L 1 KR 221/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 234/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 221/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2019 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2019 ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin nach Vorlage eines entsprechenden Betäubungsmittelrezepts mit Dronabinol ölige Tropfen zu versorgen.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich aus der hier vorzunehmenden Folgenabwägung die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung ergeben. Der Senat verweist entsprechend § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die entsprechenden Ausführungen und macht sie sich zu eigen. Die Antragsgegnerin hat mit ihrer Beschwerde nichts vorgetragen, das geeignet wäre, eine andere Entscheidung in der Sache herbeizuführen. Nach dem gegebenen Sach- und Streitstand besteht weiter die Gefahr, dass die Antragstellerin ohne die Gewährung der streitbefangenen Leistungen bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden würde.

Gemäß § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zugestanden, dass sie das Bestehen einer schwerwiegenden Erkrankung bei der Antragstellerin nicht mehr in Abrede stellen will. Allerdings wendet sie sich weiter gegen die Annahme des Sozialgerichts, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Die gerade ein paar Sätze umfassende Stellungnahme des behandelnden Arztes vom 15. Mai 2019 reiche dafür nicht aus. Sie – die Antragsgegnerin - gehe weiter davon aus, dass eine andere Leistung in Form einer multimodalen Schmerztherapie zur Verfügung stehe.

Damit verkennt die Antragsgegnerin indessen die im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes maßgebenden Voraussetzungen. Der Senat sieht sich – ebenso wie schon das Sozialgericht - nicht in der Lage, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohne weitere Ermittlungen abschließend über die Möglichkeit einer alternativen Therapie zu entscheiden. Die Einschätzung des behandelnden Arztes erscheint dagegen nicht offensichtlich fehlerhaft bzw. auf falschen Voraussetzungen beruhend. Der behandelnde Arzt Dr. Jhatte weitere Angaben zu den bisher versuchten Behandlungen schon am 7. September 2018 gegenüber dem MDK gemacht. Nach Aktenlage hatte ein weiterer Arzt (Prof. Dr. Dr. K) bereits im November 2017 den Einsatz von Cannabinoiden empfohlen. Aus der von der vorherigen Krankenkasse der Antragstellerin zunächst dem Sozialgericht übersandten Leistungsübersicht vom 4. Juli 2019 ergibt sich, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit vielfältig andere Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hat.

Weitere Ermittlungen, ggfls. die Einholung eines Sachverständigengutachtens, können nicht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchgeführt werden. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht bei der Entscheidung über die Verordnung von Cannabis die Therapiehoheit des Vertragsarztes stärken wollte, wie sich aus der Formulierung des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V ergibt (vgl. BT-Drucks 18/10902 S. 20). Zurzeit kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass keine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung für die Versicherte nicht zur Verfügung steht. Bei der vom Gericht dann allein vorzunehmenden Folgenabwägung ist dem Grundrecht der Antragstellerin auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit der Vorrang einzuräumen vor den möglicherweise eintretenden finanziellen Verlusten für die Antragsgegnerin im Falle einer (rechtskräftigen) Klageabweisung in der Hauptsache. Zu Recht hat das Sozialgericht danach die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zur Leistung verpflichtet. Die Beschwerde dagegen konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved