S 16 AS 454/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 454/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 27/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin werden abgelehnt.

Tatbestand:

Die Kläger begehren von dem Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1984 geborene Klägerin zu 1) ist als rumänische Staatsangehörige freizügigkeitsberechtigt nachdem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), ohne dass der Verlust dieses Rechtes bislang festgestellt worden ist. Der Kläger zu 2) ist deren 2016 in Deutschland geborener Sohn.

Zuletzt vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Beklagte die Gewährung von SGB II-Leistungen durch Bescheid vom 13. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2016 mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche und sei daher gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach jenem Gesetz ausgeschlossen. Am 29. Mai 2017 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erneut die Gewährung von SGB II-Leistungen und gab an, sie habe bis 31. März 2017 Sozialhilfe seitens der Stadt Frankfurt am Main gekommen und lebe mit dem Kläger zu 2) lediglich von Kindergeld. In den Jahren 2014/2015 sei sie in der Gastronomie im Rahmen von Minijobs erwerbstätig gewesen, habe die Tätigkeit wegen ihrer Schwangerschaft nicht fortgeführt und nach der Geburt des Klägers zu 2) diesen betreut. Die Klägerin zu 1) legte Bescheid der Stadt Frankfurt am Main vom 14. Februar 2017 vor, aus dem sich ergibt, dass der genannte Sozialhilfeträger den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für Monat März 2017 in Höhe von 298 EUR gewährt und in den weiteren Hinweisen zu diesem Bescheid ausgeführt hat, bedürftigen Ausländern im Sinne des § 23 SGB XII würde bis zur Ausreise - jedoch nur einmalig innerhalb von 2 Jahren - eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen). Es könne davon ausgegangen werden, dass der Klägerin eine Rückreise in ihre Heimat möglich sei. Ferner legte die Klägerin zu 1) eine Bescheinigung des Deutschen Roten Kreuzes vom 21. Februar 2017 vor, wonach sie mit dem Kläger zu 2) seit dem 12. Juli 2016 in dem Übergangswohnheim A-Straße in A-Stadt wohne.

Durch Bescheid vom 7. Juni 2017 lehnte der Beklagte die Gewährung von SGB II-Leistungen mit der Begründung ab, die Klägerin zu 1) halte sich in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche auf. Diese Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II.

Dagegen legte die Klägerin am 20. Juni 2017 Widerspruch ein und schlug dem Beklagten im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Mainz vom 18. April 2016 an das BVerfG zur Frage der Verfassungswidrigkeit des Leistungsausschlusses für Unionsbürger (Az.: S 3 AS 149/16) vor, das Widerspruchsverfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG ruhen zu lassen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 2018 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, bezog sich in der Begründung zum einen auf den angefochtenen Bescheid und führte ergänzend aus, die Klägerin zu 1) übe weder eine abhängige noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit oder eine Berufsausbildung aus noch sei sie daueraufenthaltsberechtigt oder Empfängerin einer grenzüberschreitenden Dienstleistung. Mithin komme einzig ein originäres Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche oder ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Betracht. Die Klägerin zu 1) sei daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Ausschluss erstrecke sich auch auf den Kläger zu 2), da dieser als Familienangehöriger der Klägerin zu 1) zu werten sei. Aber auch der Kläger zu 2) könne weder ein Daueraufenthaltsrecht noch ein Aufenthaltsrecht aus anderen Vorschriften herleiten. Schließlich verstoße der Leistungsausschluss auch nicht gegen europäisches Recht. Angesichts der bisherigen Rechtsprechungspraxis des BVerfG sei ohnehin höchst zweifelhaft, ob dieses die Vorlage des Sozialgerichts Mainz überhaupt zur Entscheidung annehmen werde. Die Verfassungskonformität sei von zahlreichen Sozialgerichten bis hoch zum BSG zumindest inzident ausreichend überprüft worden.

Hiergegen richtet sich die am 7. Mai 2018 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage. Die Kläger tragen vor, ihnen seien bis 28. Februar 2017 SGB XII-Leistungen seitens des Sozialamts der Stadt Frankfurt am Main gewährt worden, zuletzt allerdings durch Bescheid vom 14. Februar 2017 lediglich noch Überbrückungsleistungen bis 31. März 2017 in Höhe von insgesamt 298 EUR. Der hiergegen erhobene Widerspruch sei durch Widerspruchsbescheid vom 31. März 2017 zurückgewiesen worden. Diesbezüglich sei (bei dem hiesigen Gericht) ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 27 SO 57/17 anhängig. Über die Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses habe letztlich das BVerfG aufgrund der Vorlage des Sozialgerichts Mainz zu entscheiden (1 BvL 4/16). Aufgrund dieses Vorlagebeschlusses sei ein Ruhen des vorliegenden Verfahrens angezeigt. Auch der 7. Senat des Hessischen Landessozialgerichts stelle sämtliche gleich gelagerten Verfahren ruhend. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass das BSG hinsichtlich des Leistungsausschlusses des § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II nur deswegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen habe, weil seiner Auffassung nach das Existenzminimum seinerzeit über das SGB XII sicherzustellen gewesen sei. Mit der Gesetzesänderung im SGB XII sei aber eine Sicherstellung des Existenzminimums über die Leistungen nach jenem Gesetz nicht bzw. nur noch eingeschränkt möglich.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Bescheid vom 7. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen SGB II-Leistungen ab 1. Mai 2017 in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
das Klageverfahren auszusetzen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Anordnung des Ruhens des vorliegenden Verfahrens wegen des Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts Mainz lehne er ab, weil die Verfassungskonformität des Ausschlusstatbestandes durch zahlreiche Sozialgerichte bis hoch zum BSG zumindest inzident geprüft worden sei. Derzeit sei nicht einmal abzusehen, ob das BVerfG die Vorlage des Sozialgerichts Mainz überhaupt zur Entscheidung annehme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der vorliegende Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und den Beteiligten Gelegenheit gegeben wurde, sich zu dieser Verfahrensweise zu äußern (§ 105 Abs. 1 S. 2 SGG).

Die zulässige Klage ist jedoch in der Sache unbegründet. Der Bescheid vom 7. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat der Beklagte die Gewährung von SGB II-Leistungen für Zeiten ab 1. Mai 2017 abgelehnt. Denn die Kläger sind seither gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den genannten Leistungen ausgeschlossen, weil ihnen insoweit weder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) noch eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nachdem FreizügG/EU zuzubilligen ist, sondern sich deren Aufenthaltsrecht vielmehr allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Deswegen war das erkennende Gericht auch nicht etwa gehalten, den zuständigen Sozialhilfeträger beizuladen, denn im Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum (ab 1. Mai 2017) findet bereits § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII n.F. Anwendung, so dass insoweit die höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG vom 3. Dezember 2015 (Az.: B 4 AS 44/15 R in Juris) betreffend Ansprüche auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII als Ermessensleistung hier nicht zu einem entsprechenden Anspruch der Kläger führen kann. Auch war das Gericht nicht gehalten, das vorliegende Klageverfahren auszusetzen oder ruhend zu stellen, weil das Sozialgericht Mainz im Rahmen eines Vorlagebeschlusses an das BVerfG vom 18. April 2016 (Az.: S 3 AS 149/16; 1 BvL 4/16) die Auffassung vertritt, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sei verfassungswidrig. Zum einen darf das Gericht das Ruhen eines Klageverfahrens gemäß § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung nur mit der ausdrücklichen Zustimmung beider Beteiligter anordnen. Zum anderen scheidet eine Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 114 SGG wegen Anhängigkeit eines anderen Verfahrens beim BVerfG grundsätzlich aus. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen ist eine Aussetzung analog § 114 Abs. 2 SGG möglich - ohne dass eine Verpflichtung des Gerichts besteht - wenn bei sachgerechter Ermessensausübung die zumindest ganz überwiegenden Gründe für die Aussetzung sprechen (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig SGG-Kommentar 12. Auflage 2017 § 114 Rn. 5c). Zur Überzeugung des Gerichts sind aber die mit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II SGG zusammenhängenden grundsätzlichen Rechtsfragen mittlerweile sowohl in europarechtlicher Hinsicht als auch aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vom 3. Dezember 2015 (vgl. oben a.a.O.) als geklärt anzusehen. Diese Rechtsprechung haben beide zuständigen Senate des BSG seither konsequent und namentlich ungeachtet des Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts Mainz vom April 2016 (vgl. oben) fortgesetzt. Insoweit ist an dieser Stelle lediglich beispielhaft auf die Urteile des BSG vom 23. Februar 2017 (Az.: B 4 AS 7/16 R) und vom 30. August 2017 (Az. B 14 AS 31/16 R) zu verweisen. Daher hält das Gericht auch die von der Klägerin ins Feld geführte Verfahrensweise des Hessischen Landessozialgerichts, welches gleichgelagerte Verfahren ruhend stelle, für nicht sachgerecht. Vor allem muss sich das erkennende Gericht diese Verfahrensweise, die mit der seitherigen und gefertigten höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. oben) nicht in Einklang steht, keineswegs zu Eigen machen.

Die Kläger haben für Zeiten ab 1. Mai 2017 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, weil sie für diesen Zeitraum von den genannten Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sind. Diese Ausschlussnorm betrifft Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) als deren Familienangehöriger unterfallen diesem Leistungsausschluss zur Überzeugung des Gerichts, weil sich die Klägerin zu 1) seit Mai 2017 weder auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nachdem FreizügG/EU berufen kann, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein sonstiges Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, welches eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag. In solchen Fällen ist aber die Ausschlussregelung in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nach Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15. September 2015 in der Rechtssache C 67/14 (in Juris) seither auch als europarechtskonform anzusehen. Die Kläger können sich als rumänische Staatsangehörige weder auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG noch auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nachdem FreizügG/EU berufen. Dabei ergeben sich für das Vorliegen eines Aufenthaltsstatus nach dem AufenthG im vorliegenden Fall ohnehin keine Anhaltspunkte. Gleiches gilt allerdings auch für das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung, da die Klägerin zu 1) offenbar zuletzt im Jahre 2015 als Arbeitnehmerin tätig war, so dass ihr weder ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin noch ein nachwirkendes Freizügigkeitsrecht (§ 2 Abs. 1, Abs. 3 FreizügG/EU) zuzuschreiben ist. Somit war sie in dem hier maßgeblichen Zeitraum ab 1. Mai 2017 freizügigkeitsberechtigt allein zum Zwecke der Arbeitssuche, so dass der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und betreffend den Kläger zu 2) als ihrem Familienangehörigen eingreift.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der vorliegenden Klage gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt. Insoweit ist zum einen auf die vorstehenden Entscheidungsgründe zu verweisen. Ist das Gericht zum anderen in Anbetracht des Vorlagebeschlusses eines anderen Gerichtes schon nicht gehalten, ein Verfahren auszusetzen und scheidet eine solche Anordnung sogar grundsätzlich aus (vgl. Keller a.a.O. § 114 Rn. 5c), so hat das Gericht die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nach eigener Überzeugung zu prüfen.
Rechtskraft
Aus
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