S 11 KA 68/18 WA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 68/18 WA
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG ist ein feststehender Pauschalbetrag, den das Gericht nicht nach seinem Ermessen herabsetzen oder erhöhen kann. Das gilt auch im Fall einer objektiven Klagehäufung.
1. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

3. Die Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss wird zugelassen.

Gründe:

Zu 1.:

Gehört – wie im vorliegenden Fall – in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2 SGG), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben; die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind entsprechend anzuwenden (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Nach § 161 Abs. 1 VwGO hat das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, von Amts wegen durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Hier ist das Verfahren durch Klagerücknahme beendet worden; der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für diesen Fall ordnet § 197a Abs. 1 Satz 2 SGG an, dass die Regelung des § 161 Abs. 2 VwGO nicht zur Anwendung kommt. Vielmehr hat der Kläger dann gemäß § 155 Abs. 2 VwGO zwingend die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Beschwerde gegen den Kostenbeschluss ist ausgeschlossen (§ 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 158 Abs. 2 VwGO).

Zu 2.:

Zu den Grundlagen der Bestimmung des Streitwerts in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit hat das Sächsische LSG wörtlich Folgendes ausgeführt (Beschluss vom 20. Mai 2016 – L 1 KA 10/16 B, Ls. abgedruckt in NZS 2016, 559):

"Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 52 Abs. 1 GKG ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend ist grundsätzlich das wirtschaftliche Interesse am Ausgang des Verfahrens (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Juli 2014 – B 3 KS 3/13 R – juris Rn. 28). Im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung kann das Interesse auch im Rahmen einer Schätzung ermittelt werden, wenn dafür genügende Angaben oder Anhaltspunkte vorliegen (z.B. BSG, Beschluss vom 16. Januar 2012 – B 11 SF 1/10 R – juris Rn. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. März 2012 – L 11 KA 134/11 B – juris 7; Dörndorfer, GKG – FamGKG – JVEG, 3. Aufl., § 52 Rn. 5).

Wenn allerdings der Sach- und Streitstand nicht einmal genügende Anhaltspunkte für eine Schätzung bietet, ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,00 EUR festzusetzen. Eine Beweisaufnahme zum Zwecke der Streitwertfestsetzung oder zur Ermittlung von Anhaltspunkten für eine Schätzung ist in solchen Fällen – wie sich im Umkehrschluss aus § 52 Abs. 2 GKG ergibt – unzulässig (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – L 1 KR 75/15 B – juris Rn. 13; Dörndorfer, GKG – FamGKG – JVEG, 3. Aufl., Rn. 6). Der Gesetzeswortlaut ("ist [ ...] anzunehmen") bietet keine Grundlage für eine Abweichung vom vorgegebenen starren Auffangstreitwert und eröffnet anders als die allgemeine Regelung des § 52 Abs. 1 GKG oder § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz auch kein Ermessen. An den Betrag des Auffangstreitwerts mag zwar in besonderen Fallgruppen zur Abbildung eines angemessenen Werts pro Zeiteinheit angeknüpft werden (vgl. zum Streitwert in vertragsärztlichen Zulassungssachen z.B. BSG, Urteil vom 28. November 2007 – B 6 KA 26/07 R – juris Rn. 36: in Anlehnung an § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG drei Jahre mal vier Quartale mal 5.000,00 EUR, d.h. 60.000,00 EUR; nunmehr auch ohne Benennung des § 52 Abs. 2 GKG z.B. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2015 – B 6 KA 36/15 B – juris Rn. 20; Übersicht bei Wenner, NZS 2001, 57 ff.; ablehnend jedoch zu Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch z.B. BSG, Beschluss vom 5. März 2010 – B 12 R 8/09 R; Sächsisches LSG, Beschluss vom 28. Mai 2015 – L 1 KR 16/10 – juris Rn. 41). Ist aber in keiner Weise abschätzbar, ob und in welcher Größenordnung bzw. hinsichtlich welchen Geldbetrages ein wirtschaftliches Interesse der Klagepartei besteht, kann der Auffangwert – verstanden als abstrakte Größe anstelle eines im Einzelfall unbekannten Wertes – unter Wertgesichtspunkten weder geteilt noch vervielfältigt werden (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 27. August 2014 – L 5 KR 149/14 B ER – juris Rn. 17; anders aber wohl Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., § 52 GKG Rn. 22: prozentuale Niedriger- oder Höherbewertung möglich)."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Demzufolge ist der Streitwert des vorliegenden Verfahrens gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 52 Abs. 1 und 2 GKG auf 5.000,00 EUR festzusetzen.

Der Kläger hat mit seiner auf Neubescheidung durch die Beklagte gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Sache höhere vertragsärztliche Honorare für die vier Quartale des Jahres 2011 geltend gemacht. Streitgegenständlich waren zwei Honorarbescheide der Beklagten und vier Bescheide, mit denen sie über Anträge des Klägers auf Sonderregelungen des jeweiligen quartalsbezogenen Regelleistungsvolumens entschieden hatte. In welcher Höhe dem Kläger im Erfolgsfall von der Beklagten Nachzahlungen zuerkannt worden wären, lässt sich für die Kammer nach Aktenlage nicht einmal annäherungsweise schätzen.

Dies gebietet nach dem oben Gesagten den Rückgriff auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG. Dabei handelt es sich um einen vom Gesetzgeber eindeutig festgelegten, starren Pauschalwert (ebenso etwa Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl. 2019, § 52 GKG Rn. 6). Nach der gesetzlichen Konzeption ist weder ein Abschlag von diesem Festbetrag (dazu BSG, Beschluss vom 14. Mai 2012 – B 8 SO 78/11 B), noch seine Vervielfältigung (dazu BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – B 12 R 7/09 B; Beschluss vom 5. März 2010 – B 12 R 8/09 R) möglich. Sinn und Zweck der Regelung bestehen gerade darin, das Gericht von der grundsätzlich gemäß § 52 Abs. 1 GKG bestehenden Pflicht, eine eigene Ermessensentscheidung anzustellen, zu befreien, weil es für diese an einer hinreichenden Tatsachengrundlage fehlt. Entgegen der Ansicht des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 28. November 2018 – L 11 KA 57/18 B) ist der Streitwert daher keinesfalls "angemessen zu erhöhen", wenn "die Bedeutung der Klage erkennbar über" dem Auffangstreitwert liegt. Für ein solches Vorgehen fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

Entgegen der Ansicht des Klägers (gestützt u.a. auf BSG, Beschluss vom 8. August 2018 – B 6 KA 76/17 B) und entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Beschluss vom 19. September 2006 – B 6 KA 30/06 B) folgt ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem Umstand, dass mit der Klageschrift vom 19. Juni 2012 im Wege objektiver Klagehäufung mehrere abtrennbare Streitgegenstände zur Entscheidung des Gerichts gestellt worden sind. Zwar weist das BSG zutreffend auf die Regelung des § 39 Abs. 1 GKG hin, wonach in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift kommt aber nur dort zur Anwendung, wo sich die einzelnen Werte bestimmen lassen, also etwa im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GKG. Dagegen bietet sie keine Grundlage zur Multiplikation des Pauschalbetrags von 5.000,00 EUR. Denn dieser bezieht sich nicht auf einen einzelnen Streitgegenstand, sondern auf ein gesamtes Klageverfahren. Dieser unterschiedliche Ansatzpunkt kommt etwa in § 39 Abs. 2 GKG zum Ausdruck, der die Addition nach § 39 Abs. 1 GKG dadurch begrenzt, dass er für ein einzelnes Gerichtsverfahren (mit allen seinen Streitverhältnissen) einen Höchstbetrag von insgesamt 30 Millionen Euro anordnet. Dieser Höchstwert beträgt in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG nur 2,5 Millionen Euro. Auch dieser Betrag bezieht sich auf das gesamte Verfahren. Dasselbe muss dann nach der Binnensystematik des § 52 GKG auch für den Auffangstreitwert gelten.

Die auf der nächsten Seite abgedruckte Rechtsmittelbelehrung beruht auf § 68 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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