfolg eines Arbeitgebers oder einer Branche sowie der Anstieg von Lebenshaltungskosten Faktoren, die auch im Rahmen tariflicher Auseinandersetzungen bei der Bemessung von Entgelten von Arbeitnehmern eine gewichtige Rolle spielen.

Die Tätigkeit des Klägers als Prokurist der Beigeladenen zu 1) ist auch nicht mit einem maßgeblichen unternehmerischen Risiko verbunden. Nach § 5 Abs. 1 des Prokuristenvertrags bezieht der Kläger ein erfolgsunabhängiges monatliches Bruttogehalt i.H.v. 2.000 EUR.

Ansonsten ist das Fehlen typischer Regelungen eines Arbeitsvertrags mit abhängig Beschäftigten in leitenden Positionen kein maßgebliches Indiz für eine selbständige Tätigkeit. So kommt vorliegend der Urlaubsregelung in § 7 des Prokuristenvertrags, wonach die Dauer des Urlaubes von dem Kläger eigenständig unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse bestimmt werden kann, im Rahmen der Gesamtabwägung keine entscheidende Bedeutung zu.

Der Sozialversicherungspflicht des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom 20. Dezember 2012 bis zum 31. Oktober 2015 steht auch nicht die Regelung des § 7a Abs. 6 SGB IV entgegen. Die Versicherungspflicht tritt danach erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der Beklagten zur Feststellung des Bestehens eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ein, wenn der betreffende Statusfeststellungantrag gem. § 7a Abs. 1 SGB IV innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt worden ist, der Beschäftigte zustimmt und er nach Maßgabe des § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV privat abgesichert ist. Vorliegend wurde der Statusfeststellungsantrag vom 18. Januar 2013 nicht innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt. Zwar wurde von dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) am 20. Dezember 2012 ein Vertrag geschlossen, welcher Regelungen zur Tätigkeit des Klägers als Prokurist und Leiter des Außendienstes enthält. Allerdings wurde diese Tätigkeit von dem Kläger nach seinem eigenen Vorbringen im Schreiben an die Beklagte vom 8. August 2012 (Bl. 32 Verwaltungsakte) sowie dem Schreiben der Beigeladenen zu 1) an die Beklagte vom 23. Juli 2012 (Bl. 31 Verwaltungsakte) bereits seit dem 12. Juli 2012 ausgeübt. Durch den Vertrag vom 20. Dezember 2012 wurden folglich lediglich die vertraglichen Rahmenbedingungen der bereits seit 12. Juli 2012 ausgeübten Tätigkeit schriftlich fixiert. Zur Aufnahme einer (neuen) Tätigkeit im Sinne des § 7a Abs. 6 SGB IV ist es hierdurch nicht gekommen. Gleiches gilt für die Änderung des Gesellschaftsvertrages vom 20. Dezember 2012. Hierdurch wurden die Gesellschafterrechte des Klägers neu geregelt. Die Aufnahme einer Tätigkeit wird hierdurch nicht begründet. Die Anwendung des § 7a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB IV auf den Fall der vertraglichen Änderung von Rahmenbedingungen bei einer im Übrigen bereits zuvor ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung lässt sich zudem mit dem Sinn und Zweck dieser Regelung nicht in Einklang bringen. Diese verfolgt das Ziel, das finanzielle Risiko des Arbeitgebers als Beitragsschuldner zu reduzieren, welches daraus folgt, dass sich eine von den Beteiligten ursprünglich als selbstständig angesehene Tätigkeit nach Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens als versicherungspflichtige Beschäftigung erweist und damit zu erheblichen Beitragsnachforderungen führen kann. Mit der Einführung des § 7a SGB IV durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" vom 20. Dezember 1999 sollten die Vorschläge des Abschlussberichts der Kommission "Scheinselbständigkeit" (sog Dieterich-Kommission) umgesetzt werden. Danach sollte u.a. "angesichts der großen Unsicherheit bei der Feststellung des Status kleiner Auftragnehmer" das Risiko hoher Beitragsnachzahlungen dadurch abgemildert werden, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht erst mit der Statusentscheidung im Anfrageverfahren entsteht, sofern das Anfrageverfahren unverzüglich eingeleitet wurde (BSG, Urteil vom 24. März 2016 – B 12 R 12/14 R –, SozR 4-2400 § 7a Nr. 6, Rn. 21 m.w.N.; Körner in Kassler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 99. EL Mai 2018, SGB IV, § 7a Rn. 19). Vorliegend wurde über die Versicherungspflicht des Klägers bezüglich seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) bereits mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 entschieden und auf den Antrag des Klägers nach § 7a Abs. 6 SGB IV bezüglich der "zum 16. Juni 2012 begonnenen Tätigkeit" § 7a Abs. 6 SGB IV, der Beginn der Versicherungspflicht von der Beklagten mit Bescheid vom 5. Juni 2013 auf den 27. Oktober 2012 festgelegt. Die nochmalige Anwendung des § 7a Abs. 6 SGB IV anknüpfend an den darauffolgenden Statusfeststellungsantrag vom 18. Januar 2013 kommt damit aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgte der Entscheidung in der Hauptsache. Gründe für einen Kostenanspruch der Beigeladenen vermochte der Senat nicht zu erkennen, da diese sich weder zur Sache geäußert noch eigene Anträge gestellt haben.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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