L 4 KR 246/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 1790/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 246/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen für die Bewilligung einer C-leg Prothese
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beru-fungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Kläger mit einer Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg (mikroprozessorgesteuertes Einachskniegelenk mit hydrauli-scher Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung; im Folgenden: C-Leg) zu versorgen hat. Der am 1982 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert, und zwar zunächst bis zum 30. Juni 2002 im Rahmen der über den freiwillig versicherten Vater bestehenden Familienversi-cherung und dies auch wieder ab 01. Oktober 2002; vom 01. Juli bis 30. September 2002 hatte eine Pflichtversicherung aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bestanden. Der Kläger kam u.a. mit einer Tibiaaplasie (anlagebedingte Fehlbildung) des linken Unterschenkels und einer anlagebedingten Fehlbildung der linken Hand zur Welt. Es erfolgten zahlreiche Opera-tionen. Bereits am 25. Mai 1983 musste der linke Unterschenkel im Bereich des Knies amputiert werden. Seit dem Kleinkindalter wurde der Kläger von der Beklagten mit Beinprothesen fortlau-fender Größen versorgt. Noch im Wachstumsalter versorgte ihn die Beklagte zuletzt im Ap-ril 1999 mit einer Prothese mit einem "Total knee" mit True step-Fuß. Beim Kläger besteht auch eine erhebliche Kurzsichtigkeit auf beiden Augen von ungefähr vier Dioptrien. Der Kläger bestand 2002 das Abitur; seit dem Wintersemester 2002/2003 studiert er an der Uni-versität H. im Fach Molekulare Biologietechnologie. Während der Schulzeit war er aktiver Vol-leyballspieler; er nahm bis zur 11. Klasse aktiv am Schulsport teil. Als Student betreibt er Ruder- und Schwimmsport und fährt auch Fahrrad. Er spielt im Orchester Violoncello. Am 28. Februar 2001 verordneten die Fachärzte für Orthopädie Dres. M. und S. dem Kläger eine "Gebrauchsprothese System Otto Bock C-Leg mit 1 C 40 Fuß". Unter Einreichung eines ent-sprechenden Voranschlags des Sanitätshauses C. vom 28. Februar 2001 über Kosten dafür in Höhe von DM 41.707,58 (= EUR 21.324,75) beantragte der Kläger bei der Beklagten die Versor-gung mit diesem Hilfsmittel. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05. April 2001 mit der Begründung ab, dass eine Mehrfachversorgung mit Hilfsmitteln hier ausgeschlossen sei. Dem widersprach der Kläger; er machte geltend, die letzte Prothese habe er 1999 bei noch starkem Wachstum erhalten. Diese Prothese passe nicht mehr. Sein Aktivitätsgrad sei sehr hoch und er trage die Prothese ungefähr 16 Stunden am Tag, davon von Dienstag bis Donnerstag 13 Stunden außerhalb des Hauses. Seine schulische, berufliche und psychische Entwicklung sei wesentlich von seiner Alltagsgestaltung abhängig. Im Hinblick auf seine Behinderung wäre er in seinem Werdegang ohne eine optimale Hilfsmittelversorgung stark eingeschränkt. Durch seine hohe Aktivität seien die bisher auf dem Markt befindlichen Kniegelenke nur eingeschränkt für ihn geeignet, denn sie belasteten seinen gesamten Gehapparat während des alltäglichen Gehens. Da es mittels des C-Leg gelinge, den natürlichen Gehrhythmus zu simulieren und die Belastung des Gehapparats dadurch zu vermindern, sei dies ein Hilfsmittel, das zu seinem Aktivitätsgrad passe. Gegebenenfalls solle ein Gutachten zur Notwendigkeit dieses Hilfsmittels bei Dr. M. eingeholt werden. Seinem Antrag solle schnellstmöglich stattgegeben werden, da er die neue Versorgung dringend benötige. Die Beklagte erhob eine Stellungnahme des Dr. E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 30. April 2001; dieser Arzt gelangte zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf das Schreiben des IKK-Bundesverbands vom 18. Dezember 2000 eine Kos-tenübernahme für das C-Leg grundsätzlich nicht möglich sei. Unter Beifügung der genannten Stellungnahme verblieb die Beklagte mit Schreiben vom 07. Mai 2001 bei ihrer ablehnenden Haltung. Der Kläger trug danach noch weiter vor, es sei davon auszugehen, dass das C-Leg be-reits dem anerkannten Stand der Technik entspreche und schon aus Sicherheitsgründen mangels Vorhandenseins eines gleichwertigen Ersatzprodukts zu genehmigen sei. Die bisher bekannten Prothesensysteme gewährten keine ausreichende Geh- und Stehsicherheit. Diese ergebe sich aus-schließlich durch die ihm verordnete Versorgung mit einem C-Leg. Dabei sei vor allem zu berücksichtigen, dass infolge seines jugendlichen Alters die Wachstumsphase noch nicht endgültig abgeschlossen sei und deshalb bei Überbeanspruchung der verbliebenen Gelenke arthrotische Veränderungen befürchtet werden müssten. Falls die Beklagte bei ihrer ablehnenden Haltung verbleibe, wäre zunächst eine anderweitige Versorgung bis zu einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung erforderlich, wofür zusätzliche Kosten in Höhe von mindestens DM 25.000,00 entstünden. Dies wäre mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht zu vereinbaren. Die bisher bekannten Kniegelenksysteme seien auch erheblich störanfälliger. Demgegenüber gebe es beim C-Leg eine Garantie von fünf Jahren. Andere Kassen hätten C-Leg-Prothesen genehmigt. Im Übrigen lägen auch positive Entscheidungen von Sozialgerichten dazu vor. Insoweit verstoße die Ablehnung seines Antrags durch die Beklagte auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die von der Beklagten herangezogene Stellungnahme des IKK-Bundesverbands vom 18. Dezember 2000 könne die Ablehnung nicht mehr rechtfertigen. Der Widerspruch des Klä-gers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsaus-schusses vom 29. Juni 2001).

Am 23. Juli 2001 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim. Er benannte die ihn behandelnden Ärzte und legte verschiedene Unterlagen zum C-Leg sowie Gerichtsurteile von Instanzgerichten und eine Sitzungsniederschrift des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vor. Er machte geltend, es sei medizinisch unstreitig, dass beim Tragen einer Oberschenkelpro-these mit dem C-Leg gegenüber anderen Prothesen nicht nur ein erheblicher Sicherheitsgewinn bestehe, sondern auch der Kreislauf und der gesamte Bewegungsapparat in einem bisher noch nicht möglichen Maße entlastet würden. Es sei auch die erheblich bessere und längere Gewähr-leistung durch den Hersteller zu berücksichtigen. Er sei bisher völlig unzureichend mit seiner Prothese versorgt. Es sei zu Stürzen gekommen, insbesondere beim Begehen von Treppen, um öffentliche Verkehrsmittel zu erreichen. Weiter sei seine erhebliche Sehstörung von Bedeutung. Er könne trotz Versorgung mit einer Sehhilfe nicht rechtzeitig und nicht ausreichend eventuelle Bodenunebenheiten, wie sie praktisch bei jedem Schritt und Tritt vorkämen, erkennen. Jede Bo-denunebenheit könne bei Verwendung herkömmlicher Kniegelenksysteme ebenfalls zu Stürzen führen. Es müssten medizinische und technische Sachverständigengutachten erhoben werden. Sein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel werde durch die Grundsatzentscheidung des Bundes-sozialgerichts (BSG) vom 06. Juni 2002 (B 3 KR 68/01 R) bestätigt. Das BSG betone die deutli-che Funktionsverbesserung beim C-Leg. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer den Kläger betreffenden Verwaltungsakten ent-gegen. Zwar weise das C-Leg einen erheblichen Tragekomfort auf; auch sei sie in sicherheits-technischer Hinsicht von hoher Qualität. Die Versorgung mit einer solchen Prothese entspreche jedoch nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Die Versorgung mit einer herkömmlichen und kostengünstigeren Prothese sei ausrei-chend, zweckmäßig und damit wirtschaftlich. Eine maximale Prothesenversorgung schulde sie nicht. Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des BSG sei keine Grundsatzentscheidung, die auch auf seinen Fall angewendet werden könne. Das BSG verlange vielmehr eine Einzelfall-entscheidung; es sei die Erforderlichkeit im Einzelfall zu prüfen, ob nämlich die Verwendung des C-Leg nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile für den Versicherten habe. Dies könne im Falle des Klägers nicht bejaht werden, zumal der vom SG he-rangezogene Sachverständige Dr. St. im Gutachten vom 10. Mai 2002 festgestellt habe, dass sein Gangbild mit der vorhandenen Prothese flott sei; auch das Treppensteigen sei sicher. Bei jeder Klage handle es sich mithin um die Entscheidung eines Einzelfalls. Das SG erhob eine schriftliche Auskunft als sachverständiger Zeuge des Dr. M. vom 08. Oktober 2001, die dieser am 02. November 2001 ergänzte. Ferner zog das SG vom Sanitätshaus C. In-formationsmaterial zum C-Leg bei. Im Auftrag des SG erstattete der Facharzt für Orthopädie Dr. St., der den Kläger deswegen am 08. Mai 2002 untersucht hatte, am 10. Mai 2002 ein Gut-achten, auf das Bezug genommen wird. Mit Urteil vom 13. Dezember 2002, der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 20. Dezember 2002 zugestellt, hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 05. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2001 auf und verurteilte die Beklagte, den Kläger mit ei-nem C-Leg-Prothesensystem zu versorgen. Das SG führte aus, bei einer Versorgung mit dem C-Leg hätte der Kläger unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen Dr. St. im Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte am 17. Januar 2003 mit Fernkopie beim SG Berufung zum LSG eingelegt.

Im Verlaufe des Berufungsverfahrens hat die Beklagte dem Kläger gegenüber, nachdem Dres. M. und S. ihm am 14. Mai 2003 eine Orthese nach Abguss-Typ "Total Knee 2000" ver-ordnet hatten, aufgrund eines entsprechenden Voranschlags des Sanitätshauses C. über Kosten von EUR 14.276,07 mit Bescheid vom 03. Juli 2003 die Kostenübernahme für eine solche Knieexar-tikulationsprothese als Zwischenversorgung erteilt; diese Prothese wurde dem Kläger am 11. Juli 2003 zur Verfügung gestellt.

Die Beklagte trägt vor, dass nach der Rechtsprechung des BSG die Versorgung mit dem C-Leg nur derjenige Versicherte beanspruchen könne, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile habe. Die für das C-Leg vorgebrachten Gebrauchsvorteile gegenüber einer herkömmlichen Prothese, wie das Vermeiden von Sturzgefahren, die Ermögli-chung eines physiologischen Gangbilds und damit die Abmilderung der Belastung auf die untere Lendenwirbelsäule und den Beckenbereich, seien hypothetisch und keinesfalls belegt. Zur Ent-lastung der dysplastischen Lendenwirbelsäule eigneten sich stoßdämpfende Elemente, die in den Prothesenaufbau integriert werden könnten, weit besser. Die Reduktion der Stoßwirkungen auf das Hüftgelenk und damit auf die Wirbelsäule sei dann stärker als durch das C-Leg, welches keine Dämpfungselemente enthalte und daher das Hüftgelenk nicht entlasten könne. Im Übrigen sei der Kraftaufwand zum Sichern und Einbeugen des polyzentrischen Kniegelenks wesentlich geringer als bei monozentrischen Gelenken, wie z.B. beim 3 R 80 und C-Leg; je nach Anord-nung und Abstand der Achsen zueinander könne diese biomechanische Wirkung beeinflusst werden; beispielsweise ergäben nach hinten weisende Achsschenkel eine größere Rückverlage-rung des Momentdrehpunktes in der Strecklage. Insoweit sei ein Sachverständigengutachten zu erheben. Der Hinweis auf die bestehende Kurzsichtigkeit und eine sich deswegen ergebende er-höhte Sturzgefahr bei einer normalen Prothesenversorgung sei nicht haltbar. Eine derartige Augenschwäche werde gewöhnlich mit einer Brille ausgeglichen. Nach der Rechtsprechung des BSG könne nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine allgemeine Sturzgefahr den An-spruch auf Versorgung mit dem C-Leg begründe. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren sein Alltagsleben beschreibe und darauf hinweise, dass er Ruder- und Schwimmsport betreibe und relativ viel Fahrrad fahre, widersprächen diese Ausführungen den Angaben, die sich aus dem Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2002 ergäben, unabhängig davon, dass die dort ange-gebenen Aktivitäten mit der vorhandenen Prothese möglich gewesen seien. Die von ihm angege-benen spezifischen Besonderheiten während seines Studiums rechtfertigten seinen Anspruch nicht. Die vom Kläger vorgelegten und in Bezug genommenen sozialgerichtlichen Entscheidun-gen, die jeweils Einzelfälle beträfen, begründeten seinen Anspruch ebenfalls nicht. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sie dem Kläger im Juli 2003 eine neue Knieexartikulationsprothese zur Verfügung gestellt habe, wodurch er ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich versorgt sei. Die Beklagte hat auch eine Stellungnahme ihrer Orthopädietechniker H. und O. vom 24. April 2003, die Unterlagen zur Hilfsmittelversorgung des Klägers im Juli 2003 sowie eine Produktbe-schreibung von "Total Knee 2001" vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Dezember 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat zum Teil nicht rechtskräftige Entscheidungen von Sozialgerichten und Landesso-zialgerichten zum C-Leg vorgelegt. Er trägt vor, das angegriffene Urteil stehe im Einklang mit der Grundsatzentscheidung des BSG vom 06. Juni 2002. Er sei uneingeschränkt in der Lage, die erheblichen Gebrauchsvorteile des C-Leg zu nutzen. Dazu könnten medizinische und technische Sachverständigengutachten erhoben werden. Seine Ansicht werde auch durch zahlreiche Ge-richtsentscheidungen, die zwischenzeitlich ergangen seien, bestätigt. Er betreibe Ruder- und Schwimmsport und fahre relativ viel Fahrrad. Weitere sportliche Aktivitäten seien ihm aufgrund der bislang nicht ausreichenden Prothesenversorgung nicht möglich. Im Falle einer Versorgung mit dem C-Leg werde er weitere bewegungsintensive Sportarten, wie beispielsweise Tennis auf-nehmen. Die Möglichkeit, individuellen Liebhabereien nachzugehen, sei prothesenbedingt ein-geschränkt. Sein Alltagsleben werde im Wesentlichen vom Studium und der Verrichtung alltäg-lich erforderlicher Arbeiten im Privatbereich bestimmt. Als Student sei er auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Er müsse deshalb täglich lange Wegstrecken auch zu Fuß zurücklegen. Er bewege sich als Fußgänger viel im Straßenverkehr, was ein selbstsicherndes Kniegelenk erfordere. Dies sei nur durch das C-Leg gewährleistet. Diese Versorgung sei erfor-derlich, um sein begonnenes Studium unfallfrei beenden zu können. Während des Studiums der Molekularen Biotechnologie müsse er auch Pflichtpraktika absolvieren, die etwa ein Drittel des gesamten Studiums ausmachten. Während dieser Praktika gehe er ständig mit Chemikalien so-wie gefährlichen Flüssigkeiten und Stoffen um. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er gefährliche Chemikalien verschütten werde oder Gläser zu Bruch gingen. Auch dabei sei er auf eine ständig wirkende Standphasensicherung angewiesen, die nur durch das C-Leg gewährleistet werde. Ferner müsse er im Rahmen seines Studiums ständig die Hörsäle wechseln. Auch dabei seien größere Strecken zu Fuß zurückzulegen, und zwar in relativ kurzer Zeit. Er müsse dabei verschiedene Studienmaterialien transportieren und insbesondere in der Lage sein, nicht nur un-terschiedliche Gehgeschwindigkeiten zu wählen, sondern auch sehr viele Treppen zu bewältigen. Auch dabei sei er auf das C-Leg angewiesen, wodurch ein gefahrloses und hüftgelenkschonendes Treppensteigen möglich gemacht werde. Dies gelte insbesondere auch für das Treppabgehen. Er könne im Alltagsleben die erheblichen Gebrauchsvorteile des C-Leg nutzen. Die ihm von der Beklagten aufgedrängte Zwischenversorgung sei nicht ausreichend. Sie sei ein "glatter Fehl-schlag". Damit habe bei ihm die Sturzneigung zugenommen. Er stürze in ein bis zwei Wochen durchschnittlich einmal. Gefährlich seien solche Stürze insbesondere dann, wenn sie sich im Rahmen seiner studentischen Ausbildung im Laborbereich ereigneten. Bei ihm träten auch verstärkt Überlastungsschmerzen, beispielsweise geschwollene Waden oder ein geschwollenes Kniegelenk sowie Schmerzen im verbliebenen Kniegelenk, auf.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil oh-ne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Zu Recht hat das SG der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage stattgegeben. Denn der Bescheid der Beklagten vom 05. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2001 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass ihm die Beklagte eine Oberschenkelprothese mit einem mikroprozessor- gesteuerten Kniegelenk mit hydraulischer Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung zur Verfügung stellt. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der hier in der ab 01. Januar 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist. Ein Ausschluss für dieses Hilfsmittel nach § 34 Abs. 4 SGB V besteht nicht. Der Senat verweist nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zu-treffenden Gründe des angegriffenen Urteils.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Auch der Senat stellt aufgrund des Sachverständigengutachtens des Dr. St. vom 10. Mai 2002 erhebliche Gebrauchsvorteile des streitigen mikroprozessorgesteuerten Kniegelenks mit hydrau-lischer Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung im Vergleich zu einer herkömmli-chen mechanischen Standprothese fest. Diese bestehen darin, dass C-Leg ein nahezu physiologi-sches Gangbild ermöglicht, welches kaum vom dem eines nicht Amputierten zu unterscheiden ist; durch die elektronische Steuerung wird die Sturz- und Stolpergefahr erheblich reduziert, was insbesondere beim Treppabgehen sowie beim Überwinden hügeligen Geländes eine Rolle spielt. Bei herkömmlichen mechanischen Prothesensystemen kommt es nämlich häufig zu ungünstigen Blockierungen, die eine erhebliche Sturzgefährdung für den Prothesenträger bedeuten; durch die elektronische fortlaufende Messung der jeweiligen Aktivität und Winkelgrade macht das mikro-prozessorgesteuerte Kniegelenk ein alternierendes Treppabgehen möglich; ferner gestattet das mikroprozessorgesteuerte System, auf wechselnde Belastungs-, Richtungs- und Geschwindig-keitsänderungen des Prothesenträgers sofort zu reagieren. Schließlich wird bei dem mikroprozes-sorgesteuerten Kniegelenkssystem der Kraftaufwand bei der Benutzung der Prothese reduziert; die maximal zurücklegbare Wegstrecke wird vergrößert; auch die Belastung von Wirbelsäule, Becken und gesundem Bein wird durch den geringeren Kraftaufwand und das physiologische Gangbild reduziert; die Vorteile im Schwungverhalten und in der Reduktion der am Stumpf auftretenden Kräfte bedeuten für den Amputierten mithin eine harmonische und gelenkschonen-de Gehbewegung über einen größeren Geschwindigkeitsbereich. Die genannten Gebrauchsvor-teile erscheinen dem Senat entgegen der Ansicht der Beklagten nicht lediglich als theoretisch, weshalb dazu weitere Gutachten auf technischem oder medizinischem Gebiet nicht zu erheben waren. Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass diese erheblichen Gebrauchsvorteile im Verhältnis zum mechanischen System des "Total Knee", das dem Kläger im Juli 2003 als Zwi-schenversorgung und zuvor zuletzt 1999 in der Wachstumsphase zur Verfügung gestellt worden war, etwa nicht bestünden. Dabei berücksichtigt der Senat, dass der Kläger, wie er gegenüber dem Sachverständigen Dr. St. angegeben hat, beispielsweise beim Treppabgehen gestürzt ist, weil die mechanisch funktionierende Prothese blockiert hat. Der Sachverständige hat auch fest-gestellt, dass der Kläger mittels des mechanischen Prothesensystems eine Treppe nur leicht schräg hinunter geht und sich einseitig am Geländer abstützt, um die Ferse der Prothese zu ent-lasten und so eine Blockierung im Kniegelenk zu vermeiden. Mithin geht der Senat davon aus, dass die im Streit stehende Prothese mit einem mikroprozessorgesteuerten Kniegelenk im Ver-gleich zu einem herkömmlichen mechanischen Kniegelenksystem, also auch im Vergleich zu dem System, mit dem der Kläger 1999 wie auch im Juli 2003 übergangsweise versorgt worden ist, erhebliche Gebrauchsvorteile bietet und das von der Beklagten zu befriedigende Grundbe-dürfnis des Gehens, Laufens und Stehens nach dem gegenwärtigen Stand der Technik so weit wie möglich deckt. Weiter bejaht der Senat im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse beim Kläger, dass er nach seinen körperlichen und geistigen Voraussetzungen sowie seiner persönlichen Lebensgestaltung, die bei ihm Art und Umfang des Einsatzes der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen bestimmen, durch die Verwendung eines mikroprozessorgesteuerten Kniegelenks deutliche Gebrauchsvortei-le hat. Diese deutlichen Gebrauchsvorteile wirken sich bei ihm nicht nur am Rande des Alltags-lebens, sondern im derzeitigen Lebensmittelpunkt aus. Die generell deutliche Verminderung der Sturzgefahr, die durch die Neuversorgung mit einem mechanisch wirkenden System im Juli 2003 nicht erreicht wurde, die zusätzliche Standsicherheit und die Verbesserung des Bewegungsab-laufs ergeben sich für den Kläger allgemein im Alltag. Es belegen bereits die Angaben, die er zu seiner Lebensgestaltung bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. St. am 08. Mai 2002 gemacht hat, dass er ein aktiver und sportlicher Mensch ist. Diese Angaben bezogen sich auf den Zeitpunkt, als der Kläger 19 Jahre alt war und kurz vor der Ablegung des Abiturs stand. Er war aktiver Volleyballspieler. Bis zur 11. Klasse des Gymnasiums hatte er aktiv am Schul-sport teilgenommen; um durch die Schulsportnote seinen Abiturdurchschnitt nicht negativ zu beeinflussen, hat er dann im Hinblick auf seine körperliche Behinderung den Schulsport für die für das Abitur relevanten letzten beiden Jahre zurückgestellt. Ferner betrieb der Kläger gelegent-lich Schwimmsport und war aktiver Cellist; er spielte in verschiedenen Orchestern; damals war er auch bereits als Softwareentwickler im Sprachtechnologiebereich beruflich aktiv. Diese aktive Lebensgestaltung wird auch für die jetzt maßgebenden Verhältnisse bestätigt. Sein Alltagsleben nun dadurch bestimmt, dass er seit dem Wintersemester 2002/2003 an der U-niversität Heidelberg das Fach Molekulare Biologietechnologie studiert. Er versorgt seinen stu-dentischen Haushalt alleine. Er geht, wobei er auf das Fortbewegen zu Fuß und mittels öffentli-cher Verkehrsmittel angewiesen ist, seinem Studium an der Universität nach. Dies verlangt das Aufsuchen und Wechseln von Hörsälen in den Universitätsgebäuden, wobei auch beim Treppab-gehen Studienmaterialien mitzuführen sind. Vor allem absolviert der Kläger im Rahmen seines Studiums Praktika, bei denen er ständig mit gefährlichen Flüssigkeiten und Stoffen umzugehen hat. Bei dadurch ausgelösten Unglücksfällen kann eine schnelle körperliche Reaktion mit plötz-lichem schnellem Gehen erforderlich werden, um Gefahren von sich oder anderen abzuwenden. Weiter kommen die sportlichen Aktivitäten des Klägers hinzu, der Ruder- und Schwimmsport betreibt und relativ viel Fahrrad fährt. Ferner hat er glaubhaft darauf hingewiesen, dass er im Falle der Versorgung mit einem mikroprozessorgesteuerten Kniegelenksystem beabsichtigt, wei-tere bewegungsintensive Sportarten, wie beispielsweise das Tennisspielen, aufzunehmen. Dies gehört zwar nicht zu den von der Beklagten sicherzustellenden Grundbedürfnissen, zeigt aber, dass der Kläger die Gebrauchsvorteile, die C-Leg bietet, voll auszuschöpfen vermag. Schließlich vermag auch der Senat nicht unberücksichtigt zu lassen, dass der Kläger Brillenträger ist und eine erhebliche Kurzsichtigkeit auf beiden Augen aufweist, die nach dem Gutachten des Sach-verständigen Dr. St. schon an sich eine erhöhte Sturzgefahr beim Kläger ergibt. Auch diese er-höhte Sturzgefahr lässt sich durch das mikroprozessorgesteuerte Kniegelenksystem vermindern, wie Dr. St. überzeugend dargelegt hat. Diesem Gutachten folgt der Senat, weil es in sich schlüs-sig und widerspruchsfrei ist und der Sachverständige nach gründlicher Anamneseerhebung zu einem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt ist. Der Beurteilung der Beklagten, dass die Kurzsich-tigkeit des Klägers durch die Versorgung mit einer Brille voll ausgeglichen sein soll, vermag sich der Senat nicht anzuschließen, denn es liegt auf der Hand, dass die Gangunsicherheit noch verstärkt wird, wenn wegen der starken Brillengläser die Beurteilung des zu begehenden Bodens erschwert wird. Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt der Senat daher zu dem Ergebnis, dass dem Kläger die streitige Prothesenversorgung auch im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 06. Juni 2002 zu gewähren ist, weil sich, was entscheidend ist, bei ihm die Funktionsvorteile des mikroprozessorgesteuerten Kniegelenksystems nicht nur am Rande des Alltagslebens auswirken und von ihm voll ausgeschöpft werden können. Der Senat kann dem genannten Urteil des BSG nicht entnehmen, dass das BSG den Anspruch auf das mikroprozessorgesteuerte System ledig-lich auf behinderte Mütter oder Väter habe beschränken wollen. Soweit auf erhebliche Mehrkosten für ein mikroprozessorgesteuertes Kniegelenksystem abgeho-ben wird, wobei Dr. St. noch von mehr als doppelten Kosten spricht, weist der Senat noch auf Folgendes hin: Im Falle des Klägers ergeben sich bei einem Vergleich zwischen dem Kostenvor-anschlag des Sanitätshauses C. vom 28. Februar 2001 mit demjenigen vom 08. Mai 2003 ledig-lich Mehrkosten in Höhe von EUR 7.048,68, wobei auch die Garantie von fünf Jahren beim mikro-prozessorgesteuerten Kniegelenksystem zu berücksichtigen ist. Zudem muss beachtet werden, dass die Beklagte dem Kläger zwar eine Prothese mit einem mikroprozessorgesteuerten Kniege-lenk mit hydraulischer Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung schuldet. Sofern es zwischenzeitlich verschiedene Hersteller solcher Systeme gibt, wäre die Beklagte, insbesondere bei unterschiedlichen Preisen, nicht gehalten, dem Kläger unbedingt eine solche Prothese der Firma Otto Bock, wie im Kostenvoranschlag vom 28. Februar 2001 aufgeführt, zur Verfügung zu stellen. Der Beklagten bliebe es vorbehalten, auch ein demgegenüber preiswerteres vergleich-bares System, das zwischenzeitlich auf den Markt gekommen ist, zu gewähren.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu beurteilenden Rechtsfrage gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Eine weitere Klärung ist im Hinblick auf die Beurteilung vergleichbarer Fälle angesichts der nach der Entscheidung vom 06. Juni 2002 (SozR 3-2500 § 33 Nr. 22) verbliebenen Zweifelsfragen wünschenswert.
Rechtskraft
Aus
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