L 1 KR 298/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 198 KR 1452/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 298/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2019 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 2. August 2019 hat das Sozialgericht Berlin (SG) die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab 4. Juli 2019 vorläufig Krankgeld längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache und maximal bis zur Erschöpfung des 78 Wochen dauernden Anspruches zu gewähren, solange Arbeitsunfähigkeit bescheinigt ist. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei zulässig und begründet. Es bestehe ein Anordnungsanspruch, da davon auszugehen sei, dass dem Antragsteller fortlaufend Krankengeld zustehe (§ 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V). Die Arbeitsunfähigkeit werde als solche auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten. Die Bescheinigungen im Sinne des § 46 SGB V lägen jedenfalls bis 31. Juli 2019 vor. Ein Ruhen nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V sei nicht eingetreten, weil die Meldung der Arbeitsunfähigkeit unabhängig von der Einreichung der ärztlichen Bescheinigung erfolgen könne und hier durch den Antragsschriftsatz erfolgt sein konnte. Dem Krankengeldanspruch stehe auch nicht § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V entgegen. Die bis 30. November 2018 andauernde Arbeitsunfähigkeit habe (gänzlich) andere Ursachen als die hier maßgeblichen Erkrankungen, welche zur erneuten Arbeitsunfähigkeit ab 11. Dezember 2018 geführt hätten. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben. Der Antragsteller sei auf die Leistungen zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes dringend angewiesen. Es könne dem bedürftigen Antragsteller nicht zugemutet werden, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bzw. dem Zwölften Buch (SGB XII) zu beantragen. In ihrer Beschwerdeschrift vom 14. August 2019 greift die Antragsgegnerin nur die Annahme eines Anordnungsgrundes durch das SG an. Eine besondere Dringlichkeit fehle, weil der Antragsteller ausweislich der mittlerweile zugegangenen Meldung seit 1. Juli 2019 Leistungen nach dem SGB II beziehe. Die Antragstellung sei verschwiegen worden. II.

Der zulässigen Beschwerde bleibt Erfolg versagt.

Der Anordnungsgrund ist nicht weggefallen weil der Antragsteller mittlerweile Leistungen nach dem SGB II bezieht: Auch nach Auffassung des hiesigen Senats ist davon auszugehen, dass es Versicherten, denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Krankengeldanspruch zusteht und die deshalb im Eilverfahren erfolgreich einen entsprechenden Anordnungsanspruch geltend machen können, grundsätzlich nicht zuzumuten ist, stattdessen Leistungen nach dem SGB II zu beantragen (vgl. der vom SG angeführte Beschluss des 9. Senats im Hause vom 19. September 2006 – L 9 B 343/06 KR ER –, juris-Rdnr 4). Wird ungeachtet dessen aus Existenznot heraus eine solche Leistung beantragt und werden SGB II-Leistungen auch gewährt, lässt dies die Dringlichkeit nicht entfallen. Ein Verweis auf diesen Leistungsbezug und auf ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist nicht sachgerecht. Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II ist, ebenso wie bei der Sozialhilfe nach dem SGB XII, zu berücksichtigen, dass diese regelmäßig keinen gleichwertigen Ersatz gegenüber den Leistungen der Sozialversicherungen beinhalten. Das verdeutlicht auch der Umstand, dass das Krankengeld regelmäßig höher ist als die Leistungen nach dem SGB II. Im Übrigen regelt § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II, dass auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, durch dieses Buch nicht berührt werden. Es handelt sich wie bei dem Bezug von Sozialhilfe und Grundsicherung um ein anderes System sozialer Absicherung, das nicht nur, regelmäßig geringere Leistungen erbringt, sondern auch besondere Pflichten auferlegt (so zutreffend weitgehend wörtlich Bayerisches LSG Beschluss vom 22. Januar 2013 – L 5 KR 492/12 B ER –, juris –Rdnr. 25; im Ergebnis ebenso: Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 16. November 2012, L 5 KR 182/12 B ER, juris Rdnr. 13 mit weiteren Nachweisen; Keller in Meyer-Ladewig/KellerLeitherer/Schmidt, SGG, 12. A. 2017 § 86b Rdnr. 29a).

Die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin führt auch nicht dazu, dass dem Antragsteller Leistungen vorläufig "doppelt" zustehen: Soweit das JobCenter trotz unterstellter Nachrangigkeit Leistungen gewährt hat und gewährt, gälten diese in der betreffenden Höhe als Erfüllung des an sich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger, § 107 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), hier also der Antragsgegnerin.

Sollte umgekehrt der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin bestandskräftig werden, stünde ihr ein Erstattungsanspruch auch gegen das Jobcenter zu, da dann ihre Unzuständigkeit im Sinne jedenfalls des § 105 Abs. 1 SGX feststünde. Es kann unter diesem Gesichtspunkt hier deshalb auch nicht von einer weitgehenden, einen Anordnungsgrund ausschließenden, Hauptsachenvorwegnahme ausgegangen werden.

Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird ergänzend auf den angefochtenen Beschluss verwiesen, § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Der Senat geht davon aus, dass sich mit diesem Beschluss sowohl der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollziehung als auch der Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers erübrigen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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