L 19 R 493/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 254/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 493/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Entgeltbegriff des § 14 SGB IV bietet keinen Anhalt, familienbezogene Entgeltbestandteile nicht als Arbeitsentgelt einzuordnen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Anrechnung von Einkommen in der Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2016 (teilweise) aufgehoben und von der Klägerin überzahlte Rente in Höhe von 2.442,08 EUR zurückgefordert hat. Die 1966 geborene Klägerin hat eine Ausbildung als Arzthelferin und später eine Qualifikation zur Krankenschwester absolviert. Zuletzt war sie ab dem 01.07.2011 als Arzthelferin im L.-Krankenhaus in S-Stadt versicherungspflichtig beschäftigt. Ein erster Rentenantrag vom 24.01.2011 war erfolglos (Bescheid vom 13.05.2011, Widerspruchsbescheid vom 11.11.2011).

Auf ihren Antrag vom 21.02.2014 wurde der Klägerin mit Bescheid vom 03.12.2014 unter Annahme eines Leistungsfalles mit Antragstellung Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2014 bis 28.02.2017 bewilligt. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass die Rente wegen Hinzuverdienstes nicht gezahlt werde. Als Hinzuverdienst der Klägerin werde ab 01.09.2014 ein Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich 1.515,81 EUR angerechnet. Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe der Hälfte betrage 1.439,16 EUR. Damit sei die Rente nicht zu zahlen. Zwar werde die Hinzuverdienstgrenze ab dem 01.01.2015 auf 1.475,59 EUR angehoben, der Verdienst der Klägerin liege aber gleichwohl über dieser Grenze. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben ohne Datum, eingegangen bei der Beklagten am 12.03.2015, teilte die Klägerin mit, dass sie ab dem 01.03.2015 von ihrem Arbeitgeber einen geänderten Arbeitsvertrag erhalten habe, der es ihr ermögliche, Rentenzahlungen zu erhalten. Sie arbeite nun 15 Wochenstunden. Dies reduziere ihr Bruttogehalt und sie falle unter die Hinzuverdienstgrenze. Sie bitte, die Rente neu zu berechnen und hierzu eine Verdienstbescheinigung vom Arbeitgeber anzufordern.

Die Beklagte holte vom Arbeitgeber der Klägerin eine Erklärung zur Höhe des Arbeitsverdienstes ein. Unter dem 21.04.2015 wurde vom Arbeitgeber ab dem 01.03.2015 ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.210,39 EUR angegeben. Die Frage nach im Bruttoarbeitsentgelt enthaltenem einmaligem Arbeitsentgelt wurde verneint, ebenso die Frage nach einer Mehrarbeitsvergütung. Das künftige Arbeitsentgelt betrage monatlich ebenfalls 1.210,39 EUR. Im Monat November 2015 sei zusätzlich ein Verdienst in Höhe von 1.087,02 EUR wegen einer Einmalzahlung zu erwarten. Der Beschäftigungsort liege in den alten Bundesländern.

Die Beklagte berechnete daraufhin die Rente der Klägerin neu und bewilligte ihr mit Bescheid vom 27.04.2015 ab dem 01.05.2015 eine laufende monatliche Rente in Höhe von 536,43 EUR sowie eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.03.2015 bis 30.04.2015 in Höhe von 1.072,86 EUR. Dabei waren in Anlage 19 des Bescheides die für die Zeit ab 01.03.2015 relevanten Hinzuverdienstgrenzen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgelistet, für eine Rente in voller Höhe die Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 EUR monatlich. In Anlage 21 des Bescheids war festgestellt, dass der Hinzuverdienst der Klägerin in Höhe von 1.210,39 EUR die Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 EUR nicht überschreite. Der Klägerin stehe deshalb die Rente in voller Höhe zu.

Im Rahmen einer Überprüfung der Rentenberechtigung wegen des Hinzuverdienstes der Klägerin durch die Beklagte teilte der Arbeitgeber der Klägerin unter dem 11.03.2016 mit, dass die Klägerin eine monatliches "SV-Brutto" in Höhe von 1.183,22 EUR zukünftig erhalten werde.

Einmalzahlungen seien für November 2015 in Höhe von 1.087,02 EUR und für November 2016 in Höhe von ca. 1.100,00 EUR zu erwarten. Für die Zeit ab 01/2015 gab der Arbeitgeber folgende Zahlungen an, bezeichnet als "SV-Brutto":

01/2015 1.548,39 EUR
02/2015 1.540,31 EUR
03/2015 1.227,29 EUR
04/2015 1.227,29 EUR
05/2015 1.227,29 EUR
06/2015 1.227,29 EUR
07/2015 1.227,29 EUR
08/2015 1.227,29 EUR
09/2015 1.227,29 EUR
10/2015 1.183,22 EUR
11/2015 2.276,66 EUR (incl. Jahressonderzahl. 1.087,02 EUR)
12/2015 1.183,22 EUR
01/2016 1.183,22 EUR
02/2016 1.183,22 EUR
03/2016 1.183,22 EUR

Mit Schreiben vom 05.04.2016 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2015 an. Der Arbeitgeber habe in seiner bisherigen Bescheinigung vom 21.04.2015 mit einem Betrag von 1.210,39 EUR ein Monatsentgelt knapp unter der Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 EUR angegeben. Nun werde ein Betrag von 1.227,29 EUR ausgewiesen, wodurch die Hinzuverdienstgrenze überschritten werde. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 27.04.2015 mit Wirkung ab dem 01.03.2015 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von 546,46 EUR ab dem 01.04.2016 laufend zu zahlen und die entstandene Überzahlung für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 31.03.2016 in Höhe von 2.442,08 EUR nach § 50 Abs 1 SGB X zurückzufordern. Die Klägerin habe die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt bzw. hätte diese kennen müssen (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X).

Laut einem Aktenvermerk vom 14.04.2016 wies die Klägerin telefonisch darauf hin, dass das Entgelt in der Bescheinigung auf Bl 387 Rückseite der Rentenakte höher sei als ihr "normales" Bruttoarbeitsentgelt. Sie habe ein Bruttoentgelt von 1.210,39 EUR erhalten.

Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für März 2015 (rückgerechnet im April 2015) und den Folgemonaten ergab sich ein "Gesamtbrutto" von 1.210,39 EUR, zuzüglich einer Zusatzversorgung in Höhe von./. 8,51 EUR + 25,41 EUR, damit ein "Krankenversicherungsbrutto" in Höhe von 1.227,29 EUR, ebenso ein "Rentenversicherungsbrutto" in Höhe von 1.227,29 EUR monatlich. Die Beklagte hob daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10.05.2016 den Bescheid vom 27.04.2015 nach § 45 SGB X auf und forderte die der Klägerin gezahlte Rente für die Zeit vom 01.03.2015 bis 30.06.2016 in Höhe von 2.442,08 EUR zurück. Aufgrund der geltenden Hinzuverdienstgrenzen sei die Rente vom 01.01.2015 bis 28.02.2015 nicht, vom 01.03.2015 bis 30.11.2015 nur in Höhe der Hälfte und ab dem 01.12.2015 in voller Höhe zu zahlen. Die Klägerin könne sich auf Grund ihrer Kenntnis von der Anrechnung des Hinzuverdienstes nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das tatsächliche Arbeitsentgelt sei der Klägerin aus den Gehaltsabrechnungen bekannt gewesen. Aus den vorgelegten Gehaltsabrechnungen ergebe sich ein rentenversicherungspflichtiges Bruttoentgelt in Höhe von 1.227,29 EUR. Ihr seien die Hinzuverdienstgrenzen konkret bekannt gewesen. Umstände für eine abweichende Entscheidung im Rahmen des auszuübenden Ermessens seien von der Klägerin nicht vorgetragen worden.

Zur Begründung des hiergegen am 18.05.2016 eingelegten Widerspruchs wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 09.06.2016 darauf hin, dass die Beklagte im Grunde ja recht habe, gleichwohl aber eine Aufhebung des Bescheids wegen Vertrauensschutzes nicht in Betracht komme. Die Klägerin habe Vermögensdispositionen getroffen, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. In der Jahresmitte 2015 seien erhebliche Kosten für die Führerscheinprüfung des Sohnes angefallen (ca. 1.800,000 EUR). Der Autokauf inklusive einer notwendigen Reparatur habe sich auf 3.200,00 EUR belaufen. Sie habe die Leistungen somit zeitnah in diesem Zusammenhang verbraucht. Die Unterschiede in der Lohnbescheinigung des Arbeitgebers von März 2016 seien so gering (ca. 17,00 EUR) gewesen, dass es sich der Klägerin auch nicht hätte aufdrängen müssen, dass sie die Hinzuverdienstgrenzen überschreiten könnte. Sie sei davon ausgegangen, dass sie weiter die Hinzuverdienstgrenzen einhalte. Von einer groben Fahrlässigkeit könne in keinster Weise gesprochen werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2017 als unbegründet zurück. Die Klägerin hätte wissen müssen, dass sie aufgrund ihres Gehalts die relevanten Hinzuverdienstgrenzen überschreiten würde. Sie habe zuerst keine Rente erhalten, weil sie sämtliche Hinzuverdienstgrenzen überschritten habe. Sie habe sich mit ihrem Arbeitgeber sodann mit der Problematik beschäftigt und ihre Arbeitsstunden reduziert. Es sei diesbezüglich mehr als naheliegend gewesen, dass das Bruttoarbeitsentgelt zur Rentenversicherung und nicht der Bruttobetrag für die Steuer oder die Krankenversicherung von Relevanz sei. Spätestens bei Erhalt des Lohnzettels für den Monat März 2015 hätten der Klägerin zumindest Zweifel kommen müssen, ob nunmehr die Hinzuverdienstgrenze für die volle Rente eingehalten werde. Eine Rückfrage bei der Beklagten hätte zur Aufklärung geführt und eine größere Überzahlung hätte vermieden werden können.

Zur Begründung der hiergegen am 07.04.2017 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine geringe Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen gehandelt habe. Zu beachten seien auch die von der Klägerin getätigten Vermögensdispositionen. Von grober Fahrlässigkeit der Klägerin könne nicht gesprochen werden.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 24.01.2018 wurde die Beklagte um Mitteilung gebeten, weshalb das Entgelt von 1.183,22 EUR für Oktober 2015 als Hinzuverdienst angesehen worden sei, der in den neuen Bundesländern erzielt worden sei. Mit Schriftsatz vom 29.03.2018 unterbreitete die Beklagte daraufhin ein Vergleichsangebot dahingehend, dass die Beklagte die Rückforderung der hälftigen Rentenzahlung für die Monate Oktober und November 2015 zurücknehme und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu ein Viertel erstatte. In den Monaten Oktober und November 2015 habe ein Anspruch auf Auszahlung der vollen Rente bestanden, weil die Hinzuverdienstgrenzen hier nicht mehr überschritten gewesen seien. Hinsichtlich der Angabe "neue Bundesländer" handele es sich wohl um einen Eingabefehler. Der niedrigere Verdienst im Oktober 2015 bedinge, dass die Zahlung im November 2015 - unter Berücksichtigung der Einmalzahlung - in Höhe von 2.276,66 EUR nicht zur Anrechnung führe (das Doppelte der Hinzuverdienstgrenze betrage 2.424,20 EUR).

Mit Schriftsatz vom 25.04.2018 lehnte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Annahme des Vergleiches ab. Die Beklagte sei von Amts wegen zur Berichtigung dieses Fehlers verpflichtet. Die Klägerin sei nach wie vor der Meinung, dass ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Im Übrigen enthalte das als Hinzuverdienst berücksichtigte Einkommen der Klägerin einen "Besitzstand Kinderanteil" in Höhe von 85,98 EUR. Solche Kinderzuschläge als Lohnbestandteile dürften nicht als Hinzuverdienst angerechnet werden.

Das SG hat sodann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.07.2018 mit Urteil vom gleichen Tag den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 aufgehoben. Die relevanten Hinzuverdienstgrenzen seien nicht überschritten worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts - BSG - im Urteil vom 23.08.2005 (B 4 RA 29/04 R) liege ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nicht vor, soweit das Arbeitsentgelt offen ausgewiesene Ehe- und/oder Kinderzuschläge enthalte. Die Kammer folge dieser Rechtsprechung, auch weil der 13. Senat des BSG ausweislich des Terminsberichts Nr. 20/12 keinen Anlass gesehen habe, der Rechtsprechung des 4. Senats entgegen zu treten. Die Klägerin sei übergeleitete Arbeitnehmerin des TVöD, habe nach § 11 TVÜ-VKA Anspruch auf eine Besitzstandszulage, die in den Verdienstabrechnungen offen als "Besitzstand Kinderanteil" in Höhe von 85,98 EUR ausgewiesen sei. Dieser Betrag müsse unberücksichtigt bleiben, so dass die Klägerin bereits ab März 2015 die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten habe.

Zur Begründung der hiergegen am 20.08.2018 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung weist die Beklagte darauf hin, dass die Beklagte der Entscheidung des BSG vom 23.08.2005 nicht zu folgen vermöge.

Arbeitsentgelt im Sinne des § 96a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - seien sämtliche aus einer Beschäftigung resultierende Zuwendungen des Arbeitgebers, die den Arbeitsentgeltbegriff im Sinne der §§ 14, 17 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IV - iVm der Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV - erfüllten. Zum Arbeitsentgelt gehörten auch Zuwendungen des Arbeitgebers im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, die ehe- oder familienbezogen seien. Das BSG habe in der zitierten Entscheidung entschieden, dass nur der Ortszuschlag berücksichtigt werden dürfe, der einem unverheirateten Arbeitnehmer ohne Kinder zustünde. Dies habe das BSG mit einer seiner Ansicht nach verfassungskonformen Auslegung bei teleologischer Reduktion des Arbeitsentgeltbegriffs des § 14 SGB IV begründet. § 96a SGB VI differenziere aber nicht zwischen den Arten von Hinzuverdienst, ob familienbezogen oder nicht. Es gebe hier auch keinen Auslegungsspielraum für den Rentenversicherungsträger. Die Rechtsauffassung der Beklagten werde in der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte geteilt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.01.2010 - L 1 R 92/09 -, rechtskräftig; LSG Sachsen, Urteil vom 11.05.2009 - L 7 R 11/07). § 14 SGB IV sei generell für die Definition des Arbeitsentgelts vorgesehen, nicht speziell für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Ausgleich der familienbezogenen Mehraufwendungen sei nicht Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern anderer Rechtsinstitute, beispielsweise des Steuer- und des Sozialhilferechts.

In der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2019 hat die Vertreterin der Beklagten den geltend gemachten Anspruch der Klägerin insoweit anerkannt, als mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 der Bescheid vom 27.04.2015 für den Zeitraum März 2015, Oktober und November 2015 aufgehoben wurde. Das Teilanerkenntnis der Beklagten wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angenommen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit noch der streitige Zeitraum betroffen ist.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Infolge des in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2019 abgegebenen Teilanerkenntnisses der Beklagten, das der Prozessbevollmächtigte der Klägerin angenommen hat, hat sich das Berufungsverfahren insoweit erledigt, als eine Rückforderung überzahlter Rente für die Monate März 2015, Oktober und November 2015 aus dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 nicht mehr geltend gemacht werden kann. Bezüglich der Monate Oktober und November 2015 hatte die Beklagte bereits im sozialgerichtlichen Verfahren einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, weil die Beklagte fehlerhaft von einem Hinzuverdienst in den neuen Bundesländern bei anderen Hinzuverdienstgrenzen ausgegangen war und übersehen hatte, dass ab Oktober 2015 ein niedrigerer Hinzuverdienst zu berücksichtigen war. Die Rückforderung des Rentenbetrags für März 2015 wurde von der Beklagten nicht mehr aufrechterhalten, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin eine korrigierte Gehaltsabrechnung erst im April 2015 erhalten haben dürfte und insoweit der der Beklagten obliegende Nachweis einer entsprechenden positiven Kenntnis bzw. grobfahrlässigen Unkenntnis der Klägerin im Sinne des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X wohl schwierig werden könnte.

Im Übrigen - soweit die Beklagte mit dem Teilanerkenntnis vom 05.06.2019 dem Anspruch der Klägerin noch nicht entsprochen hat - ist die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 begründet. Die Beklagte hat zu Recht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 den Rentenbescheid vom 27.04.2015 für die Monate April - September 2015 nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X aufgehoben und von der Klägerin nach § 50 Abs 1 SGB X die Erstattung der überzahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verlangt.

1. Gemäß § 45 Abs 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) mit Wirkung für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes ist nach § 45 Abs 2 S 2 SGB X in der Regel dann schutzwürdig, soweit der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch nicht berufen, soweit einer der Tatbestände des § 45 Abs 2 S 3 Nrn 1 bis 3 SGB X vorliegt.

Der Bescheid vom 27.04.2015, mit dem die Beklagte die Auszahlung der der Klägerin bereits dem Grunde nach mit Bescheid vom 03.12.2014 bestandskräftig zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligte, nachdem die Klägerin die Beklagte über eine Änderung ihrer Arbeitszeiten und daraus folgend des Hinzuverdienstes unter die relevanten Hinzuverdienstgrenzen ab März 2015 informiert hatte, war bereits bei Erlass rechtswidrig, weil die Klägerin einen anzurechnenden Hinzuverdienst im Sinne des § 96a SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden Fassung hatte, der zur Minderung des Zahlungsanspruches der Rente bei der Klägerin führte. Infolge der unterbliebenen Anrechnung von Hinzuverdienst ist es zur Überzahlung der Rente gekommen.

a. Die Klägerin hatte aufgrund des (zweiten) Rentenantrags vom 21.02.2014 von der Beklagten mit Bescheid vom 03.12.2014 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.09.2014 bewilligt bekommen, die aber wegen der damals unstreitigen Höhe des Hinzuverdienstes aus ihrer seit 01.07.2011 laufenden abhängigen Beschäftigung als Arzthelferin im L. Krankenhaus in S-Stadt nicht zur Auszahlung gelangte. Auf Antrag der Klägerin vom 12.03.2015 hat die Beklagte eine Verdienstauskunft des Arbeitgebers eingeholt, der für die Zeit ab dem 01.03.2015 nur noch ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.210,39 EUR monatlich bescheinigte. Für den November 2015 war eine zu erwartende Einmalzahlung in Höhe von (zusätzlich) 1.087,02 EUR angekündigt. Die Beklagte hat auf der Grundlage dieser Erklärung eine Neuberechnung der Hinzuverdienstgrenze vorgenommen und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit dem bescheinigten Bruttoarbeitsentgelt von 1.210,39 EUR die Hinzuverdienstgrenzen nach § 96a SGB VI ab dem 01.03.2015 nicht überschreite. Infolgedessen wurde der Rentenbescheid vom 27.04.2015 erlassen und die Rente an die Klägerin ausgezahlt.

Im Rahmen der von der Beklagten eingeleiteten Überprüfung der Rentenberechtigung im März 2016 bescheinigte der Arbeitgeber der Klägerin aber ein regelmäßiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von monatlich 1.227,29 EUR, mit Ausnahme Oktober 2015 mit 1.183,22 EUR (unterhalb der Hinzuverdienstgrenze) und für November 2015 mit 2.276,66 EUR (nicht anrechenbar wegen der Verdiensthöhe im Oktober 2015 sowie zulässiger Überschreitung des Höchstbetrages in Höhe des doppelten Betrages). Die von März 2015 bis einschließlich September 2015 erhaltenen Bruttovergütungen in Höhe von 1.227,19 EUR haben die für die Klägerin relevante Hinzuverdienstgrenze in Höhe von 1.212,10 EUR für die Zahlung der Rente in voller Höhe überschritten, so dass insoweit in diesem Zeitraum der Klägerin nicht der volle Rentenbetrag zugestanden hätte. Die Hinzuverdienstgrenze für die Rente in Höhe der Hälfte hätte 1.475,49 EUR betragen, so dass der Klägerin in der fraglichen Zeit die Hälfte des Rentenzahlbetrages zugestanden hätte.

b. Gemäß § 96a Abs 1 SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden, hier anzuwendenden Fassung wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. § 96a Abs 1 SGB VI enthält in Satz 4 eine Einschränkung dahingehend, dass Geldleistungen vom Pflegebedürftigen an die Pflegeperson und Entgelt in einer Einrichtung an behinderte Menschen kein Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Frage des Hinzuverdienstes im Sinne des § 96a SGB VI auf die für alle Zweige der Sozialversicherung geltenden Regelungen in § 14 SGB IV sowie auf die Regelungen der SvEV zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 10.07.2012 - B 13 R 85/11 R; BSG, Urteil vom 06.09.2017 - B 13 R 33/16 R Rdnr 25 m.w.N., veröffentlicht bei juris).

Nach § 14 Abs 1 SGB VI sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind aber auch Zahlungen des Arbeitgebers, denen ein Anspruch auf eine konkrete Arbeitsleistung nicht gegenübersteht, z. B. Entgeltfortzahlung an Feiertagen, im Krankheitsfall sowie bei Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation nach §§ 2, 3, 3a und 9 Entgeltfortzahlungsgesetz - EFZG - (BSG, B 13 R 33/16 R, Rdnr. 27 m. w. N.).

Der gesetzliche Wortlaut von § 14 Abs 1 SGB IV enthält somit keinerlei Einschränkung des Arbeitsentgeltbegriffs im Hinblick auf die von einem potentiellen Arbeitgeber gegebenenfalls mit einer Zahlung bezweckte Zielrichtung. Maßgebend ist lediglich, dass die Zahlung des Entgelts deshalb erfolgt, weil der Begünstigte in einem Beschäftigungsverhältnis zu einem Arbeitgeber steht (Fichte, in: Hauck/Noftz, SGB VI, 06/15, § 96a Rdnr 6).

Auch aus der auf der Ermächtigungsgrundlage des § 17 SGB IV erlassenen Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) ergibt sich keine entsprechende Eingrenzung des Begriffs des Arbeitsentgeltes wegen einer bestimmten Zielsetzung der Zahlung.

c. Dies zugrunde gelegt ist in der hier noch streitigen Zeit von einem Hinzuverdienst der Klägerin in Höhe von 1.227,29 EUR auszugehen. Zum rentenversicherungsrechtlich zu berücksichtigenden Bruttoverdienst gehört sowohl der "Besitzstand Kinderanteil" in Höhe von monatlich 85,98 EUR als auch die Zuwendungen des Arbeitgebers für Zusatzversorgungen im öffentlichen Dienst. Auch wenn beiden Zahlungen ein besonderer Zweck zugemessen werden könnte, wird die Zahlung durch den Arbeitgeber aufgrund des Umstandes erbracht, dass zwischen ihm und der Klägerin ein Beschäftigungsverhältnis besteht bzw. bestanden hat und kein anderweitiger Ausschlusstatbestand ersichtlich ist.

d. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und auch das SG im Hinblick auf den "Besitzstand Kinderanteil" auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 23.08.2005 - B 4 RA 29/04 R Bezug nehmen, folgt dem der Senat nicht:

In dem vom BSG damals entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Gehaltsbestandteil, nämlich ein Ortzuschlag, bestehend aus einem Verheiratetenzuschlag und Kinderzuschlägen, als Einkommen bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, die bereits seit 1988 bezogen wurde, angerechnet werden durfte. Eine Anrechnung von Einkommen auf die Berufsunfähigkeitsrente war im Zeitpunkt der Zuerkennung der Rente gesetzlich nicht vorgesehen, sondern wurde erst im Jahr 1996 mit einer entsprechenden Übergangsregelung in § 313 SGB VI für Bestandsrentner eingeführt. Insoweit ging es auch um die Frage, ob eine rechtlich wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X vorliegen könnte.

Das BSG kam in diesem Urteil ebenfalls zu der Erkenntnis, dass zur Frage, was Einkommen bzw. Hinzuverdienst im Sinne des § 96a SGB VI ist, auf die allgemeine Regelung des § 14 SGB IV abzustellen ist und dass der weite Entgeltbegriff des § 14 SGB IV keinen Anhalt biete, familienbezogene Entgeltbestandteile nicht als Arbeitsentgelt einzustufen (BSG, a.a.O., Rdnr 41 m. w. N.). Aus § 14 SGB IV hat sich für das BSG damals - so wörtlich in der Entscheidung - auch "keine Möglichkeit ergeben, die vom dortigen Kläger begehrte Aufteilung der Ortszuschläge in der Weise durchzuführen, dass sie in dem Umfang, in dem sie einem kinderlosen unverheirateten Arbeitnehmer zustehen würden, Arbeitsentgeltcharakter hätten, während der darüber hinaus gehende Anteil, den ein Verheirateter mit Kindern zusätzlich beanspruchen könnte, generell nicht als Arbeitsentgelt anzusehen" sei. Das BSG stellte ausdrücklich fest, dass auch dieser erhöhte Anteil eine aus der Beschäftigung fließende Einnahme des Arbeitnehmers sei und damit Arbeitsentgelt.

Das BSG hat in der damaligen Entscheidung unter der Prämisse, dass eine Anrechnung von Hinzuverdienst nach § 96a SGB VI als "einzelanspruchsvernichtender Übersicherungseinwand" ausgestaltet sei (BSG, a.a.O, Rdnr 35 unter Bezugnahme auf die Urteile vom 06.03.2003, B 4 RA 35/02 R und B 4 RA 8/02 R), angenommen, dass gleichwohl eine solche Übersicherung im Sinne der §§ 313, 96a SGB VI nicht vorliege, wenn das erzielte Arbeitsentgelt neben einer Grundvergütung auch "offen ausgewiesene Ehe- und/oder Kinderzuschläge als Lohnbestandteile ausweise". Denn es sei bei jeder Anwendung des Arbeitsentgeltbegriffs des § 14 SGB IV das Verbot der Benachteiligung von Ehe und Familie (Art 3 Abs 1 Grundgesetz - GG - iVm Art 6 Abs 1 GG) gegenüber Nichtverheirateten und/oder Kinderlosen zu beachten. Dies gebiete hier eine verfassungskonforme teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des Begriffs des Arbeitsentgelts im Sinne der §§ 313, 96a SGB VI bei der Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze. Andernfalls würde der vom Kläger repräsentierte Personenkreis verfassungswidrig gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die bei gleicher tarif- oder arbeitsvertraglicher Einstufung solche Zuschläge nicht erhalten und deshalb die Hinzuverdienstgrenzen nicht überschreiten würden. Dies wäre mit der Grundpflicht des Staates aus Art 1 Abs 3, 6 Abs 1 GG unvereinbar (BSG, a.a.O., Rdnr 43). Das BSG hält in dieser Entscheidung aber weiter fest, dass §§ 313, 96a SGB VI nicht die Förderung von Ehe und Familie beträfen, sondern allein die Vermeidung einer Übersicherung des Versicherten, dass diese aber bereits dem "relativen Benachteiligungsverbot" aus Art 3 Abs 1 GG widersprächen.

Der Senat hält diese Begründung - ebenso wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 27.01.2010 (Az L 1 R 92/09, juris) und das Sächsische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 11.05.2009 (Az L 7 R 11/07, juris) - für nicht überzeugend, zumal das BSG seine Entscheidung noch auf "zumindest offen ausgewiesene ehe- und familienbezogene Leistungen" im Rahmen des Arbeitsentgelts begrenzt hatte. Für den hier zu entscheidenden Fall ist dies allerdings nicht entscheidend.

Das LSG Niedersachsen-Bremen und das Sächsische LSG haben in ihren Entscheidungen bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei den Hinzuverdienstgrenzen nicht um staatlich vorgegebene, starre Grenzen handelt, sondern die Höhe der Hinzuverdienstgrenze sich auch an der individuellen Verdiensthöhe des Versicherten, nämlich an seinen individuell erzielten Entgeltpunkten orientiert (vgl. Fichte, in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 06/2015, Rdnrn 45 ff. m. w. N.). Insoweit kann eine höhere Hinzuverdienstgrenze gegeben sein, wenn zuletzt vor Eintritt des Leistungsfalles über längere Zeit ein höheres Bruttoentgelt erzielt wurde, z. B. auch durch höhere Orts- und Familienzuschläge bei Verheirateten und Kindern. Darüber hinaus ist Zweck der in § 96a SGB VI geregelten Hinzuverdienstgrenzen nach zwischenzeitlich herrschender Meinung nicht der Schutz von Ehe und Familie oder ein zu beachtendes Gleichbehandlungsgebot bei Beschäftigten mit vergleichbaren Tarifverträgen, sondern zum einen die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung und deren Finanzierbarkeit, vor allem aber auch die Stärkung der Lohnersatzfunktion der Erwerbsminderungsrenten (BT-Drs. 13/2590 zu Nr 5) sowie die Vermeidung einer Einkommenserzielung durch überobligationsmäßigen Einsatz eines erwerbsgeminderten Versicherten durch Arbeit auf Kosten seiner Gesundheit durch einen möglicherweise falschen Anreiz von Rente und nicht angerechnetem Erwerbseinkommen (Schumacher in: Kasseler Kommentar zur Sozialversicherung, Stand März 2019, § 96a SGB VI, Rdnr 2 m. w. N.; Dankelmann, in: Kreikebohm, SGB VI, 5. Aufl., 2017, § 96a SGB VI, Rdnr 2).

Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Grundrechte aus Art 6 Abs 1 GG zum Schutz von Ehe und Familie und zum Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 GG, die vom 4. Senat zur Begründung der teleologischen Reduktion herangezogen wurden, verweist der Senat auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12.03.1996 zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (1 BvR 609/90 und 692/90 = BVerfGE 94,241), in der das BVerfG ausdrücklich festgestellt hatte, dass es nicht ausschließlich Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung sein könne, die Erwerbsnachteile von Erziehenden gegenüber Nichterziehenden auszugleichen, sondern dass dies Aufgabe des Gesetzgebers auf unterschiedlichen Bereichen sei, wie etwa im Steuerrecht, im Recht der Familienförderung, in der Schaffung von Betreuungseinrichtungen etc. Die Absicherung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung für Kinder, die nach Inkrafttreten des SGB VI im Jahr 1992 geboren wurden, war ein erster Schritt in die richtige Richtung bei nachweislich veränderten Erwerbsverläufen bei Frauen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28.06.2018 (Az B 5 R 12/17 R, veröffentlicht bei juris; vorgehend BayLSG vom 15.03.2017 - L 19 R 218/16, juris) im Rahmen der Frage der Neuregelung der sog. Mütterrente zum 01.07.2014 auf das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1996 Bezug genommen und ebenfalls darauf hingewiesen, dass Art 6 Abs 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm darstelle, die für den Staat die Pflicht begründe, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern. Allerdings sei der Staat nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten. Der Gesetzgeber sei aufgrund des Schutzauftrages aus Art 6 Abs 1 GG dazu verpflichtet, durch die Kindererziehung entstehende Benachteiligungen in der Alterssicherung von kindererziehenden Familienmitgliedern auszugleichen. Allerdings verfüge er dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen, bei dem er nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der Rentenversicherung berücksichtigen dürfe, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der gesetzlichen Rentenversicherung. Aus dem Verfassungsauftrag aus Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip lasse sich zwar die allgemeine Pflicht des Staats zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen sei. Konkrete Folgerungen für einzelne Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen wäre, oder konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ließen sich daraus nicht ableiten. Insoweit bestehe vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BSG, a.a.O., Rdnr 36 m.w.N.). Dieser gesetzgeberische Gestaltungsspielraum kann durch ein Gericht nicht ausgefüllt werden und gibt nach Auffassung des Senats auch keinen konkreten Handlungsrahmen zur Korrektur einzelner vermeintlicher Benachteiligungen im System der gesetzlichen Rentenversicherung.

Entscheidend für den Senat ist jedoch der eindeutige Wortlaut des § 14 SGB IV, der gerade keine Differenzierung zwischen Grund, Inhalt, Höhe und Zielsetzung einer im Beschäftigungsverhältnis gewährten Zahlung zulässt. Eine andere Betrachtung würde zu einer Vielzahl möglicher Vertragsgestaltungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien (gegebenenfalls zu Lasten der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung) und daraus folgend zu Einzelfallentscheidungen führen können, die die von § 14 SGB IV und der SvEV gewollte Klarheit des Begriffs des Arbeitsentgelts, der für alle Bereiche der gesetzlichen Sozialversicherung gilt, unterlaufen würde. Eine einschränkende Regelung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ist vom Gesetzgeber auch trotz der Entscheidung des BSG im Jahr 2005 bisher nicht getroffen worden, mit Ausnahme der in § 96a Abs 1 S 4 SGB VI. Wesentlich ist für den Senat aber auch, dass die Entscheidung des BSG vom 23.08.2005 nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar ist, da es sich dort um einen Fall nach § 48 SGB X und einen sog. Bestandsrentner und Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente nach altem Recht gehandelt hat, dessen wirtschaftliche Erwartungshaltung durch langjährigen Rentenbezug ohne Einkommensanrechnung geprägt war und der erst im Jahr 2001 aufgrund einer Erweiterung der Anrechnungsvorschriften betroffen wurde und von entsprechenden Einkommenseinbußen infolge dieser für ihn neuen Hinzuverdienstregelung betroffen war und hiervor geschützt werden sollte.

e. Soweit allerdings der 13.Senat des BSG in seinem Urteil vom 06.09.2017 (B 13 R 33/16 R) ebenfalls im Wege einer teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis gelangte, dass ein Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld als rentenschädlicher Hinzuverdienst außer Betracht zu bleiben hat, soweit er als nicht beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gilt (unter Fortführung des Urteils des 13. Senats vom 20.11.2003 - B 13 RJ 43/02 R), ist diese Entscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Das BSG hat in diesem Fall entschieden, dass die Anrechnung eines (nach altem Tarifrecht zusätzlich jetzt freiwillig vom Arbeitgeber) gezahlten Zuschusses zum Krankengeld als Hinzuverdienst im Rahmen des § 96a SGB VI zusätzlich zu dem bereits berücksichtigten Bruttoarbeitsentgelt zu einer Schlechterstellung des Versicherten gegenüber Versicherten führt, die einen solchen Zuschuss nicht bekommen. In diesem Fall ging es allerdings nicht um die Anrechnung des tatsächlichen Bruttoentgelts während der ausgeübten Beschäftigung, sondern bei Bezug von Krankengeld als Entgeltersatzleistung, weil hier nicht die (niedrigere) Entgeltersatzleistung als Hinzuverdienst berücksichtigt wird, sondern das der Entgelt-ersatzleistung zugrundeliegende Bruttoarbeitsentgelt (§ 96a Abs 3 und Abs 4 SGB VI). Durch die weitere Anrechnung des Zuschusses zum Krankengeld (als freiwillige Leistung des Arbeitgebers) würde dem Versicherten mehr Entgelt als Hinzuverdienst angerechnet, als wenn er "normal" im Beschäftigungsverhältnis Arbeitsentgelt erzielen würde, was gerade in der Zeit eines Entgeltausfalls durch Krankheit zusätzlich zum Wegfall der Erwerbsminderungsrente führen könnte. Insoweit ist diese Entscheidung des BSG für den Senat auch überzeugend und nachvollziehbar, begründet aber lediglich einen besonderen Ausnahmefall und beinhaltet gerade keinen vom Senat gegebenenfalls zu beachtenden Grundsatz, dass eine teleologische Reduktion stets zu prüfen und durchzuführen wäre, sobald die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts den üblichen Rahmen verlassen würde und das Arbeitsentgelt familienbezogene Anteile aufweist.

Im vorliegenden, hier zu entscheidenden Fall geht es aber nicht um die Anrechnung von Entgeltersatzleistungen, sondern um die Anrechnung des Entgelts der Klägerin aus der laufenden Beschäftigung. Das im (noch) streitgegenständlichen Zeitraum von der Klägerin erzielte Arbeitsentgelt ist in Höhe von 1.227,29 EUR zugrunde zu legen und in vollem Umfang als Hinzuverdienst nach § 96a SGB VI zu berücksichtigen.

2. Die Klägerin kann sich - entgegen ihres Sachvortrags im Widerspruchsverfahren - auch nicht auf einen Vertrauensschutz nach § 45 Abs 2 S 2 SGB VI berufen, weil ein solcher Vertrauensschutz nach § 45 Abs 2 S 3 SGB X ausgeschlossen ist. Nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X kann der Begünstigte nicht auf den Bestand eines Verwaltungsaktes vertrauen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Bescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Wertung des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3, 2. Halbsatz SGB X dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Die Klägerin hatte aufgrund der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 03.12.2014 positive Kenntnis davon, dass eine Anrechnung von Hinzuverdienst nach § 96a SGB VI erfolgt. Eine Rentenzahlung war infolge ihres damaligen Verdienstes nicht möglich. In diesem Bescheid waren die konkreten Hinzuverdienstgrenzen für die Klägerin ausdrücklich genannt worden. Die Klägerin hatte somit Kenntnis davon, in welchem Umfang sie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren musste, um die Hinzuverdienstgrenzen zu unterschreiten. Sie hat dies mit ihrem Arbeitgeber offensichtlich ausgerechnet und die Beklagte sodann im März 2015 davon informiert und um Auszahlung der Rente gebeten. Der Senat unterstellt zugunsten der Klägerin, dass sie gegebenenfalls die weitere Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen erst im Monat April 2015 bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hat erkennen können, nachdem in den ihr vorliegenden korrigierten Gehaltsabrechnungen eindeutig ein höherer Betrag als Rentenversicherungs-Brutto ausdrücklich ausgewiesen war. Zwar besteht keine Verpflichtung der Klägerin, den Rentenbescheid vom 27.04.2015 umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Eine grob fahrlässige Unkenntnis ist allerdings anzunehmen, wenn der Adressat des Bescheides aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in dieser Höhe besteht. Vorliegend ist dies der Fall. Denn die Fehlerhaftigkeit des Rentenbescheides musste der Klägerin mit ganz naheliegenden Überlegungen auffallen. Da in den Gehaltsabrechnungen sowohl ein steuerlicher Bruttobetrag in Höhe von 1.210,39 EUR, aber eben auch ein rentenversicherungsrechtliches Bruttoentgelt in Höhe von 1.227,29 EUR ausgewiesen war, hätte die Klägerin bei Anstrengung der ihr zumutbaren Sorgfalt zumindest diesen Widerspruch erkennen können und hätte die Beklagte darauf aufmerksam machen und um Klärung der Frage des Hinzuverdienstes bitten können. Dies hat die Klägerin nicht getan, obwohl sie selbst mit ihrem Arbeitgeber den Arbeitsvertrag entsprechend angepasst hat, um daneben die Rente wegen teilweiser Erawerbsminderung möglichst in voller Höhe beziehen zu können. Einen denkbaren Rechenfehler ihres Arbeitgebers muss sich die Klägerin unzweifelhaft zurechnen lassen. Der Arbeitgeber hat für die Klägerin den falschen Hinzuverdienst bestätigt. Die Beklagte ist erst bei der weiteren Überprüfung der Einkommensverhältnisse infolge der nun vom Arbeitgeber richtig mitgeteilten Entgelthöhen auf das weitere Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nach § 96a SGB VI aufmerksam geworden.

3. Die Fristen nach § 45 Abs 3 und Abs 4 SGB X hat die Beklagte unzweifelhaft eingehalten. Der noch offene überzahlte Betrag ist von der Klägerin nach § 50 Abs 1 SGB X zu erstatten.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufzuheben, soweit die Beklagte nicht mit Teilanerkenntnis vom 05.06.2019 den Anspruch der Klägerin anerkannt hat, und die Klage gegen den Bescheid vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das obsiegende Teilanerkenntnis zugunsten der Klägerin.

Die Revision wurde nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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