S 8 U 116/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 116/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 56/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 43.346,68 Euro zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird endgültig auf 43.346,68 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die klagende Rentenversicherung (im weiteren: Klägerin) begehrt von dem beklagten Unfallversicherungsträger (im weiteren: Beklagte) die Erstattung der Kosten von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 43.346,68 Euro, die sie der bei beiden Beteiligten versicherten Frau A. A. (im weiteren: Versicherte) gewährt hatte.

Die Versicherte war seit 1. Mai 2005 mit einer kurzen Unterbrechung in Spielhallen beschäftigt gewesen. Am frühen Morgen des 25. Juli 2008 hatte ein unbekannter Täter gegen 4.10 Uhr die Spielhalle in B-Stadt, in der die Versicherte seinerzeit arbeitete betreten. Er hatte die Versicherte mit einem schwarzen Revolver bedroht und raubte insgesamt 1.935 Euro Bargeld (Strafanzeige vom 29. Juli 2008, 112). Wenige Tage später hatte der Betreiber der Spielhalle der Versicherten mit Schreiben vom 30. Juli 2008 zum 31. August 2008 gekündigt (20). Zur Begründung hatte er ausgeführt, man bedauere den Schritt, sehe sich allerdings aufgrund der derzeitigen Verfassung der Versicherten wegen des Überfalles hierzu gezwungen.

Die Versicherte hatte am 20. August und 8. September 2008 den Internist Dr. C. aufgesucht. Dieser hatte festgestellt, dass sie ängstlich, angespannt und nervös war, und hatte sie mit Doxepin behandelt. Anschließend hatte sie an drei Gesprächen in psychotherapeutischer Behandlung bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin/Psychotherapie Dr. D. teilgenommen. Die Fachärztin hatte bei der Versicherten eine Depression sowie eine Posttraumatische Belastungssituation diagnostiziert und Paroxetin und Oxazepam verordnet (Bericht vom 15. Juni 2009, 270).

Am 17. September 2009 wurde die Versicherte im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit, Agentur Darmstadt durch den ärztlichen Dienst, die Ärztin Dr. E., untersucht. Diese stellte fest, die Klägerin sei fahrig, unruhig, zittere und weine während der Untersuchung. Dr. E. diagnostizierte daraufhin "reaktive Angstzustände, Medikament: Doxepin" (Antidepressivum). Die Versicherte leide seit dem Überfall in ihrer Arbeitsstelle im Juni 2008 unter extremen Angstzuständen und Panikattacken. Während der Schilderung des Überfalls habe sie angefangen zu zittern und zu weinen. Die Ärztin hielt eine intensive ambulante psychotherapeutische Maßnahme für unbedingt erforderlich. Die Tätigkeit in einer Spielothek sei ihr nicht mehr zuzumuten (100).

Am 10. Oktober 2008 stellte die Versicherte einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Bundesagentur für Arbeit (91). In diesem gab sie unter anderem an, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen als Folge eines Arbeits- oder Wegeunfalls anerkannt seien und verwies auf Dr. E. Die Bundesagentur leitete den Antrag mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 (94) gem. § 14 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) an die Klägerin weiter; zur Begründung gab sie unter anderem an, im Zeitpunkt der Antragstellung hätten versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten von mindestens 180 Monaten vorgelegen.

In ihrem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Berufliche Rehabilitation) vom 21. November 2008 gab die Versicherte gegenüber der Beklagten an, sie sehe sich – bedingt durch einen bewaffneten Raubüberfall – nicht mehr in der Lage im Moment in einer Spielhalle/Spielothek zu arbeiten, vor allem nachts. Angstzustände, Panikattacken und Nervosität verhinderten einen normalen Arbeitsablauf (84).

Die Maßnahme zur Berufsfindung und Arbeitserprobung hatte die Klägerin der Versicherten im Berufsförderungswerk X. in F-Stadt gewährt (Bescheid vom 21. Januar 2009). Die Maßnahme wurde in der Zeit vom 16. bis 20. Februar 2009 durchgeführt (Zusammenfassender Abschlussbericht vom 26. Februar 2009). Im Rahmen dieser Maßnahme hatte die Fachärztin für Innere Medizin Dr. G. die Diagnose einer Angststörung mit Panikattacken nach Raubüberfall auf der Arbeit 2008 gestellt (ärztliche Stellungnahme vom 25. Februar 2009, 96).

Durch Bescheid vom 19. März 2009 gewährte die Klägerin der Versicherten eine Weiterbildung zur kaufmännischen Assistentin und bewilligte ihr durch Bescheid vom 24. April 2009 Übergangsgeld in Höhe von 25,60 Euro kalendertäglich. Die Versicherte absolvierte die Weiterbildung in der Zeit vom 20. April 2009 bis 30. April 2010 erfolgreich.

Mit der am 24. Juni 2013 (Schriftsatz vom 19. Juni 2013) begehrt die Klägerin die Erstattung der ihr entstandenen Kosten. Sie vertritt die Auffassung, infolge des nächtlichen Überfalls auf die Spielhalle habe sich bei der Versicherten eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt verbunden mit dem Unvermögen, an diesem oder einem ähnlichen Arbeitsplatz wieder arbeiten zu können.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr den Betrag von 43.346,68 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Anspruch auf Erstattung gem. § 111 SGB X ausgeschlossen sei, da die Klägerin diesen niemals korrekt geltend gemacht habe. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 erstmalig einen Erstattungsanspruch beziffert, es jedoch versäumt, diesen zu beziffern. Im übrigen verwies sie auf die Stellungnahme des Unfallmedizinischem Services sowie auf ihr Schreiben vom 19. Oktober 2010. Danach sei die Versicherte ab dem 27. September 2008 wieder arbeitsfähig gewesen. Die Heilbehandlung habe am 4. Dezember 2008 abgeschlossen werden können.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Erstattung der Kosten durch die Beklagte.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 14 Abs. 4 S 1 SGB IX. Die Vorschrift räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) grundsätzlich vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte von dem Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (BSG, Urteil vom 06. März 2013 – B 11 AL 2/12 R –, juris Rn. 11).

Die Erstattungsregelung des § 14 Abs. 4 S 1 SGB IX ist hier anwendbar, weil die Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsagentur Darmstadt den bei ihr eingereichten Leistungsantrag der Versicherten vom 10. Oktober 2008 mit Schrieben vom 20. Oktober 2008 und damit unverzüglich im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX an die Klägerin weitergeleitet hatte. Die Klägerin hat danach die Leistungen an den Versicherten als zweitangegangener Reha-Träger iS des § 14 SGB IX erbracht.

Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 S 1 SGB IX ist, dass nach Bewilligung der Leistung durch den vorleistenden Reha-Träger (§ 14 Abs. 1 S 2 bis 4 SGB IX) festgestellt wird, dass der andere Träger für die Leistung zuständig ist. Eine solche Erstattungslage besteht mithin nicht, wenn der zweitangegangene Reha-Träger selbst für die erbrachte Leistung nach den Vorschriften seines Leistungsrechts - hier des SGB VI - zuständig ist. Dies ist jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Fall.

Die Versicherte erfüllte zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistung der Beklagten nach § 11 SGB VI; dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Allerdings bestand eine vorrangige Leistungsverpflichtung der Beklagten als Unfallversicherungsträger nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI.

Nach dieser Vorschrift werden von der Klägerin als Rentenversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe nicht für Versicherte erbracht, die wegen eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit, einer Schädigung im Sinne des sozialen Entschädigungsrechts oder wegen eines Einsatzunfalls, der Ansprüche nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz begründet, gleichartige Leistungen eines anderen Rehabilitationsträgers oder Leistungen zur Eingliederung nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz erhalten können. So lag es hier. Die Versicherte hätte die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von der Beklagten erhalten können.

Zunächst einmal gehören die von der Klägerin erbrachten Leistungen grundsätzlich auch zum Katalog der von der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 35 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII)). Denn nach den §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 35 Abs. 1 SGB VII i.V.m. den §§ 33 bis 38a SGB IX kann dem u.a. auf Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit gerichteten Anspruch des Versicherten durch die ganz verschiedene Teilhabeleistungen aus dem Katalog der §§ 33 Abs. 3 und 8, 34 Abs. 1 SGB IX Rechnung getragen werden, über deren Art, Umfang und Durchführung im Einzelfall der Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (§ 26 Abs. 5 SGB VII). Vorliegend hat die Versicherte eine Weiterbildung nach § 33 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX gewährt, hierzu gehört auch die Maßnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung und Arbeitserprobung, vgl. § 33 Abs. 4 Satz 2 SGB IX.

Die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den Unfallversicherungsträger setzt voraus, dass ein Arbeitsunfall Gesundheitsschäden hervorgerufen hat, welche den Versicherten daran hindern, seine bisherige berufliche Tätigkeit wettbewerbsfähig auszuüben. Auch dies war hier der Fall.

Zunächst einmal hat die Versicherte durch den Raubüberfall vom 25. Juli 2008 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII erlitten.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb Versicherte ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod der Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 7/13 R –, juris Rn. 11 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Versicherte stand als Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII im Zeitpunkt des Raubüberfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Überfall erfolgte auch in einem inneren Zusammenhang mit ihrer betrieblichen Tätigkeit, weil der unbekannte Täter die von der Versicherten für den Spielhallenbetreiber verwahrten Gelder erlangen wollte. Der Raubüberfall hat nach Auffassung der Kammer auch einen Gesundheitserstschaden bei der Versicherten verursacht, nämlich eine akute Belastungsreaktion. Zwar liegen keine zeitnahen ärztlichen Befundberichte hierüber vor, da die Versicherte schlichtweg nicht zum Arzt gegangen war. Gleichwohl ist die Kammer vom Vorliegen einer Belastungsreaktion mit der gebotenen Gewissheit überzeugt. Denn eine solche Reaktion, die typischerweise in einem mit Angstsymptomen einhergehenden Wiedererleben des traumatischen Ereignisses besteht, ist als Teil der normalen Anpassung und Verarbeitung häufig (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 2010, S. 143). Darüber hinaus, spricht auch die zeitnahe Kündigung des Arbeitsverhältnisses für eine solche Reaktion. Ausweislich des Schreibens des Arbeitgebers vom 30. Juli 2008 wurde die Kündigung nämlich mit der Verfassung der Versicherten wegen des Überfalles begründet. Da die Versicherte keine körperlichen Verletzungen erlitten hatte, konnte es sich nur um die psychische Verfassung gehandelt haben. Ferner hat auch die Ärztin Dr. E. bei ihrer Untersuchung der Versicherten am 17. September 2009 festgestellt, dass die Versicherte seit dem Raubüberfall an ihrer Arbeitsstelle an extremen Angstzuständen und Panikattacken leide. Im Ergebnis ist die Kammer daher überzeugt, dass der Raubüberfall bei der Klägerin zumindest eine akute Belastungsreaktion ausgelöst hat. Letztlich hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt, dass die Versicherte einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Dieser Arbeitsunfall hat bei der Versicherten zur Überzeugung der Kammer auch Gesundheitsschäden, nämlich eine Angststörung, hervorgerufen, welche sie daran gehindert haben, ihre bisherige berufliche Tätigkeit in der Spielhalle wettbewerbsfähig auszuüben. Die Kammer stützt ihre Überzeugung in erster Linie auf die Untersuchung der Versicherten am 17. September 2008 durch die Ärztin E. Diese hatte beobachtet, dass die Versicherte bei der Schilderung des Überfalls begonnen hatte zu zittern und zu weinen, und daraus den Schluss gezogen, dass die Versicherte seit dem Raubüberfall an extremen Angstzuständen und Panikattacken leide. Daraus hat sie den Schluss gezogen, dass der Versicherten eine Tätigkeit in einer Spielothek nicht zuzumuten sei.

Soweit der beratende Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13. April 2010 zu dem Ergebnis kommt, die Ansicht der Beklagten, ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben liege aufgrund von Unfallfolgen nicht vor, sei aus beratungsärztlicher Sicht schlüssig, gebietet dies keine andere Sicht der Dinge. Denn die Kammer vermag die Schlussfolgerung von Dr. H., dass die psychiatrische Symptomatik spätestens am 4. Dezember 2009 abgeklungen gewesen sei, nicht zu teilen. Dr. H. hat diese Schlussfolgerung unter anderem aus dem Umstand gezogen, dass typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung in keinem Befundbericht erwähnt würden. Dies überzeugt die Kammer bereits deshalb nicht, weil die Ärztin Dr. E. gerade keine Posttraumatische Belastungsstörung, sondern eine Angststörung bei der Versicherten diagnostiziert hatte. Soweit Dr. H. seine Schlussfolgerung darüber hinaus darauf stützt, die Versicherte habe lediglich drei probatorische Sitzungen abgelegt, jedoch ohne traumaspezifische Behandlungsmaßnahmen, ist auch dies keineswegs geeignet, das Vorhandensein von spezifischen Ängsten in Bezug auf die Tätigkeit in einer Spielhalle zu widerlegen. Denn es ist gerade die Eigenheit von spezifischen Ängsten, dass die Betroffenen ihr übriges Leben unbeeinträchtigt und ohne begleitende ärztliche Behandlungsmaßnahmen führen können. Im übrigen haben sowohl die Ärztin Dr. E. als auch die behandelnden Ärzte Dr. C. und Dr. D. bei der Klägerin eindeutige Symptome einer Angststörung festgestellt.

Auf der Grundlage der Einschätzung von Dr. E. (Gutachten vom 17. September 2008) ist die Kammer daher überzeugt, dass die durch den Arbeitsunfall vom 25. Juli 2008 hervorgerufene Angststörung, die Klägerin daran gehindert hat, ihre bisherige Tätigkeit weiter auszuüben. Diese Einschätzung von Dr. E. hat auch Dr. G. bei ihrer Untersuchung der Klägerin im Februar 2009 nochmals bestätigt, vgl. ärztliche Stellungnahme vom 25. Februar 2009.

Im Ergebnis ist die Kammer überzeugt davon, dass die Beklagte für die Teilhabeleistungen der Klägerin zuständig gewesen wäre.

Einwände bezüglich der Leistungsgewährung sind für die Kammer nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Soweit § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX eine Erstattung der Aufwendungen des vorleistenden Trägers "nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften" vorsieht, bedeutet dies, dass der Fall von dem eigentlich zuständigen und damit erstattungspflichtigen Träger nicht noch einmal von Grund auf neu aufzugreifen ist, der erstattungspflichtige Träger somit an die Sachverhaltsaufklärung bzw. eine etwaige Ermessensbetätigung des vorleistenden Trägers gebunden ist (BSG, Urteil vom 06. März 2013 – B 11 AL 2/12 R –, juris Rn. 18).

Die Klägerin hat den Erstattungsanspruch – entgegen der Auffassung der Beklagten - auch innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X rechtzeitig geltend gemacht. Nach § 111 Satz 1 SGB X ist - unabhängig von den den Fristenlauf hinausschiebenden Voraussetzungen des Satz 2 - der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Betroffen sind vorliegend nur Leistungen bis 30. April 2010, sodass die Ausschlussfrist frühestens am 30. April 2011 endete.

Den Erstattungsanspruch hat die Klägerin mit ihren Schreiben vom 23. Dezember 2009 und 9. Februar 2010 rechtssichernd und fristgemäß geltend gemacht.

Geltend machen nach § 111 Satz 1 SGB X verlangt nicht das Einfordern des Anspruchs vor Gericht, sondern das Behaupten des Anspruchs gegenüber dem Anspruchsgegner, lässt aber die bloße Anmeldung (im Sinne einer Ankündigung) der Forderung nicht genügen. Deswegen muss zwar der Sachverhalt, der den Erstattungsanspruch ausfüllen soll, (noch) nicht in allen Einzelheiten dargelegt, die Erstattungsforderung aber endgültig und unmissverständlich erhoben werden. Die bloß vorsorgliche und unverbindliche Anmeldung des Anspruchs wahrt die Ausschlussfrist des § 111 SGB X grundsätzlich nicht. Notwendig ist, dass der Wille des erstattungsberechtigten Leistungsträgers erkennbar wird, zumindest rechtssichernd tätig werden (und nicht nur das - etwaige - künftige Erheben einer Erstattungsforderung ankündigen) zu wollen. Maßgeblich sind alle Umstände des Einzelfalles, auch im Zusammenhang mit der abgegebenen Erklärung; deren äußere Form oder Abfassung für sich allein ist nicht ausschlaggebend.

Der erstattungspflichtige Leistungsträger muss außerdem erkennen können, wegen welcher Leistungen er in Anspruch genommen wird, und woraus sich der Erstattungsanspruch ergeben soll. Das folgt aus dem Zweck des § 111 SGB X, der für eine möglichst rasche Klärung des Erstattungsfalls sorgen will. Hierfür genügt es, wenn sich der erstattungspflichtige Leistungsträger ein Bild über Art und Umfang der in Rede stehenden Leistungen machen kann und in die Lage versetzt wird, seine eigene Leistungszuständigkeit bzw. die Frage zu prüfen, ob er mit einer Erstattungspflicht zu rechnen hat. Einer ins Einzelne gehenden Präzisierung und Aufschlüsselung der Forderung bedarf es (auch hierfür) nicht, solange der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen kann, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret mitgeteilt sind. Da der Erstattungsanspruch bereits geltend gemacht werden kann, bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat, können allgemeine Angaben genügen, die sich auf die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränken. Auch ein konkludentes Geltendmachen ist zulässig (vgl. zu alledem: BSG, Urteile vom 22. August 2000 - B 2 U 24/99 R -, vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 24/02 R -, vom 24. Februar 2004 - B 2 U 29/03 R -, vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 21/08 R und vom 20. Dezember 2012 - B 7 AY 5/11 R -, alle in juris).

Dies ist hier zu bejahen. Selbst wenn der Erklärung die konkrete Leistung sowie der Leistungszeitraum der Versicherten nicht im Einzelnen zu entnehmen ist, waren der Beklagten doch dem Grunde nach alle Umstände für die Leistungsberechtigung bekannt, hatte doch die Klägerin ihm mit Schreiben vom 11. Mai 2009, Bl. 42 der Beklagtenakte, ihre Leistungsakte geschickt hat. Aus dieser war ohne weiteres zu entnehmen die Art der gewährten Leistungen, deren Dauer und Kosten zu entnehmen. Ebenso waren der Beklagten die Umstände des Raubüberfalls aufgrund der Leistungsakte der Beklagten sowie aufgrund eigener Ermittlungen bekannt. Einer gesonderten Darlegung zu den Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen im Rahmen der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bedurfte es nicht. Eine Berufung der Beklagten auf eine auch formale genauere Darlegungspflicht wäre aus Sicht der Kammer treuwidrig. Denn die Beklagte vermochte keine schützenswerten Umstände aufzuzeigen, aus denen eine weitere Darlegungspflicht der Klägerin resultieren könnten. Allein die Absicht, im Hinblick auf die Ausschlussfrist die Realisierung der Erstattungsforderung der Klägerin zu verhindern, erscheint der Kammer dagegen nicht schützenswert.

Unter diesen Umständen war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 3, 43 Abs. 1, § 1 Abs. 2 Nr. 3, 3 Abs. 1 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Höhe der streitgegenständlichen Hauptforderung festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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