L 4 AS 272/17

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 AS 4103/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 272/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. März 2017 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen für die Monate Juni bis Oktober und Dezember 2007.

Der am ... 1969 geborene und seinerzeit im Haus seiner Eltern wohnende Kläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Kläger) beantragte erstmals am 8. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). In diesem Zusammenhang machte er keine konkreten Bedarfe der Unterkunft und Heizung geltend und teilte mit, dass er bis zum 1. Dezember 2006 ein kalendertägliches Arbeitslosengeld I in Höhe von 14,65 EUR erhalte.

Daraufhin bewilligte der Beklagte und Berufungskläger (im Folgenden Beklagter) mit Bescheid vom 16. Januar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 8. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007, wobei sich die Bewilligung auf die Regelleistung beschränkte. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Veränderungsmitteilung vom 30. April 2007 teilte der Kläger mit, zum 1. Mai 2007 eine selbstständige Tätigkeit mit einem Hausmeister- und Dienstleistungsservice in der Bau-, Land- und Forstwirtschaft aufzunehmen. Er gehe davon aus, einen Gewinn in Höhe von 100 EUR monatlich zu erzielen. An diesem Tag sprach der Kläger nach den Angaben des Beklagten auch persönlich vor, wobei ihm ausweislich eines Aktenvermerks auch Fragen zum weiteren ALG II-Bezug sowie zum Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung beantwortet wurden. Nach den Angaben des Beklagten kontaktierte der Kläger ihn erst wieder am 6. August 2007, da dieser von seiner Krankenkasse mit Schreiben vom 5. August 2008 über das Ende seines Krankenversicherungsschutzes informiert worden war. Nach Lage der Akten informierte der Beklagte ihn über den fehlenden Antrag und händigte ihm die Antragsunterlagen aus. Anschließend beantragte der Kläger mit Fortzahlungsantrag vom 7. August 2007 erneut Grundsicherungsleistungen, wobei er angab, dass – mit Ausnahme der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit – keine Änderungen eingetreten seien.

In der Folge bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 21. August 2007 nahtlos – rückwirkend zum 1. Juni 2007 – vorläufig Grundsicherungsleistungen bis zum 30. November 2007, wobei er für Juni 2007 die Regelleistung i.H.v. 345 EUR und für die folgenden Monate Juli bis November i.H.v. 347 EUR monatlich ohne Anrechnung von Einkommen bewilligte. Bedarfe der Unterkunft und Heizung berücksichtigte er aufgrund der (fehlenden) Angaben des Klägers wiederum nicht. Darüber hinaus bewilligte er einen befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II in Höhe von monatlich 63 EUR.

Mit Schreiben vom 22. August 2007 forderte der Beklagte den Kläger unter anderem auf, eine betriebswirtschaftliche Analyse seit Beginn der Selbstständigkeit einzureichen sowie seine Bankverbindung mitzuteilen. Daraufhin reichte der Kläger am 28. September 2007 vorläufige betriebswirtschaftliche Auswertungen für die Monate Mai bis Juli 2007 ein.

Der Beklagte erließ unter dem 4. Oktober 2007 einen Änderungsbescheid für November 2007, weil nunmehr eine Kontonummer vorliege. Dieser Bescheid enthielt keinen Hinweis mehr auf die Vorläufigkeit der Entscheidung.

Aufgrund des am 5. November 2007 beim Beklagten eingegangenen Fortzahlungsantrags vom 17. Oktober 2007, in welchem der Kläger erneut erklärte, es seien keine Änderungen eingetreten, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2007 unter anderem für Dezember 2007 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der Regelleistung von 347 EUR sowie einen befristeten Zuschlag in Höhe von 33 EUR, wobei er erneut Bedarfe der Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigte.

Der Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 2008, dass er den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 benötige, um den Leistungsanspruch endgültig berechnen zu können, weshalb er um Mitteilung bat, ob bzw. wann eine Einkommensteuererklärung abgegeben werde.

Mit Schreiben vom 22. April 2008 wandte sich der (nunmehr) anwaltlich vertretene Kläger an den Beklagten und bat darum, ihm einen Fortzahlungsantrag bzgl. der "am 30.05.2008" auslaufenden "Gewährung des Arbeitslosengeldes II" zur Verfügung zu stellen. Daraufhin teilte der Beklagte mit, diesen bereits übersandt zu haben. Gleichzeitig stellte er dem Kläger weitere Unterlagen zur Verfügung. In dem für den Bewilligungszeitraum von Januar bis Mai 2008 geführten Widerspruchsverfahren begründete der Kläger seinen Rechtsbehelf insbesondere damit, ihm sei zugesichert worden, dass im Rahmen der Existenzgründung auch weiterhin die volle Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts – ohne Anrechnung von Einkommen – gezahlt werde.

Auf das o.g. Schreiben des Beklagten vom 10. Januar 2008 reagierte der Kläger zunächst nicht, weshalb der Beklagte ihn mit Schreiben vom 22. August 2008 aufforderte, den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 – soweit dieser vorliege – bis zum 8. September 2008 vorzulegen.

Daraufhin reichte der Kläger am 9. September 2008 den Einkommenssteuerbescheid vom 28. August 2008 für das Jahr 2007 ein. Hieraus ergaben sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 5.676 EUR. In dem Übersendungsschreiben vom 8. September 2008 bat der Prozessbevollmächtigte mitzuteilen, ob bzw. wann der Kläger erneut bei der Krankenkasse angemeldet worden sei.

Mit zwei Schreiben vom 30. April 2009 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er werde den Leistungsanspruch aufgrund des durch den Einkommenssteuerbescheid nachgewiesenen Einkommens für die Monate Juni bis Oktober und Dezember 2007 endgültig auf 0 EUR festsetzen; die erbrachten Leistungen in Höhe von 408 EUR für den Monat Juni sowie in Höhe von 410 EUR monatlich für die Monate Juli bis Oktober 2007 seien zu erstatten. Für Dezember 2007 habe der Kläger 380 EUR zu erstatten, weil in diesem Monat lediglich 33 EUR als befristeter Zuschlag gewährt worden seien. Zeitgleich erließ der Beklagte die beabsichtigten Verwaltungsakte.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, ohne diesen jedoch zu begründen. Im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde vom 27. Oktober 2009 führte der Kläger aus, auf Grund von Gesprächen mit seinem Sachbearbeiter, Herrn S., im Vorfeld der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit davon ausgegangen zu sein, einen Zuschuss zur Existenzgründung zu erhalten. Um dessen Höhe ermitteln zu können, habe er den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausfüllen sollen. Er sei nicht darüber aufgeklärt worden, keinen Existenzgründungszuschuss bzw. Eingliederungszuschuss zu erhalten, sondern lediglich Grundsicherungsleistungen.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 10. März 2010 wies der Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage. Dieses wies in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 19. Juli 2012 darauf hin, es könne nicht erkennen, in welcher Form das Einkommen des Klägers angerechnet worden sei. Aufgrund dessen habe es Zweifel, ob diese Bescheide "rechtskräftig" bleiben könnten. Daraufhin wurden die Klageverfahren durch angenommene Anerkenntnisse beendet. In der Folge erließ der Beklagte unter dem 21. August 2012 zwei Rücknahmebescheide hinsichtlich der ursprünglich streitbefangenen Verwaltungsakte.

Schließlich erließ der Beklagte unter dem 18. Juni 2013 für die Monate Juli bis Oktober bzw. Dezember 2007 jeweils einen Ablehnungsbescheid, weil der Kläger in den maßgeblichen Zeiträumen nicht hilfebedürftig gewesen sei. Mit zwei Erstattungsbescheiden vom selben Tag forderte der Beklagte den Kläger außerdem auf, die erbrachten Leistungen Höhe von 2048 EUR (Juni bis Oktober) und 380 EUR (Dezember) zurückzuzahlen.

Hiergegen erhob der Kläger mit diversen Schreiben vom 22. Juli 2013 Widerspruch und führte zusammengefasst aus, er habe aufgrund des langen Zeitraumes seit 2007 davon ausgehen dürfen, dass die vorläufigen Bewilligungen endgültig seien, zumal der Einkommensteuerbescheid dem Beklagten seit September 2008 vorliege. Entsprechend der Verjährungsvorschriften sowie §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) seien die vorläufigen Bewilligungen aus 2007 seit Ende 2012 in Bestandskraft erwachsen und könnten nicht mehr geändert werden. Die Erstattungsforderungen seien verjährt. Außerdem sei die Berechnung nicht nachvollziehbar.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 6. August 2014 wies der Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück: Der Kläger habe Erwerbseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielt, welches unter Berücksichtigung der gesetzlichen Freibeträge dessen Bedarf überstiegen habe. Dieser habe – da es sich um vorläufige Bewilligungen gehandelt habe – den überzahlten Betrag zu erstatten. Insbesondere sei der Grundsicherungsträger nicht gehindert, die Forderungen geltend zu machen; weder seien diese verjährt, noch könne sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen.

Hiergegen hat der Kläger am 11. September 2014 beim SG Halle zwei Klagen erhoben und ausgeführt, dass das Zufluss- und Abflussprinzip nicht beachtet, sondern das Jahreseinkommen auf die entsprechenden Monate aufgeteilt worden sei. Außerdem seien weder die Kosten der Unterkunft und Heizung noch die Beiträge zur Krankenversicherung berücksichtigt worden. Letztlich habe er auch lediglich "Übergangsgeld" und keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragen wollen. Das "Übergangsgeld" sei auch für sechs Monate, d.h. bis zum 31. Oktober 2007, gezahlt worden. Vor Ablauf des Bewilligungszeitraumes zum 31. Oktober 2007 habe er einen Fortzahlungsantrag gestellt. Die entsprechenden Unterlagen seien ihm durch Mitarbeiter des Beklagten ausgehändigt worden. Dass es sich hierbei um die falschen Anträge gehandelt habe, dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Insbesondere habe er nicht erkennen können, dass es sich nicht um Anträge auf Bewilligung von Einstiegsgeld gehandelt habe, sondern um Anträge auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

Der Beklagte hat seine Entscheidungen verteidigt.

Das SG hat in einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage ausgeführt, es dürfe lediglich auf Fragen der Verjährung/Verwirkung (vgl. § 50 Abs. 4 SGB X) ankommen. Darüber hinaus hat es darauf hingewiesen, dass der Kläger Bedarfe der Unterkunft und Heizung durch geeignete Belege nachzuweisen habe. Im Nachgang hierzu hat der Kläger ergänzend vorgetragen, das Einkommen müsse auf zwölf Monate und nicht allein die sieben Monate aufgeteilt werden, in denen es erwirtschaftet worden sei. Letztlich seien auch Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung unberücksichtigt geblieben. Diese hätten zum Zeitpunkt der selbstständigen Erwerbstätigkeit bei 350 EUR monatlich gelegen.

Das SG hat die Verfahren in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die angefochtenen Bescheide vom 18. Juni 2013 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. August 2014 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar seien die Erstattungsansprüche des Beklagten aufgrund einer einjährigen Untätigkeit nicht verwirkt, allerdings seien diese verjährt. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X finde keine Anwendung; insofern sei § 328 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) lex specialis.

Gegen das ihm am 23. März 2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. April 2017 Berufung eingelegt. Das SG sei zu Unrecht von einer Verjährung der Erstattungsforderungen ausgegangen. Verjährung könne erst vier Jahre nach Bestandskraft der endgültigen Bewilligungsentscheidung eintreten. Da die endgültigen Festsetzungen zeitgleich mit den Bescheiden über die Erstattungsforderungen ergangen seien, könne unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Verjährung eingetreten sein.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 14. März 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zudem hat er die Angaben des Beklagten zu persönlichen Vorsprachen einschließlich des Inhalts der Aktenvermerke bestritten.

Der Berichterstatter hat am 25. September 2018 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt und darauf hingewiesen, dass keine Nachweise über die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung vorlägen, woraufhin der Kläger mitgeteilt hat, diese nicht vorlegen zu können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten sowie die beigezogenen Verfahrensakten Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und dem Senat bei seiner Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten vom 18. Juni 2013 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. August 2014 erweisen sich als rechtmäßig. Der Beklagte war berechtigt, mit den angefochtenen Entscheidungen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Oktober 2007 sowie vom 1. bis zum 31. Dezember 2007 endgültig auf 0 EUR festzusetzen (vergleiche hierzu unter 1.) und die erbrachten Leistungen in Höhe von 2.428 EUR zurückzufordern (vergleiche hierzu unter 2.).

Rechtsgrundlage der endgültigen Festsetzungen ist jeweils § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F.) in Verbindung mit § 328 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nach der Verweisungsnorm des § 40 SGB II sind für das Verfahren nach dem SGB II u.a. die Vorschriften des § 328 SGB III über die vorläufige Entscheidung entsprechend anwendbar (Abs. 2 Nr. 1). Hiernach kann über die Erbringung von Geldleistungen u.a. dann vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat (§ 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III). Im Hinblick auf die endgültige Leistungsbewilligung gilt sodann zunächst: Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag des Berechtigten für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist (§ 328 Abs. 2 SGB III). Weiter ist bestimmt: Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 328 Abs. 3 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 SGB III).

Zutreffend hat hiernach der Beklagte über die Leistungsansprüche mit Bescheiden vom 21. August und 15. November 2007 für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Oktober 2007 und 1. bis 31. Dezember 2007 zunächst (nur) im Wege der vorläufigen Entscheidung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F. befunden. Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung der Einkommenssituation besteht. Dies ist Folge der grundsätzlichen Verpflichtung der Verwaltung, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen (vgl. BSG – 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R – Rn. 14 – m.w.N. und BSG – 21. Juni 2011 – B 4 AS 22/10 R – Rn. 16 – juris). Erlässt sie einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung auf Grund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl. BSG – 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R – Rn. 16 und BSG – 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – Rn. 17 f. – juris).

Hiernach hat der Beklagte das noch ungeklärte Einkommen des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit zu Recht zum Anlass genommen, von einer endgültigen Entscheidung über den jeweiligen Leistungsanspruch vorerst abzusehen und mit ihr bis zur Vorlage der später angeforderten Unterlagen abzuwarten. Aus den in der Akte befindlichen Bescheiden ergibt sich auch, dass der Beklagte jeweils vorläufige Bewilligungen erlassen hat. Den ausführlichen Hinweisen auf Seite 2 der ursprünglichen Leistungsbescheide ist eindeutig zu entnehmen, dass erst nach abschließender Prüfung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit abschließende Entscheidungen ergehen würden.

Nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides 2007 im September 2008 hatte der Beklagte gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift daher eine abschließende Entscheidung über das streitbefangene Leistungsbegehren zu treffen. Bereits die Wendung "kann vorläufig entschieden werden, wenn" (§ 328 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB III) verweist darauf, dass Bewilligungen nach § 328 Abs. 1 SGB III ausschließlich auf eine Zwischenlösung zielen und demgemäß auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung nach Wegfall der Vorläufigkeitsvoraussetzungen nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB III angelegt sind. Entsprechend unterscheidet die Norm in der Anrechnungsregelung des Abs. 3 Satz 1 zwischen den auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachten und den zustehenden Leistungen.

Nachdem der Beklagte die Klagebegehren in den Verfahren gegen die endgültigen Festsetzungs- und Erstattungsbescheide vom 30. April 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10. März 2010 am 19. Juli 2012 anerkannt und diese Verwaltungsakte mit Rücknahmebescheiden vom 21. August 2012 (deklaratorisch nochmals) aufgehoben hatte, konnte der Beklagte die Leistungsbewilligungen mit den hier angefochtenen Bescheiden vom 18. Juni 2013 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. August 2014 (erneut) ablehnen bzw. auf 0 EUR festsetzen. Der Kläger hatte in den hier streitigen Zeiträumen keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er nicht hilfebedürftig war.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 20. April 2007 erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfsbedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige) Leistungen nach dem SGB II. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit bzw. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Dabei errechnet sich das zu berücksichtigende Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung (a.F.) in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – ALG II-V). Gemäß § 2a Abs. 4 ALG II-V in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung, der auf den streitigen Zeitraum anzuwenden ist, ist für den Fall, dass über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorläufig entschieden worden ist, bei der abschließenden Entscheidung als Einkommen der vom Finanzamt für das Rechnungsjahr festgestellte Gewinn zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers in den hier streitigen Zeiträumen nicht vor. Insbesondere war der Kläger nicht hilfebedürftig, sondern in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus seinem Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Der Bedarf beträgt für den Monat Juni 345 EUR und für die Monate Juli bis Oktober sowie Dezember 2017 jeweils 347 EUR monatlich. Weitere Bedarfe – vor allem für die Unterkunft und Heizung – sind nicht zu berücksichtigen. Er hat keine konkreten Bedarfe geltend gemacht; insbesondere hat er trotz Aufforderung des SG keine Nachweise vorgelegt oder zumindest ergänzend vorgetragen.

Diesen Bedarf konnte er mit dem aus seiner selbstständigen Tätigkeit erzielten und zu berücksichtigenden Einkommen decken. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides vom 28. August 2008 beliefen sich die Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit auf 5.676 EUR. Dieser Betrag ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf zwölf Monate, sondern lediglich auf diejenigen Monate aufzuteilen, in denen dieses Einkommen erzielt wurde, d.h. auf die Monate Mai bis Dezember 2007 (vergleiche auch Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 26. März 2014 – L 2 AS 720/13 NZB – Rn. 27 – juris).

Dies ergibt ein monatliches Einkommen in Höhe von 709,50 EUR. Hiervon sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. unter anderem auf das Einkommen entrichtete Steuern, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung, Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind und zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind soweit diese Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes – soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten – sowie die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben und für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach § 30 abzusetzen.

Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, anstelle der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 EUR monatlich abzusetzen.

Da der Kläger trotz Aufforderung des Senats keine Nachweise hinsichtlich der Absetzungsbeträge des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgelegt hat, können von dem Einkommen lediglich 100 EUR abgesetzt werden. Weiterhin ist gem. § 11 Abs. Satz 1 Nr. 6 SGB II a.F. i.V.m. § 30 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. ein Freibetrag in Höhe von 20 Prozent für den Teil des Einkommens, der 100 EUR übersteigt und nicht mehr als 800 EUR beträgt, abzusetzen. Dies sind 121,90 EUR. Damit ergibt sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 487,60 EUR, welches den monatlichen Bedarf des Klägers deutlich übersteigt. Der Kläger hat damit in den streitigen Zeiträumen keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen.

Der Beklagte ist auch nicht deshalb daran gehindert, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf 0 EUR festzusetzen und damit den Leistungsanspruch zu verneinen, weil der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht beantragt hätte. Nach dem eindeutigen Akteninhalt – belastbare Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit der Aktenvermerke sprechen, bestehen auch im Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht – hatte der Kläger entgegen seines Vortrages willentlich und wissentlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragt. Er erschien am 6. August 2007 ohne Termin beim Beklagten, nachdem er von seiner Krankenkasse erfahren hatte, nicht mehr versichert zu sein. Dieser erläuterte ihm den Zusammenhang zwischen Leistungsbezug einerseits und Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung andererseits, woraufhin der Kläger am Folgetag den ihm ausgehändigten Antrag ausgefüllt beim Beklagten einreichte. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Kläger bereits vor Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit Grundsicherungsleistungen vom Beklagten bezog und in den Fortzahlungsanträgen angab, dass keine Änderungen eingetreten seien. Dies kann sich denklogisch nur auf die Anspruchsvoraussetzungen für Grundsicherungsleistungen beziehen. Zudem hat sich der Prozessbevollmächtigte mit dem Ziel an den Beklagten gewandt, eine Klärung des Krankenversicherungsschutzes herbeizuführen. Weitergehend steht der Vortrag des Klägers zu einer nicht beabsichtigten Antragstellung im Widerspruch zum Inhalt der Verwaltungsakte. Dem Prozessbevollmächtigten müssen die unterschiedlichen Leistungen des SGB II bekannt sein, so dass sich seine Bitte um Übersendung eines Fortzahlungsantrages ab Juni 2008 und damit für den sich an den hier streitigen Dezember 2007 anschließenden Bewilligungszeitraum lediglich auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen kann, zumal Eingliederungsleistungen seit November 2007 nicht bewilligt wurden. Darüber hinaus hat er gegen die Leistungsbewilligung für Ja- nuar bis Mai 2008 (Bewilligungsabschnitt Dezember 2007 bis Mai 2008) auch Widerspruch erhoben, was denklogisch nur möglich ist, wenn er Leistungen beantragt hatte, da diese gem. § 37 SGB II nur auf Antrag erbracht werden. Diesen hat der Kläger allein damit begründet, ihm sei mitgeteilt worden, dass Einkommen aus der aufgenommenen Erwerbstätigkeit nicht auf die Regelleistung angerechnet würden, was wiederum impliziert, dass dem Kläger der Unterschied zwischen Eingliederungsleistungen einerseits und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts andererseits durchaus bekannt war.

Auch aus dem zeitlichen Ablauf kann sich der Antrag vom August 2007 nur auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, weil die Eingliederungsleistungen noch bis Oktober 2007 bewilligt waren und es damit keinen anderen Anlass als die Klärung des fehlenden Krankenversicherungsschutzes für eine Vorsprache gab.

Unabhängig von den weiteren (tatsächlichen) Voraussetzungen fehlt es für eine Zusicherung, die vorläufig bewilligten Leistungen behalten zu dürfen, an der erforderlichen Schriftform (§ 34 SGB X).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen befristeten Zuschlag gemäß § 24 Absatz 1 Satz 1 SGB II a.F ... Dieser setzt das Bestehen eines Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen voraus (vgl. BSG – 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 59/06 R – Rn. 25 mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand sowie BSG – 23. November 2006 – B 11b AS 1/06R – Rn. 25 – juris), so dass der Beklagte zu Recht auch die Bewilligung dieser Leistungen abgelehnt hat.

2.

Da dem Kläger in den hier streitigen Zeiträumen keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und damit auch keine befristeten Zuschläge zustanden, sind sämtliche ihm erbrachten Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Nummer 1 SGB II a.F. in Verbindung mit § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III a.F. zu erstatten. Die Erstattungsforderung ist auch weder verjährt (hierzu unter a) noch hat der Beklagte die Erstattungsansprüche verwirkt (hierzu unter b) oder ist aufgrund von § 45 Abs. 4 SGB X gehindert, die Erstattungsforderungen geltend zu machen (hierzu unter c).

a)

Die nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III vom Beklagten mit den angefochtenen Entscheidungen geltend gemachten Erstattungsforderungen sind nicht verjährt. Derartige Forderungen verjähren gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III und § 42 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und § 50 Abs. 4 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die endgültige Bewilligung unanfechtbar geworden ist, da im Sozialrecht Ansprüche grundsätzlich innerhalb von vier Jahren verjähren (allg. Meinung: vgl. LSG Thüringen – 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 – Rn. 44 sowie LSG Niedersachsen-Bremen – 27. September 2016 – L 11 AS 1004/14 – Rn. 23; LSG Nordrhein-Westfalen vom 04. April 2017 – L 2 AS 1921/16 – Rn. 51 – juris; Schaumberg in: Schlegel/Voelzke – JurisPK, zu § 328 SGB III, 2. Auflage, Stand: 21. Januar 2019, Rn. 129; Kallert in Gagel, zu § 328 SGB III, 72. ErgLf, Rn. 90; Düe in: Brand, 8. Aufl., zu § 328 SGB III, Rn. 27 sowie Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Auflage, zu § 328, Rn. 56 mit Verweis auf Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 8. Aufl., zu § 50, Rn. 31). Vor einer endgültigen Festsetzung kommt daher eine Verjährung von Erstattungsansprüchen nach § 328 Abs. 3 SGB III nicht in Betracht.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte bereits mit der Abgabe der prozessualen Erklärungen vom 19. Juli 2012 oder erst mit den Bescheiden vom 21. August 2012 die endgültigen Festsetzungen aufhob. Nach dem Gesamtzusammenhang dieser Bescheide hat der Beklagte nicht nur die Erstattungsbescheide, sondern insgesamt die mit den Klagen angegriffenen Bescheide über die endgültige Festsetzung von Leistungen aufheben wollen, weil sich die vom SG angesprochenen formalen Fehler auf die endgültigen Festsetzungen bezogen. Damit lag bis zum Erlass der hier angegriffenen Bescheide vom 18. Juni 2013 keine endgültige Entscheidung über die Leistungsansprüche des Klägers vor, so dass die Erstattungsansprüche auch nicht verjähren konnten.

b)

Damit kann bis zur Verjährung – bei Vorliegen der Voraussetzungen – allenfalls auf die Grundsätze der Verwirkung zurückgegriffen werden. (vgl. Schaumberg in: Schlegel/Voelzke – JurisPK, a.a.O. mit Verweis auf Kallert in: Gagel, a.a.O.). Das im bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) entwickelte Rechtsinstitut ist ebenso im Sozialrecht anerkannt (vgl. ausführlich BSG – 13. November 2012 – Rn. 37 m.w.N.; LSG Sachsen-Anhalt – 22. November 2017 – L 1 R 484/15 Rn. 32 – juris). Danach darf sich der Berechtigte auf die Ausübung seines Rechts nicht (mehr) berufen, wenn er das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG – 1. April 1993 – 1 RK 16/92 – HV-INFO 1993, 1269 m.w.N. und vom 30. Juli 1997 – 5 RJ 64/95 – Rn. 27 – juris).

Diese zur Verwirkung führenden Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Für die Annahme eines Verwirkungsverhaltens gelten strenge Anforderungen, weil dem Interesse des jeweiligen Schuldners, das Ausmaß seiner wirtschaftlichen Belastung in angemessenen Grenzen zu halten, bereits durch die "kurze" vierjährige Verjährungsfrist hinreichend Rechnung getragen wird (vgl. zum Beitragsrecht BSG – 31. März 2017 – B 12 R 6/14 R – Rn. 20 m.w.N – juris). Demgemäß geht das BSG für Erstattungsansprüche der Krankenkassen gegenüber Krankenhäusern auf Grund fehlerhafter Krankenhausabrechnungen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist nicht gilt (vgl. BSG – 13. November 2012 – B 1 KR 24/11 R – Rn. 37; vgl. auch LSG Thüringen – Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 – Rn. 44 – juris).

Es kann dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung für das Grundsicherungsrecht im Allgemeinen und für Erstattungsforderungen im Besonderen zu folgen ist. Es liegt jedenfalls kein Verwirkungsverhalten des Beklagten vor. Dieses liegt weder in einem aktiven Tun (hierzu unter aa) noch in einem Unterlassen (hierzu unter bb).

aa)

Der Beklagte machte seine Erstattungsforderungen zunächst mit Bescheiden vom 30. April 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10. März 2010 gegenüber dem Kläger geltend. Erst nachdem das SG im Erörterungstermin darauf hingewiesen hatte, diesen sei die Berechnung des (zu berücksichtigenden) Einkommens nicht zu entnehmen, erkannte er die Klagebegehren an und hob daraufhin "in Ausführung des Anerkenntnisses vor dem Sozialgericht Halle vom 19.07.2012" die Erstattungsbescheide auf. Damit sind die Ausführungen des SG und das Handeln des Beklagten im Kontext zu betrachten. Die prozessualen Erklärungen bzw. Ausführungsbescheide des Beklagten sind letztlich auf die Hinweise des SG zurückzuführen, wonach die angefochtenen Bescheide ggf. wegen Begründungsmängeln aufzuheben seien; Zweifel an der grundsätzlichen Berechtigung zur Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen hatte das SG hingegen nicht geäußert. Deshalb ist das Handeln des Beklagten so zu verstehen, dass er die Entscheidungen lediglich wegen formaler Fehler aufheben, nicht aber damit seine Erstattungsansprüche aufgeben respektive hierauf verzichten wollte, so dass der Kläger seinerzeit nicht darauf vertrauen durfte, die Leistungen behalten zu dürfen.

bb)

Auch der Umstand, dass seit dem Erörterungstermin vom 19. Juli bzw. den Aufhebungsbescheiden vom 21. August 2012 einige Monate vergingen, in denen der Beklagte in Bezug auf die Erstattungsforderungen nach außen untätig blieb, führen zu keiner anderen Bewertung. Das bloße Unterlassen der Geltendmachung von Forderungen erfüllt grundsätzlich nicht die Anforderungen an ein Vertrauen begründendes Verwirkungsverhalten (ähnlich BSG – 31. März 2017 – B 12 R 6/14 R – juris). Nichtstun, also Unterlassen, kann ein schutzwürdiges Vertrauen nur ausnahmsweise und allenfalls dann begründen und zur Verwirkung des Rechts führen, wenn der Schuldner dieses als bewusst und planmäßig erachten darf (vgl. BSG – 13. November 2012 – B 1 KR 24/11 R – Rn. 39 m.w.N. - juris). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Vielmehr musste der Kläger angesichts der Ausführungen des SG und der hierauf beruhenden Erklärungen und Bescheiden des Beklagten auch weiterhin damit rechnen, zu Unrecht erhaltene Leistungen für die Monate Juni bis Oktober und Dezember 2007 zurückzahlen zu müssen. Das Unterlassen der erneuten Geltendmachung der Forderung stellt sich in diesem Kontext bei objektiver Betrachtung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes nach außen nicht als ein planmäßiges und bewusstes Handeln des Gläubigers im Sinne eines Verzichts dar. Dieses "Schweigen" hat keinen Erklärungswert.

cc)

Der Beklagte ist auch nicht aufgrund des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gehindert, die Erstattungsansprüche durchzusetzen. Danach muss die Behörde einen Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis derjenigen Tatsachen zurücknehmen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Dabei ist diese Vorschrift auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar, weil es sich bei der endgültigen Festsetzung gem. § 328 SGB III um die speziellere Regelung im Verhältnis zu den §§ 44 ff. SGB X handelt (vgl. BSG – Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R – Rn. 21. ff. – juris). Die Vorschrift ist auch nicht analog anzuwenden. Es fehlt bereits an einer Regelungslücke bzw. an einer Vergleichbarkeit der Interessenlage (a.A. SG Neubrandenburg – 12. November 2015 – S 14 AS 969/15 – Rn, 27 ff. – juris). Der Senat ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber bewusst auf die Etablierung einer Handlungsfrist und damit von "nachträglichem Vertrauensschutz" zur Schaffung von Rechtssicherheit verzichtet hat (ähnlich LSG Nordrhein-Westfalen – 04. April 2017 – L 2 AS 1921/16 – Rn. 50 – juris). Vorläufigen Entscheidungen kommt nach ihrem Zweck allein die Funktion zu, eine (Zwischen-)Regelung bis zur endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage zu treffen. Vorläufig bewilligte Leistungen sind daher als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen, deren Bewilligung keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung entfaltet (vgl. BSG – 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R m.w.N. – juris).

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Auffassung des BSG an, wonach "die §§ 45 ff. SGB X in ihrem Anwendungsbereich eine spezielle und abschließend gedachte Regelung des Vertrauensschutzes bei der Aufhebung von Verwaltungsakte"(n) darstellen (BSG – 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – Rn. 23 – juris; ähnlich auch Padé, in: Schlegel/Voelzke – JurisPK, zu § 45 SGB X, Rn. 107). Im Gegensatz zu anfänglich endgültigen Bewilligungsentscheidungen kann sich schutzwürdiges Vertrauen bei einer vorläufigen Bewilligung aber nicht bilden (so auch Thüringer LSG – 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 – Rn. 39 f., Urteil des LSG Baden-Württemberg – 24. August 2016 – L 3 AS 2104/15 – Rn. 18 – juris).

Sofern dies vom SG Neubrandenburg (a.a.O.) mit einem Verweis auf den Verwirkungsgedanken anders bewertet wird, übersieht es, dass es insoweit an einer Regelungslücke fehlt. Einerseits ist das richterrechtliche Institut der Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Sozialversicherungsrecht ebenso wie im allgemeinen Verwaltungsrecht und im Zivilrecht anerkannt (vgl. u.a. BSG – 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – Rn. 21 m.w.N. – juris), was dem Gesetzgeber bei Erlass der hier maßgeblichen Norm bewusst war. Andererseits konnte der Leistungsbezieher jederzeit einen Antrag auf endgültige Festsetzung stellen und damit – mit Bestandskraft (§ 77 SGG) derselben – die Verjährung der Erstattungsforderung in Gang setzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage handelt und damit Zulassungsgründe nicht vorliegen. Insbesondere hat der Gesetzgeber aber auch mit § 41a SGB II in der ab dem 1. August 2016 gültigen Fassung eine abweichende Regelung geschaffen.
Rechtskraft
Aus
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