L 12 U 220/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2114/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 220/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10.10.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch nicht im Berufungsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen einen Rückforderungsbescheid der Beklagten, mit dem zuletzt Leistungen in Höhe von 5.695,44 EUR zurückgefordert wurden, die im Wege des einstweiligen Rechtschutzes weiter gewährt worden waren.

Die am 1956 geborene Klägerin erlitt am 11.09.2013 einen Arbeitsunfall, infolgedessen die Krankenkasse im Auftrag der Beklagten an die Klägerin Verletztengeld ab 25.10.2013 in Höhe von zuletzt täglich 37,47 (netto) auszahlte.

Mit Bescheid vom 25.02.2015 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 11.03.2015 ein, da mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Taxifahrerin nicht mehr zu rechnen sei. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 04.03.2015 Widerspruch.

Am 09.03.2016 beantragte die Klägerin einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Freiburg (SG), um weiterhin Verletztengeld beziehen zu können. Den Antrag lehnte das SG mit Beschluss vom 17.03.2015 ab. Auf die hiergegen von der Klägerin erhobene Beschwerde stellte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 06.05.2015 fest, dass der Widerspruch der Klägerin gegen den Einstellungsbescheid aufschiebende Wirkung habe (L 8 U 1502/15 ER-B).

Daraufhin zahlte die Krankenkasse der Klägerin weiterhin Verletztengeld in Höhe von 37,47 EUR täglich (netto) aus. Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 12.05.2015, dass die Weiterzahlung lediglich aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erfolge und die Klägerin zur Rückzahlung verpflichtet sei, wenn sich die Einstellungsentscheidung als zutreffend herausstelle.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 13.08.2015 zurück. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wurde das Verletztengeld bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens am 13.08.2015 weitergezahlt.

Gegen die Einstellung des Verletztengelds hat die Klägerin am 17.09.2015 Klage zum SG erhoben (S 13 U 4754/15). Die Klage nahm die Klägerin am 22.09.2016 zurück.

Mit Rückforderungsbescheid vom 07.10.2016 forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung des geleisteten Verletztengelds in Höhe von 5.713,68 EUR für die Zeit vom 12.03.2015 bis 13.08.2015, da der Einstellungsbescheid durch die Rücknahme bindend geworden sei.

Mit Schreiben vom 18.10.2016, eingegangen am 03.11.2016, erhob die Klägerin Widerspruch, da die Rückforderung des überzahlten Verletztengelds für sie eine besondere Härte im Sinne des § 42 Abs. 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch darstelle. Durch die Rückforderung würde sie sozialhilfebedürftig. Weiterhin läge ein atypischer Fall vor, der eine Ermessensprüfung erfordere. Sie habe sich gegen die Einstellung des Verletztengelds gewehrt, weil ihr zuvor nicht die BG-Rente gewährt worden sei. Sie könne nicht nachvollziehen, dass mit Einstellung des Verletztengelds ihr nicht gleichzeitig eine Rente gewährt worden sei. Sie sei auch nicht auf ihren nach Ende der Auszahlung des Verletztengelds noch bestehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld I hingewiesen worden. Des Weiteren sei bei der durch die Deutsche Rentenversicherung gewährten Rente das weiter gezahlte Verletztengeld ab dem 01.04.2015 als Einkommen angerechnet worden. Die Beklagte habe den Rückstand selbst verursacht, da sie nicht zeitnah über den Widerspruch entschieden habe. Eine Rückforderung sei unter diesem Gesichtspunkt spätestens mit Ablauf der Frist des § 88 Abs. 2 SGG unbillig.

Mit Bescheid vom 08.11.2016 wurde dem Widerspruch insoweit teilweise abgeholfen, als der Rückforderungsbetrag von 5.713,68 EUR auf 5.695,44 EUR reduziert wurde, da die Krankenkasse zunächst ein falsche Nettoverletztengeld mitgeteilt hatte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit sie ihm nicht bereits abgeholfen hatte. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs berühre die Wirksamkeit des Einstellungsbescheids nicht. Sie bewirke daher keine Änderung des in dem Bescheid festgesetzten Endpunktes der Verletztengeldzahlung. Die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass sie zur Rückzahlung des Verletztengelds verpflichtet sei, wenn sich im Widerspruchsverfahren herausstellen sollte, dass die angefochtene Entscheidung der Beklagten zutreffend sei. Billigkeitserwägungen im Sinne einer Vertrauensschutzprüfung müssten nicht angestellt werden. Eine besondere Härte sei nicht zu erkennen.

Die Klägerin hat daraufhin am 07.06.2017 Klage zum SG erhoben. § 50 Abs. 1 Zehntes Buch sozialgesetzbuch (SGB X) sei nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Das Verletztengeld sei mit Bescheid vom 25.02.2015 mit Ablauf des 11.03.2015 aufgehoben worden. Mit dem angefochtenen Bescheid würden nun Leistungen zurückgefordert, die ab dem 12.03.2015 erbracht wurden, also nicht "bereits erbracht" gewesen seien. Als Ermächtigungsgrundlage käme hier daher § 50 Abs. 2 SGB X in Betracht. Danach seien Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden seien. In diesem Fall würden die §§ 45 und 48 SGB X in entsprechender Weise gelten und damit auch § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, wobei die Jahresfrist schon nicht eingehalten worden sei. Bei § 50 Abs. 2 SGB X seien weiterhin Ermessenserwägungen mit einzubeziehen.

Mit Urteil vom 10.10.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Rückforderung richte sich nach § 50 Abs. 1 SGB X. Diese Vorschrift schaffe einen gerechten Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Interessen der Klägerin und der Beklagten. Durch die aufschiebende Wirkung habe die Klägerin Schutz vor dem Entzug der bisher gewährten Leistung erlangt. Das Risiko des Widerspruchsverfahrens könne aber deshalb nicht einseitig der Beklagten auferlegt werden. Die Klägerin habe damit rechnen müssen, dass sie im Widerspruchsverfahren unterliegen könne und dann zur Rückzahlung verpflichtet sei, da die Beklagte sie auch darauf hingewiesen habe. Billigkeitserwägungen hätten nicht berücksichtigt werden müssen. Diese seien nur bei sogenannten "Urteilsrenten" zu berücksichtigen, wobei sich deren Rückforderung nach § 50 Abs. 2 SGB X richte.

Gegen das ihr am 17.12.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.01.2019 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Das von der Krankenkasse überwiesene Geld habe sie sofort für Miete und Lebensunterhalt ausgegeben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10.10.2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 08.11.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf das erstinstanzliche Urteil.

Mit Schreiben vom 26.06.2019 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat kann über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und die Beteiligten hierauf hingewiesen worden sind.

Die angefochtene Rückforderungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ausschließlich die Aufhebung des Urteils des SG Freiburg vom 10.10.2018 sowie der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 07.10.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 08.11.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2017, die die Rückerstattung von überzahltem Verletztengeld zum Gegenstand hatten.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Die Gewährung von Verletztengeld nach §§ 45 ff. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch erfolgte durch Verwaltungsakt. Soweit vorliegend kein förmlicher Verwaltungsakt ergangen ist, liegt in der Auszahlung des Verletztengeldes eine schlüssige Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidung, also eines Verwaltungsaktes, der durch konkludentes Handeln erlassen wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2009, L 31 U 376/08, juris Rn. 18, unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG zum Krankengeld). Diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte mit Bescheid vom 25.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2015 mit Wirkung ab 11.03.2015 aufgehoben. Eine Weiterzahlung des Verletztengelds erfolgte nur aufgrund des Beschlusses des LSG Baden-Württemberg im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes (L 8 U 1502/15 ER-B). Nachdem die Klägerin die Klage gegen den Aufhebungsbescheid zurückgenommen hat, ist dieser Bescheid bestandskräftig geworden.

Zwar hat die Beklagte die nunmehr zurückgeforderten Leistungen nach der Aufhebungsentscheidung erbracht, so dass ggfs., was die Klägerin im Verfahren vor dem SG angedeutet hat, Leistungen zurückgefordert werden, die ohne Verwaltungsakt erbracht wurden, was eine Rückforderung nach § 50 Abs. 2 SGB X und damit eine Ermessensausübung nahelegen würde. Durch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs tritt jedoch ein vorläufiger Schwebezustand ein, der bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts durch Abschluss des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens den "status quo ante" beibehält. Bei gestaltenden Verwaltungsakten dürfen demnach während dieses Schwebezustands keine Folgerungen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt gezogenen werden. Bei der Entziehung von Leistungen, muss also für den Fall, dass Widerspruch eingelegt wird, zunächst weiter nach dem alten Verwaltungsakt gezahlt werden (BSG, Urteil vom 23.09.1997, 2 RU 44/96, juris Rn. 13). Durch den Beschluss des LSG im einstweiligen Rechtsschutz, in dem das LSG festgestellt hat, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, blieb somit die (konkludent erfolgte) Bewilligungsentscheidung Rechtsgrundlage für die Zahlungen, die bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens gegen den Entziehungsbescheid geleistet wurden.

Auch die Höhe der Rückforderung hat die Beklagte zutreffend errechnet. Die Klägerin hat in der Zeit vom 12.03.2015 bis 13.08.2015, somit an insgesamt 152 Tagen, ein tägliches Nettoverletztengeld in Höhe von 37,47 EUR erhalten, so dass sich eine Rückzahlungssumme von 5.695,44 EUR errechnet.

Auch auf Billigkeitserwägungen oder Vertrauensschutzgesichtspunkte kommt es im Rahmen von § 50 Abs. 1 SGB X nicht an. Diese sind allenfalls bei der sogenannten "Urteilsrente" oder bei Sozialleistungen in Betracht zu ziehen, die während eines Rechtsstreits aufgrund gerichtlicher Aussetzung der Vollziehung eines Entziehungsbescheids gezahlt werden (BSG, Urteil vom 23.09.1997, 2 RU 44/96, juris Rn. 17). Derartige Rückforderungen richten sich jedoch, anders als der vorliegende Fall, nach § 50 Abs. 2 SGB X. Demnach ist im Rahmen von § 50 Abs. 1 SGB X auch nicht die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu prüfen.

Unabhängig davon würde auch die Würdigung von Vertrauensgesichtspunkten und der Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu keiner abweichenden Beurteilung führen. § 50 Abs. 1 SGB X soll gerade einen gerechten Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Interessen des Verletzten und den Interessen des Versicherungsträgers herstellen. Die aufschiebende Wirkung gibt dem Verletzten gerade in den Fällen Schutz, in denen durch Verwaltungsakt eine bisher gewährte Leistung entzogen werden soll. Demnach war die Beklagte zur weiteren Leistungserbringung verpflichtet. Das Risiko des Verfahrens kann jedoch nicht einseitig dem Versicherungsträger aufgebürdet werden (BSG, a.a.O., Rn. 15). Es bestehen auch keine schützenswerten Vertrauensschutzgesichtspunkte der Klägerin, sie musste hier damit rechnen, dass im Rechtsbehelfsverfahren die Möglichkeit bestand, dass sie unterliegen werde und in diesem Fall die geleisteten Zahlungen der Beklagten zurückzuerstatten hat. Die Beklagte hatte die Klägerin auch auf diese Folge hingewiesen. Die hierauf gestützte und mit Bescheid vom 07.10.2016 erhobene Rückforderung wäre auch innerhalb der Jahresfrist geltend gemacht worden, da die Bestandskraft des Verletztengeldentziehungsbescheids und damit die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids erst seit der Rücknahme der Klage also am 22.09.2016, feststand.

Nach alledem ist der Rückforderungsbescheid der Beklagte rechtmäßig.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved