L 9 AS 1955/19 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3218/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1955/19 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 13. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm (SG) vom 13.05.2019 ist statthaft (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG). Von der Möglichkeit, mündliche Verhandlung zu beantragen, haben die Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil/dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), es sei denn, die Berufung betrifft wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Vorliegend bedarf die Berufung der Zulassung, denn zwischen den Beteiligten ist nach Erledigung der Hauptsache allein die Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsbescheid vom 19.10.2018 abgelehnten Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens streitig. Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung bestimmt sich der Beschwerdewert i.S.v. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG allein nach dem Geldbetrag, den das erstinstanzliche Gericht versagt hat und der vom Beschwerdeführer weiterverfolgt wird. Maßgebend ist die Leistung, die im Streit ist. Die Höhe der geltend gemachten Kosten ist durch die Kläger nicht konkret beziffert worden. Bei einem unbezifferten Klageantrag hat das Berufungsgericht den Beschwerdewert zu ermitteln. Dabei ist eine überschlägige Berechnung unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens ausreichend (vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.03.2015 - L 19 AS 240/15 NZB -, Juris, m.w.N.). Der Gebührenanspruch der Klägerbevollmächtigten kann sich nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) nicht auf einen Betrag von über 750,00 EUR belaufen. Damit stehen weder wiederkehrende oder laufende Leistungen von mehr als einem Jahr im Streit, noch ist die erforderliche Berufungssumme von mehr als 750,00 EUR, wie der Klägervertreter bestätigt, erreicht. Das SG hat die Berufung im Gerichtsbescheid vom 13.05.2019 auch nicht zugelassen.

Gegen den ihnen am 20.05.2019 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 14.06.2019 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt und diese begründet.

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Gemessen an diesen Maßstäben ist die Berufung nicht zuzulassen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich gelagerter Fälle die notwendige Klärung erfolgt. Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 144 Rdnr. 28 ff., § 160 Rdnr. 6 ff., jeweils m.w.N.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 30.09.1992 - 11 BAr 47/92 -, Juris). Eine Rechtsfrage kann trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung weiter klärungsbedürftig bleiben oder wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Entscheidung in nicht geringem Umfang widersprochen oder wesentlich neue Gesichtspunkte gegen die Auffassung des BSG vorgebracht werden (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 11 AL 179/04 B -, Juris). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, d.h. die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, d.h. die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, hinzutreten (BSG; Urteil vom 14.06.1984 - 1 BJ 72/84 -; Beschluss vom 12.07.1985 - 7 BAr 114/84 -, Juris). Die Frage, ob eine Rechtsache richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (BSG, Beschlüsse vom 26.06.1975 - 12 BJ 12/75 - und vom 25.10.2016 - B 3 KR 37/16 B -, jeweils Juris). Hinsichtlich Tatsachenfragen kann über § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eine Klärung nicht verlangt werden.

Derartige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich hier nicht und wurden durch die Kläger auch nicht dargetan. Die aufgeworfenen Rechtsfragen - soweit überhaupt im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ausreichend aufgezeigt - lassen sich vielmehr auf der Grundlage der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG eindeutig beantworten. Ob die Kosten eines Widerspruchsverfahrens nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) von dem Beklagten zu übernehmen sind, hängt davon ab, ob der Widerspruch "Erfolg" hat. Die Kriterien, die an dieses Tatbestandsmerkmal zu stellen sind, sind höchstrichterlich geklärt. Ein Widerspruch hat im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur dann Erfolg, wenn die Behörde ihm stattgibt. Eine Stattgabe liegt vor, wenn die Behörde eine für den Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung trifft und zwischen dem Widerspruch und der begünstigenden Entscheidung ein Kausalzusammenhang besteht. Ein Widerspruch ist nicht immer schon dann erfolgreich, wenn zeitlich nach der Einlegung des Rechtsbehelfs eine dem Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht; erforderlich ist vielmehr, dass zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht (vgl. BSG, Urteile vom 02.05.2012 - B 11 AL 23/10 R -, vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - und vom 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R -, Juris). Höchstrichterlich geklärt ist ferner, unter welchen Voraussetzungen eine solche Kausalität anzunehmen ist. Für die kausale Verknüpfung genügt es, dass der Abhilfe eine vom Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage zugrunde liegt (BSG, Urteile vom 02.05.2012 und 13.10.2010, a.a.O., Juris) oder wenn der Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens neue Beweismittel vorgelegt hat (Mutschler in Kasseler Kommentar, Stand März 2017, § 63 SGB X Rdnr. 7), zu deren Einreichung er auch bei pflichtgemäßem Verhalten früher nicht in der Lage war. Ein ursächlicher Zusammenhang besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dagegen nicht, wenn dem Widerspruch deswegen stattgegeben wird, weil der Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens eine Handlung nachholt, die er bis zur Erteilung des angefochtenen Bescheids pflichtwidrig unterlassen hat (BSG, Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 42/00 R -, Juris). Die Würdigung der Umstände im Einzelfall unter Berücksichtigung der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist Aufgabe des Tatrichters und damit einer Prüfung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entzogen.

Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zu Grunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Wer sich auf den Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des SG einerseits und in einer ober- oder höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese miteinander unvereinbar sind (vgl. BSG, Beschlüsse vom 27.06.2005 - B 1 KR 43/04 B -; vom 18.07.2005 - B 1 KR 110/04 B - und vom 24.01.2007 - B 1 KR 155/06 B -, jeweils Juris, m.w.N.). Erforderlich ist, dass das SG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht lediglich das Recht fehlerhaft angewandt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 27.01.1999 - B 4 RA 131/98 B -, Juris). Eine Abweichung im Grundsätzlichen haben die Kläger nicht dargetan; sie ist auch sonst nicht ersichtlich. Das SG hat vielmehr die vom BSG in ständiger Rechtsprechung für den Erfolg eines Widerspruchs herausgearbeiteten Kriterien - nämlich die ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne - ausdrücklich herangezogen und sich im Rahmen seiner Entscheidung zu eigen gemacht. Soweit die Kläger vorliegend bezüglich des kausalen Zusammenhangs zwischen Widerspruch und Abhilfeentscheidung eine andere Wertung als das SG anstellen möchten, greifen sie eine ihnen nicht genehme Würdigung der Umstände des Einzelfalls an. Das reicht als Zulassungsgrund jedoch nicht aus; denn die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, begründet keine Divergenz.

Auch liegt kein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Verfahrensverstöße in diesem Sinne sind nur solche, die das sozialgerichtliche Verfahren betreffen, und nicht die, die sich auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen. Kein Verfahrensmangel ist ein Fehler, der den Inhalt einer Entscheidung betrifft. Betroffen ist das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 144 Rdnr. 31 ff.). Die Rüge, das SG habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es den Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.12.2018 gemessen an den für alle Verfahrensordnungen geltenden Grundsätzen des Prozessrechts willkürlich ausgelegt habe, greift nicht durch. Inwieweit durch die Vorgehensweise des SG das rechtliche Gehör der Kläger verletzt worden sein soll, ist für den Senat nicht ersichtlich. Im Schriftsatz vom 27.12.2018 hat der Klägervertreter wörtlich ausgeführt: "Damit ist auch sogleich Erledigung im Hinblick auf den in der Klage vom 25.10.2018 angekündigten ersten Klageantrag eingetreten. Denn ein Interesse an einer darlehensweisen Übernahme der Stromschulden besteht nicht mehr, da die darlehensweise Übernahme auch in keiner Weise geeignet wäre, die zukünftige Stromversorgung zu sichern. Gleiches gilt für die Sachentscheidung zum Hilfsantrag, es ist lediglich über die Kosten der anwaltlichen Vertretung im Widerspruchsverfahren zu entscheiden." Unter Bezugnahme auf diese Ausführungen hat das SG den Klägervertreter mit Schreiben vom 23.04.2019 darauf hingewiesen, dass die Kläger ihre Klagen auf darlehensweise Übernahme von Stromschulden zurückgenommen und (sachgerecht gefasst) ihr Klagebegehren darauf beschränkt hätten, den Widerspruchsbescheid vom 19.10.2018 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens den Klägern dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten. Zugleich ist auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen worden. Mit einer solchen Entscheidung hat sich der Klägervertreter – ohne auf die beabsichtigte Auslegung des Begehrens durch das SG einzugehen – mit Schriftsatz vom 26.04.2019 einverstanden erklärt. Die Kläger waren auf die beabsichtigte Vorgehensweise und die beabsichtigte Auslegung ihres Begehrens, die im Übrigen den Ausführungen im Schriftsatz vom 23.04.2019 entsprochen haben dürfte, jedenfalls aber nicht willkürlich waren, hingewiesen worden; ihnen war darüber hinaus die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Eine willkürliche Auslegung ihres Begehrens ist für den Senat in keiner Weise ersichtlich.

Die Beschwerde war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved