S 23 R 386/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 23 R 386/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Gründe:

Der Kostenantrag der Klägerin ist zulässig und begründet.

Nach § 193 Abs. 1 zweiter Halbsatz Sozialgerichtsgesetz – SGG – entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird.

Diese Voraussetzungen liegen vor, denn das Verfahren endete durch die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags vom 18.01.2019 mit Schriftsätzen der Beteiligten vom 04.02.2019 und 28.02.2019, in welchem die Kostenentscheidung auf die Vorsitzende übertragen wurde.

Zu den Maßstäben, nach denen das Gericht die Kostenverteilung im Einzelfall vorzunehmen hat, sind im Gesetz keine Kriterien enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung, der die Kommentarliteratur überwiegend folgt, sind die außergerichtlichen Kosten nach billigem Ermessen des Gerichts zu verteilen (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 07. Februar 2003, Az.: L 12 B 93/02 RJ; vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. Februar 1992, Az.: L 13 B 17/93 und Beschluss vom 13. Mai 1996, Az.: L 5 B 64/94 sowie Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 193 Rz. 12 m. w. N.).

Grundsätzlich hat das Gericht zur Ausführung des Begriffs des "sachgemäßen oder billigen Ermessens" im konkreten Einzelfall den gesamten bisherigen Sach- und Streitstand zu bewerten. Dabei kommt im Wesentlichen zwei Bewertungskriterien Bedeutung zu: Zum einen der Erfolgsaussicht der Klage zum Zeitpunkt der Erledigung, zum anderen dem so genannten "Veranlassungsprinzip" (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 07. Februar 2003, Az.: L 12 B 93/02 RJ).

Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 91 a ZPO hat grundsätzlich derjenige die Kosten zu tragen, der in dem Rechtsstreit unterliegt bzw. – wenn keine streitige Entscheidung zu treffen war – derjenige, der im Falle der streitigen Entscheidung unterlegen wäre (Erfolgsaussicht). Daneben ist jedoch auch das "Veranlassungsprinzip" als Ermessenskriterium heranzuziehen, auf dessen Grundlage die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat (vgl. Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Februar 2003, Az.: L 12 B 89/02 RJ, sowie Beschluss vom 07. Februar 2003, Az.: L 12 B 93/02 RJ m. w. N.). Deshalb gilt es auch immer zu prüfen, ob es sich um einen von vorneherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat bzw. wem es gegebenenfalls zur Last zu legen ist, dass überhaupt ein Rechtsstreit geführt werden musste. Nach ständiger Rechtsprechung der meisten Senate des Hessischen Landessozialgerichts sind etwa dem Leistungsträger die Kosten des Rechtsstreits unabhängig von dem Umfang des Obsiegens des Leistungsberechtigten dann aufzuerlegen, wenn der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht im Laufe des Verwaltungsverfahrens nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist. Hat allerdings der Leistungsberechtigte seine Mitwirkungspflichten nicht in hinreichendem Maße erfüllt und hat dieses Verhalten entscheidend Veranlassung für den Rechtsstreit gegeben, entfällt die Verpflichtung zur Kostentragung durch den Leistungsträger.

Bleibt bei der unstreitigen Beendigung des Rechtsstreits allerdings offen, ob der Leistungsträger Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat, der Leistungsberechtigte sich jedoch letztendlich mit seinem ursprünglichen Begehren, wenn auch erst ab einem anderen als dem beantragten Zeitpunkt durchgesetzt hat, entspricht es, in Abwägung der Ermessensgesichtspunkte Erfolgs- und Veranlassungsprinzip, im Allgemeinen billigem Ermessen, eine Kostenquotelung vorzunehmen.

Ändert sich hingegen die Sach- und Rechtslage aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach der Klageerhebung, so sind danach – selbst bei einem Erfolg des Leistungsberechtigten – dem Leistungsträger wegen des Überwiegens des Veranlassungs- gegenüber dem Erfolgsgesichtspunkt im Rahmen der Ermessensabwägung im Allgemeinen keine gerichtlichen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (so Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 07.02.2003 a. a. O.).

Unter Berücksichtigung dieser Ermessensmaßstäbe ist es vorliegend sachgerecht, der Beklagten wegen des Überwiegens des Erfolgs- gegenüber dem Veranlassungsgesichtspunkt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin vollumfänglich aufzuerlegen.

Dabei war wesentlich zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit ihrer Klage voll obsiegt hätte, da der von ihr angefochtene Versagungsbescheid i.S.d. § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) vom 29.05.2018 offensichtlich rechtswidrig war.

Die Beklagte beruft sich mit dem angefochtenen Bescheid auf eine fehlende Mitwirkung durch die Teilnahme an Begutachtungsterminen. Es kann letztlich dahinstehen, ob darin schon ein hinreichender Versagungsgrund liegt, da die Klägerin für sämtliche Begutachtungstermine eine Krankmeldung vorlegen konnte und es jedenfalls fraglich erscheint, ob in einer derartigen gesundheitlichen Situation das Aufsuchen von teilweise erheblich von dem Heimatort der Klägerin befindlichen Gutachtern überhaupt zumutbar war (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I). Darauf kommt es letztlich jedoch nicht an. Der Hinweis auf die Rechtsfolgen bei fehlender Mitwirkung mit Schreiben vom 31.08.2017 mithin zeitlich mehrere Monate vor dem Erlass des Versagungsbescheids – stand in Zusammenhang mit der Anforderung eines Kopfschmerztagebuchs der letzten 6 Monate sowie einer Liste aller verordneten Medikamente. Mit Schreiben vom 07.09.2017 kam die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nach, indem sie eine Auflistung ihrer Medikamente übersandte und erklärte, über kein Kopfschmerztagebuch zu verfügen. Eine Belehrung über die Rechtsfolgen bei fehlender Teilnahme an den angeordneten Begutachtungen entsprechend den Anforderungen von § 66 Abs. 3 SGB I erfolgte hingegen nicht. Der schriftliche Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I ist jedoch zwingende Voraussetzung für eine Versagung von Leistungen und muss sich insbesondere auf die konkret geforderte Mitwirkungshandlung beziehen. Der schriftliche Hinweis soll dem Betroffenen nämlich gerade die Möglichkeit verschaffen, die Konsequenz seiner bisherigen Weigerung in Anbetracht der drohenden Folgen zu überdenken (vgl. Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 66 SGB I Rn. 49 m.w.N.). An einem solchen Hinweis auf die konkrete Mitwirkungshandlung der Teilnahme an einem konkreten Begutachtungstermin fehlte es vorliegend jedoch. Ebenso fehlte es an einer konkreten Fristsetzung. Da die Klägerin seit Antragstellung im Jahr 2016 mehrere angebotene Begutachtungstermine nicht wahrgenommen hatte, dürfte es für sie durchaus überraschend gewesen sein, ohne eine entsprechende "Vorwarnung" im Sinne eines Hinweises auf die Rechtsfolgen mit einem Versagungsbescheid belegt zu werden.

Der angefochtene Versagungsbescheid vom 29.05.2018 litt zudem an einem Ermessensmangel, der auch nicht durch den Widerspruchsbescheid vom 14.08.2018 geheilt wurde. Es fehlte an einer auf den Einzelfall bezogenen Ermessensausübung (vgl. etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 02.07.2009 – L 10 R 2467/08), letztlich wurde eine Ermessensausübung überhaupt an keiner Stelle der Entscheidung erkennbar (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Eine solche war auch nicht – wie die Beklagte meint – wegen einer Ermessensreduzierung auf Null entbehrlich. Anders als in der zitierten Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 09.02.2011 – L 4 R 219/10 – war aufgrund des Verhaltens der Klägerin nicht davon auszugehen, dass nicht mehr mit ihrer Mitwirkung zu rechnen war. Die Klägerin hatte zwar mehrfach Begutachtungstermine nicht wahrgenommen, die Absagen jedoch jedes Mal unter Vorlage von Nachweisen mit medizinischen Gründen erklärt, sodass vorliegend zumindest noch eine Begutachtung in häuslicher Umgebung in Betracht gekommen wäre.

Damit lagen nicht nur die Voraussetzungen für den Erlass eines Versagungsbescheides nicht vor; er erging zudem im Hinblick auf die Ermessensausübung in rechtswidriger Weise.

Auf der Basis dieser Ausführungen sieht die erkennende Kammer den Erfolgsgesichtspunkt als derart überwiegend an, dass eine – auch nur anteilige – Kostentragung durch die Klägerin vor dem Hintergrund des Veranlassungsprinzips nicht in Betracht kommt.

Dem Antrag war daher vollumfänglich stattzugeben.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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