L 9 KR 279/19 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 4208/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 279/19 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in einem sozialgerichtlichen Verfahren erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels ist schon dann gegeben, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsfähigkeit des PKH-Antrags der entscheidungserhebliche Sachverhalt in der Hauptsache noch klärungsbedürftig ist und dazu durch das Gericht Ermittlungen angestellt werden.

2. Zum Gebot zügiger Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2019 aufgehoben. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den Rechtsstreit S 208 KR 4208/15 vor dem Sozialgericht Berlin unter Beiordnung ihrer o.g. Prozessbevollmächtigten ohne Festsetzung von Ratenzahlungen gewährt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2019, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die am 14. Dezember 2015 erhobene Klage abgelehnt hat, ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 172 und 173 SGG zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten für den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin. Ihre Rechtsverfolgung bot zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife ihres Prozesskostenhilfeantrages eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Rechtssinne.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Dabei hat das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes zu beurteilen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) soll die Prüfung der Erfolgsaussicht im Rahmen des § 114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris, sowie BVerfGE 81, 347,357). Im Hinblick auf die fehlende Aussicht einer Klage auf Erfolg darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn die Klage (bei summarischer Prüfung) völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05 sowie Beschluss vom 4. September 2017, 1 BvR 2443/16; LSG Berlin-Brandenburg, 1. Senat, Beschluss vom 10. März 2006, L 1 B 1150/05 KR PKH, jeweils zitiert nach juris; zu den Anforderungen an eine zügige Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2003, 1 BvR 901/03 ["gewisse Eilbedürftigkeit"]).

Kommen eine weitere Aufklärung oder eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass richterliche Aufklärungsmaßnahmen oder eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers oder Antragstellers ausgehen würden, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 12. November 2014, L 9 AS 499/14 B PKH, bei juris).

Danach stand der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht eine fehlende Erfolgsaussicht der erhobenen Klage schon deshalb nicht entgegen, weil das Sozialgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt (zu Recht) für klärungsbedürftig hielt und selbst noch in der Sache ermittelt hat, als der Prozesskostenhilfeantrag bereits seit Langem bewilligungsreif war.

Bewilligungsreif war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe schon bei Klageerhebung am 14. Dezember 2015, denn schon zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Einkommensnachweisen (Rente, Sozialhilfe) und Angaben zur Miethöhe bei dem Sozialgericht eingereicht.

Bereits mit der Eingangsverfügung hat der Richter erster Instanz Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung für nötig befunden, indem die Klägerin veranlasst wurde, ei-ne Schweigepflichtentbindung und eine Liste der behandelnden Ärzte einzureichen. Die Verfahrensakte ist durchzogen von weiteren Bemühungen um Sachverhaltsaufklärung: Beiziehung diverser SO-Akten am 1. April 2016; Nachfrage zum Sachverhalt bei der Klägerin am 27. Juli 2016; Ergänzung der Gerichtsakte um verschiedene medizinische Unterlagen aus der Akte S 184 SO 1609/11 am 12. September 2016; Verfügung zur Sachverhaltsaufklärung vom 17. Februar 2017; Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 19. Dezember 2017 unter Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin; Erstellung eines Beistücks zur Akte mit Kopien aus den Gerichtsakten S 184 SO 1609/11 und S 90 SO 838/15 (Verfügung vom 20. Dezember 2017); weitere Verfügung zur Sachverhaltsaufklärung vom 17. Januar 2018 mit Erwähnung der Möglichkeit, ein Sachverständigengutachten zu beauftragen; ausführliche Bitte an die Klägerin vom 13. Juni 2018 um weiteres Vorbringen zur Sache.

Angesichts all dieser Aufklärungsbemühungen kann zur Überzeugung des Senats nicht davon die Rede sein, dass ein Erfolg der Klägerin in der Hauptsache von vorn-herein völlig aussichtslos gewesen wäre. Ein faires und effektives Verfahren (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie eine Orientierung an den Voraussetzungen des § 114 ZPO hätten es geboten, über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe frühzeitig nach Klageerhebung zu entscheiden und ihm stattzugeben. Über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sogar erst etwa einen Monat nach dem Urteil zur Hauptsache zu entscheiden und ihn mit Hinweis auf den Ausgang des Klageverfahrens abzulehnen, verletzt den Anspruch der Klägerin auf Rechtsschutzgleichheit und wird hier konkret angesichts der umfangreichen Bemühungen um Sachverhaltsaufklärung den verfassungsgerichtlich definierten großzügigen Anforderungen an "hin-reichende Erfolgsaussicht" im Sinne von § 114 ZPO nicht gerecht.

Da die Klägerin ausweislich ihrer Angaben über keinerlei Vermögenswerte verfügt und Sozialhilfe bezieht, besteht Bedürftigkeit und musste Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht ange-fochten werden (§ 177).
Rechtskraft
Aus
Saved