S 52 SO 399/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
52
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 52 SO 399/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Bescheide vom 22.07.2015 und 20.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2016 werden aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens und die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zum Kostenersatz nach § 103 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von 2.709,24 EUR.

Der Kläger ist seit dem 03.04.2009 Betreuer des 19xx geborenen S. T., der seit Jahren Leistungen von der Beklagten erhalten hatte. Der Leistungsbezug hatte zum 31.01.2013 geendet, weil der Leistungsempfänger eine Erbschaft, bestehend aus Bank- und Sparguthaben sowie einem Siebtel Miterbenanteil an einer Eigentumswohnung gemacht hatte.

Am 03.09.2013 beantragte der Kläger für Herrn T. erneut Leistungen nach dem SGB XII. Er gab an, dass dieser aktuell über Bank- und Sparguthaben in Höhe von 2.577,90 EUR verfüge, außerdem über den Anteil an der Eigentumswohnung. Er legte zwei Beschlüsse des Amtsgerichts in D. vom 08.07.2013 vor. Der eine Beschluss betraf die Rückforderung der aus der Landeskasse an den Betreuer gezahlten Vergütung für die Zeit vom 26.11.2003 bis zum 30.06.2012. Insoweit wurde eine Forderung in Höhe von 10.131,18 EUR festgesetzt, die von dem Leistungsempfänger aus seinem Vermögen zu zahlen sei. Der andere Beschluss betraf den Betreuervergütungsanspruch des Klägers gegen Herrn T. für die Zeit vom 01.07.2012 bis zum 31.03.2013, den das Gericht auf 1.356,75 EUR festsetzte.

Mit Bescheid vom 10.09.2013 bewilligte die Beklagte Herrn T. Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII ab dem 01.09.2013 bis zum 30.06.2014 unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Mit Mail vom 24.09.2013 wies eine Mitarbeiterin des Landschaftsverbandes Rheinland die Beklagte darauf hin, dass ihrer Auffassung nach unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesgerichtshofes vom 25.01.2012 XII ZB 497/11 die Rückforderung der Betreuervergütung durch das Amtsgericht nur für die letzten drei Jahre hätte erfolgen dürfen. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin auf, sich an das Amtsgericht in D. zu wenden, um eine Änderung des Beschlusses hinsichtlich der Rückforderung der Betreuervergütung, die aus der Landeskasse gezahlt worden war, zu erreichen. Das Amtsgericht in D. wies mit Schreiben vom 04.03.2014 darauf hin, dass die erst jetzt erhobenen Einreden verspätet seien, nur auf fristgerecht erhobene Einrede hätte die Verjährung berücksichtigt werden können. Die Rechtsmittelfrist sei abgelaufen. Weiter teilte der Kläger mit, dass er seinerzeit bei allen beteiligten Stellen nachgefragt habe, ob es eine Regelung bzw. Förmlichkeit zur Tilgung der Forderung gebe, keiner habe ihm hierzu Angaben machen können. Als der Hinweis auf die Rechtslage erfolgt sei, sei der Beschluss bereits rechtskräftig gewesen. Am 10.04.2014 sei dem Betreuten das Guthaben aus dem Verkauf der Eigentumswohnung auf dem Girokonto gutgeschrieben worden. Hiervon habe er, der Kläger, zunächst nichts gewusst, so dass der Betreute zunächst ungehindert über das Guthaben habe verfügen können. Nachdem er dies festgestellt habe, habe er veranlasst, dass das verbliebene Guthaben auf das Sparbuch umgebucht worden sei. Hierüber könne er nur mit Zustimmung des Amtsgerichts in D. verfügen, dieses beanspruche jedoch den das Schonvermögen übersteigenden Betrag in Höhe von 6.227,24 EUR für die Zahlung an die Landeskasse gemäß dem Beschluss vom 08.07.2013.

Die Gerichtskasse in D. machte mit Rechnung vom 16.10.2014 einen Betrag von 6.227,24 EUR aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts in D. geltend. Dieses teilte auf Anfrage mit, dass es sich hierbei um die Vergütungen aus der Zeit vom 26.11.2003 bis zum 31.12.2009 gehandelt habe. Der geforderte Betrag sei unter Berücksichtigung des Schonvermögens des Herrn T. ermittelt worden.

Mit Bescheid vom 22.07.2015 forderte die Beklagte von dem Kläger Kostenersatz nach § 103 SGB XII in Höhe von 6.227,24 EUR. Zur Begründung führte sie aus, dass zur Zeit des Beschlusses des Amtsgerichts (08.07.2013) alle vor 2010 entstandenen Forderungen verjährt gewesen seien. Der Kläger habe versäumt, die Einrede der Verjährung zu erheben. Hierdurch sei ein Schaden in der genannten Höhe entstanden. Der Hinweis des Klägers auf Unkenntnis sei nicht überzeugend. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, die Rechtslage aus eigenem Antrieb zu klären, sein Verhalten sei zumindest grob fahrlässig. Der Kläger habe daher durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für Hilfebedürftigkeit des Herrn T. herbeigeführt. Dieser hätte seinen Bedarf in Höhe von 6.227,24 EUR selbst decken können. Härtegründe, die eine Forderung ausschlössen, seien nicht bekannt.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, er habe am 31.03.2014 Einrede der Verjährung erhoben. Dies habe jedoch wegen der Rechtskraft des Beschlusses keine Wirkung gehabt. Jedenfalls aber könne die Beklagte keinen Schaden in der von ihr genannten Höhe geltend machen, weil die Landeskasse die Forderung auf das vorhandene Vermögen abzüglich des Schonvermögens beschränkt habe. Wenn er die Einrede der Verjährung erhoben hätte, wäre die Vergütung von Januar 2010 bis Juni 2012 gleichwohl zu zahlen gewesen. Hierbei handele es sich um einen Betrag von 3.517,50 EUR. Daraus ergebe sich ein maximaler Kostenersatzanspruch in Höhe von 2.709,74 EUR. Hiervon könne Herr T. aus dem Schonvermögen 2.530,05 EUR zahlen, so dass noch ein Betrag von 179,69 EUR verbliebe. Er sei bereit, diesen Betrag zu zahlen. Das Amtsgericht in D. bestätigte auf Anfrage, dass nur ein Teilbetrag der gesamten Vergütungen geltend gemacht worden sei und dass die Vergütung für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2012 in Höhe von 3.517,50 EUR festgesetzt worden sei.

Mit Teilabhilfebescheid vom 20.04.2016 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als der Kostenersatzanspruch auf 2.709,74 EUR reduziert wurde. Zur Begründung führte sie aus, dass bei rechtzeitiger Erhebung der Verjährungseinrede durch den Kläger die Betreuervergütung für die Zeit davor nicht von der Landeskasse hätte beansprucht werden können.

Den weitergehenden Widerspruch wies der K. W. mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2016 zurück.

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, der Vorwurf, dass er durch grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe für einen Dritten geschaffen habe, sei nicht berechtigt. Im Übrigen sei ein Rückforderungsanspruch nur gegen den Leistungsempfänger geltend zu machen. Das Nichterheben der Einrede der Verjährung sei nicht sozialwidrig. Auch treffe ihn keine grobe Fahrlässigkeit. Er sei kein Jurist, entsprechend müsse der Verschuldensmaßstab gewählt werden. Änderungen in den Verjährungsregeln seien für Normalbürger nicht bedeutsam, so dass ihm eine grob fahrlässige Pflichtverletzung nicht vorgeworfen werden könne. Darüber hinaus habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, gegen den Leistungsempfänger selbst vorzugehen. Die Umstände des Falles seien der Beklagten bekannt gewesen. Von dem Erlös aus dem Verkauf der Eigentumswohnung sei dem Leistungsempfänger am 10.04.2014 ein Betrag von 11.000,00 EUR durch Zahlung auf das Girokonto zugeflossen, am 23.05.2014 ein weiterer Betrag von 612,04 EUR. Ohne Kenntnis des Klägers habe der Leistungsempfänger zunächst selbst über Geldbeträge verfügt. Nachdem er hiervon Kenntnis erlangt habe, habe er das Geld unverzüglich auf das gesperrte Sparbuch überwiesen. Er habe die Vermögensverhältnisse vollständig und richtig angegeben, das Schonvermögen des Leistungsempfängers sei nach wie vor zugriffsbereit. Dieser könne auch in Anspruch genommen werden, weil die Beklagte ihm Leistungen unter Vorbehalt bewilligt habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22.07.2015 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 20.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Der Kläger habe dadurch, dass er die Erhebung der Einrede der Verjährung unterlassen habe, das Vermögen des Leistungsempfängers geschmälert. Kostenersatz von dem Leistungsempfänger nach § 103 SGB XII sei wegen der Regelung des § 41 Abs. 4 SGB XII ausgeschlossen. Den Kläger treffe auch grobe Fahrlässigkeit, er müsse die rechtlichen Grundlagen seiner Tätigkeit kennen. Er habe offenbar nicht gewusst, dass zum 01.01.2010 die 10-jährige Erlöschensfrist des § 1836 e BGB durch eine dreijährige Verjährungsregelung ersetzt worden sei. Der Beschluss des Amtsgerichts sei 3 ½ Jahre später ergangen. Nach Erhalt hätte der Kläger zwingend prüfen müssen, ob die Forderung zutreffend oder angreifbar sei. Das Nichterheben der Einrede der Verjährung sei sozialwidrig, denn bei Erhebung der Einrede wäre eine Belastung der Allgemeinheit in Höhe der geltend gemachten Forderung vermieden worden. Nach Überweisung des Erbes auf das Sparkonto sei ein Zugriff des Leistungsempfängers nicht mehr möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Leistungsempfänger S. T. betreffenden Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, denn der Kläger ist nicht zum Kostenersatz verpflichtet.

Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. Es muss sich insoweit um ein sozialwidriges, d.h. ein aus Sicht der Gemeinschaft zu missbilligendes Verhalten handeln (vgl. hierzu: Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage, 2018, § 103 SGB XII Randnr. 9 mwN). Das Verhalten kann auch in einem Unterlassen bestehen.

Die Beklagte wirft dem Kläger hier vor, dass er es unterlassen habe, die Einrede der Verjährung gegen den nach § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Staatskasse übergegangenen Aufwandsentschädigungsanspruch des Betreuers für die Zeit ab November 2003 bis Dezember 2009 zu erheben und gegen den Beschluss vom 08.07.2013 Beschwerde einzulegen. Dieses Unterlassen war jedoch nicht kausal für die Hilfebedürftigkeit des Herrn T. ab dem 01.09.2013, denn der Beschluss des Amtsgerichts enthält lediglich die Titulierung einer Schuldverpflichtung, was die Bedürftigkeit des Herrn T. nicht berührt. Der Zufluss des Erbes aus Bank- und Sparguthaben hatte bereits zuvor dazu geführt, dass ab 01.02.2013 keine Leistungen mehr gewährt worden waren. Dieses Vermögen ist auch nicht zur Schuldentilgung eingesetzt worden. Soweit das Erbe aus einem Miteigentumsanteil an einer Eigentumswohnung bestand, stand dies zunächst nicht als bereite Mittel zur Verfügung. Erst am 10.04.2014 bzw. 23.05.2014 ist dem Leistungsempfänger der Erlös aus dem Verkauf zugeflossen. Der Leistungsempfänger war mithin unabhängig vom Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts in D. am 01.09.2013 bedürftig.

Darüber hinaus setzt ein vorwerfbares Unterlassen eine Garantenpflicht in der Weise voraus, dass ein legislatives Werturteil eine Rechtspflicht zum Tun fordert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.05.2012, L 9 SO 281/11). Für den Kläger bestand jedoch keine Rechtspflicht zur Erhebung der Einrede der Verjährung und zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss. Eine solche Verpflichtung ergibt sich insbesondere nicht aus einer Verpflichtung des Leistungsempfängers, die von dem Betreuer zu erfüllen wäre. Denn die Einrede der Verjährung ist ein Gestaltungsrecht, von dem der Inhaber nicht Gebrauch machen muss. Die Nichterhebung der Einrede der Verjährung, die lediglich das Fortbestehen einer Schuldverpflichtung bewirkt, ist im Sozialhilferecht ebenso sanktionslos wie die Erbausschlagung (vgl. hierzu: Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.08.2012, L 19 AL 771/12 Randnr. 40). Dies gilt umso mehr, als die Nichterhebung der Einrede der Verjährung für den Leistungsanspruch keine Auswirkungen hat, weil dieser unabhängig von der Höhe der bestehenden Schuldverpflichtungen ist.

Ob eine Garantenpflicht ausreicht, die nicht gegenüber der Beklagten, sondern nur gegenüber dem Leistungsempfänger besteht, wie etwa eine Vermögensbetreuungspflicht des Betreuers, kann hier offen bleiben. Denn insoweit gilt, dass die Verjährungseinrede ein Gestaltungsrecht ist. Da der Leistungsempfänger nicht zur Erhebung der Einrede verpflichtet ist, ist auch der Betreuer dazu nicht verpflichtet. Es kann vielmehr im Einzelfall geboten erscheinen, die Einrede nicht zu erheben.

Das Unterlassen der Erhebung der Einrede war auch nicht sozialwidrig. Soweit der Beklagte dem Kläger vorwirft, dass durch sein Verhalten die Allgemeinheit belastet worden sei, berücksichtigt er nicht, dass Inhaber der Forderung, die mit Beschluss vom 08.07.2013 festgesetzt worden ist, die Landeskasse und damit ebenfalls die Allgemeinheit ist. Durch das vorgeworfene Unterlassen ist zudem weder der Leistungsempfänger noch der Kläger oder ein Dritter begünstigt worden.

Die Kammer sieht das Verhalten des Klägers auch nicht als grob fahrlässig an. Der Kläger musste nicht davon ausgehen, dass die gerichtliche Entscheidung falsch oder änderbar ist. Dem Kläger mussten auch nicht im Einzelnen die verjährungsrechtlichen Neuregelungen bekannt sein, zu deren Auswirkungen auf die Forderungen nach § 1386 e BGB der Bundesgerichtshof erst im Jahr 2012 entschieden hat. Die Gestaltungsmöglichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede war nicht offensichtlich. Dies gilt umso mehr, als der Kläger kein Volljurist ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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