S 19 SB 8/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
19
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 19 SB 8/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch /SGB IX) umstritten.

Auf Erstantrag des Klägers vom 06.08.2014 stellte der Beklagte durch Bescheid vom 24.09.2014 wegen Diabetes mellitus ab dem 06.08.2004? (offensichtliches Schreibversehen) einen Grad der Behinderung um 40 fest. Der dagegen mit Schreiben vom 23.10.2014 (Posteingang beim Beklagten am 28.10.2014) eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

Durch Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 02.01.2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Halle erhoben. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger unter Diabetes mellitus Typ I leide. Im Rahmen des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens sei der Gesundheitszustand des Klägers nur unzureichend ermittelt und die bestehende Beeinträchtigung nicht angemessen bewertet worden. Die vom Beklagten vorgenommene Bewertung (GdB um 40) werde den tatsächlich bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht gerecht. Neben dem (unstreitigen) Therapieaufwand des Klägers liege noch eine erhebliche Einschränkung in der Lebensführung vor. Diese würde sich insbesondere in seiner beruflichen Tätigkeit als Straßen- und Tiefbaufacharbeiter mit vorwiegendem Einsatz auf auswärtigen Baustellen manifestieren. So müsse der Kläger täglich sein Blutzuckermessgerät und Insulin mit sich führen. Das Insulin solle bei einer Temperatur von zwei bis acht Grad aufbewahrt werden. Dies bedeute für den Kläger, dass er je nach Jahreszeit entweder Warmkompressen oder Kühlakkus verwenden müsse. Vor jeder Mahlzeit müsse er seinen Blutzucker messen, dokumentieren und sich Insulin spritzen. Dadurch sei die Pause auf der Baustelle für den Kläger kürzer als im Vergleich zu seinen gesunden Kollegen. Wenn der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auf Montage sei, sei er in Pensionen oder Hotels untergebracht, in denen meist kein "eigener" Tiefkühlschrank im Zimmer zur Verfügung stehe. Die Kühlung des Insulins sei ihm deshalb schwerlich möglich. Auch bei der Verpflegung auf den Baustellen sei der Kläger eingeschränkt. Während seine Kollegen die Möglichkeit hätten, sich am Imbissstand zu verpflegen, sei der Kläger gezwungen, aus hygienischen und medizinischen Gründen seine Pausen im Baucontainer zu verbringen. Dort würde er dann auch kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen. Der Kläger sei auch in seiner Freizeitgestaltung sehr eingeschränkt. Wegen der ständigen Kühlnotwendigkeit des Insulins müsse in Hotels oder Pensionen ein Tiefkühlschrank vorhanden sein. Er würde daher eine Tiefkühleinrichtung benötigen, auf die er jeder Zeit – unabhängig vom Vorhandensein eventueller Mitarbeiter – Zugriff nehmen könnte.

Die Kammer hat im Klageverfahren Befundberichte eingeholt. Der behandelnde Diabetologe des Klägers Dr. med ... hat dem Gericht mit Posteingang vom 11.11.2015 Befunde (Arztbriefe an die Hausärztin des Klägers) vom 25.08.2014, 19.12.2014, 04.03.2015, 10.07.2015 und 24.10.2015 mitgeteilt. Im Zeitraum vom 25.08.2014 bis 24.10.2014 sei bei dem Kläger ein HbA1c-Wert von 6,8 % bis 7,9 % gemessen worden. Bei dem Kläger würde ein Diabetes mellitus vom Typ I ohne Komplikationen (E10.90G) vorliegen. Es habe zwar immer mehrere leichte Fälle von Entgleisungen gegeben, dafür sei aber ursächlich eine zu geringe Nahrungsaufnahme bzw. zu starke körperliche Belastung gewesen. Des Weiteren hat die Kammer im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens Befundberichte des Orthopäden vom 29.05.2016 und der Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. med ... vom 27.05.2016 beigezogen. Der behandelnde Orthopäde gibt als Behandlungszeitraum den 26.01.2010 bis zum 18.05.2016 an. Danach habe der Kläger im vorgenannten Zeitraum immer von mehr oder weniger starken Schmerzen im Gelenkbereich geklagt. Die korrespondierend dazu erhobenen Befunde seien unauffällig gewesen. Als Therapie habe es Schmerzinjektionen bzw. sechsmal eine Ultraschallwärmetherapie gegeben. Der augenärztliche Befundbericht vom 27.05.2016 umfasste einen Behandlungszeitraum vom 24.02.2006 bis zum 25.04.2016. Der Kläger habe keine Beschwerden angegeben. Hinweise auf Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus hätten sich keine ergeben. Soweit bei dem Kläger Visuseinschränkungen festgestellt worden seien, seien diese mit einer Sehhilfe ausgeglichen worden.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 24.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2014 abzuändern und bei dem Kläger einen GdB um 50 ab dem 06.08.2014 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und bezieht sich insbesondere auf die prüfärztlichen Stellungnahmen vom 02.12.2015 und 05.08.2016.

Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte zum entscheidenden Verfahren sowie auf den den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der nachfolgenden Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen die Verwaltungsentscheidung des Beklagten ist als sogenannte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des GdB von mehr als 40. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG-Urteil vom 12.04.2000, B 9 SB 3/99 R – SozR 3/3870, § 3 Nr. 98 Seite 22). Danach liegt bei dem Kläger ein GdB maximal um 40 vor.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt auf Antrag des behinderten Menschen der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, für die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Menschen sind behindert im Sinne des SGB IX, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung an einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßigen Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach 10er Graden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Auswirkungen einzelner Funktionsbeeinträchtigungen einander verstärken, sich überschneiden aber auch gänzlich von einander unabhängig sein können (vgl. BSG vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 10/06 R). Gleichgültig ist, auf welche Ursachen die Auswirkungen zurückzuführen sind (§ 4 Abs. 1 SGB IX), entscheidend ist, dass sie Krankheitswert haben.

Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 BVG (bis zum 30.06.2011, Absatz 17) erlassenen Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der 5. Änderungsverordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122) gültig ab dem 17.12.2012 maßgebend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGBIX). In den versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist ebenso wie in den bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialenentschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich waren und normähnliche Wirkung entfalteten (vgl. BSG Soz. R 3/3100 § 30 Nr. 22, Soz. R 3/3870 § 4 Nr. 19 und Soz. R 4/3250 § 69 Nr. 2 und 9 sowie BVerfG Soz. R 3/3870 § 3 Nr. 6), der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R). Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Die versorgungsmedizinischen Grundsätze bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung.

Orientiert an diesen rechtlichen Bestimmungen und Beurteilungsmaßstäben, denen sich das erkennende Gericht voll umfänglich anschließt, sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und die Funktionseinschränkungen des Klägers mit einem GdB von 40 zutreffend festgestellt. Die Entscheidung der Kammer basiert auf den eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. med ..., ... und Frau Dr. med ... Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Stoffwechsel, innere Sekretion". Auf der Grundlage der 2. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vom 10.07.2010 gilt Folgendes: "Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwandes und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen müssen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden aufgrund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen bzw. Insulingaben über die Insulinpumpe müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen."

Nach den "Befundberichten" des Diabetologen Dr. med ... vom 25.08.2014, 19.12.2014, 04.03.2015, 10.07.2015, 05.08.2015 und 24.10.2015 (Posteingang bei Gericht am 11.11.2015) ist bei dem Kläger zwar von einer schwankenden Stoffwechsellage auszugehen; diese liegt aber überwiegend im normnahen Bereich. Der Kläger ist zuckermäßig gut eingestellt. Zu keinem Zeitpunkt treten bedrohliche Über- oder Unterzuckerrungen auf. Weder der vorgenannte Diabetologe noch die Augenärztin Frau Dr. med ... haben schwere Hypoglykämien oder Sekundärschäden aufgrund der Stoffwechselerkrankung des Klägers beschrieben. Aus dem Befundbericht der Augenärztin Dr. med ... vom 27.05.2016 (Posteingang bei Gericht am 11.07.2016) lassen sich keine signifikanten Veränderungen des Sehvermögens bei dem Kläger entnehmen. Allein der Umstand, dass der Kläger seinem Vorbringen zu folge mindestens vier Blutzuckerkontrollen am Tag durchführt und dementsprechend die Insulindosis selbständig durch ihn variiert werden muss, führt zu keinem höheren GdB als dem bereits festgestellten.

Soweit es die hier streitige Feststellung eines GdB von 50 betrifft, enthält Teil B Nr. 15.1 Abs. 4 der Anlage zur VersMedV neue Fassung, seinem Wortlaut nach drei Beurteilungskriterien: Täglich mindestens vier Insulininjektionen, selbständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie durch erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung. Diese Kriterien sind allerdings nicht gesondert für sich genommen starr anzuwenden; vielmehr sollen sie eine sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustandes erleichtern (BSG, Urteil vom 25.10.2012 – B 3 SB 2/12 R). Eine solche Feststellung (GdB von 50) kann bei stabilen HbA1c-Werten um 7 % nicht allein auf Blutzuckerschwankungen gestützt werden, da diese der Krankheit immanent sind (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.09.2015 – L 7 SB 15/14). Die Erforderlich der Beeinträchtigung der Teilhabe müsse sich in allen Lebensbereichen manifestieren (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R).

Der Kläger erfüllt die beiden ersten Beurteilungskriterien ("Therapieaufwand") ohne jeden vernünftigen Zweifel. Die Behandlung seiner Diabeteserkrankung bedarf einer Gabe von täglich mindestens vier Insulinzuführungen, wobei die Insulindosis variiert in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit sowie der körperlichen Belastung. Ergänzend ist dabei zu berücksichtigen, dass das Erfordernis einer selbstständigen Variation der Insulindosis kein ständiges Anpassen der Dosis erfordert. Entscheidend ist die Abhängigkeit der jeweiligen Dosierung vom aktuell gemessenen Blutzuckerwert, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung. Sie kann demnach unter Umständen auch mehrfach gleichbleiben (BSG, aaO.). In keinem Fall ist insoweit allein auf die Anzahl von zusätzlichen Korrekturinjektionen bzw. hier Insulingaben, über die Insulinspritze abzustellen. Entgegen der Ansicht des Klägers reicht ein Erfüllen dieser beiden allein auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien zur Bejahung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht aus. Vielmehr muss die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Das kommt im Teil B Nr. 15.1 Abs. 4 der Anlage zur VersMedV durch die Verwendung des Wortes "und" unmissverständlich zum Ausdruck. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand stets eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2012 – B 9 SB 2/12 R). Je nach den persönlichen Fähigkeiten und Umständen der entsprechenden Person wirkt sich die Anzahl der Insulinzuführungen und die ständige Anpassung der Dosis, nämlich unterschiedlich stark, auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aus. Die von dem Kläger vorgetragene Therapie oder auch die erkrankungsbedingten Einschränkungen in seiner konkreten Lebensführung lassen danach eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zur Überzeugung der Kammer nicht erkennen. Der Kläger geht einer geregelten Arbeit im Straßen- und Tiefbau mit zeitweiser Schicht- und Montagetätigkeit nach. Bei ihm treten allenfalls leichte Unterzuckerungen auf. Diese werden immer in Selbsthilfe behoben, ohne dass es einer Fremdintervention (Arbeitskollegen und/oder Arzt) bedarf. Er bemerkt die leichten Unterzuckerungen immer rechtzeitig, die im Übrigen zu meist auf Diätfehlern beruhen. Insbesondere bei Zugrundelegung der eingeholten Befundberichte des behandelnden Diabetologen lässt sich eine subjektive Zufriedenheit des Klägers mit seiner Stoffwechseleinstellung feststellen. Soweit der Kläger von gewissen Einschränkungen im Rahmen seiner täglichen Arbeit und bei Urlaubsreisen berichtet, sind diese hinzunehmen. Er ist weder daran gehindert, generell einer Erwerbstätigkeit nachzugehen noch überhaupt zu verreisen. Er hat es bei der Wahl seines Reiseziels und des Urlaubsortes selbst in der Hand, für eine seiner Erkrankung adäquate Therapieumgebung zu sorgen. Auch ärztlicherseits lassen sich Einschränkungen dieser Art nicht feststellen. Arbeitsunfähigkeitszeiten,die auf seiner Stoffwechselerkrankung beruhen, wurden zu keinem Zeitpunkt vorgetragen. Mit anderen Worten: "Der Kläger hat sich mit seiner Krankheit arrangiert und zweifelsohne gelernt, mit ihr zu leben." Soweit der Kläger meint, er sei aufgrund seiner Baustellentätigkeit stärker in seinem Behandlungsregime gefangen als jemand, der einer Bürotätigkeit o. a. nachgehe, vermochte die Kammer diesem Argument nicht zu folgen. Ansonsten wäre der unangemessenen Differenzierung nach Berufsgruppen "Tür und Tor geöffnet". Diese Ansatzweise ist im Übrigen allen Behinderungen denkfremd. Auch signifikante Mobilitätseinschränkungen des Klägers konnte die Kammer nicht feststellen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die insgesamt angegebenen Nachteile durch die Stoffwechselerkrankung einschränkend und gewissermaßen belastend sind. Sie erreichen jedoch nicht das Maß der gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung, so wie vom Verordnungsgeber gefordert.

Soweit bei dem Kläger Funktionseinschränkungen aus dem Funktionsbereich "Haltungs- und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten" zur Debatte stehen, vermochte die Kammer in einer Gesamtschau der von ihr durchgeführten Ermittlungen keine Beeinträchtigungen mit GdB-Relevanz erkennen. Soweit der behandelnde Orthopäde in seinem Befundbericht vom 29.05.2016 abschließend ein orthopädisches Fachgutachten als "sehr hilfreich" bezeichnet, vermochte die Kammer dem "keine Folge zu leisten". Der Befundbericht vom 29.05.2016 ist dezidiert und umfangreich, sodass er für die Kammer als Grundlage der Entscheidungsfindung ausreicht.

Davon ausgehend ist die Grenze zur Schwerbehinderung und damit die Feststellung eines GdB um 50 weder durch die Diabeteserkrankung noch durch die Erkrankung des Bewegungsapparates und der Augen des Klägers erreicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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