S 16 AS 438/19 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 438/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 285/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. C., und den gemeinsamen Kindern D. und E. C. vorläufig für den Zeitraum vom 4. April 2019 bis 30. September 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Frau Rechtsanwälte B., A-Stadt, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung mit Wirkung seit 4. April 2019 gewährt.

Gründe:

I

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem beim hiesigen Sozialgerichts am 4. April 2019 eingegangenen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Die Antragstellerin ist rumänische Staatsangehörige und lebt in Haushaltsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. C., sowie den gemeinsamen Kindern D. C. (geb. 2012) und E. (geb. 2016).

Der Lebenspartner der Antragstellerin war seit 1. August 2017 bei der Firma F. Transportunternehmen als Fahrer (in Teilzeit) beschäftigt und erzielte ein monatliches Entgelt in Höhe von brutto 810,92 EUR/netto 650 EUR. Dieses Beschäftigungsverhältnis kündigte der Arbeitgeber zum 15. November 2018 "aus wirtschaftlichen Gründen"

Nachdem der Antragsgegner durch Bescheid vom 6. Juli 2018 die Antragstellerin noch als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihres Lebenspartners und deren gemeinsamer Kinder für den Leistungszeitraum vom 3. April 2018 bis 30. September 2018 berücksichtigt hatte, bewilligte er die SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2018 bis 14. April 2019 durch Bescheid vom 27. November 2018 in Gestalt der Bescheide vom 13. Dezember 2018, 20. Dezember 2018 und 16. Januar 2019 ohne die Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft der vorgenannten Personen einzubeziehen. Am 15. Januar 2019 stellte der Lebenspartner der Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Überprüfung des vorgenannten Bescheides und berief sich darauf, dass sich die Antragstellerin um die beiden gemeinsamen Kinder kümmere. Er sei über ein Jahr beschäftigt gewesen und werde ab Februar (2019) eine neue Arbeitsstelle haben. Seit Oktober 2018 sei die Antragstellerin nicht mehr krankenversichert.

Aktenkundig ist ein Arbeitsvertrag des Lebenspartners der Antragstellerin mit der Firma G. Logistik GmbH vom 1. Juni 2018 mit einem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als Kraftfahrer der Klasse C/CE zum 1. Februar 2019 in Teilzeit mit 20 Wochenstunden (Bruttostundenlohn: 9 EUR).

Durch Bescheid vom 22. Januar 2019 lehnte der Antragsgegner die Abänderung des Bescheides vom 27. November 2018 in Gestalt der Bescheide vom 13. Dezember 2018 (vgl. oben) ab und führte in der Begründung aus, die Antragstellerin sei von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b) und c) ausgeschlossen. Für diese komme einzig ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Betracht, wobei Familienangehörige i.S. des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) nach § 3 Abs. 2 des genannten Gesetzes nur Ehegatten, Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz sowie Verwandte in gerader Linie seien. Zwar könne sie von ihren Kindern ein Aufenthaltsrecht ableiten, jedoch nur dann, wenn sie den insoweit in Betracht kommenden freizügigkeitsberechtigten Personen, folglich den gemeinsamen Kindern, Unterhalt gewähre. Somit bestehe bei der Antragstellerin lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche sowie ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Elternteil freizügigkeitsberechtigter Kinder aus Art. 10 der Verordnung (EU) 492/2011. Den Widerspruch der Antragstellerin vom 19. Februar 2019 wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 8. März 2019 zurück und führte zur Begründung aus, die Antragstellerin habe weder eine abhängige noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit oder eine Berufsausbildung ausgeübt noch sei sie daueraufenthaltsberechtigt. Somit komme einzig ein Aufenthaltsrecht als Partnerin oder als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU, Art. 10 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 in Betracht. Die genannte Verordnung gewähre aber ein originäres Aufenthaltsrecht für die Kinder von EU-Bürgern zum Schulbesuch und zur Berufsausbildung. Hinsichtlich beider Kinder der Antragstellerin bestehe indes noch keine Schulpflicht in der Grundschule. Aber abgesehen davon habe die Antragstellerin lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche und allenfalls ein solches nach Art. 10 der VO (EU) 492/2011. Beides führe jedoch zum Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst.b) und c) SGB II. Weitere Aufenthaltsrechte könne die Antragstellerin nicht beanspruchen. Insbesondere scheide ein Aufenthaltsrecht nach §§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aus. § 28 AufenthG scheide aus, da weder der Lebenspartner der Antragstellerin noch die gemeinsamen Kinder deutsche Staatsangehörige seien. Schließlich sei der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c) auch nicht europarechtswidrig.

Mit ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes trägt die Antragstellerin vor, sie habe ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 10 VO Nr. 492/2011, da ihr Kind D. die Schule besuche und der Kindesvater Arbeitnehmer sei. Dieses Aufenthaltsrecht setze nicht voraus, dass sie Arbeitnehmerin sei. Bedürfe ein minderjähriges Kind der Anwesenheit und Fürsorge eines Elternteiles, so bestehe auch für den Elternteil, der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehme, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach der genannten Verordnung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gelte insoweit auch für den sorgeberechtigten Elternteil, der sein Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltsrecht seines Kindes ableite. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c) SGB II sei europarechtswidrig. Hierzu habe das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2018 (L 9 AS 462/18 B ER) ausgeführt, die Rechtsfrage der Vereinbarkeit mit europäischem Recht erfordere in einem Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Im vorliegenden Fall (des einstweiligen Rechtsschutzes) entscheide der Senat aber aufgrund einer Folgenabwägung. Dabei überwögen die Interessen der Antragsteller am Erhalt existentieller Leistungen gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, eventuell vorläufig zu erbringende Leistungen nicht mit Erfolg zurückfordern zu können. Zu der vorgenannten Vorschrift berufe sie sich auf die Ausführungen des Landessozialgerichts NRW im Beschluss vom 14. Februar 2019 (L 19 AS 1104/18), mit dem das genannte Gericht das dortige Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt habe. Folglich müsse eine Interessenabwägung/Folgenabwägung auch in dem vorliegenden Fall zu ihren Gunsten vorgenommen werden. Immerhin handele es sich hier um eine äußerst schwierige, höchst umstrittene Rechtsfrage. Ferner stehe ihr - der Antragstellerin - ein Aufenthaltsrecht aus § 28 AufenthG analog zu. Hierzu habe das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 19. Juni 2018 (Az. L 4 SO 91/18 B ER) ausgeführt, ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. § 28 AufenthG erscheine zumindest nicht ausgeschlossen, da der Vater des Kindes in jenem entschiedenen Fall erwerbstätig sei und daher für die Kindesbetreuung allenfalls eingeschränkt zur Verfügung stehe. Besitze ein Kind die Unionsbürgerschaft, so könne es verlangen, so gestellt zu werden, wie ein deutsches Kind. Dies folge gerade aus den vorgenannten Vorschriften. Schließlich habe sie die Gewährung der Leistungen nicht ohne weiteres hingenommen, sondern habe bis Februar 2019 noch Elterngeld bezogen. Zudem sei sie der deutschen Sprache nicht mächtig und habe sich nicht in der Lage gesehen, Widerspruch einzulegen. Über ihre Rechte sei sie vielmehr von einer Beratungsstelle aufgeklärt worden und habe sich sodann an ihre Prozessbevollmächtigte gewandt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gesetzlich vorgesehenen Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, er halte es für fraglich, ob die Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU 492/2011 für sich ableiten könne. Zwar habe sie nunmehr in dem vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren eine Schulbescheinigung für Kind D. vorgelegt, die bislang unbekannt gewesen sei. Der Anwendungsbereich der genannten Verordnung erfordere jedoch, dass es sich um Kinder eines EU-Bürgers handele, der im fraglichen Mitgliedstaat beschäftigt sei oder gewesen sei. Die Antragstellerin habe indes in der Bundesrepublik Deutschland noch keine Beschäftigung ausgeübt, sondern lediglich ihr Partner. Zudem handele es sich hier sogar um eine "doppelt-mittelbare" Ableitung eines Aufenthaltsrechts, da sich der Wortlaut des Art. 10 VO (EU) 492/2011 lediglich auf die Kinder beziehe und der Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht zugebilligt werden solle, ohne jemals Arbeitnehmerin gewesen zu sein. Darüber hinaus halte es der Antragsgegner für zu weit gehend, wenn die Antragstellerin über die doppelte Ableitung eines Aufenthaltsrechts in den Schutzbereich der Gleichbehandlung gemäß Art. 7 der VO (EU) 492/2011 gelangen könnte. Aber selbst wenn sich die Antragstellerin auf Art. 10 der genannten Verordnung berufen könne, sei sie von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II ausgeschlossen. Zwar werde vertreten, dass dieser Leistungsausschluss europarechtswidrig sei. Unklar sei jedoch, worin genau diese Europarechtswidrigkeit bestehen solle, wenn demgegenüber Buchst. b dieser Norm europarechtskonform sei (vgl. z.B. EuGH vom 15. September 2015, Az. C-67/14). Unter Folgenabwägungsgesichtspunkten sei ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin monatelang zugewartet habe, bevor sie den Eilantrag gestellt habe, während den übrigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft Leistungen gewährt worden seien. Auch ein Aufenthaltsrecht aus § 28 AufenthG könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil ihre Kinder nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang auch begründet. Denn die Antragstellerin hat das Bestehen eines Leistungsanspruchs nach dem SGB II als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner und den gemeinsamen Kindern glaubhaft gemacht. Zwar vermag sich die Antragstellerin allein auf ein in zweifacher Hinsicht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht als die elterliche Sorge wahrnehmendes und nicht erwerbstätiges Elternteil zu berufen, so dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II sogar erst recht Platz griffe. Indes ist die Europarechtskonformität dieser Vorschrift in der Fassung vom 22. Dezember 2016 derart umstrittenen, so dass auch in der Rechtsprechung die Vorschrift sogar als europarechtswidrig eingestuft wird (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss vom 4. Februar 2019, Az.: L 19 AS 1104/18 in Juris). Zur Überzeugung des Gerichts war daher im Rahmen der vorzunehmenden Folgenabwägung dem Interesse der Antragstellerin an der Sicherung ihres Lebensunterhaltes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung rechtswidriger Leistungserbringung der Vorzug zu geben. Dies folgt nicht nur aus den Gründen, die für eine Europarechtswidrigkeit des § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II sprechen, sondern auch daraus, dass es hier um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums geht und auch die Familie der Antragstellerin gerade im Hinblick auf die Wahrnehmung der elterlichen Sorge unter dem besonderen grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) steht.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach S. 2 der genannten Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, voraus, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch stehen insoweit in Wechselbeziehung zueinander als die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsache (dem Anordnungsanspruch) mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) sinken und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist daher dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dann stattzugeben. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens - wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist - ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch - vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist - in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Januar 2013, Az.: L 7 AS 46/12 B ER mit Hinweisen auf die Rspr. des BVerfG, insbesondere Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05). Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers, ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden, gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO - i.V.m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG). Dabei sind, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG a.a.O.). Nach dieser Rechtsprechung müssen sich die Gerichte ohnehin stets schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen.

Nach diesen Grundsätzen war der Antragsgegner im Rahmen der hier vorzunehmenden Folgenabwägung zu verpflichten, der Antragstellerin die SGB II-Leistungen als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner und den gemeinsamen Kindern vorläufig für den Zeitraum vom 4. April 2019 bis 30. September 2019 in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren. Denn die Antragstellerin hat zum einen glaubhaft gemacht, dass sie aus Art. 10 der VO (EU) 492/2011 für sich ein Aufenthaltsrecht als die elterliche Sorge wahrnehmendes Elternteil ableiten kann, auch ohne zugleich Arbeitnehmerin zu sein bzw. gewesen zu sein. Zum anderen ist unter Berücksichtigung der vor allem in der Rechtsprechung vorzufindenden Rechtsauffassung mindestens fraglich, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II mit dem Europarecht in Einklang steht. Nach der vorgenannten Vorschrift sind von den Leistungen nach dem SGB II Ausländerinnen und Ausländer ausgenommen, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b (zum Zweck der Arbeitssuche) aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.04.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen. Zweifel hinsichtlich der Europarechtskonformität dieser Vorschrift gehen insbesondere dahin, dass hiernach Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 grundsätzlich von dem Bezug von Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ausgeschlossen werden und das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 10 i.V.m. Art. 7 VO (EU) 492/2011 verletzt ist, sofern die SGB II-Leistungen "soziale Vergünstigungen" nach Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 420/2011 darstellen. Letzteres wird jedoch in der Rechtsprechung vertreten (vgl. LSG NRW a.a.O. in Juris). Zugleich könnte die Ausschlussnorm gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, weil § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II explizit an die Staatsangehörigkeit der EU "Ausländerinnen und Ausländer" anknüpft. Zu Recht weist die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin daher insoweit darauf hin, dass es sich bei der Frage des Einklanges der Ausschlussvorschrift mit dem Europarecht um eine komplexe Problematik handelt, die im Rahmen eines Eilverfahrens jedenfalls nicht abschließend geklärt werden kann. Andererseits vermag sich die Antragstellerin auf ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der VO (EU) 492/2011 auch zu berufen, obwohl sie nicht selbst Arbeitnehmerin war oder ist. Denn ausweislich der in dem vorliegenden Verfahren vorgelegten Schulbesuchsbescheinigung vom 25. März 2019 besucht der gemeinsame Sohn D. C. seit 1. August 2018 die H-schule in A-Stadt und stand der Lebenspartner der Antragstellerin zunächst seit 1. August 2017 bis 15. November 2018 in einem Beschäftigungsverhältnis und ist nunmehr seit 1. Februar 2019 erneut als Kraftfahrer beschäftigt. Soweit und solange aber ein minderjähriges Kind für die Wahrnehmung seines Ausbildungsrechts aus Art. 10 der VO (EU) 492/2011 der Anwesenheit und Fürsorge eines Elternteils bedarf, besteht in gleicher Weise für denjenigen Elternteil, der die elterliche Sorge wahrnimmt ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aufgrund der genannten EU-Norm. Der Antragstellerin ist danach ein Aufenthaltsrecht zuzubilligen, dass sich zum einen aus dem Aufenthaltsrecht ihres minderjährigen Kindes sowie zum anderen daraus ableitet, dass ihr Lebenspartner und Vater des Kindes als Arbeitnehmer tätig ist und daher die elterliche Sorge nur zum Teil selbst wahrnehmen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010, Az.: C-480/08; in Juris). Somit steht fest, dass der Antragstellerin ein anderes Aufenthaltsrecht als dasjenige zum Zwecke der Arbeitssuche i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 2 Buchst. b SGB II zustünde, sofern sich der Ausschluss nach Buchst. c dieser Vorschrift als europarechtswidrig herausstellte. Damit ist eine Folgenabwägung vorzunehmen und dabei dem Interesse der Antragstellerin aus zweierlei Gründen der Vorzug zu geben. Zum einen ist wegen der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums die grundrechtlich geschützte Menschenwürde tangiert und zum anderen der Schutzbereich der Familie und elterlichen Fürsorge aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.

Die Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin verbietet sich auch nicht etwa deswegen, weil diese wegen der Bestandskraft des Bescheides vom 27. November 2018 nicht sogleich um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen vermochte und es hingenommen hatte, vom Antragsgegner schon seit 1. November 2018 von den SGB II-Leistungen ausgenommen worden zu sein. Hatte ein Eilrechtschutz wegen der Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 27. November 2018 keinerlei Erfolgsaussichten, so steht dem die Annahme der Hilfebedürftigkeit i.S. des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II nicht entgegen. Zudem setzt sich der Antragsgegner in Widerspruch, einerseits Hilfebedürftigkeit der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzunehmen, gegenüber der Antragstellerin indes zu mutmaßen, sie habe den Leistungsausschluss vorübergehend (bewusst) hinnehmen können. Die Antragstellerin ist nach alledem gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b SGB II der Bedarfsgemeinschaft ihres Lebenspartners und der gemeinsamen Kinder zuzuordnen.

Die Antragstellerin hat schließlich auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn dieser ergibt sich schon aus der Tatsache, dass es sich bei den streitgegenständlichen Leistungen um solche existenzsichernder Natur handelt und die Antragstellerin offenkundig über kein Vermögen bzw. über kein (ausreichendes anderweitiges) Einkommen verfügt. In solchen Fällen ist nach Auffassung des Gerichts stets Eilbedürftigkeit für die Zeit ab Eingang des Eilantrages bei dem Sozialgericht anzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.

Der Antragstellerin war schlussendlich Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten ab Antragstellung zu gewähren, weil ihr Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Insoweit ist auf die vorstehenden Gründe zu verweisen.
Rechtskraft
Aus
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