L 8 SO 33/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 SO 172/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 33/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 71/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Zügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin (als Trägerin der Jugendhilfe) von dem Beklagten als überörtlichem Träger der Sozialhilfe die Erstattung der ihr durch die stationäre Unterbringung des J.-L. S. (im Weiteren: Hilfeempfänger) im integrativen Kinder- und Jugendheim "A. N." (im Weiteren: "A. N.") in dem Zeitraum vom 20. Juni 2010 bis zum 28. Februar 2014 entstandenen Kosten in Höhe von 121.727,28 EUR beanspruchen kann.

Der am ... 2001 geborene Hilfeempfänger wurde nach einem erstmals im April 2002 aufgetretenen cerebralen Krampfanfall und einer komplikationsreichen medikamentösen Einstellung stationär im Zentrum für Epilepsie in Bethel behandelt. Dr. H. vom Kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst kam unter dem 1. November 2002 zu der Beurteilung, dass bei dem Hilfeempfänger aufgrund des nachgewiesenen cerebralen Anfallsleidens eine wesentliche körperliche Behinderung nachgewiesen sei und eine wesentliche geistige Behinderung drohe. Eine teilstationäre Maßnahme sei notwendig; ambulante Maßnahmen reichten nicht aus. In der unter dem 2. Dezember 2004 erstellten amtsärztlichen Stellungnahme zur fraglichen Notwendigkeit weiterer Frühförderung unter teilstationären Bedingungen führte Dr. H. aus, bei dem zu diesem Zeitpunkt 37 Monate alten Hilfeempfänger bestehe ein Entwicklungsrückstand von mehr als zwölf Monaten, wobei vor allem die Sprachentwicklung betroffen und eine intensive teilstationäre Förderung unter integrativen Bedingungen erforderlich sei.

Dem Hilfeempfänger wurden vom Sozialamt der Klägerin im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe Leistungen der Eingliederungshilfe vom 1. September 2002 bis zum 31. Juli 2008 in der integrativen Kindertagesstätte "R." gewährt (zunächst gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8, 100 Abs. 1 Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.V.m. § 2 Abs. 1 Kinderbetreuungsverordnung (KiBeVO), ab dem 8. März 2003 Kinderförderungsgesetz (KiFöG) und ab dem 1. Januar 2005 in unveränderter Höhe nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII); Bescheide vom 6. Dezember 2002, 20. März 2003 und 14. Dezember 2004). Im Sommer 2008 wurde der Hilfeempfänger in die Förderschule für geistig behinderte Menschen "A. W." in M. eingeschult.

Die - ebenso wie der von ihr getrennt lebende und mit ihr gemeinsam sorgeberechtigte Vater des Hilfeempfängers - in M. wohnhafte Mutter des Hilfeempfängers beantragte am 7. Juli 2009 mit ihrem Schreiben vom 24. Juni 2009 bei dem Jugendamt der Klägerin Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII) mit dem Ziel einer intensiven täglichen autismusspezifischen Förderung; die Diagnose Autismus sei nunmehr gesichert worden. Ferner beantragte sie unter dem 6. August 2009 (Eingang beim Jugendamt der Klägerin am 1. September 2009) die Gewährung von Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII wegen starker Verhaltensstörungen des Hilfeempfängers, insbesondere aggressiver Verhaltensweisen und Schulverweigerung.

Der Hilfeempfänger, der bereits 2008 stationär im A. Klinikum H. behandelt worden war, befand sich sodann vom 22. Juli bis zum 12. November 2009 erneut in stationärer kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung im Städtischen Klinikum M ... Dort wurden die Diagnosen der Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen sowie eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung oder Behandlung erfordere, gestellt und im Zwischenbericht vom 24. September 2009 aus kinder- und psychiatrischer Sicht perspektivisch eine Wohngruppe empfohlen. Am 4. November 2009 stellte sich der Hilfeempfänger - aufgrund der von seiner Mutter gestellten o.g. Anträge - zur Begutachtung bei der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. I. vor. Diese kam in ihrem Gutachten vom 11. November 2009 zu dem Ergebnis, dass bei dem Hilfeempfänger "eine geistige Behinderung im Sinne des SGB XII" vorliege und die bestehenden Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit der geistigen Behinderung zu sehen seien.

Am Tag nach der Entlassung aus dem Klinikum M. (am 13. November 2009) fand ein Beratungsgespräch mit Mitarbeitern des Jugendamtes und des Sozialamtes der Klägerin sowie der Mutter und der Großmutter des Hilfeempfängers statt, in dem die Mutter weiterhin Hilfe zur Erziehung über das Jugendamt und finanzielle Unterstützung bei der autismusspezifischen Behandlung ihres Sohnes im Rahmen einer teilstationären Behandlung wünschte und eine Unterbringung ihres Sohnes in einem Heim vermeiden wollte, obwohl ihr die Heimunterbringung mit dem Ziel der Rückführung in die Familie und regelmäßigen Wochenendkontakten in Aussicht gestellt worden war.

Ausweislich des Vermerks über eine weitere behördeninterne Besprechung am 18. November 2009 sah die Mitarbeiterin des Jugendamtes aufgrund der Beurteilung von Dr. I. die Zuständigkeit des Sozialamtes, die Mitarbeiterin des Sozialamtes aufgrund des Wunsches der Mutter nach Jugendhilfe und Rückführung des Sohnes in ihren Haushalt die Zuständigkeit der Jugendhilfe. Es wurde ein Erstattungsantrag gemäß §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) angekündigt.

Nachdem es dann erneut erhebliche Schwierigkeiten im Haushalt der Mutter und in der Schule gab und sich die Mutter nicht mehr in der Lage sah, ihren Sohn zu betreuen, wurde der Hilfeempfänger am 27. November 2009 vom Jugendamt der Klägerin wegen Kindeswohlgefährdung in Obhut genommen und in der "A. N." untergebracht. Die Eltern erklärten sich hiermit einverstanden.

Die "A. N." bietet ein stationäres Wohnangebot für Kinder und Jugendliche. Träger sind die P. Stiftungen, die mit der Klägerin unter dem 1. Februar 2002 nach "§ 78 b KJHG" eine Entgeltvereinbarung nach "§§ 27 i.V.m. 34, 35, 35 a und 41 KJHG" geschlossen hatten. In § 4 der Vereinbarung werden Kosten in Höhe von 105,40 EUR pro Kalendertag bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 275 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 bewilligte das Jugendamt der Klägerin sodann der Mutter des Hilfeempfängers aufgrund ihres Antrages vom 6. August 2009 ab dem 11. Dezember 2009 Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. §§ 27, 34 SGB VIII in der "A. N.". Unter dem 15. Dezember 2009 erteilte das Jugendamt den P. Stiftungen ab dem 11. Dezember 2009 die Kostenzusage für die Heimunterbringung. Die Kostenzusicherung umfasse den täglichen Pflegesatz entsprechend der jeweils gültigen Entgeltvereinbarung sowie ein monatliches Taschengeld. Die Zusicherung gelte bis zum Tag des Ausscheidens bzw. bis zur Einstellung der Jugendhilfe durch das Jugendamt M ...

Das Jugendamt erteilte der Mutter des Hilfeempfängers in der Folgezeit Heranziehungsbescheide gemäß §§ 93, 94 SGB VIII in Höhe von 109,33 EUR (anteiliger Betrag vom 11. bis ein 30. Dezember 2009 des Kindergeldes in Höhe von 164,00 EUR) sowie von Januar 2010 bis zum 28. Februar 2014 in Höhe von monatlich jeweils 184,00 EUR (Bescheide vom 13. und 20. Januar 2010, vom 11. April 2012 und vom 13. März 2014). Vom Vater des Hilfeempfängers erhob sie monatliche Kostenbeiträge in Höhe von 192,50 EUR (anteilig vom 11. bis zum 31. Dezember 2009 von 275,00 EUR), von Januar 2010 bis März 2012 275,00 EUR, von April 2012 bis Januar 2013 340,00 EUR, von Februar 2013 bis Dezember 2013 240,00 EUR und für Januar und Februar 2014 289,00 EUR (Bescheide vom 4. Februar 2010, vom 7. August 2012, vom 23. Januar 2013 und vom 14. Januar 2014).

Die P. Stiftungen stellten dem Jugendamt ab dem 1. Dezember 2009 monatliche Rechnungen unter Zugrundelegung des Pflegesatzes in Höhe von 105,40 EUR und eines Barbetrages in Höhe von 10,23 EUR pro Kalendertag. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnungsakte in der Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen.

Am 23. Juni 2010 beantragte das Jugendamt der Klägerin für den Hilfeempfänger bei dem Sozialamt "gemäß § 97 SGB VIII die Feststellung der Sozialleistungen" (stationäre Eingliederungshilfe), die Übernahme der (zukünftigen) Kosten der Unterbringung sowie die Kostenerstattung für die erbrachten Leistungen. Es übersandte zudem den Hilfeplan zur Fortschreibung gemäß § 36 SGB VIII vom 25. August 2010 und den Entwicklungsbericht der "A. N." vom 15. Februar 2011 sowie das Zeugnis des Hilfeempfängers zum Schuljahr 2010/2011. Insoweit wird auf Blatt 76 bis 81 der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2011 lehnte das Sozialamt den Antrag auf Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII ab. Für den Hilfeempfänger würden seit dem 27. November 2009 stationäre Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gemäß § 34 SGB VIII erbracht. Die Unterbringung sei ursächlich darauf zurückzuführen, dass die Kindesmutter sich nach eigenen Angaben mit der erzieherischen Aufgabe überfordert sehe. Sie sei hierbei nicht konsequent in der Aufstellung und Umsetzung bestimmter Regeln und Verhaltensweisen. Bei dem Hilfeempfänger bestehe nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen eine leichte Intelligenzminderung. Er gehöre demnach zwar zu dem Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne des §§ 53 Abs. 1 SGB XII. Dennoch sei die derzeitige stationäre Maßnahme nicht auf die festgestellte Behinderung und den bestehenden Hilfebedarf zurückzuführen, da die Behinderung in Form der leichten Intelligenzminderung allein keine Unterbringung in einer stationären Einrichtung begründe. Die Unterbringung sei auf die erzieherischen Defizite im mütterlichen Haushalt zurückzuführen. Nach Aussagen des Vaters des Hilfeempfängers sehe dieser keine besonderen Schwierigkeiten. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII enthalte eine klare Vorrang-/Nachrangregelung bei geistiger oder körperlicher Behinderung oder bei drohender Behinderung. Diese Regelung setze notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehe und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich seien. Nur wenn Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gewährt würden und gewährt werden müssten und zugleich auch vom Umfang her gleichartige Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, komme es zum Vorrang der Sozialhilfe, ohne dass es auf den Schwerpunkt des Hilfebedarfs ankomme.

Das Jugendamt legte gegen den "Bescheid zum Erstattungsanspruch zur Feststellung der Leistungen nach dem SGB XII vom 24. Februar 2011" am 11. April 2011 "Widerspruch" ein. Es verwies auf die amtsärztliche Stellungnahme von Dr. I. vom 11. November 2009. Danach sei dem Jugendamt von der Mutter des Hilfeempfängers ein Untersuchungsbefund der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie M. vom September 2009 vorgelegt worden, wonach die testpsychologische Untersuchung ergeben habe, dass die Verhaltensauffälligkeiten keine autistischen Symptome darstellten, sondern der geistigen Behinderung geschuldet seien. Dies untermauere die Schilderung der Kindesmutter, wonach sie diese Auffälligkeiten nicht mehr durch eine förderliche Erziehung ihres Kindes aus eigener Kraft gewährleisten könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch vom 7. April 2011 zurück. Ein Anspruch auf Kostenübernahme bestehe nicht. Das Jugendamt habe mit dem Antrag vom 23. Juni 2010 zum einen die Kostenübernahme für die Hilfegewährung und zum anderen die Kostenerstattung für die von ihm erbrachte Sozialleistung begehrt. Es bestehe kein Zweifel an einer wesentlichen geistigen Behinderung des Hilfeempfängers, die einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII begründe. Im Zeitraum bis zur Einschulung seien dementsprechend teilstationäre Leistungen in Form der Betreuung in der integrativen Kindereinrichtung durch den Träger der Sozialhilfe gewährt worden. Aus dem Entwicklungsbericht der "A. N." vom 28. Februar 2011 gehe jedoch hervor, dass sich aufgrund der regelmäßigen Strukturen positive Verhaltensveränderungen bei dem Hilfeempfänger erkennen ließen. Außerhalb des Heimes seien diese regelmäßigen Strukturen noch sehr unbeständig, so dass eine Rückführung des Kindes in die Familie in nächster Zeit noch nicht möglich sei. Die vom Jugendamt geleistete Hilfe in Form von Heimerziehungshilfen sehe das SGB XII nicht vor. Deshalb sei eine Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers in Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Auch könne nicht festgestellt werden, dass nach Art und Umfang der gutachterlich festgestellten geistigen Behinderung eine stationäre Maßnahme erforderlich sei. Vom Jugendamt würden daher keine mit den Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII konkurrierenden Jugendhilfeleistungen erbracht. Eine vorrangige Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sei demzufolge nicht abzuleiten. Im Übrigen sei der Widerspruch unzulässig, da für Erstattungsansprüche zwischen gleichgeordneten Rechtsträgern kein förmliches Verwaltungs- und Vorverfahren stattfinde. Das Schreiben vom 24. Februar 2011 sei damit nicht als Bescheid, sondern lediglich als Mitteilung des Prüfungsergebnisses auf den Antrag vom 23. Juni 2010 zu bewerten. Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X seien durch reine Leistungsklagen gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend zu machen.

Am 5. Oktober 2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben und zunächst beantragt, den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14. September 2011 aufzuheben und gemäß § 97 SGB VIII festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, ab dem 22. Juni 2010 Sozialleistungen für den Hilfeempfänger zu übernehmen. In der Klagebegründung vom 10. Januar 2011 hat sie dann klargestellt, mit der Klage die Kostenerstattung für die bisher durch sie als unzuständigem Träger geleisteten Hilfen für den Hilfeempfänger zu verfolgen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht am 6. Mai 2014 hat die Klägerin dann erklärt, bis zum 28. Februar 2014 bestehe eine Gesamtforderung in Höhe von 125.192,18 EUR und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 125.192,18 EUR zu zahlen.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Mutter des Hilfeempfängers ausschließlich Leistungen der Hilfe zur Erziehung begehrt habe. Auch habe Dipl.-Psych. S., tätig in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin im Klinikum M., festgestellt, dass bei dem Hilfeempfänger nicht ein kinder- und jugendpsychiatrisches Problem, sondern ein erzieherisches Problem bestehe. Unabhängig von der notwendigen Hilfe aufgrund der Behinderung stehe dem Hilfeempfänger auch ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung zu. Er - der Beklagte - habe dem Hilfeempfänger bereits Eingliederungshilfe gemäß §§ 53, 54 SGB XII in einer integrativen Tagesstätte als teilstationäre Hilfe gewährt. Stationäre Hilfe sei hingegen erforderlich geworden, da die Kindesmutter mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert gewesen sei. Dies werde durch den Hilfeplan vom 25. August 2010 und den Entwicklungsbericht vom 15. Februar 2011 gestützt. Soweit die Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch mit dem Schreiben vom 22. Juni 2010 angemeldet habe, genüge dieses Schreiben den Anforderungen, wie sie vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 30. Juni 2009 in dem Verfahren B 1 KR 21/08 R aufgestellt worden seien, nicht. Aus der Erstattungsanmeldung müsse der Wille erkennbar werden, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Ein in Anspruch genommener Leistungsträger müsse ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen sei. Ohne Kenntnis des Forderungsbetrages könne er dies nur feststellen, wenn die für die Entstehung des Erstattungsanspruches im Einzelfall maßgeblichen Umstände und der Zeitraum der Erbringung der Sozialleistungen hinreichend konkret mitgeteilt worden seien. Es genügten allgemeine Angaben, die sich auf die im Zeitpunkt der Geltendmachung vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränkten. Welche Leistung dem Hilfeberechtigten gewährt worden sei und noch gewährt werde, sei dem Beklagten nicht bekannt gegeben worden. Auch sei der Erstattungsanmeldung nicht zu entnehmen, ab wann die Erstattung für welche Leistung in welcher Höhe (z.B. Tagessatz) begehrt werde. Da die Klägerin jeweils Bezug auf den Antrag auf Hilfe zur Erziehung nehme, müsse er - der Beklagte - davon ausgehen, dass die Erstattung von Hilfe zur Erziehung begehrt werde. Diese Hilfegewährung sehe das SGB XII nicht vor. Vielmehr obliege diese Hilfegewährung der Klägerin selbst entsprechend den Vorschriften des SGB VIII.

Mit Urteil vom 6. Mai 2014 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu. Diese habe die für den Hilfeempfänger erbrachte Leistung der stationären Unterbringung in der "A. N." im Rahmen der ihr obliegenden Jugendhilfe gemäß § 34 SGB VIII erbracht. Für die Kammer stehe fest, dass die Behinderung des Hilfeempfängers nicht ausschlaggebend für die Durchführung der stationären Maßnahme durch Aufnahme in die "A. N." gewesen sei. Soweit Dr. I. in ihrer Stellungnahme vom 11. November 2009 ausgeführt habe, die Verhaltensauffälligkeiten des Hilfeempfängers beruhten auf seiner Behinderung, habe sie dies durch keinerlei nachvollziehbare Angaben untermauert. Das Gegenteil ergebe sich aus dem Entwicklungsbericht der Einrichtung vom 18. Februar 2011. Hieraus sei zu entnehmen, dass sich der Hilfeempfänger immer dann verhaltensauffällig zeige, wenn er sich außerhalb der Einrichtung in seiner Familie aufgehalten habe und wieder in die Einrichtung zurückkehre. Zuvor und danach sei dessen Verhalten immer unauffällig und sozial adäquat gewesen. Zwar sei sich die Kammer bewusst, dass Einrichtungen wie die "A. N." ihre eigenen erzieherischen Fähigkeiten und Erfolge betonten und positiv bewerteten. Für deren Einschätzung spreche allerdings das Verhalten der Kindesmutter, welche ausdrücklich einen Antrag auf Bewilligung von "Hilfe" gestellt habe, weil sie selbst mit der Erziehung ihres Kindes nicht mehr zurecht und im Übrigen mit dessen Behinderung "nicht klar" gekommen sei. Das Problem des Kindes sei danach ein Problem der Mutter, wobei die Behinderung des Kindes möglicherweise zwar Ursache für die Erziehungsprobleme der Mutter sei, aber nicht im Sinne von § 53 SGB XII Maßnahmen der Eingliederung in die Gesellschaft notwendig mache. Das Verhalten des Hilfeempfängers entspreche im Wesentlichen dem von anderen Kindern, denen, aus welchen Gründen auch immer, durch die Erziehung keine oder falsche Grenzen gesetzt würden. Soweit sich das Kind in einer strukturierten Umgebung mit festen Verhaltensregeln - wie in der "A. N." - befinde, ergäben sich keine Probleme.

Gegen das ihr am 18. Juni 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Juli 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Die Abwägung der Kammer zwischen einer medizinischen Stellungnahme und einem Verhaltensbericht von Nichtmedizinern sei bereits ermessensfehlerhaft, da die Abgrenzungsvoraussetzungen zwischen einem Anspruch nach dem SGB VIII und der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII als Grundlage eine überwiegend medizinische Beurteilung des Umfangs der geistigen Behinderung des Hilfeempfängers voraussetze. Zudem habe sich die Kammer im Urteil in "krassen Widerspruch" zur mündlichen Verhandlung gesetzt. Es seien mehrfach Zweifel an den Auswirkungen der Behinderung geäußert worden und im Hinblick darauf, ob eine Entscheidung ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens möglich sei. Die Klägerin habe während der mündlichen Verhandlung mehrfach angeboten, Dr. I. die Möglichkeit zu geben, detailliert auf die Fragen der Kammer antworten zu können und insoweit erwartet, dass aufgrund der geäußerten Zweifel ein Beweisbeschluss und kein Urteil in der Sache gefasst werde. Sie hat sodann eine ergänzende Stellungnahme von Dr. I. vom 9. Juli 2014 vorgelegt. Darin hat diese den testpsychologischen Befund vom 23. September 2009 von Dipl. -Psych. S. und den Entlassungsbericht des Städtischen Klinikums M. vom 30. November 2007 über den Aufenthalt des Hilfeempfängers vom 4. Juni bis zum 21. September 2007 vorgelegt. Dr. I. hat darauf hingewiesen, dass im Jahr 2009 bei dem damals acht Jahre alten Hilfeempfänger ein Entwicklungsrückstand von 4,1 Jahren vorgelegen habe. Der gemessene Intelligenzquotient von 53 entspreche einer wesentlichen geistigen Behinderung im Sinne des SGB XII und werde in der Nomenklatur des multiaxialen Klassifikationsschemas für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach der ICD 10 der WHO (World Health Organization) als "leichte intellektuelle Behinderung" bezeichnet oder als "Debilität". Der letztgenannte stigmatisierende Ausdruck werde ungern benutzt, sei aber klarer verständlich. Erziehungsprobleme mit derart beeinträchtigten Kindern müssten immer im Zusammenhang mit der Intelligenzminderung gesehen werden. Bei dem Hilfeempfänger komme erschwerend hinzu, dass hirnorganische Veränderungen als Ursache und Folge eines Anfallsleidens vorlägen, das schon im frühen Kleinkindalter aufgetreten sei und sich zunächst medikamentös habe sehr schlecht beeinflussen lassen. Die Verhaltensstörung des Hilfeempfängers sei nicht primär ein Problem mangelnder Erziehungsfähigkeit der Mutter, sondern sei im Zusammenhang zu sehen mit der Funktionsstörung des Gehirns und der verminderten Einsichtsfähigkeit dieses Kindes, das in seiner Entwicklung weiterhin extrem stark retardiert sei. Im testpsychologischen Befund von Dipl.-Psych. S. vom 23. September 2009 sei aufgeführt, dass sich unter klinischer Beobachtung keine Auffälligkeiten hinsichtlich autistischer Symptome fänden. Verhaltensauffälligkeiten schienen eher der geistigen Behinderung geschuldet zu sein. Die von der Kindesmutter berichteten Rituale und Zwangshaltungen seien im stationären Alltag nicht zu beobachten gewesen. Zusammenfassend handele es sich bei dem Hilfeempfänger um einen Jungen mit einer intellektuellen Leistungsfähigkeit im Bereich der leichten Intelligenzminderung. Die Testdiagnostik offenbare Hinweise auf autistische Züge, das klinische Bild zeige jedoch Verhaltensauffälligkeiten, die eher der geistigen Behinderung sowie dem Entwicklungsrückstand von 4,1 Jahren geschuldet seien. Im Entlassungsbericht des Städtischen Klinikums M. vom 30. November 2007 heiße es, bei dem Hilfeempfänger liege eine leichte intellektuelle Behinderung vor. Eine im ersten Lebensjahr manifestierte Epilepsie sei medikamentös eingestellt und zurzeit anfallsfrei. Das oppositionelle und aggressive Verhalten sei durch verwöhnendes und überforderndes Verhalten der Mutter verstärkt worden. Eine deutliche Besserung des Problemverhaltens aber auch der Entwicklungsförderung hätten durch die klare Tagesstrukturierung, konsequentes und für den Hilfeempfänger transparentes Verhalten sowie ein seinem Entwicklungsstand angemessener Umgang erzielt werden können. Eine weitere Förderung des Kindes im "GB-Bereich" sei dringend zu empfehlen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Mai 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie die ihr durch die stationäre Unterbringung des J.-L. S. im integrativen Kinder- und Jugendheim "A. N." im Zeitraum vom 22. Juni 2010 bis zum 28. Februar 2014 entstandenen Kosten in Höhe von 121.727,18 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es mangele bereits an einer rechtswirksamen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs. Selbst wenn man von einer rechtswirksamen Geltendmachung ausginge, sei ein solcher Anspruch im Verfahren in der ersten Instanz nicht verfolgt worden. Darüber hinaus sei die Berufung unzulässig. Die Klägerin mache im Berufungsverfahren eine Kostenerstattung geltend, für die kein Rechtsgrund gegeben sei. Ferner sei keine Weiterleitung des Antrages erfolgt. Es seien keine vorläufigen Bescheide für die gewährten Leistungen der Jugendhilfe erteilt und nicht die Heranziehung der Eltern zum Kostenbeitrag nach dem Sozialhilferecht geltend gemacht worden.

Im Berufungsverfahren sind - bezogen auf den Zeitraum von Juni 2010 bis zum Februar 2014 - Auskünfte von der Chefärztin am Fachklinikum U. in S. Dr. S. (Assistenzärztin K.) vom 7. Dezember 2017 sowie von der den Hilfeempfänger behandelnden Kinderärztin P. aus M. - Eingang 31. Januar 2018 - eingeholt worden. Frau P. hat die Epikrisen des Klinikums M. vom 18. August und 20. Dezember 2010, vom 24. Mai, 1. Juli und 16. Dezember 2011 sowie vom A. Klinikum H. vom 25. April 2013, vom M.er Ausbildungsinstitut für Psychotherapeutische Psychologie (im Weiteren: MAPP) vom 8. September 2016 und vom Kinderzentrum M. - Sozialpädiatrisches Zentrum - vom 15. März 2017 übersandt. In den Berichten vom 18. August und 12. Dezember 2010 sind als Diagnosen der Zustand nach Epilepsie mit generalisierten und fokalen Zeichen sowie eine mentale Retardierung, im Bericht vom 1. Juli 2011 ein unklares mentales Retardierungssyndrom mit autistischen Verhaltensweisen sowie eine Epilepsie mit fokalen und generalisierten Zeichen, derzeit anfallsfrei genannt. Das A. Klinikum H. führt in seinem Bericht vom 25. April 2013 die Diagnose einer Anpassungsstörung sowie einer Verhaltensstörung bei leichter Intelligenzminderung und Epilepsie auf. Das MAPP benennt die Diagnosen einer sonstigen kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen sowie eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung und Behandlung erforderten. Auch das Sozialpädiatrische Zentrum im Kinderzentrum M. geht von einer leichten Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, dem Zustand nach Epilepsie bei Beendigung der Medikation und einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 202 bis 236 der Gerichtsakte Bezug genommen. Dr. S./Frau K. vom Fachklinikum U. berichten über den Klinikaufenthalt vom 18. Juni bis zum 15. August 2013 unter den Diagnosen einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen und einer dissoziierten Intelligenz, einer leichten Intelligenzminderung mit behandlungsbedürftiger Verhaltensstörung sowie einer Artikulationsstörung. Während des Klinikaufenthaltes habe der Hilfeempfänger erhebliche Verhaltensstörungen gezeigt, die auf den kleinschrittigen verhaltenstherapeutischen Ansatz innerhalb des für die Spezialstation typischen hoch strukturierten Settings mit enger persönlicher Führung angesprochen und zusätzlich einer medikamentösen Behandlung bedurft hätten. Während des stationären Aufenthaltes und der seither durchgängig erfolgten ambulanten Nachbetreuung sei die inzwischen langjährige vollstationäre heilpädagogische Maßnahme mit Unterbringung in der "A. N." ebenso wie die bisherige Beschulung in einer Schule für geistige Entwicklung sinnvoll und notwendig. Der Hilfeempfänger habe Probleme mit der Regulierung seiner Gefühle und Handlungen, sei in diesem Zusammenhang stark auf seine Mutter bezogen, die unter diesen Bedingungen mit der häuslichen Erziehung des von Behinderung betroffenen, expansiv verhaltensauffälligen Kindes überfordert gewesen sei. Erst durch den Schritt in die Fremdbetreuung habe der Hilfeempfänger seine Anpassungsbereitschaft steigern und sowohl im Alltag des Heimes als auch während der regelmäßigen Kontakte ins Elternhaus nach und nach angemesseneres Verhalten zeigen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 183 bis 193 der Gerichtsakte verwiesen.

In Bezug auf die Aufforderung des Senats, den Kostenbeitrag der Eltern des Hilfeempfängers nach den Vorschriften des SGB XII zu berechnen (Gerichtliche Schreiben vom 13. Juli und 21. August 2018) und die Stellungnahmen der Beteiligten in den Schriftsätzen vom 31. Juli 2018 sowie vom 20. und 27. August 2018 wird auf Blatt 267, 268, 290; Blatt 270 bis 280; Blatt 289a bis d und Blatt 297 der Gerichtsakte verwiesen.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3, 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) ist zulässig. Insbesondere ist der gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG maßgebliche Beschwerdewert bei Erstattungsstreitigkeiten in Höhe von 10.000,00 EUR überschritten. Im Streit steht eine geltend gemachte Erstattungsforderung in Höhe von 121.727,18 EUR.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens statthaft, weil aufgrund des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - B 8 SO 19/13 R -, juris RdNr. 9).

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der stationären Unterbringung des Hilfeempfängers im integrativen Kinder- und Jugendheim "A. N." im Zeitraum vom 22. Juni 2010 bis zum 28. Februar 2014 entstandenen Kosten in Höhe von 121.727,18 EUR.

Eine Beiladung des Hilfeempfängers gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG (echte notwendige Beiladung) war im vorliegenden Erstattungsstreit nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - B 8 SO 12/16 R -, juris RdNr. 12 m.w.N.). Auch eine Beiladung der P. Stiftungen kam nicht in Betracht, weil diese nach bereits erfolgter Bezahlung in diesem Erstattungsstreit nicht betroffen ist.

Die Klägerin hat dem Grunde nach gegen den Beklagten nach § 104 SGB X (i.d.F. des Gesetzes vom 21. Dezember 2000, BGBl I 1983) i.V.m § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX - i.d.F. des Gesetzes vom 23. April 2004, BGBl I 606) einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe, die sie für den Hilfeempfänger im Zeitraum vom 22. Juni 2010 bis zum 28. Februar 2014 erbracht hat.

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Im Fall einer Erbringung von Leistungen als erstangegangener Rehabilitationsträger begründet § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX (ggfs. i.V.m. § 14 Abs. 3 SGB IX) für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 SGB IX unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre. § 14 SGB IX ist auch im Verhältnis nachrangiger Leistungspflichten anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017, a.a.O., RdNr. 18 m.w.N.).

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Die Klägerin ist erstangegangene Rehabilitationsträgerin i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, weil eine (rechtzeitige) Weiterleitung des Falls der von Amts wegen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) gegenüber dem Hilfeempfänger zu erbringenden Leistungen der Eingliederungshilfe durch sie nicht erfolgt ist. Für die Anwendung des § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX genügt es, dass die Klägerin (jedenfalls) als Trägerin der Jugendhilfe (§ 69 Abs. 1 SGB VIII) nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX eine Rehabilitationsträgerin ist und Rehabilitationsleistungen erbracht hat. Auch ein Fall des § 103 SGB X liegt nicht vor.

Hier hat die Mutter des Hilfeempfängers am 7. Juli 2009 (mit ihrem Schreiben vom 24. Juni 2009) bei dem Jugendamt der Klägerin Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35 a SGB VIII mit dem Ziel einer intensiven täglichen autismusspezifischen Förderung und am 1. September 2009 (unter dem 6. August 2009) die Gewährung von Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII wegen starker Verhaltensstörungen des Hilfeempfängers, insbesondere aggressiver Verhaltensweisen und Schulverweigerung, gestellt. Beide Anträge hat das Jugendamt nicht weitergeleitet; über den Antrag vom 7. Juli 2009 ist bis heute nicht entschieden. Auf den Antrag vom 1. September 2009, der ausgehend vom Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. BSG, Urteil vom 25. September 2014, - B 8 SO 7/13 R -, juris RdNr. 29 m.w.N.) auch als Rehabilitationsantrag für den Hilfeempfänger auszulegen ist, hat die Klägerin der Mutter des Hilfeempfängers mit ihrem Bescheid vom 14. Dezember 2009 ab dem 11. Dezember 2009 Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. §§ 27, 34 SGB VIII in der "A. N." bewilligt. Der von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch bezieht sich auf die aus dieser Hilfe entstandenen Kosten.

Für den streitigen Zeitraum bestand im Hinblick auf die Heimunterbringung des Hilfeempfängers sowohl eine Leistungspflicht der Klägerin als Trägerin der Jugendhilfe nach §§ 27, 34 SGB VIII als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 ff. SGB XII gegen den Beklagten als Träger der Sozialhilfe. Dabei ging die auf Eingliederungshilfe gerichtete Leistungsverpflichtung des Beklagten der Verpflichtung zur Leistung von Jugendhilfe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII vor.

Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Die Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf des Kindes; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden, (§ 27 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VIII). Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern.

Hier war die Erziehung des damals knapp achtjährigen Hilfeempfängers zu Hause nicht mehr in einer seinem Wohl entsprechenden Weise gewährleistet. Denn die in zu dieser Zeit allein erziehende Mutter war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, den Alltag mit dem Hilfeempfänger zu bewältigen und ihn im Hinblick auf seine schweren Verhaltensauffälligkeiten zu betreuen. Der Hilfeempfänger hatte vor der Inobhutnahme durch das Jugendamt bereits mehrere Langzeittherapien durchlaufen, zunächst vom 4. Juni bis zum 21. September 2007 im Städtischen Klinikum M., dann in den Jahren 2008 und 2009 im A. Klinikum H. und zuletzt vom 22. Juli bis zum 12. November 2009 erneut im Städtischen Klinikum M ... Anlass waren jeweils erhebliche "Ausraster". Auch nach der Entlassung am 12. November 2009 war der Hilfeempfänger erneut nicht von der Mutter "zu bändigen", so dass sie bereits wenige Tage nach der Rückkehr in die Häuslichkeit dem Jugendamt signalisierte, "mit den Nerven am Ende" zu sein. Da ausweislich der Entlassungsberichte des Städtischen Klinikums M. eine klare Tagesstrukturierung und ein konsequenter und seinem - aufgrund der geistigen Behinderung weit zurückgebliebenen - Entwicklungsstand angemessener Umgang als notwendig beschrieben wurde, kam nur die Unterbringung und Betreuung in einem Heim nach § 34 SGB VIII als geeignet und notwendig in Betracht. Dies wird auch weder von der Klägerin noch von dem Beklagten in Zweifel gezogen.

Die Klägerin hat somit als örtlich und sachlich zuständiger Leistungsträger rechtmäßig Leistungen der Jugendhilfe erbracht. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, die sachliche Zuständigkeit aus § 85 Abs. 1 SGB VIII.

Der Hilfeempfänger hatte im entscheidungserheblichen Zeitraum auch einen Anspruch auf Unterbringung nach den Vorschriften der Eingliederungshilfe. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dabei zählen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch vollstationäre Unterbringungen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Oktober 2011 - 5 C 6/11 -, juris RdNr. 10).

Im vorliegenden Fall gehörte der Hilfeempfänger zum Kreis der grundsätzlich leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII, weil er aufgrund seiner leichten geistigen Behinderung und seiner mentalen Retardierung bei Zustand nach schwer einstellbarer frühkindlicher Epilepsie mit heftigen aggressiven Unruhezuständen und autistisch anmutenden Verhaltensweisen wesentlich in seiner Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, beeinträchtigt und im Vergleich zu anderen Kindern seiner Altersgruppe im weitaus stärkeren Maße auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bestand die Aussicht, dass die in § 53 Abs. 3 SGB XII umschriebene Aufgabe der Eingliederungshilfe erreicht werden konnte. Insbesondere konnte die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft erleichtert werden. Dementsprechend bestand grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und nicht nur ein Ermessensanspruch nach § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Der Umfang der zu gewährenden Sozialhilfeleistungen richtet sich nach der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB XII stets nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Aus dem in dieser Norm verankerten Bedarfsdeckungsprinzip folgt, dass im Sozialhilferecht grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf abzudecken ist. Auf die Gründe für die Notlage kommt es nicht an. Demzufolge ist für die Frage, ob der Anspruch auf Eingliederungshilfe im Einzelfall ambulante, teilstationäre oder vollstationäre Leistungen umfasst, stets auf den konkreten und individuellen Hilfebedarf abzustellen. Nicht entscheidend ist, ob der Hilfebedarf ausschließlich durch die geistige Behinderung des Leistungsberechtigten bedingt ist oder ob andere Umstände - wie der Ausfall elterlicher Betreuungsleistungen - für den Umfang des Hilfebedarfs mitursächlich sind. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz lässt es auch grundsätzlich nicht zu, den konkreten Hilfebedarf in einzelne Komponenten aufzuspalten und die bei isolierter Betrachtung hierfür hypothetisch erforderlichen Hilfeleistungen (im Sinne eines erzieherischen oder behinderungsbedingten Bedarfs) gegenüberzustellen. Vielmehr ist der gesamte konkrete Bedarf zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2011, a.a.O., RdNr. 12).

Hier bedurfte der Hilfeempfänger einer umfassenden Betreuung und Anleitung in allen Lebensbereichen, d.h. in Bezug auf seine Selbstversorgung, schulische Belange, den Kontakt zu anderen Menschen und insbesondere die Beziehungsgestaltung zu seiner Mutter. Die Einschätzung des Beklagten und auch des Sozialgerichts, die Probleme des Hilfeempfängers resultierten allein aus der fehlenden Erziehungskompetenz der (allein erziehenden) Mutter, haben sich - nach Beiziehung aller den Hilfeempfänger betreffenden medizinischen Unterlagen - als unzutreffend herausgestellt. Die geistige, motorische und seelische Entwicklung des Hilfeempfängers verlief nicht altersgerecht und wies erhebliche Defizite auf. Bei der Heimaufnahme bestand ein Entwicklungsrückstand des damals knapp achtjährigen Jungen von 4,1 Jahren. Er wies autistische und erhebliche aggressive Verhaltensweisen und ein krankhaftes Verhältnis zur Mutter auf. Der Entwicklungsrückstand ist im hier maßgebenden Zeitraum nicht aufgearbeitet und die Verhaltensstörungen bestanden fort. Der Hilfeempfänger war nur in beschränktem Umfang lernfähig und vergaß trotz langjähriger ständiger Anleitung und Betreuung vermittelte Inhalte. Dies ergibt sich für den Senat aus den nunmehr vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aus den Berichten von Dr. K. und Frau P. und den von ihnen übersandten Berichten über die stationären Behandlungen des Hilfeempfängers.

In diesem Falle ergibt sich für Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (in den hier maßgeblichen Fassungen vom 14. Dezember 2006, BGBl I 3134 und vom 24. März 2011, BGBl I 453) unabhängig davon, welche Behinderung im Vordergrund steht (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017, a.a.O., RdNr. 20 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2011, a.a.O., RdNr. 18 ff.), eine vorrangige Leistungsverpflichtung des nach §§ 97 f. SGB XII sachlich und örtlich (eigentlich) zuständigen Sozialhilfeträgers. Für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII genügt dabei bereits jede Überschneidung der Leistungsbereiche; es ist dafür nicht (weiter gehend) erforderlich, dass der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. des Hilfezwecks im Bereich einer der den Eingliederungsbedarf auslösenden Behinderungen liegt oder eine von ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich ist. Für die Beurteilung der Leistungsidentität ist zudem ohne Bedeutung, wem der jeweilige Anspruch nach der Systematik des SGB VIII und des SGB XII zusteht; entscheidend ist nur, dass die Bedarfe derselben Person - vorliegend des Hilfeempfängers - gedeckt werden.

Im hier streitigen Zeitraum vom 22. Juni 2010 bis zum 28. Februar 2014 war der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich und örtlich zuständig für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII. Dies ergibt sich für die sachliche Zuständigkeit aus § 97 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII ((AG SGB XII) vom 11. Januar 2005, GVBl. LSA 2005, S. 8). Der Beklagte ist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII auch örtlich zuständig. Danach ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Der Leistungsempfänger hatte vor der Aufnahme in die "A. N." seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Wohnort seiner Mutter in M. und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.

Die Klägerin hat ihren Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht. Die Voraussetzungen des § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht vor. Danach ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.

Die Klägerin gewährt dem Hilfeempfänger ab dem 11. Dezember 2009 ohne eine Begrenzung auf einen Bewilligungszeitraum oder eine sonstige zeitliche Begrenzung (§ 44 SGB XII) und damit im Wege eines Dauerverwaltungsaktes die Leistungen für die vollstationäre Heimunterbringung in der "A. N.". Die Klägerin kann für jeden Monat individuell auf der Grundlage der maßgeblichen Vergütungssätze mit der Einrichtung und ausgehend vom jeweils maßgeblichen Barbetrag den Erstattungsanspruch konkret zum Abschluss des jeweiligen Monats berechnen und geltend machen. Die Ausschlussfrist nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB X beginnt daher jeweils mit dem Ende des Monats, für den die jeweiligen monatlichen Leistungen erbracht worden sind.

Hier hat die Klägerin mit dem Schreiben vom 22. Juni 2010 am 23. Juni 2010 die Feststellung der Sozialleistungen (stationäre Eingliederungshilfe), die Übernahme der (zukünftigen) Kosten der Unterbringung sowie die Kostenerstattung für die erbrachten Leistungen geltend gemacht. § 111 SGB X regelt nicht näher, in welcher Form der Erstattungsanspruch geltend gemacht werden muss; darum genügt auch eine konkludente Geltendmachung (BVerwG, Urteil vom 4. März 1993 - 5 C 6/91 -, juris RdNr. 11). An das Geltendmachen im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X dürfen keine überzogenen formalen oder inhaltlichen Anforderungen gestellt werden, zumal es sich bei den am Erstattungsverfahren Beteiligten um Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Behörden handelt, deren Vertreter Kenntnis von den jeweils in Betracht kommenden Leistungen besitzen (BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 14/09 -, juris RdNr. 20).

Das Sozialamt war seit der Antragstellung durch die Mutter des Hilfeempfängers Anfang September 2009 in die Fallbearbeitung mit einbezogen. Nach den aktenkundigen Vermerken bestanden bereits zu diesem Zeitpunkt Nachweise einer geistigen Behinderung des Hilfeempfängers. Denn der Beklagte hatte dem Hilfeempfänger bereits vom 1. September 2002 bis zum 31. Juli 2008 Leistungen der Eingliederungshilfe bewilligt. In der behördeninternen Fallbesprechung am 18. November 2009 wurde von den Mitarbeitern des Sozial- und des Jugendamtes insbesondere die Problematik der Zuständigkeit diskutiert sowie die Argumente für die jeweils andere Zuständigkeit ausgetauscht. Bereits am 18. November 2009 wurde ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff SGB X angekündigt. Zwar reicht die Ankündigung eines Erstattungsanspruchs allein nicht aus. Denn mit dem Begriff der Geltendmachung i.S. des § 111 Satz 1 SGB X ist ein unbedingtes Einfordern der Leistung gemeint, nicht ein bloß vorsorgliches Anmelden. Die Anforderungen, die an das wirksame Geltendmachen eines Erstattungsanspruches zu stellen sind, bestimmen sich nach dem Zweck des § 111 SGB X, nämlich möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht (vgl. BT-Drucks 9/95, S. 26 zu § 117 des Entwurfs eines SGB X). Danach muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruches ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret mitgeteilt sind.

Aufgrund der Vorkenntnisse am 23. Juni 2010 war für den Beklagten unzweifelhaft erkennbar, dass nunmehr die bereits angekündigte Inanspruchnahme auf "Fallübernahme" und Kostenerstattung durch das Jugendamt erfolgte. Trotz der rechtlich unzutreffenden und missverständlichen Wortwahl bestand an der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs kein Zweifel. Dass der Sozialhilfeträger die Tragweite des Anliegens des Jugendamtes verstanden hatte, wird aufgrund der nachfolgenden Ausführungen im ablehnenden Schreiben vom 24. Februar 2011 und im Widerspruchsbescheid vom 14. September 2011 deutlich.

Der Umfang der Erstattungspflicht richtet sich gemäß § 104 Abs. 3 SGB X nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, also den §§ 53 ff. SGB XII. Danach ist zwar unerheblich, dass mit den P. Stiftungen keine Verträge nach den §§ 75 ff SGB XII geschlossen wurden (vgl. BSG, Urteil vom 25. September 2014 - B 8 SO 7/13 R -, juris, RdNr. 32). Denn die Kosten der Heimunterbringung sind auf der Grundlage der Vergütungsvereinbarung der Einrichtung mit der Klägerin entstanden. Der in Rechnung gestellte Tagessatz in Höhe von 105,40 EUR sowie des Barbetrages in Höhe von 10,23 EUR stimmt mit der aktenkundigen ab 1. Dezember 2009 geltenden Entgeltvereinbarung überein (vgl. § 78 b SGB VIII).

In Bezug auf die Höhe des Erstattungsanspruchs ist jedoch nicht feststellbar, ob und ggfs. in welcher Höhe der Hilfeempfänger und seine Eltern durch einen Kostenbeitrag gemäß § 92 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 3 und 1 SGB XII - auch aus ihrem Vermögen - zu den entstehenden Kosten heranzuziehen gewesen wären.

Eine privilegierte Maßnahme nach § 92 Abs. 2 SGB XII stellt die Unterbringung in der "A. N." nicht dar.

In den Fällen, die in § 92 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 8 SGB XII enumerativ aufgezählt sind, ist der Einkommenseinsatz den grundsätzlich Verpflichteten nur für die Kosten des Lebensunterhalts (und nicht für darüber hinaus gehende Eingliederungshilfeleistungen) zuzumuten; in diesen Fällen sind die Leistungen zudem gemäß § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen. Einschlägig für den hier zu entscheidenden Fall von den Nrn. 1 bis 8 in § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII könnte hier die Nr. 2 sein. Danach ist die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu privilegiert. Würde es sich also bei den im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Hilfeempfängers in der "A. N." anfallenden Aufwendungen um solche handeln, die der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu dienen, müssten der Hilfeempfänger und seine Eltern mit ihrem Einkommen nur für die Kosten des Lebensunterhalts des Hilfeempfängers und mit ihrem Vermögen gar nicht beitragen.

Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII knüpft an § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII an (Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu) sowie an § 12 Eingliederungshilfeverordnung. Nach Nr. 1 der Vorschrift umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Nr. 2 der Vorschrift, die Maßnahmen der Schulbildung außerhalb der allgemeinen Schulpflicht betrifft, kommt hier nicht in Betracht, da der Hilfeempfänger im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht die Förderschule für geistig Behinderte "A. W." besuchte.

Der Heimaufenthalt des Hilfeempfängers war im streitigen Zeitraum, wie oben dargelegt, zur Sicherung des Kindeswohls und zur Erleichterung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erforderlich, da der Hilfeempfänger in allen Lebensbereichen einer umfassenden Betreuung und Anleitung bedurfte. Zwar erleichtert diese umfassende Betreuung und Anleitung auch den Schulbesuch. Der Aufenthalt in der "A. N." diente jedoch nicht vordergründig oder auch nur gleichwertig "objektiv final" (vgl. hierzu auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. August 2016 - L 12 SO 435/14 -, juris RdNr. 37 ff.) dem Ziel, dem Hilfeempfänger den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, er wäre auch unabhängig vom Alter bzw. der Schulpflicht geboten gewesen.

Die Klägerin hat, obwohl sie für den Hilfeempfänger auch Leistungen der Eingliederungshilfe in der A. N. erbracht hat, den Kostenbeitrag ausschließlich nach den Vorschriften des SGB VIII erhoben, die einen Einsatz des Vermögens nicht vorsehen und im pflichtgemäßen Ermessen einen individuellen Abzug ermöglichen. Dies ist in Bezug auf den vom Vater des Hilfeempfängers erhobenen Kostenbeitrag auch erfolgt; wegen der Einzelheiten wird auf die Aktennotiz vom 21. Januar 2013 in der Verwaltungsakte der Klägerin zur Prüfung der Kostenbeitragsfähigkeit des Vaters Bezug genommen.

Die Klägerin hat insoweit angegeben, eine Berechnung des Kostenbeitrags des Hilfeempfängers und der Eltern nach den Vorschriften des SGB XII und damit nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften nicht vornehmen zu können. Der Senat verfügt nach den vorgelegten Unterlagen nicht über die notwendigen Informationen, um die nach der Rechtslage vorgesehene Berechnung vornehmen zu können. Sämtliche in Bezug auf den Kostenbeitrag ergangenen Bescheide gegenüber den Eltern des Hilfeempfängers sind bestandskräftig, so dass diese auch keine Mitwirkungspflicht mehr trifft.

Eine Verurteilung des Beklagten zur Kostenerstattung kam deshalb nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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