L 6 U 103/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 39 U 234/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 103/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 9/19 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 SGB VII bei einer Fahrt ohne erkennbare Handlungstendenz
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04.05.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines tödlichen Unfallgeschehens als Arbeitsunfall.

Die Klägerin ist die Witwe des 1991 geborenen und am 25.06.2014 verstorbenen G ... (Verstorbener).

Der Verstorbene erlitt am 25.06.2014 gegen 18:20 Uhr auf einer Bundesstraße in der Nähe von A ... einen Verkehrsunfall. Er kam mit seinem PKW auf die linke Fahrbahnseite und stieß mit einem LKW zusammen. Nach Mitteilungen der Arbeitgeberin in H ... war er dort Produktionsmitarbeiter seit 2010. Am Unfalltag sei die Arbeitszeit des Verstorbenen von 13:30 Uhr bis 21:30 Uhr gewesen, tatsächlich habe er die Arbeit um 18:00 Uhr beendet. Dabei habe er die Maschine laufen lassen, keinen Kollegen informiert, sich nicht ausgestochen, aber seine Sachen mitgenommen. Ein Grund für das Verlassen des Arbeitsplatzes sei nicht nachvollziehbar. Zum Unfallzeitpunkt habe er sich auf direktem Heimweg befunden. Laut polizeilicher Ermittlungen habe kein Handyanruf während des in Frage kommenden Zeitraums bestanden.

Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Polizei bei. Der Unfall sei auf der B 98 ca. 1 km vor dem Abzweig I ... (dem Wohnort des Verstorbenen) erfolgt. Im Ergebnis der Ermittlungen wurde keine Beeinträchtigung durch Alkohol, Medikamente oder illegale Drogen festgestellt, es habe für die Zeit des Ablebens auch kein Anzeichen für eine Zuckerstoffwechselentgleisung bestanden. Nach einem unfallanalytischen Gutachten seien keine Mängel am Kfz des Verstorbenen feststellbar gewesen. Die im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angehörte Klägerin schloss Suizidabsichten aus, zum Unfallzeitpunkt hätte er eigentlich auf seiner Arbeitsstelle sein müssen. Eine Nachfrage der Polizei bei der Arbeitgeberin ergab, dass der Verstorbene aufgebracht gewesen sei, da er eine Pause habe vorverlegen müssen. Im Anschluss sei er an seinem Arbeitsplatz vermisst worden, eine Suche sei erfolglos geblieben. Gegen ca. 18:00 Uhr sei sein PKW nicht mehr am ursprünglichen Abstellort gewesen, telefonisch habe der Verstorbene nicht erreicht werden können, Anrufe seien unbeantwortet geblieben. Ein Zeuge des Verkehrsunfalls gab gegenüber der Polizei an, dass der Verstorbene ca. 10 bis 15 Meter vor einem LKW fast 90 Grad nach links gezogen sei, er (der Zeuge) habe keine Bremslichter gesehen und kein vorheriges Schleudern.

Mit Bescheid vom 27.01.2015 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Anerkennung des tödlichen Verkehrsunfalls des Verstorbenen als Arbeitsunfall ab. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der unfallbringenden Autofahrt sei nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.

Diesen Bescheid griff die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 30.01.2015 an. Gründe für den Unfall seien nicht ermittelbar, es habe sich wohl um menschliches Versagen gehandelt. Es handele sich um einen Unfall auf dem Weg nach Hause, dabei sei grundsätzlich ein innerer Zusammenhang anzunehmen. Das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes sei unerheblich, verbotswidriges Handeln schließe Versicherungsschutz nicht aus. Eine eigenwirtschaftliche Handlungstendenz sei nicht zu sichern.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Im Ergebnis der Ermittlungen sei nicht feststellbar, dass der Verstorbene seine Arbeitsstelle verlassen habe, um nach Hause zu fahren. Allein aus dem Umstand, dass sich der Unfall auf dem Weg ereignete, den der Verstorbene üblicherweise auch für die Fahrt von der Arbeit nach Hause nutzte, könne – insbesondere auch im Hinblick auf die besonderen Umstände des Verlassens des Arbeitsplatzes – nicht mit der erforderlichen Sicherheit darauf geschlossen werden, dass der Verstorbene sich auf dem Heimweg befand. Fehle es an dem geforderten sachlichen Zusammenhang zur eigentlichen versicherten Tätigkeit, sei das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte dieselbe Strecke benutzt, die er als Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt. Es habe nicht bewiesen werden können, dass der Verstorbene sich auf einem versicherten Weg befand.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.08.2015 Klage zum Sozialgericht Dresden (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie die Argumentation aus dem Vorverfahren wiederholt.

Das SG hat eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Dresden vom 07.09.2016 eingeholt. Danach sei nicht geprüft worden, ob der Verstorbene im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall sein Handy betätigt habe. Es sei lediglich eine Sichtkontrolle erfolgt, bei der nur eingehende Nachrichten zu erkennen gewesen seien.

In einem Erörterungstermin vor dem SG am 15.12.2016 hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, dass es im Betrieb des Verstorbenen regelmäßig Probleme mit der Vorarbeiterin gegeben habe, wohl auch am Unfalltag wegen einer Vorverlegung der Nachmittagspause. Daher habe der Verstorbene die damalige Arbeitsstelle verlassen wollen und sich bereits beworben, aber noch keine Nachrichten dazu erhalten. Finanzielle Probleme hat die Klägerin verneint, ebenso gesundheitliche und psychische Probleme. Probleme am Arbeitsplatz habe er eher hingenommen, sich aber mit ihr darüber unterhalten. Am 25.06.2014 sei es zum ersten Mal vorgekommen, dass er seine Arbeit vorzeitig, ohne jemandem Bescheid zu sagen, verlassen habe. Sie habe auch im Nachhinein dafür bei den Kollegen keine Erklärung finden können. An dem Tag des Unfalls habe der Verstorbene sie nicht, wie sonst üblich, textlich darüber informiert, dass er sich jetzt auf den Nachhauseweg begebe. Ergänzend hat die Klägerin SMS-Schriftverkehr des Unfalltags zur Akte gereicht. Wegen der Einzelheiten des Erörterungstermins sowie des Inhalts der SMS-Nachrichten wird auf Blatt 38 bis 43 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das SG hat ergänzend eine Auskunft der Arbeitgeberin des Verstorbenen eingeholt. Danach sind in der Personalabteilung keine Vorkommnisse oder Unstimmigkeiten bekannt gewesen. In der Personalakte seien keine Dokumentationen vorhanden, die auf Unstimmigkeiten oder ein Fehlverhalten des Verstorbenen hinweisen würden, Ermahnungen oder Abmahnungen existierten nicht.

Am 04.05.2017 hat das SG Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen Z ... und Y ... Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 63 bis 65 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 04.05.2017 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 25.06.2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: "Der angefochtene Bescheid vom 27.1.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, das Ereignis vom 25.6.2014 gegen 18:15 Uhr als versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall) nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, 2 Nr. 1 SGB VII anzuerkennen. Die dafür erforderlichen anspruchsbegründenden Tatsachen liegen zur vollen Überzeugung der Kammer vor. Durchgreifende Einwendungen dagegen fehlen.

1. Nach der Systematik des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind in den Vorschriften, welche die Voraussetzungen der verschiedenen sozialen Rechte auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung regeln (z.B. §§ 27 ff. SGB VII - Heilbehandlung - und §§ 45 ff. SGB VII – Verletztengeld -), nur die spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen einzelnen Arten von Leistungsrechten ausgestaltet. Demgegenüber sind die allgemeinen Rechtsvoraussetzungen, die für alle Leistungsrechte des SGB VII gleichermaßen gelten, nämlich die Regelungen über den Versicherungsfall und die ihm zuzurechnenden Unfallfolgen (§§ 7 bis 13 i. V. m. §§ 2 bis 6 SGB VII), vorab und einheitlich ausgestaltet. Ermächtigung und Anspruch betreffen daher auch die Entscheidung über jene Elemente des Anspruchs, die Grundlagen für jede aktuelle oder spätere Anspruchsentstehung gegen denselben Unfallversicherungsträger aufgrund eines bestimmten Versicherungsfalls sind. Zu den abstrakt feststellbaren Anspruchselementen gehören neben dem Versicherungsfall die (sog. unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die wesentlich (und deshalb zurechenbar) spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wegs nach und von dem Ort der Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederkehrenden Formulierung "infolge" – vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 1 Nr. 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII – das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa BSG, Urteil vom 9.5.2006 – Az.: B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und länger andauernden Unfallfolgen (BSG, a. a. O., Rn. 10; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung, nach der auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten wertenden Schritt als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (stRspr: BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13;, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O., RdNr 13 ff., juris). Typische Fallgestaltungen, in denen die Unfallkausalität näherer Erörterung bedarf, sind die Fälle einer möglichen inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr, in denen neben die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzutritt (BSG, Urteil vom 30.1.2007, B 2 U 23/05 R, Rn. 14. m. w. N., juris). Die Unfallkausalität zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis wird vermutet, weil oft kein Grund zu erkennen ist, warum sich der Unfall gerade jetzt und so zugetragen hat (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 15; Keller in: Hauck/Nofts, 5/15, § 8 SGB VII Rn. 347a, m. w. N., juris). Sie ist daher stets gegeben ist, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine in Betracht zu ziehende Konkurrenzursache in ihrer Grundvoraussetzung nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus (BSG, Urteil vom 24.2.1988, 2 RU 30/87; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 11). Fällen typischer Beweisnot darf im Rahmen der freien richterlichen Überzeugungsbildung angemessen Rechnung getragen werden. Einen allgemeinen Grundsatz, wonach in Fällen eines Beweisnotstandes Beweiserleichterungen zu gewähren seien, gibt es nicht (BSG, 2. 12. 2008, B 2 U 26/06 R, BSGE 102, S. 111 ff., 121, juris). Im Rahmen der Beweiswürdigung kann jedoch typischen Beweisschwierigkeiten Rechnung getragen werden (Keller, a. a. O., Rz 335a). Dies hat zur Folge, dass die entscheidende Stelle (Unfallversicherungsträger; Gericht) geringere Anforderungen an den Beweis der betreffenden Tatsache stellen darf, ohne dass das Beweismaß als solches (im Regelfall: an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, vgl. Rz 333; bei Kausalität: Wahrscheinlichkeit, vgl. Rz 334) reduziert ist (BSG, 27. 5. 1997, 2 RU 38/96, SozR 3-1500 § 128 Nr. 11; dazu Stoll, SGb 1998, S. 369 ff., 371). Bei einer solchen "Beweiserleichterung" handelt es sich nicht um ein eigenständiges Rechtsinstitut, sondern um eine Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Verwaltung bzw. das Gericht die Überzeugung von einem bestimmten Geschehensablauf trotz bestehender theoretischer Zweifel (vgl. Keller, a. a. O., Rz 333) gewinnen darf (vgl. BSG, 31. 1. 2012, B 2 U 2/11 R, NZS 2012, S. 513 ff., 515). Um eine typische Fallgestaltung, bei der im Rahmen der Beweiswürdigung typischen Beweisschwierigkeiten Rechnung getragen werden darf (vgl. BSG, 7. 9. 2004, B 2 U 25/03 R Rz 17; BSG, 15. 9. 2011, B 2 U 22/10 R, NZS 2012, S. 151 ff., 154), handelt es sich u. a. bei einem tödlichen Unfallereignis des allein arbeitenden Versicherten ohne Unfallzeugen (BSG, 29. 3. 1963, 2 RU 75/61, BSGE 19, S. 52 ff., 56). Verunglückt der Versicherte unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er kurz zuvor eine betriebliche Tätigkeit verrichtet hatte, ist Versicherungsschutz daher nur zu verneinen, wenn feststeht, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hatte (vgl. BSG, Urteile vom 26. 10. 2004, B 2 U 24/03 R, BSGE 93, S. 279 ff., 282; vom 4. 9. 2007, B 2 U 28/06 R,; vom 31. 1. 2012, B 2 U 2/11 R, NZS 2012, S. 513 ff., 514). Diese Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung rechtfertigt sich dadurch, dass eine Unterbrechung während der laufenden Arbeit als Ausnahme vom Regeltatbestand (vgl. Keller, a. a. O., Rz 331) angesehen werden kann. Voraussetzung ist aber, dass der Versicherte den räumlichen Bereich, wo er am Tag des Unfallereignisses seine Tätigkeit zu verrichten hatte, nicht verlassen und zudem zuvor ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt hatte. Ist unaufklärbar, ob der Versicherte im Zeitpunkt des Unfallereignisses in Selbsttötungsabsicht (vgl. Rz 14a, 328) gehandelt hat, trägt der Unfallversicherungsträger hierfür die objektive Beweislast (BSG, 4. 9. 2007, B 2 U 28/06 R, UV-Recht Aktuell 2008, S. 142 ff., 148; dazu Köhler, ZFSH/SGB 2009, S. 643 ff., 648; abw. BSG, 30. 4. 1985, 2 RU 24/84, BSGE 58, S. 76 ff.). Das Handeln in Selbsttötungsabsicht kann als Ausnahme vom Regeltatbestand (vgl. Rz. 331) aufgefasst werden, was die vom Üblichen abweichende Beweislastverteilung begründet.

2. Vorstehendes zugrunde gelegt, ist vorliegend nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 SGG) die erforderliche Unfallkausalität und damit das Vorliegen eines Wegeunfalles nach § 8 Abs. 1, 2 Nr. 1 SGB VII zu bejahen. Der verstorbene Versicherte befand sich am 25.6.2014 bei Eintritt des Unfalles gegen 18.15 Uhr auf der Bundesstraße B. in A ..., etwa 1 km vor dem Abzweig I ..., zur vollen Überzeugung der Kammer auf dem versicherten Nachhauseweg vom Arbeitgeber im Reifenwerk in H ... nach hause in A ..., Ortsteil I ... Nach der feststellbaren objektiven Handlungstendenz des Versicherten befand er sich auf dem kürzesten und üblichen und damit an sich versicherten Nachhauseweg i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Ausgangspunkt, Ziel, Streckenführung und das Verkehrsmittel waren soweit von außen erkennbar durch dem versicherten Bereich zuzurechnende Zwecke geprägt (vgl. BSG, 18. 6. 2013, B 2 U 7/12 R, m. w. N., juris). Dass sich im Nachhinein die innere Handlungstendenz des tödlich Verunglückten nicht mehr feststellen lässt, liegt in der Natur der Sache und steht der Überzeugungsbildung im Sinne eines vorliegenden Wegeunfalles nicht entgegen. Die Bescheide der Beklagten gehen mit der gegenteiligen Annahme in diesem Punkt in ihrer Begründung fehl. Insoweit besteht eine typische Beweisnot der Klägerin, die sich als an sich anspruchsberechtigte Hinterbliebene i. S. d. §§ 63 ff. SGB VII, hierauf beruft. Eine Typik liegt dabei vor, weil auf innere Tatsachen, also auf Gedanken, Absichten, Vorsätze einer Person stets nur indirekt (mittelbar) durch Indizien (Hilfstatsachen) in der realen Außenwelt geschlossen werden kann, sie sich aber unmittelbar selbst nicht feststellen lassen. Das gilt auch vorliegend, soweit es um die Frage geht, ob der Versicherte unmittelbar bei Eintritt des Geschehens gegen 18.15 Uhr den inneren Vorsatz hatte nach hause zu fahren oder nicht und dann ggfs. woanders hin oder sich stattdessen selbst zu töten. Die Feststellung dieser inneren Handlungstendenz kann als innere Tatsache nur durch äußere – reale – Umstände in der Außenwelt im Rahmen der Beweiserhebung und –würdigung geklärt werden. Allein, dass sich die innere Tatsache nicht mehr unmittelbar feststellen lässt, steht dem Erfolg der Klage dabei nicht schon entgegen, wie es die Beklagte einwendet und in ihren Bescheiden angenommen hat.

Zu prüfen war daher, ob die besonderen Umstände des Falles die erforderliche volle Überzeugung der Kammer begründen, dass die subjektive Handlungstendenz des Versicherten zum Unfallzeitpunkt auf die Fahrt nach hause gerichtet war. Das ist nach den zugrunde zu legenden Beweislastregeln nach freier richterlicher Überzeugung zu bejahen.

Dabei legen die besonderen Umstände des Falles im Ausgangspunkt durchaus keinen gewöhnlichen Wegeunfall nahe. Der Versicherte hat seine Arbeit im Reifenwerk in H ... unter ungewöhnlichen Umständen verlassen. Er hat nach dem Beweisergebnis inmitten der Nachmittagsschicht bei laufender Maschine und ohne sich auszustechen den Betrieb verlassen und Niemanden darüber informiert, weder seine Vorgesetzten, die Zeugen Z ... und Y ..., noch seine unmittelbaren Arbeitskollegen oder die Klägerin, seine damalige Ehefrau. Beide Zeugen haben in ihrer uneidlichen Vernehmung vom 4.5.2017 glaubhaft angegeben, völlig überraschend an jenem Tag darüber informiert worden zu sein, dass der Versicherte die Arbeit so unvermittelt verlassen hatte. Auch die tatsächlichen Umstände des unmittelbaren Unfallgeschehens sind im vorliegenden Fall ungewöhnlich und widerspiegeln keinen gewöhnlichen Verkehrsunfall. Nach dem überzeugenden und hier im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren verkehrsanalytischen Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) J ... ergab sich für die vorkollisionär plötzliche Linksbewegung des Pkw BMW des Getöteten auf die Gegenspur in Richtung des entgegen kommenden Lkws keine fahrdynamisch-technische Erklärung. Weder wurden technische Mängel am BMW festgestellt noch spielten Fliehkräfte des Fahrzeuges eine relevante Rolle. Der BMW geriet bei Tageslicht ungebremst mit der linken Fahrzeughälfte unter den Lkw, was unmittelbar tödliche Folgen für den Versicherten hatte. Aus technischer Sicht von Dipl.-Ing. J ... ist ungeklärt, aus welchen Gründen es zu der abrupten Linksbewegung des Pkw BMW kam. Auch die Straßen- und Witterungsverhältnisse lieferten dafür keinen Beleg. Aber auch unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Falles liegt unter Zugrunde legen der einschlägigen Beweisregeln zur vollen Überzeugung der Kammer hier ein versicherter Wegeunfall vor. Die Beklagte ist feststellungsbelastet für den - naheliegenden – Einwand, dass es sich am 25.6.2014 doch um einen Unfall mit Selbsttötungsabsicht gehandelt hat. Dass die Beklagte nach eigener Darstellung sich selbst darauf nicht beruft, kann hier dahinstehen. Auf ihre eigene Tatsachenwertung kommt letztlich nicht an, weil im sozialgerichtlichen Verfahren weder der Beibringungsgrundsatz (der Zivilprozessordnung [ZPO]) gilt noch eine unmittelbare Beweislast der Beteiligten besteht. Stattdessen ist der Sachverhalt von Amts wegen im Wege des Freibeweises ohne Begrenzung auf bestimmte Beweismittel (so nach der ZPO) aufzuklären. Die Kammer hat daher von sich aus beweisrechtlich zu würdigen, wie sich die besonderen Umstände des Falles im Rahmen der Beweiswürdigung auswirken. Dies Zugrunde gelegt kann sich die Kammer nicht davon positiv überzeugen, dass dem Unfall vom 25.6.2014 ein Freitod des Versicherten zugrunde lag. Zwar deutet einiges darauf hin, nachdem sich für das Geschehen vom 25.6.2014 keine andere plausible Erklärung findet, insbesondere ein technisches Versagen der Einrichtungen am Pkw nicht feststellbar und eine abrupte Lenkbewegung nach den konkreten Verkehrsverhältnissen nicht veranlasst waren. Andererseits bestehen im vorliegenden Fall berechtigte Anhaltspunkte, die eher gegen die Annahme eines Suizids sprechen. Der Versicherte hat noch am Nachmittag des 25.6.2014 nachhaltig SMS-Verkehr über seine Handy mit der Klägerin geführt und sich dabei liebevoll geäußert und ihr mitgeteilt, wie er sie liebt und wie gerne er jetzt bei ihr und seinem kleinen Kind K ..., geb. 2103, wäre. Die Eheschließung lag mit dem. erst gut ein halbes Jahr zurück. Die Klägerin hat persönlich angehört am 15.12.2016 glaubhaft bekundet, dass es nachhaltige Probleme in der Ehe und Familie nicht gegeben habe, weder persönliche, gesundheitliche noch finanzielle. Die Familie wohnte in einer abgeschlossenen Wohnung im elterlichen Anwesen. Die Klägerin hat zwar eingeräumt, dass der Verstorbene am Arbeitsplatz unzufrieden gewesen sei und sich mit dem Gedanken getragen habe, die Arbeitsstelle zu wechseln. Auch habe er wohl über längere Zeit von Problemen mit seiner unmittelbaren Vorgesetzten berichtet und sich auch schon nach außen beworben. Die Probleme seien aber letztlich nicht so schwerwiegend gewesen. Letzteres hat die Beweisaufnahme bestätigt. Die Personalleiterin des Reifenwerkes in H ... hat auf Anforderung des Vorsitzenden mit schriftlicher Zeugenaussage vom 22.2.2017 berichtet, dass es in der Personalakte des Gestorbenen keinerlei Hinweise in arbeitsrechtlicher Hinsicht gibt, weder Er- noch Abmahnungen noch Anhaltspunkte für Fehlverhalten oder Unstimmigkeiten. Letzteres wurde am 25.6.2017 durch die uneidlichen Zeugen Z ... und Y ... bestätigt, die den Versicherten ebenfalls als zwar stillen und wenig kommunikativen, aber pflichtbewussten und gewissenhaften Arbeitskollegen charakterisierten, zu dem sie nichts Negatives angeben konnten. Die Zeugen Berger zeigte sich davon glaubhaft überrascht, dass ihr ein eher schlechtes Verhältnis zu ihrem seinerzeit Untergebenen Versicherten nachgesagt wurde. Ihr war nach ihrer glaubhaften Angabe im Termin nicht bekannt, dass er unzufrieden war und den Betrieb verlassen wollte. Auch die polizeilich dazu gehörten unmittelbaren Verwandten konnten Hinweise auf eine denkbare Selbsttötungsabsicht nicht bestätigen, ebenso wenig auf bestehende Probleme im persönlichen oder gesundheitlichen Bereich. Auch wenn sich nach dem Ergebnis der Aufklärung keine plausible Erklärung für das Unfallgeschehen findet, kann sich die Kammer letztlich von keiner durchgeführten Selbsttötung überzeugen, weil dafür nach Obenstehendem eine hinreichende Gewissheit fehlt. Vielmehr ist nicht hin-reichend sicher auszuschließen, dass unvorhergesehene Umstände zur unvermittelten Lenkbewegung nach links und damit einhergehend zum Unfallgeschehen führten. Denkbar wäre etwa, dass der Getötete unmittelbar vor dem Unfall bewusst oder unbewusst einen unbedachten Eingriff in die Lenkeinrichtung vollzog, etwa weil er verkehrsfremd abgelenkt war. Als nicht allzu fern liegend ist hier an die Bedienung des mitgeführten Mobiltelefons zum Unfallzeitpunkt zu denken, auch dass es beim Hantieren herunterfiel. Auf ausdrückliche Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Dresden hat diese unter dem 7.9.2016 im Verfahren mitgeteilt, dass seinerzeit eine Auswertung des Mobiltelefons des Versicherten nicht durchgeführt worden ist. Es sei nicht geprüft worden, ob dieses unmittelbar bei Eingang des Unfallgeschehens betätigt worden sei. Eine weitere Aufklärung im Prozess dazu (§ 103 SGG) ist nicht möglich, weil die Klägerin das Mobiltelefon nach eigener Angabe im Termin vom 15.12.2016 inzwischen an Dritte weitergegeben hat. Im Ergebnis kann sich die Kammer daher von bestimmten Umständen, die Ursache der prompten Linkslenkung des Versicherten und damit des Unfallgeschehens vom 25.6.2014 waren, nicht voll überzeugen. Die Nichterweislichkeit in diesem Punkt geht zu Lasten der Beklagten, die für die Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes feststellungsbelastet ist. Die erforderliche Unfallkausalität ist damit im vorliegenden Fall zu bejahen, so dass für den 25.6.2014 ein Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vorliegt."

Gegen das der Beklagten am 24.05.2017 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 09.06.2017 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Das Abstellen auf die geographische Route des Heimwegs sei nicht zutreffend. Neben dem Unfall auf dem Weg von dem Ort der versicherten Tätigkeit nach Hause sei ein sachlicher Zusammenhang nötig. Vorliegend sei kein Regelfall annehmbar, wonach jemand nach der Arbeit den Heimweg antrete, da der Arbeitsplatz vorzeitig verlassen worden sei. Anknüpfungstatsachen für die Aufnahme des Heimwegs seien nicht vorhanden. Der Verstorbene habe sonst immer vor dem Antreten des Nachhauseweges eine Nachricht an die Klägerin gesandt, nicht jedoch am Unfalltag. Die Aufnahme des Heimwegs sei nicht bewiesen, einziges Indiz sei die Nutzung des sonst üblichen Weges. Vom SG sei eine Beweislastumkehr vorgenommen worden. Bei objektiver Beweislosigkeit gehe die Nichterweislichkeit der Tatsache aber zu Lasten der Klägerin, da nicht jeder Unfall auf dem Weg zwischen der Arbeitsstelle und dem Wohnort ein Arbeitsunfall sei. Maßgeblich sei, dass die Aufnahme des Heimweges nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04.05.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Unfall sei auf dem versicherten Heimweg erfolgt. Es lägen keine Aspekte vor, die ein Verlassen des Weges rechtfertigen könnten.

Dem Senat liegen die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- sowie fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das entgegenstehende Urteil des SG vom 04.05.2017 konnte keinen Bestand haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 35/03 R und B 2 U 45/03 R) ist das klägerische, auf Anerkennung eines Ereignisses als Arbeits-unfall gerichtete Begehren als Feststellungsklage i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichts-gesetz - SGG - auszulegen. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung besteht, weil es die Vorfrage für die Entscheidung der Beklagten über die zu gewährenden Leistungen darstellt. Eine Entscheidung hierüber war dem Senat verwehrt, weil die Beklagte über einzelne in Betracht kommende Leistungen noch keine Entscheidung getroffen hat (BSG, a.a.O.).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 25.06.2014 als Arbeitsunfall des Verstorbenen. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2014 – B 2 U 4/13 R –, juris). Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Notwendig für die Entstehung des Versicherungsschutzes ist ein sachlicher Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlich versicherten Tätigkeit. Da der Gesetzgeber die Grundentscheidung "Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit" in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII getroffen hat, ist von der Rechtsprechung nur zu klären, ob der Versicherte, als er verunglückte, einen solchen versicherten Weg zurückgelegt und infolge dessen einen Gesundheitsschaden erlitten hat. Maßgebliches Kriterium hierfür ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet war, die Haupttätigkeit aufzunehmen oder nach deren Beendigung in seinen Privatbereich zurückzukehren; denn nur dann hängt sein Handeln mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit zusammen. Fehlt es an diesem Zusammenhang, ist das Zurücklegen des Weges auch dann keine versicherte Tätigkeit, wenn der Versicherte dieselbe Strecke zurücklegt, die er als Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (vgl. BSG Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 26/06 R – juris, m.w.N.). Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 17.12.2015 (Az. B 2 U 8/14 R – juris Rdnrn. 13, 14) ergänzend ausgeführt: " Dass der Versicherte sich auf dem unmittelbaren Weg zwischen dem Ort seiner versicherten Tätigkeit und seiner Wohnung befindet, reicht jedoch für den Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht aus. Vielmehr muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses in einem sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört (BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Andernfalls wäre jede Handlung auf einem Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII vom Versicherungsschutz umfasst. Einen solchen "Wegebann" kennt die gesetzliche Unfallversicherung hingegen nicht. Wie das BSG seit seiner Entscheidung vom 9.12.2003 (B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3) in ständiger Rechtsprechung betont hat (vgl nur Urteile vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 und - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 22 f sowie vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32), ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, die Handlungstendenz des Versicherten (zuletzt Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 12 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 18). Das Handeln muss subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Eine Verrichtung in diesem Sinne ist jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Für die Prüfung ist dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (vgl Spellbrink, WzS 2011, 351, 354)."

Bezogen auf den Fall der Klägerin ist festzustellen, dass der Verstorbene nach dem Zurücklegen des Weges zum Ort der Tätigkeit zunächst seine versicherte Beschäftigung aufgenommen hatte. Dies ergibt sich für den Senat aus den übereinstimmenden Aussagen der Klägerin, den Angaben der Arbeitgeberin im Verwaltungs- und Klageverfahren sowie auch den Aussagen der vom SG vernommenen Zeugen. Unklar sind jedoch die Umstände des Verlassens des Arbeitsplatzes. Gründe im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis konnten weder seitens der Arbeitgeberin angegeben werden noch waren diese sonst aus dem Inhalt der Akten ersichtlich. Für den Senat waren auch keine Ansatzpunkte erkennbar, diesbezüglich weitere Ermittlungen durchzuführen. Einer Beurteilung zugänglich sind daher nur die Aspekte Beendigung der Beschäftigung entgegen sonstiger Gewohnheiten mitten in der Arbeitsschicht ohne ersichtlichen Grund, Verlassen des Arbeitsplatzes, Fahrt mit dem privaten PKW auf der Strecke, die dem Heimweg entspricht, fehlende Mitteilung des Fahrtantritts an die Klägerin (ebenfalls entgegen sonstiger Gewohnheiten).

Für den Senat war aus diesen Aspekten entgegen der vom SG vorgenommenen Würdigung nicht der Nachweis dafür abzuleiten, dass der Verstorbene überhaupt den versicherten Weg gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII aufgenommen hat. Das Zurücklegen des versicherten Weges als vorliegend einzig in Betracht kommende versicherte Verrichtung muss im sogenannten Vollbeweis festgestellt werden. Aus § 128 Abs. 1 SGG (vgl. auch die inhaltlich gleiche Vorschrift des § 286 ZPO) folgt insoweit, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein müssen, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Hierfür bedarf es zwar nicht einer absoluten Gewissheit, aber doch immerhin eines der Gewissheit nahekommenden Grades der Wahrscheinlichkeit. Der behauptete Umstand muss in so hohem Maße wahrscheinlich sein, dass bei lebenspraktischer Betrachtung Zweifel zurücktreten, ohne dass diese allerdings völlig ausgeschlossen sein müssen (vgl. für alles Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 7 SGB VII, Rn. 41 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Für die Annahme, dass sich der Verstorbene auf dem Heimweg befand, spricht zwar das Zurücklegen der Strecke, die dem Heimweg entspricht. Auch sind keine Umstände erkennbar, die auf ein unmittelbares anderes Ziel schließen lassen könnten. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Verstorbene sich im Unfallzeitpunkt auf dem Heimweg befand. Der Beweisgrad des Vollbeweises für diese Annahme wird jedoch nicht erreicht. Weder aus dem äußeren Verhalten des Verstorbenen noch aus sonstigen Umständen kann der Senat die subjektive Handlungstendenz des Verstorbenen ableiten. Dabei war für den Senat von Bedeutung, dass der Verstorbene zu völlig untypischer Zeit seine Beschäftigung vorzeitig beendet hat und er auch der Klägerin entgegen der sonstigen Gewohnheiten keine Nachricht geschickt hat. Daher ist die subjektive Handlungstendenz vorliegend praktisch nicht eruierbar, wobei gerade aufgrund der untypischen Verhaltensweisen am Unfalltag allein aus dem objektiven Zurücklegen des Weges kein Rückschluss darauf möglich ist, dass ohne vernünftige Zweifel allein die Fahrt vom Ort der Tätigkeit nach Hause in Betracht kommt. Nur wenn es völlig abwegig wäre, dass der Verstorbene nicht nach Hause fahren wollte, ist nach Auffassung des Senats eine Handlungstendenz bezogen auf die Heimfahrt als gesichert anzunehmen. Diese Überzeugung konnte der Senat angesichts der dargelegten Umstände nicht gewinnen. Auch der Unfallort ca. 1 km vor dem Abzweig von der Bundesstraße zum Wohnort lässt nicht den zwingenden Schluss auf die Aufnahme eines versicherten Weges zu.

Entgegen den Bewertungen des SG ist die subjektive Handlungstendenz auch nicht im Rahmen einer Beweiserleichterung aufgrund einer typischen Beweisnot zu bewerten. Wie das SG unter Heranziehung der Rechtsprechung des BSG zutreffend ausgeführt hat, darf in Fällen typischer Beweisnot im Rahmen der freien richterlichen Überzeugungsbildung den Umständen angemessen Rechnung getragen werden. Dies setzt aber immer einen ansonsten regelhaften Ablauf der Geschehnisse voraus. Für den Senat ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, dass das Zurücklegen des Weges im Anschluss an die versicherte Beschäftigung nach Hause grundsätzlich als Zurücklegen des versicherten Weges gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII anzusehen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob im Vorfeld Kurznachrichten oder sonstige Informationen versandt werden oder nicht. So ist bei einem Unfall auf dem üblicherweise genutzten Weg nach Ende der regulären Arbeitszeit kein vernünftiger Zweifel an der subjektiven Handlungstendenz angebracht, obwohl außer dem Zurücklegen des Weges keinerlei sonstige Umstände erkennbar sind. Im vorliegenden Fall ist jedoch gerade kein typischer Ablauf gegeben. Die Arbeitsstelle wurde vorzeitig verlassen, die Maschine nicht abgestellt, der Verstorbene meldete sich nicht bei der Arbeitszeiterfassung ab und es fehlte jedwede Information in Bezug auf die Hintergründe an Kollegen oder die Klägerin. Daraus erwachsen die Unklarheiten in Bezug auf die subjektive Handlungstendenz. Den somit geweckten Zweifeln an einer den Versicherungsschutz rechtfertigenden Handlungstendenz ist aber wegen des fehlenden typischen Verlaufs nicht mit einer Beweiserleichterung zu begegnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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