L 12 AS 2441/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 AS 2318/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2441/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18.06.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 22.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018.

Der Antragsgegner forderte mit streitgegenständlichem Erstattungsbescheid vom 22.01.2018 von der Antragstellerin und ihrem Sohn für den Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.12.2017 die Erstattung eines Betrages von 1.055,22 EUR bzw. 447,00 EUR, eine Aufrechnung erfolge ab Februar 2018. Hiergegen erhob Antragstellerin mit Schreiben vom 24.01.2018 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018, zugestellt am 20.02.2018, zurückgewiesen wurde.

Mit Schreiben vom 20.02.2018, eingegangen am 26.02.2018, wandte sich die Antragstellerin, da sie die Forderung auch aus gesundheitlichen Gründen nicht begleichen könne, an den Amtsleiter für Kommunale Arbeitsförderung. Dem Schreiben beigefügt waren der Bescheid vom 22.01.2018 sowie der Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018. Der Amtsleiter antwortete mit Schreiben vom 06.03.2018. Am 07.03.2018 bat der Sohn der Antragstellerin um Ratenzahlung, dieses Angebot nahm der Antragsgegner an.

Mit Bescheid vom 30.05.2018 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen für die Zeit vom 01.07.2018 bis 30.06.2019, dabei wurden 41,60 EUR (10 % des Regelbedarfs) einbehalten.

Am 11.07.2018 hat die Antragstellerin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, die Behörde solle verpflichtet werden, über den Widerspruch vom 20.02.2018 zu entscheiden. Mit Schreiben vom 16.11.2018 teilte die Antragstellerin mit, dass es sich bei dem Schreiben vom 20.02.2018 um eine Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018 handele, das SG hat dies als neue Klage gewertet.

Am 05.06.2019 hat die Antragstellerin beim SG einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 22.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 gestellt, da die Antragsgegnerin den Erstattungsbetrag mit den laufenden Leistungen verrechnen würde.

Das SG hat mit Beschluss vom 18.06.2019, zugestellt am 24.06.2019, den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung entfalte, da sie offensichtlich unzulässig sei.

Gegen den Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 23.07.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Beschwerde. Zur Begründung verweist sie auf den bisherigen Rechtsvortrag. Ergänzend führt sie aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin Untätigkeitsklage erhoben habe, bevor er Akteneinsicht erhalten habe. Es sei der Grundsatz der Meistbegünstigung anzuwenden. Demnach müsse der Antragstellerin, da sie sich mit Schreiben vom 20.02.2018 gegen die behördlichen Entscheidungen gewehrt habe, Rechtsschutz gewährt werden. Das Schreiben der Antragstellerin vom 20.02.2018 müsse als Klage ausgelegt werden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18.06.2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Klage gegen den Änderungs- und Erstattungsbescheid des Antragsgegners vom 22.01.2018 aufschiebende Wirkung hat.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten im Sach- und Streitstand sowie im Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 11.07.2018 bzw. 16.11.2018 zu Recht abgelehnt.

Zwar hat nach § 86a Abs. 1 SGG die Anfechtungsklage gegen einen Erstattungsbescheid grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt grundsätzlich nicht nach § 86a Abs. 2 SGG, die Voraussetzungen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 5 nicht vorliegen. Insbesondere greift die Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG nicht ein, wonach die aufschiebende Wirkung in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen entfällt. Zwar ordnet § 39 SGB II an, dass eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung regelt, keine aufschiebende Wirkung hat. Der Regelungsgehalt der Vorschrift des § 39 Nr. 1 SGB II erstreckt sich aber nicht auf Erstattungsbescheide nach § 50 SGB X, da solche Verwaltungsakte keine Leistungen der Grundsicherung aufheben (§ 48 SGB X), zurücknehmen (§ 45 SGB X) oder widerrufen (§§ 46, 47 SGB X), sondern nur den sich aus einer Entscheidung nach den §§ 45 – 47 SGB X öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch regeln. Mithin wäre zunächst beantraget die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 22.01.2018 durch eine gerichtliche Entscheidung eigentlich nicht erforderlich, da die Vollziehung des Erstattungsbescheids bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens gesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.09.2009 – L 19 B 243/09 AS –, juris), in Betracht käme allenfalls eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung.

Etwas Anderes ergibt sich vorliegend jedoch aus dem Umstand, dass die Anfechtungsklage aufgrund deutlich verspäteter Einlegung ganz offensichtlich unzulässig ist und daher keine aufschiebende Wirkung mehr entfaltet. Zwar unterscheidet § 86a SGG nicht zwischen einem zulässigen bzw. einen unzulässigen Rechtsbehelf, sondern stellt nur generell auf die Anfechtungsklage ab. Jedoch entfaltet zumindest ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 22.03.2010 – L 9 B 16/10 SO ER –, juris; Richter, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86a SGG, Rn. 20; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86a Rn. 10 m.w.N). Von einer offensichtlichen Unzulässigkeit wird dabei ausgegangen, wenn der Verwaltungsakt bereits bestandkräftig ist, weil die Rechtsmittelfrist versäumt wurde (Richter, a.a.O.; LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.).

Klage wurde frühestens am 11.07.2018 erhoben (deklariert als Untätigkeitsklage). Da der Widerspruchsbescheid der Antragstellerin am 20.02.2018 tatsächlich zuging, war die Frist am 11.07.2018 in jedem Fall abgelaufen, selbst wenn man die Untätigkeitsklage als Klage gegen den Widerspruchsbescheid werten würde. Vorher ging eine Klage beim SG nicht ein, dies wird auch nicht vorgetragen.

Der Antragstellerin ist auch keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren. Danach ist auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, Klage zu erheben. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung wurde bereits nicht gestellt. Darüber hinaus war die Antragstellerin auch nicht ohne Verschulden an der Klageerhebung gehindert. Dies wäre nur der Fall, wenn sie davon ausgehen durfte, dass ihr Schreiben vom 20.02.2018 eine Klage darstellt, die der Amtsleiter hätte weiterleiten müssen. Das Schreiben vom 20.02.2018 an den Amtsleiter des Antragsgegners stellt jedoch entgegen der Ansicht der Antragstellerin schon keine Klage dar. Unwesentlich ist dabei, wie das Klagebegehren bezeichnet wird. Die Bezeichnung als "Klage" ist nicht notwendig. Ob daher Klage erhoben werden sollte, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist die Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch entsprechend anzuwenden. Zu erforschen ist dabei der wirkliche Wille der Beteiligten (Föllmer, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 90 SGG, Rn. 11). Das Schriftstück muss zumindest den Willen erkennen lassen, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen zu wollen. Macht ein nicht rechtskundig vertretener Empfänger eines Widerspruchsbescheids dessen Unrichtigkeit gegenüber der Widerspruchsbehörde geltend, so ist u.a. zu ermitteln, ob die Überprüfung lediglich durch die Widerspruchsbehörde oder durch eine andere, unabhängige Stelle begehrt wird (Föllmer a.a.O., Rn. 12).

Dem Schreiben der Antragstellerin vom 20.02.2018 ist nicht hinreichend klar zu entnehmen, dass sie eine Überprüfung durch das Gericht begehrt. Das Schreiben ist an den Amtsleiter des Antragsgegners gerichtet. Der Amtsleiter wird persönlich angesprochen und um Unterstützung gebeten, da der Antragstellerin u.a. aus gesundheitlichen Gründen eine Rückzahlung nicht zumutbar sei, eine mögliche Rechtswidrigkeit des Bescheides wird nicht erwähnt. Dass ein gerichtliches Verfahren eingeleitet werden sollte, ist dem Schreiben an keiner Stelle zu entnehmen. Auch für einen Laien ist außerdem aufgrund der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid ersichtlich, dass er sich für den Fall einer gerichtlichen Überprüfung an das Gericht wenden muss. Nach einer Gesamtschau dieser Umstände wollte die Antragstellerin mit dem Schreiben vom 20.02.2018 keine Klage erheben, sondern allenfalls eine erneute Überprüfung durch den Antragsgegner oder eher eine Stundung bzw. Niederschlagung der Forderung. An dieser Wertung ändert auch der Meistbegünstigungsgrundsatz nichts. Der Meistbegünstigungsgrundsatz dient dazu das Klagebegehren zu erforschen und Anträge auszulegen. Unter Berücksichtigung des Begehrens der Antragstellerin wollte diese aber keine gerichtliche Überprüfung des Widerspruchsbescheids, sondern lediglich eine Überprüfung durch den Antragsgegner.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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