L 11 KR 316/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1629/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 316/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch nach § 59 Abs. 1 SGB X auf Anpassung eines Vergleichs, den der Arbeitgeber mit dem Rentenversicherungsträger über die Höhe der sich aus einer Betriebsprüfung ergebenden Forderung geschlossen hat, setzt eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen voraus. Eine solche Änderung ist nur zu bejahen bei Eintritt von Umständen, mit denen der Arbeitgeber nicht rechnen musste und denen die Vertragspartner Rechnung getragen hätten, wenn sie die Entwicklung vorausgesehen hätten.
Für eine Vertragsapassung genügt es nicht, dass die Begünstigung aus dem Vergleich geringer ausgefallen ist, als sich dies der Arbeitgeber erhofft hatte.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.12.2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 158.102,95 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung beanstandeter Gesamtsozialversicherungsbeiträge.

Der Kläger ist Inhaber eines als Einzelfirma geführten Betriebs im Bereich der Gebäudereinigung.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) führte beim Kläger für den Zeitraum Dezember 2003 bis Juni 2008 eine Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 20.12.2011 forderte sie für die Knappschaft Sozialversicherungsbeiträge iHv 274.730,44 EUR und Säumniszuschläge iHv 162.547,00 EUR sowie für die Minijobzentrale Sozialversicherungsbeiträge iHv 10.109,03 EUR und Säumniszuschläge iHv 6.759,50 EUR nach, insgesamt belief sich die Gesamtforderung zugunsten der Beklagten als Einzugsstelle somit auf 454.145,97 EUR. Gegen den Beitragsbescheid erhob der Kläger Widerspruch. Mit Schreiben vom 24.04.2012 begründete er diesen ua damit, dass ausnahmslos die Steuerklasse VI bei der Nettolohnhochrechnung verwendet worden sei, was nicht zutreffe. Zudem seien Zahlungen, die für Mitarbeiter geleistet worden seien, die als geringfügig Beschäftigte gemeldet, tatsächlich aber versicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien, noch nicht berücksichtigt. Diese beliefen sich nach der Zusammenstellung (Schadensberechnung im Rahmen des gegen den Kläger geführten Strafverfahrens) auf immerhin 86.299,99 EUR und seien von der Beitragsschuld gegenüber der Minijobzentrale in Abzug zu bringen. Zudem seien für "Splittingpartner" (Personen, die als geringfügig Beschäftigte gemeldet gewesen seien, tatsächlich aber nicht gearbeitet hätten) Beiträge abgeführt worden; dies beziehe sich auf insgesamt 55.978,09 EUR in den Jahren 2005 bis 2008, 2004 sei noch nicht beziffert.

Gegenüber der Beklagten bat der Kläger um Stundung der Beiträge und Absehen von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, er legte auch die Widerspruchsbegründung gegenüber der DRV Bund vor. Mit Schreiben vom 07.05.2012 teilte die DRV Bund der Beklagten mit, dass eine zumindest teilweise Rücknahme des Beitragsbescheids nicht auszuschließen sei und der Vollzug der Beitragsforderung daher iHv 25.000 EUR ausgesetzt werde. Bei diesem Betrag handelte es sich nach Rückfrage eines Sachbearbeiters der Beklagten um einen geschätzten Betrag. Die Beklagte schrieb dem Kläger unter dem 22.05.2012, dass eine Stundung nicht bewilligt werden könne, da die Forderung bereits zum Einzug an das zuständige Hauptzollamt abgegeben sei. Die Beteiligten verhandelten in der Folge über Ratenzahlungen. In einem Telefonat am 05.09.2012 schlug der damalige Bevollmächtigte des Klägers vor, kurzfristig 30.000 EUR zu überweisen, einen zweiten fünfstelligen Betrag noch 2012 zu überweisen und monatliche Raten iHv 4.000 EUR zu zahlen. Der Kläger zahlte 30.000 EUR am 10.09.2012. Am 18.09.2012 wurde in einem weiteren Telefonat eine weitere Abschlagszahlung iHv 30.000 EUR bis 15.10.2012 vereinbart; das Vollstreckungsverfahren sollte bis dahin ruhen. Am 28.09.2012 unterbreitete die Beklagte einen Vergleichsvorschlag dahingehend, dass auf den Gesamtrückstand aus der Betriebsprüfung iHv rechnerisch etwa 371.000 EUR (unter Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Reduzierung) 220.000 EUR zu zahlen seien, die weitere Abschlagszahlung von 30.000 EUR bis 15.10.2012 hierauf angerechnet werde, bis 15.11.2012 weitere 100.000 EUR aus Wohnungserlös zu leisten seien und die restlichen 90.000 EUR bis 31.12.2012 fällig würden. Der Kläger verwies darauf, dass auch die am 28.09.2012 überwiesenen 6.000 EUR anzurechnen seien, so dass noch 214.000 EUR offen seien; hinsichtlich der letzten Rate bat er um Zahlungsaufschub.

Die Beteiligten einigten sich schließlich auf folgenden Vergleich vom 16.10.2012: "Auf den Gesamtrückstand aus der Betriebsprüfung (unter Berücksichtigung der von der RV in Aussicht gestellten Reduzierung der Rückstandssumme ergäben sich rechnerisch etwa 371.000 Euro) sind insgesamt 220.000 Euro zu zahlen. Vereinbarungsgemäß wurde die Kopie des Kaufvertrages fristgerecht zum 15.10.2012 übermittelt. Die mit Valutadatum 01.10.2012 in Höhe von 6.000 Euro und Valutadatum 12.10.2012 in Höhe von 30.000 Euro eingegangenen Zahlungen werden auf den Vergleichsbetrag angerechnet. Bis zum 15.11.2012 sind weitere 100.000 Euro aus dem Wohnungserlös zu leisten. Bis zum 31.12.2012 sind die verbleibenden 84.000 Euro fällig. Dieser Vergleich ist hinfällig, wenn die genannten weiteren Zahlungen nicht fristgerecht eingehen. Der Vergleich gilt unabhängig vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens (soweit die KBS betroffen ist) bei der Deutschen Rentenversicherung Bund". Der Kläger leistete die vereinbarten Zahlungen. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 05.02.2013, dass keine weiteren Zahlungsrückstände bestünden und die Angelegenheit damit erledigt sei.

Mit Änderungsbescheid vom 23.06.2014 setzte die DRV Bund die für die Knappschaft zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 270.521,55 EUR zzgl Säumniszuschläge iHv 160.086,50 EUR sowie für die Minijobzentrale iHv 11.015,94 EUR zzgl Säumniszuschläge iHv 6.824,00 EUR fest, insgesamt belief sich die Gesamtforderung zugunsten der Beklagten als Einzugsstelle somit auf noch 448.447,99 EUR. Zugleich wurden bereits entrichtete Beiträge beanstandet für die Knappschaft iHv 5.519,25 EUR und für die Minijobzentrale iHv 86.908,98 EUR. Es wurde darauf hingewiesen, dass beanstandete Beiträge nicht die Zahllast minderten; die Erstattungsfähigkeit müsse durch die Krankenkasse geprüft werden. Im Übrigen wies die DRV Bund den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014). Dagegen erhob der Kläger am 03.09.2014 Klage vor dem SG (S 10 R 2239/14).

Mit Schreiben vom 06.10.2014 forderte der Kläger von der Knappschaft eine Erstattung iHv 42.245,40 EUR und von der Minijobzentrale iHv 85.857,55 EUR wegen beanstandeter Beiträge und Umlagen und legte hierzu eine entsprechende Berechnung der DRV Bund vor. Mit Bescheid vom 05.11.2014 lehnte die Beklagte die Erstattungen ab. Aufgrund des Vergleichs vom 16.10.2012, der ausdrücklich unabhängig vom Ausgang des zwischen der Klägerin und der DRV Bund anhängigen Widerspruchsverfahrens geschlossen worden sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen. Die Klägerin habe aufgrund des wirksamen und noch immer gültigen Vergleiches gezahlt.

Den Widerspruch des Klägers, der nicht weiter begründet wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2015 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 08.07.2015 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Der geschlossene Vergleich stehe der Erstattung von 128.102,95 EUR nicht entgegen. Die Parteien hätten den Vergleich vor dem Hintergrund geschlossen, dass der ursprünglich von der DRV Bund errechnete Betrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht haltbar sein dürfte. Damals hätten die Parteien nicht im Blick gehabt, dass parallel hierzu auch Erstattungsansprüche wegen beanstandeter Beiträge in Betracht kämen. Im Ausgangsbescheid der DRV Bund seien die entsprechenden Buchungen gar nicht vorhanden. Auch aus der Formulierung "unter Berücksichtigung der von der RV in Aussicht gestellten Reduzierung der Rückstandssumme" sei ersichtlich, dass die Beklagte nur auf eine Reduzierung der rückständigen Beiträge abgestellt habe. Im Ergebnis sei der Vergleich zwar vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens unabhängig, dies beziehe sich jedoch nur auf die Frage ob und welche Beiträge der Kläger noch nachzuentrichten habe. Nicht umfasst seien Ansprüche auf Erstattung beanstandeter Beiträge. Zudem mache der Kläger weitere 30.000 EUR geltend, die er im Hinblick auf den geschlossenen Vergleich überzahlt habe. Die im September 2012 geleistete Zahlung müsse ebenfalls auf die Vergleichssumme angerechnet werden, sie sei im Hinblick auf die bereits damals laufenden Verhandlungen geleistet worden.

Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben, dass der geschlossene Vergleich weitere Erstattungsforderungen ausschließe. Die am 10.09.2012 geleistete Zahlung von 30.000 EUR sei vor Abschluss des Vergleichs erfolgt. Zwar seien auch die Zahlungen vom 28.09.2012 und 11.10.2012 vor Abschluss erfolgt, diese Zahlungen seien jedoch in den Vergleich aufgenommen worden. Die Vergleichssumme könne daher nicht um 30.000 EUR reduziert werden.

Am 11.12.2018 haben der Kläger und die DRV Bund vor dem SG im Verfahren S 10 R 2239/14 einen Vergleich geschlossen. Danach belaufen sich die für die Knappschaft zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge auf 240.466,41 EUR zzgl Säumniszuschläge iHv 138.814,50 EUR sowie für die Minijobzentrale auf 7.977,42 EUR zzgl Säumniszuschläge iHv 5.068,00 EUR (Gesamtforderung zugunsten der Beklagten als Einzugsstelle iHv 392.326,33 EUR). Dem stehen gegenüber beanstandete Beiträge und Umlagen betreffend die Knappschaft iHv 23.122,41 EUR und betreffend die Minijobzentrale iHv 111.409,41 EUR (gesamt 134.531,82 EUR), per Saldo verbleibt rechnerisch eine Forderung der Beklagten iHv 257.794,51 EUR.

Mit Urteil vom 11.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Summe von 128.102,95 EUR sei nicht nach § 26 Abs 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu erstatten. Grund sei, dass die Beteiligten sich am 16.10.2012 auf einen Vergleich geeinigt hätten, mit welchem die noch offenen Nachforderungen der Beklagten umfassend abgegolten worden seien. Dieser Vergleich sei grundsätzlich wirksam. Die Beteiligten seien davon ausgegangen, dass sich der ursprünglich von der DRV Bund geforderte Betrag von 454.145,97 EUR reduzieren werde, wobei der genaue Betrag unbekannt gewesen sei. Auf die angenommene Nachzahlungssumme von 371.000 EUR habe der Kläger noch 220.000 EUR zahlen sollen. Dies sei auch so erfolgt. Ausgehend von dem Vergleich zwischen dem Kläger und der DRV Bund im Verfahren S 10 R 2239/14 betrage die eigentliche Nachzahlungssumme 257.794,51 EUR. Dies bedeute, dass der Kläger durch den Abschluss des Vergleichs besser stehe. Für das SG sei nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage der Kläger über die Ersparnis von 37.794,51 EUR hinaus noch eine Erstattung von Beiträgen iHv 128.102,95 EUR geltend machen wolle. Ein Anspruch aus § 26 Abs 2 SGB IV komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Nachzahlungspflicht des Klägers den Erstattungsbetrag übersteige, so dass eine Aufrechnung möglich sei, was von der DRV Bund auch bereits vorgenommen worden sei. Das SG folge nicht der Auffassung, dass die im Nachgang festgestellten Beanstandungen nicht vom Vergleich von Oktober 2012 umfasst seien. Zum einen habe der Kläger bereits mit Schreiben vom 24.04.2012 geltend gemacht, dass den Nachforderungen der Beklagten Beanstandungen iHv mindestens 86.299,99 EUR gegenüber stünden. Die Beklagte habe daher Kenntnis von den ausstehenden Beanstandungen gehabt. Die Beteiligten seien keinesfalls bei Vergleichsabschluss davon ausgegangen, dass sich ausschließlich die Nachforderungen reduzieren würden, Beanstandungen aber nicht thematisiert worden seien. Hinzu komme, dass sich die Beteiligten ausdrücklich darauf verständigt hätten, dass der Vergleich unabhängig vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens gegenüber der DRV Bund gelten solle. Hieran müsse sich der Kläger halten. Die weitergehende Reduzierung der Beitragsnachforderung habe nicht zur Folge, dass sich die Vergleichssumme von 220.000 EUR weiter reduziere.

Es bestehe auch kein Anspruch auf Zahlung von 30.000 EUR aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB). Zum Zeitpunkt der Leistung im September 2012 habe eine Forderung der Beklagten bestanden, diese sei auch durch nachträgliche Reduzierung nicht gänzlich entfallen, so dass die Zahlung nicht ohne Rechtsgrund erfolgt sei. Dieser Rechtsgrund sei auch durch den geschlossenen Vergleich nicht nachträglich entfallen. Zum damaligen Zeitpunkt habe sich die Forderung der Beklagten noch auf 454.145,97 belaufen. Den ersten Vergleichsvorschlag der Beklagten habe der damalige Bevollmächtigte des Klägers noch dahin abgewandelt, dass auch die Zahlung von 6.000 EUR vom 28.09.2012 auf die Vergleichssumme anzurechnen sei, was auch so erfolgt sei. Das SG gehe daher davon aus, das in der Vergleichssumme von 220.000 EUR die bereits gezahlten 30.000 EUR bereits berücksichtigt seien. Auch das Verhalten des Klägers lasse darauf schließen, denn sonst sei nicht zu erklären, dass er auf Aufnahme der gezahlten 6.000 EUR in den Vergleich bestanden habe, nicht aber der bereits zuvor gezahlten 30.000 EUR. Mehrere Jahre nach Vergleichsschluss könne der Kläger nun nicht geltend machen, dass eigentlich eine höhere Reduzierung der Gesamtsumme habe erreicht werden sollen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 08.01.2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.01.2019 eingelegte Berufung des Klägers. Grundlage des Vergleichs sei gewesen, dass die Beklagte von einer Beitragsforderung iHv 371.000 EUR ausgegangen sei. Davon unabhängig habe die DRV Bund im weiteren Verlauf an die Beklagte gezahlte Beiträge zur Sozialversicherung beanstandet iHv 128.102,95 EUR. Diese Beanstandung sei zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses weder bekannt noch absehbar gewesen und könne daher ersichtlich nicht Bestandteil des Vergleichs geworden sein. Das SG übersehe, dass die Vergleichssumme iHv 220.000 EUR bezogen gewesen sei auf eine Forderung iHv 371.000 EUR und nicht iHv 257.794,51 EUR, wie sich erst nach dem umfangreichen Widerspruchs- und Klageverfahren herausgestellt habe. Auch der Verweis des SG auf das Schreiben vom 24.04.2012 führe zu keinem anderen Ergebnis. Dort habe der frühere Bevollmächtigte des Klägers lediglich darauf hingewiesen, dass ein Betrag iHv 86.299,99 EUR bislang keine Berücksichtigung bei der Berechnung gefunden habe. Dies sei gewissermaßen Geschäftsgrundlage des Vergleichs gewesen und stehe in keinem Widerspruch dazu, dass (weitere) Erstattungsbeträge zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht vorhersehbar gewesen seien. In der Vergleichssumme von 220.000 EUR seien zudem die im September 2012 bereits gezahlten 30.000 EUR nicht enthalten. Das SG begründe nicht im Ansatz, warum die Vergleichssumme ohne diese Zahlung 250.000 EUR betragen hätte, dies sei pure Spekulation.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.12.2018 und den Bescheid der Beklagten vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 128.102,95 EUR nebst Zinsen iHv vier Prozentpunkten seit 01.12.2014 und 30.000 EUR nebst Zinsen hieraus iHv vier Prozentpunkten seit 01.02.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihr Vorbringen in erster Instanz.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 151 Abs 1, 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf Erstattung der beanstandeten Beiträge noch auf Rückzahlung von 30.000 EUR. Entsprechend bestehen auch keine Zinsansprüche.

Dem Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 26 Abs 2 SGB IV steht der zwischen den Beteiligten geschlossene Vergleich vom 16.10.2012 entgegen. In diesem Vergleich haben die Beteiligten eine Gesamtlösung für die aus der Betriebsprüfung resultierende Nachforderung vereinbart, wonach durch Zahlung von 220.000 EUR die Angelegenheit insgesamt erledigt sein sollte. Entgegen der Auffassung des (jetzigen) Bevollmächtigten des Klägers bezieht sich der Vergleich nicht nur auf die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auf einen Gesamtsaldo unter Berücksichtigung der im Raum stehenden Beanstandungen von Beiträgen. Diese waren bereits zum Zeitpunkt der Vergleichsverhandlungen bekannt; in ihrer Höhe waren sie schon nach der damals bekannten Höhe deutlich erheblicher, als etwaige noch im Raum stehende Minderungen der nachzufordernden Sozialversicherungsbeiträge. So hat auch der damalige Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen mit den sich aus den Beanstandungen ergebenden Beträgen argumentiert und hier bereits in seiner, der Beklagten vorliegenden Widerspruchsbegründung an die DRV Bund vom 24.04.2012, die Beanstandungen mit 86.299,99 EUR beziffert. Insgesamt vertrat der damalige Bevollmächtigte des Klägers die Auffassung, dass sich die Gesamtforderung auf 200.000 EUR (Saldo) reduzieren lasse, wie sich aus dem Telefonvermerk Blatt 62 der Verwaltungsakte (Telefonat zwischen damaligem Klägervertreter und Sachbearbeiter der Beklagten) entnehmen lässt. Die Beklagte ging dagegen von einer Reduzierung auf lediglich 371.000 EUR aus, wie sich dem Vergleich entnehmen lässt. Dabei liegt dieser Berechnung eine Reduzierung des von der Beklagten damals errechneten Saldos von 441.400,98 EUR um beanstandete Beiträge Minijobzentrale iHv 63.029,74 EUR zzgl darauf entfallender Säumniszuschläge iHv 6.759,50 EUR, also um rund 70.000 EUR zugrunde (vgl Blatt 63 Verwaltungsakte). Die im Raum stehenden Ermäßigungen der Beitragsnachforderungen und die Beanstandungen waren somit insgesamt Gegenstand des Gesamtvergleichs. Wesentlicher Punkt der Vereinbarung war die Regelung, dass unter Verzicht auf die der Höhe nach nicht vollumfänglich bekannte Restforderung mit einer Zahlung des Klägers iHv 220.000 EUR sämtliche Ansprüche aus der Betriebsprüfung abgegolten sein sollten. Dies umfasst auch die sich zugunsten des Klägers ergebenden Erstattungsansprüche aus beanstandeten Beiträgen, denn diese waren nach den Vorstellungen beider Vertragspartner Gegenstand der Berechnung der Vergleichssumme.

Der geschlossene Vergleich ist als Vergleichsvertrag wirksam nach §§ 53 Abs 1, 54 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nichtigkeitsgründe iSv § 58 SGB X liegen nicht vor. Der Kläger kann sich auch nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen und hierüber eine Vertragsanpassung verlangen. Nach § 59 Abs 1 SGB X gilt: Haben die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist, so kann diese Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen. Diese Regelung gilt nicht nur für Dauerschuldverhältnisse, sondern auch für Verträge mit einmaligen Leistungspflichten wie hier (vgl Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 09.09.1990, 8 C 36.89, BVerwGE 87,77). Die Anwendbarkeit des § 59 SGB X ist auch nicht auf Verträge beschränkt, deren vertraglich begründete Leistungspflichten noch nicht durch Erfüllung erloschen sind (dazu vgl BVerwG 18.07.2012, 8 C 4/11, BVerwGE 143, 335, Rn 48).

Eine Änderung der Verhältnisse ist vorliegend insoweit eingetreten, als die (saldierte) Restforderung der Beklagten nicht – wie angenommen – 371.000 EUR betrug, sondern nach dem Abschluss des Klageverfahrens gegen die DRV Bund lediglich noch 257.794,51 EUR. Berücksichtigt man die vertraglich zugrundeliegenden Werte, sollte von der Forderung der Beklagten ein Anteil von 59,3% gezahlt werden zur Beilegung des Streits (220.000 EUR von 371.000 EUR). Übertrüge man diese Erfüllungsquote auf die tatsächliche Forderung von 257.794,51 EUR, wären eigentlich nur 152.872,14 EUR (=59,3%) zu zahlen gewesen. Die "Überzahlung" des Klägers beliefe sich dann auf 67.127,86 EUR. Eine derartige Anpassung des Vertrags setzt aber voraus, dass zum einen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorliegt und zum anderen das Festhalten an der vertraglichen Regelung unzumutbar erscheint. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Nur eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen vermag ein berechtigtes Anpassungsverlangen zu begründen. Eine solche ist zu bejahen bei Eintritt von Umständen, mit denen der Vertragspartner nicht rechnen musste und die objektiv mit einer nicht nur unerheblichen Verschlechterung einhergehen, so dass die Parteien bei deren Kenntnis von einem Vertragsabschluss abgesehen hätten. Zwar ist die Abweichung der tatsächlichen von der angenommenen Forderung erheblich, eine deutliche Verschlechterung für den Kläger liegt daher vor (um 113.205,49 EUR geringere Forderungshöhe). Allerdings rechnete der Kläger nach den ihm zuzurechnenden Aussagen seines früheren Bevollmächtigten durchaus mit einer niedrigeren Gesamtforderung, er war sogar von lediglich 200.000 EUR ausgegangen. Von einer unvorhersehbaren Entwicklung kann daher nicht gesprochen werden.

Jedenfalls ist dem Kläger das Festhalten am Vertrag nicht unzumutbar. Für eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 59 SGB X genügt nicht, dass sich für eine Vertragspartei das normale Vertragsrisiko realisiert. Es reicht ferner nicht aus, dass eine Vertragspartei nach ihrer gegenwärtigen Interessenlage in den Vertragsschluss vernünftigerweise jetzt nicht mehr einwilligen würde. Vielmehr muss nach dem Regelungszusammenhang sowie nach dem Zweck der Vorschrift die Änderung der für den Vertragsinhalt maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zu schwerwiegenden, bei Vertragsschluss nicht absehbaren Nachteilen für die Vertragspartei geführt haben, denen die Vertragspartner billigerweise Rechnung getragen hätten, wenn sie die Entwicklung vorhergesehen hätten. Die Folgen der nachträglichen Änderung müssen also den Risikorahmen überschreiten, den ein Vertragspartner nach Treu und Glauben hinzunehmen hat (vgl BVerwG 25.11.1966, 7 C 35.65, BVerwGE 25, 299; BVerwG 24.09.1997, 11 C 10.96, NVwZ 1998, 1075). Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden der Vertragspartei abzustellen, sondern ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen (VGH Baden-Württemberg 29.06.2015, 9 S 280/14). Anderenfalls hätte es eine Vertragspartei entgegen dem - für die Gewährleistung von Rechtssicherheit unverzichtbaren - Grundsatz "pacta sunt servanda" in der Hand, über die Eigendefinition der Unzumutbarkeit die Notwendigkeit einer Vertragsanpassung weitgehend selbst zu bestimmen. Die rechtliche Würdigung, ob sich aus der wesentlichen Änderung der gemeinsam vorausgesetzten Grundlagen des Vertrages unzumutbare Folgewirkungen für eine Vertragspartei ergeben, ist auf der Grundlage aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BVerwG 18.07.2012, 8 C 4/11, BVerwGE 143, 335, Rn 64 f).

Ausgehend von der Interessenlage im Jahr 2012 haben die Beteiligten in einer Situation der Unklarheit über die tatsächliche Forderungshöhe bewusst eine Einigung geschlossen auf Zahlung eines mehr oder weniger willkürlich gewählten Betrags von 220.000 EUR zur Abgeltung sämtlicher Forderungen aus der Betriebsprüfung. Dem Kläger ging es dabei um die Begrenzung des Betrags auch im Hinblick auf ein bestehendes Insolvenzrisiko. Der Beklagten ging es um die möglichst rasche tatsächliche Realisierung der Forderung, dafür war sie auch zu einem teilweisen Verzicht bereit. Diese Ausgleichsfunktion ist auch nach Kenntnis der tatsächlichen Forderungshöhe nicht so stark gestört, dass es dem benachteiligten Vertragspartner – hier dem Kläger – nach Treu und Glauben unmöglich wird, in der bisherigen vertraglichen Regelung seine Interessen auch nur annährend noch gewahrt zu sehen (dazu Bundesgerichtshof (BGH) 01.10.1975, VIII ZR 108/74, NJW 1976, 142; BGH 11.03.1993, I ZR 27/91, NJW-RR 1993, 880). Denn auch im Hinblick auf die tatsächliche Forderungshöhe führt der geschlossene Vergleich noch zu einer Begünstigung des Klägers in Höhe von 37.794,51 EUR. Hinzu kommt, dass die Beteiligten für den Fall der Änderung der Berechnungsgrundlagen ausdrücklich eine vertragliche Risikoverteilung getroffen haben mit der Regelung, dass der Ausgang des Widerspruchsverfahren bei der DRV Bund keinen Einfluss auf den geschlossenen Vergleich haben soll. Diese Regelung wurde gerade im Bewusstsein geschlossen, dass die tatsächlichen Beträge zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt waren. Nach den Gesamtumständen kann der Kläger daher eine Vertragsanpassung nicht verlangen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rückzahlung der im September 2012 an die Beklagte gezahlten 30.000 EUR. Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Zahlungsanspruchs ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl nur BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG mwN zur älteren Rspr und Literatur) ist aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung herzuleiten (BSG 28.10.2008, B 8 SO 23/07 R, BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2). Er setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSG 10.08.1991, 6 RKa 9/89, BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; BSG 22.07.2004, B 3 KR 21/03 R, BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs (vgl BSG 28.10.2008, B 8 SO 23/07 R, aaO). Es scheidet aber ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen aus, soweit der vom öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl BSG 16.07.1974, 1 RA 183/73, BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr 1 S 1 f). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften, denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl BSG 06.10.1977, 7 RAr 55/76, BSGE 45, 38, 46 f = SozR 4100 § 40 Nr 17 S 54 - zur Nichtanwendbarkeit des § 818 Abs 3 BGB).

Vorliegend hat der Kläger im Rahmen des zur Beklagten als Einzugsstelle bestehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses auf eine Beitragsschuld die streitigen 30.000 EUR im September 2012 gezahlt. Diese Zahlung erfolgte nicht ohne Rechtsgrund. Zum Zeitpunkt der Zahlung bestand eine Forderung der Beklagten (Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge) iHv noch 454.145,97 EUR gemäß dem Bescheid der DRV Bund vom 20.12.2011, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat. Der Rechtsgrund für die Zahlung ist auch nicht durch den Vergleich vom 16.10.2012 entfallen. Zwar befanden sich die Beteiligten auch im September 2012 bereits in Vertragsverhandlungen. In einem Telefonat am 05.09.2012 wurde für den Kläger eine kurzfristige Zahlung iHv 30.000 EUR angekündigt, ein weiterer fünfstelliger Betrag für 2012 avisiert bei monatlicher Ratenzahlung iHv 4.000 EUR. Die Ratenhöhe erschien der Beklagten indes zu niedrig (Aktenvermerk Blatt 62 Verwaltungsakte). Ein teilweiser Verzicht der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt nach Lage der Akten noch nicht im Gespräch, diesen Punkt brachte die Beklagte erstmals in ihrem Vorschlag vom 28.09.2012. In diesem Vergleichsvorschlag hat sie den Gesamtrückstand mit 371.000 EUR beziffert – zu diesem Zeitpunkt war die erste Rate von 30.000 EUR bereits gezahlt. Sie ist auch von der Beklagten bei ihrer Schätzung des noch verbleibenden Gesamtrückstandes berücksichtigt worden, wie sich eindeutig dem Aktenvermerk auf Blatt 63 der Verwaltungsakte entnehmen lässt (" Es wurde eine Zahlung (s.GSV) in Höhe von 30.000 EUR geleistet. Vor der noch zu buchenden Korrektur (s.o.) beträgt der Saldo heute 441.400,98 EUR. Unter Berücksichtigung der Korrekturen beträgt der Saldo ca 371.000 EUR ..."). Auch der Kläger ist zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich davon ausgegangen, dass die erste Abschlagszahlung zu keiner weiteren Ermäßigung der Vergleichssumme führen würde. Einigkeit bestand zwischen den Beteiligten, dass die am 12.10.2012 gezahlten 30.000 EUR und die am 01.10.2012 gezahlten 6.000 EUR (letztere erst auf Einwendung des Klägers ausdrücklich berücksichtigt) auf die Vergleichssumme angerechnet werden sollen. Aus der besonderen Erwähnung dieser gezahlten Teilbeträge im Vergleich lässt sich ebenfalls schließen, dass die zuvor am 10.09.2012 gezahlten 30.000 EUR gerade nicht auf die Vergleichssumme angerechnet werden sollten (beredtes Schweigen). Nach dem dargestellten Ablauf der Vergleichsverhandlungen ist es auszuschließen, dass dieser Betrag nur versehentlich nicht berücksichtigt worden ist.

Da nach alledem keine Zahlungsansprüche des Klägers bestehen, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung, da weder Kläger noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Hs 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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