L 3 R 1/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 R 160/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 1/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. November 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 11. Juni 1961 geborene Klägerin lebt seit 1989 in Deutschland. Zuletzt arbeitete sie in Teilzeit als Lagerarbeiterin in einem Möbelkaufhaus. Die Klägerin leidet an einem Fibromyalgiesyndrom mit Schmerzen im gesamten Stütz- und Bewegungsapparat. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Mai 2008 und Widerspruchsbescheid vom 13. August 2010 den Antrag der Klägerin vom 7. März 2008 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (S 6 R 792/10) kam es zum Abschluss eines Vergleichs, nachdem der Sachverständige Dr. W., Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie, nur noch Tätigkeiten in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich für möglich erachtet hatte. Der Vergleich sah die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (sogenannte Arbeitsmarktrente) vom 1. August 2008 bis 31. Dezember 2011 vor. Noch im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Rente über den 31. Dezember 2011 hinaus. Dieser Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 16. April 2012 abgelehnt. Aufgrund des am 14. Mai 2012 erhobenen Widerspruchs der Klägerin veranlasste die Beklagte eine gutachterliche Untersuchung auf nervenärztlich-psychiatrischem Fachgebiet. Die Gutachterin Dr. F. kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne wesentliche Einschränkungen psychosozialer Kompetenzen vorliegen würde. Die Klägerin wurde für in der Lage erachtet, vollschichtig leichte Tätigkeiten ohne besondere Stressbelastungen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne gehäufte oder dauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne dauernde Überkopf-Tätigkeiten auszuführen Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 18. Februar 2014 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie schon ohne Belastungen unter ständigen starken Schmerzen sowie unter Schlafstörungen leide, aufgrund derer sie sich schlapp und erschöpft fühle und oft nur schlecht konzentrieren könne. Hinzu kämen Schwellungen und Steifigkeitsgefühle in den Händen und Füßen. Zusätzlich leide sie an Schmerzen in den Knien und Schultergelenken. Darüber hinaus habe sie Depressionen. Die Beschwerden seien einer Behandlung kaum zugänglich. Es sei nicht ersichtlich, aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte zu der Erkenntnis gelangt sei, dass die Klägerin wieder im Stande sei, leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. An der im vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren festgestellten Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens habe sich in positiver Hinsicht nichts geändert. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin, Unterlagen des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, die Akte des Versorgungsamts, die Akte des Sozialgerichts zum Az. S 6 R 792/10 und die Krankenakte der Abteilung Rheumatologie der Klinik beigezogen. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Nervenärztin/Psychiaterin Dr. A nach Untersuchung der Klägerin ein schriftliches Sachverständigengutachten erstattet. Sie hat in ihrem Gutachten vom 24. Februar 2016 folgende Erkrankungen diagnostiziert: Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Auf orthopädisch/rheumatologischem Fachgebiet bestehe ein Schulterenge-Syndrom links, ein degeneratives Bandscheibenleiden der Hals- und Lendenwirbelsäule und auf internistischem Fachgebiet eine Zuckerkrankheit sowie ein arterieller Bluthochdruck, bislang ohne Nachweis von Folgeerkrankungen. Die Klägerin sei damit in der Lage, trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen ohne Gefährdung ihrer Gesundheit noch regelmäßig vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen, unter Vermeidung starker Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh-und Hörvermögen auszuüben. Dabei kämen keine Arbeiten mit ständigen, längeren bzw. häufigen oder gelegentlichen einseitigen körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen in Betracht. Das gleiche gelte für Gerüst- und Leiterarbeiten, für Tätigkeiten in Nachtschicht oder unter andauernd vermehrtem Zeitdruck sowie für Arbeiten im Akkord und mit häufigem Publikumsverkehr. Eine Besserung könne durch eine Intensivierung der Behandlung des Schmerzsyndroms in Form der Aufnahme einer verhaltenstherapeutischen Behandlung erreicht werden. Zu der bei der Klägerin gestellten Diagnose einer Fibromyalgie hat die Gutachterin ausgeführt, dass dieses Krankheitsbild nach rheumatologisch/orthopädischer Auffassung zum Spektrum der weichteilrheumatischen Störungen und Krankheitsbilder gehöre. Aus nervenärztlicher Sicht fänden sich bei einer Vielzahl der mit dieser Diagnose vordiagnostizierten Menschen Hinweise auf das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung als Ursache der geklagten Beschwerden. Dabei werde die Schmerzsymptomatik als körperlicher Ausdruck bzw. Lösungs-/Regulationsmechanismus eines eigentlich innerpsychischen Konfliktes angesehen. Im Hinblick auf das Fibromyalgiesyndrom hat die Sachverständige ausgeführt, dass die Klägerin Schmerzen empfinden würde und diesbezüglich auch ein Leidensdruck bestehe. Gleichwohl würden die Beschwerden überhöht dargestellt. In den Verhaltensbeobachtungen während der Exploration und auch den Möglichkeiten zur körperlichen Bewegung im Rahmen der körperlichen Untersuchung hätten sich Hinweise auf schwere beeinträchtigende Schmerzen nicht ergeben. Dies führe dazu, dass die von der Klägerin umfangreich und zum Teil extrem geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen von der Gutachterin nicht nachvollzogen werden könnten. Wesentliche Einschränkungen der Willensfähigkeit seien bei der Klägerin ebenfalls nicht festzustellen. Mit Urteil vom 24. November 2016 hat das Sozialgericht die Klage ohne mündliche Verhandlung unter Verweis auf das eingeholte Sachverständigengutachten abgewiesen.

Gegen das am 6. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Januar 2017 Berufung eingelegt. Die Sachverständige Dr. A habe nach Aussage der behandelnden Ärzte das Fibromyalgiesyndrom nicht ausreichend gewürdigt. Die Klägerin leide an täglich auftretenden Ganzkörperschmerzen, die eingenommenen Medikamente würden den Schmerz nicht beseitigen, auch leichte Tätigkeiten würden Schmerzen verursachen. Sie sei austherapiert und verwahre sich gegen den Vorwurf, dass die Schmerzen nur vorgetäuscht seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. November 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, über den 31. Dezember 2012 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil und bezieht sich auf eine Auswertung der Befundberichte und der Berufungsbegründung ihres ärztlichen Dienstes durch die Fachärztin für Neurologie Danach habe der Hausarzt die bereits bekannten Beschwerden geschildert. Mit der Diagnose einer Fibromyalgie habe sich aber bereits die Sachverständige Dr. A intensiv auseinandergesetzt.

Das Gericht hat aktuelle Befundberichte eingeholt. Der Hausarzt hat mit Befundbericht vom 9. Mai 2017 neben einer ausführlichen Beschwerdeschilderung die Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms bekräftigt. Der Orthopäde hat sich hingegen auf die Diagnose einer rezidivierenden Lumboischialgie bei Bandscheibenprotusion und Bandscheibenprolaps sowie Senk-Spreizfuß beschränkt.

Auf Veranlassung der Klägerin ist ein Sachverständigengutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt worden. Der Facharzt für Orthopädie, physikalische und rehabilitative Medizin, Sozialmedizin und Chirotherapie B ist in seinem Sachverständigengutachten vom 15. November 2017 nach Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass von einem aufgehobenem Leistungsvermögen auszugehen sei. Die Klägerin könne leichte körperliche Arbeiten lediglich in einem Umfang von weniger als drei Stunden täglich ausüben. Bei einer rein orthopädischen Analyse würden sich allerdings keine maßgeblichen Einschränkungen des Leistungsvermögens ergeben, diese würden vielmehr aus dem Krankheitsbild einer Fibromyalgie in schwerer Ausprägung folgen. Es handele sich um eine Stressfolgenerkrankung, die zu Muskelverkürzungen und Muskeldysbalancen führe, was wiederum Schmerzen auslöse. Aus den chronischen, häufig lokalisierten Muskelschmerzen entstehe über spinale (Zugehörigkeit zur Wirbelsäule) und supraspinale (oberhalb des Rückenmarks, bezeichnet das Gehirn) Mechanismen ein generalisiertes Schmerzsyndrom mit Auswirkungen auf die Schmerzverarbeitung und die Persönlichkeit. Die typischen Tenderpoints, die rasche Ermüdbarkeit bei allen muskulären Aktivitäten, die morgendliche Steifigkeit, die chronische Müdigkeit sowie depressives Verhalten und Angststörungen seien klassische Merkmale der Fibromyalgie. Die bei der Klägerin gefundenen Schmerzareale und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Schulter und des Halses und der Brustwirbelsäule sowie im Vorfußbereich mit Muskelverkürzungen und Dysbalancen seien geradezu typisch hierfür. Im Bereich der Brustwirbelsäule entstehe hierdurch eine sogenannte chronische Facettenreizsymptomatik (Facettensyndrom), was zu erheblichen Ausstrahlungsschmerzen ohne neurologische Ausfälle führen, die deswegen fälschlicherweise als nicht existente Beschwerdesymptomatik verstanden werde. Diese speziellen Auswirkungen würden von Sachverständigen aufgrund der in der Untersuchungssituation vorgefundenen Gelenkbeweglichkeit häufig übersehen. Sie würden aber erhebliche Auswirkungen auf die Dauerleistungsfähigkeit haben, weshalb auch wegen rascher Erschöpfung das Leistungsvermögen bei der Klägerin aufgehoben sei. Dem Tenor des Gutachtens von Frau Dr. A könne nicht zugestimmt werden. Die somatischen Auswirkungen der Erkrankung seien auf der Strecke geblieben, sie habe ausschließlich die psychischen Gegebenheiten durchleuchtet. Aufgrund der erheblichen Chronifzierung der Schmerzen bestehe eine schwere Schmerzstörung Grad III nach Gerbershagen (unter Verweis auf das Mainzer Stadienmodell der Schmerzchronifizierung – vom Sachverständigen als Anhang beigefügt).

Mit Stellungnahme vom 22. November 2017 hat die Beklagte sich auf eine Auswertung durch ihren sozialmedizinischen Dienst bezogen (Auswertung durch C , Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie). Dieser hat kritisiert, dass der Sachverständige sich auf veraltete Literatur bezogen habe und neuere Erkenntnisse nicht berücksichtigt habe. Ebenso sei die S3-Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom nicht beachtet worden, wonach die Erkrankung in der Regel nicht zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führe.

Der Sachverständige B hat in seiner Stellungnahme vom 17. März 2018 dargelegt, dass es in den letzten Jahren keine entscheidungserheblichen Änderungen bei der Bewertung des Krankheitsbildes gegeben habe, substanzielle Einwendungen gegen seine Feststellungen seien nicht vorgetragen worden.

Auf Veranlassung des Gerichts ist ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Psychotherapie und Schmerztherapie D ist nach Untersuchung der Klägerin in seinem Sachverständigengutachten vom 28. August 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin in der Lage sei, in einem Umfang von mehr als sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Er hat eine altersgemäße Texturstörung der vorletzten Halsbandscheibe mit dem Alter nicht vorauseilender Formveränderung der benachbarten Wirbelkörpergrund- bzw. Abschlussplatte, eine geringe Fehlstatik der Lendenwirbelsäule, Schmerzangaben an beiden Händen, an beiden Hüftgelenken und am rechten Vorfuß sowie eine anhaltende Schmerzstörung unter dem klinischen Bild eines Fibromyalgiesyndroms diagnostiziert.

Im Vordergrund stünde ein weitgehend generalisiertes, den gesamten Stütz- und Bewegungsapparat betreffendes Schmerz- bzw. Beschwerdebild im Sinne eines Fibromyalgiesyndroms. Ob es sich bei dem Fibromyalgiesyndrom um ein eigenständiges Krankheitsbild handele und wie die Erkrankung nach der ICD- 10 zu verschlüsseln sei, sei letztendlich unerheblich. Maßgeblich seien die funktionellen Einschränkungen. Nach der S 3- Leitlinie der Deutschen Schmerzgesellschaft folge aus der Erkrankung nicht zwangsläufig ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Bedeutsam sei, wie nachdrücklich der Schmerz wahrgenommen werde und wie plausibel es sei, dass Erwerbstätigkeiten den Schmerz verstärken würden. Die Einschätzung des Sachverständigen B sei nicht befundangemessen, er zitiere sich überwiegend selbst ohne Bezug zu nehmen auf anderslautende Meinungen. Zudem habe er das Medikamentenverhalten der Klägerin nicht ausreichend gewürdigt. Der von ihm durchgeführte Bluttest habe ergeben, dass die Klägerin – entgegen ihren Angaben – das Medikament Tilidin nicht regelmäßig einnehme. Entsprechende Rückstände hätten sich nicht nachweisen lassen. Nach dem Mainzer Stadienmodell ergebe sich hier nur ein Achsenstadium der Stufe I. Es bestehe ein signifikanter Widerspruch zu dem Vortrag eines generalisierten gravierenden Schmerzsyndroms. Das sei als Inkonsistenzmerkmal der angegebenen Schmerzen zu bewerten. Nach dem von ihm erhobenen Befund sei bei weitgehend freier Beweglichkeit der Gelenke von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten mit weiteren Einschränkungen auszugehen. Maßgeblich seien die Auswirkungen einer Erwerbstätigkeit auf die Erkrankung. Psychischer Stress verstärke die subjektiven Wahrnehmungen körperlicher Zeichen – einschließlich der Schmerzwahrnehmung. Um Derartiges vorliegend nicht auf ein unzumutbares Niveau ansteigen zu lassen, sollte die Klägerin deshalb überwiegend in trockenen und temperierten Räumen tätig sein, insbesondere nicht unter Einfluss ungünstiger Witterung (Kälte, Nässe, Zugluft) oder unter Exposition gegenüber Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Lärm. Zudem seien Tätigkeiten im Akkord oder in ähnlich leistungsbezogenen Lohnformen nicht mehr möglich. Ferner sei ausschließlich ein Tagdienst möglich, wobei gegen eine Wechselschicht keine Einwände bestünden.

Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung des von ihm erhobenen Befundes und der vorliegenden bildgebenden Materialien in den Bereichen der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule, der Hände, Hüftgelenke und des rechten Vorfußes weitere qualitative Leistungseinschränkungen im Hinblick auf die Schwere der Arbeit und Zwangshaltungen abgeleitet. So weise die Halswirbelsäule der Klägerin allenfalls altersentsprechende Bildauffälligkeiten auf, mit denen die von ihr vorgetragenen lokalen Schmerzen bzw. Bewegungseinschränkungen nicht zu begründen seien. Muskelspannungsstörungen, wie sie im Falle einer tatsächlichen segmentalen Funktionsstörung reflektorisch entstehen, also ohne Zugriffsmöglichkeit für den freien Willen, könnten vorliegend ebenfalls nicht festgestellt werden. Auch mit Blick auf die Lendenwirbelsäule seien weder neuroorthopädische Unregelmäßigkeiten erkennbar noch Muskelspannungsstörungen. Im Hinblick auf das Fibromyalgiesyndrom seien entsprechende Einschränkungen für leichte körperliche Arbeiten und Tätigkeiten in Zwangshaltungen zu formulieren. Die im Bereich der Hände, Gelenke sowie am Vorfuß geltend gemachten Schmerzen seien organisch nicht zu begründen. Sofern der Druckschmerz am rechten Vorfuß tatsächlich durch einen Nervenknoten verursacht sein sollte, sei von einem Behandlungsleiden durch Einlagen auszugehen. Es bestünde insgesamt keine Notwendigkeit für betriebsunübliche Arbeitsunterbrechungen und die Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt. Im Hinblick auf die der Klägerin zumutbare Willensanspannung, eine Tätigkeit aufzunehmen, sei auf das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A zu verweisen. Im Laufe der Zeit sei es nicht zu einer maßgeblichen Änderung des Leistungsvermögens gekommen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen B beantragt und ein Attest des Hausarztes E vom 10. September 2018 vorgelegt, wonach unter Auflistung der geklagten Beschwerden und der durchgeführten Untersuchungen eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit für ein mögliches Beschäftigungsverhältnis formuliert worden ist

Mit ergänzender Stellungnahme vom 5. Dezember 2018 hat B dargelegt, dass den Ausführungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen D nicht gefolgt werden könne. Dieser habe die umfassende Schilderung der Schmerzen der Klägerin nicht ausreichend gewürdigt und den Tagesablauf und den hieraus folgenden sozialen Rückzug nicht berücksichtigt. Bei der Befunderhebung bestünden hingegen keine wesentlichen Unterschiede. Die so genannten Tenderpoints seien bei seiner Untersuchung jedoch auslösbar gewesen. Die funktionellen Auswirkungen des Fibromyalgiesyndroms auf die Muskulatur sei nicht beachtet worden. Ebenso seien wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der organischen Auswirkungen des Fibromyalgiesyndroms nicht beachtet worden. Wie bereits dargelegt führe dies zu einem generalisierten Muskel- und Schmerzsyndrom. Die Angabe, dass die Klägerin beim Drehen des Beckens gestöhnt und grimassiert habe, sei in Anbetracht der Schmerzproblematik als tendenziell zu bewerten. Die orthopädischen und chirurgischen Feststellungen des Leistungsvermögens seien hingegen nicht zu beanstanden. Eine adäquate Beurteilung der Auswirkungen des Fibromyalgiesyndroms auf die Muskulatur und die Dauer der Leistungsfähigkeit sei hingegen nicht erfolgt. Die angeführte Schmerzmittelinkonsistenz bestehe nur vordergründig. Die Behandlung mit Analgetika sei bei dem Fibromyalgiesyndrom gerade nicht indiziert, vielmehr seien die Muskelfunktionen durch Physiotherapie zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang hat sich der Sachverständige auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die beigefügt worden ist, von Egle, Egloff und Känel bezogen. Leitlinien seien keine verbindlichen Vorgaben. Es sei richtig, dass das Fibromyalgiesyndrom nicht zwangsläufig zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führen würde, es könne aber – wie im vorliegenden Fall – der Fall sein. Der Vorwurf, dass er sich selbst zitiere und nicht befundangemessen argumentiere, sei unsachlich. Es sei ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet des Fibromyalgiesyndroms mit zwanzigjähriger Erfahrung in einer Rehaklinik. Er sei in der Lage, auch ohne zwanghaften Blick auf die Leitlinien das Leistungsvermögen sachlich zu beurteilen.

Einwände des medizinischen Dienstes der Beklagten vom 17. Dezember 2018, wonach nicht wissenschaftliches Schrifttum, sondern die Auswirkungen auf das Leistungsvermögen von Bedeutung seien und es für die Abweichung von den Leitlinien, die selbstverständlich nicht bindend seien, einer stichhaltigen medizinischen Begründung bedürfe, hat der Sachverständige B in einer weiteren Stellungnahme vom 7. Januar 2019 als für die gerichtliche Entscheidungsfindung kontraproduktiv bezeichnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und auf die beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung liegen nicht vor. Die Klägerin ist weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise Erwerbsminderung i. S. v. § 43 Abs. 1 SGB VI liegt vor, wenn der Versicherte krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Klägerin ist noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Das folgt aus der vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht durchgeführten Beweisaufnahme.

1) Erkrankungen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet

Nach Einschätzung aller beauftragten Sachverständigen führen die Einschränkungen, die sich aus den Erkrankungen des Bewegungsapparats ergeben, für sich genommen nicht zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen. Die Klägerin ist in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auszuüben, wobei das Heben und Tragen von Gewichten in einem Umfang von bis zu 10 kg, gelegentlich auch bis zu 15 kg möglich ist. Beschäftigungen in Zwangshaltungen des Rumpfes sollten nur gelegentlich stattfinden, ebenso wie Hebe- und Bückarbeiten. Diese Einschränkungen sind vom Sachverständigen D unter anderem aus der festgestellten geringen Fehlstatik der Lendenwirbelsäule im Zusammenhang mit dem Fibromyalgiesyndrom abgeleitet worden. Er hat dargelegt, dass eine im Wachstumsalter verlaufende Aufbaustörung hierfür verantwortlich sei und zudem zu einer Texturstörung der Bandscheibe zwischen ihrem ersten und zweiten Lendenwirbel geführt habe. Im Hinblick auf eine 2014 festgestellte Vorwölbung der letzten Lendenbandscheibe handele es sich um ein lediglich vorübergehendes Phänomen. Neuroorthopädische Unregelmäßigkeiten seien ebenso wenig erkennbar gewesen wie Muskelspannungsstörungen. Nur im Hinblick auf die vorgetragenen Schmerzempfindungen im Zusammenhang mit dem Fibromyalgiesyndrom seien die vorgenannten Einschränkungen zu formulieren. Im Hinblick auf die Halswirbelsäule, die nach der Einschätzung des orthopädischen Sachverständigen D allenfalls altersentsprechende Bildauffälligkeiten aufweise, die mit den vorgetragenen lokalen Schmerzen nicht in Einklang zu bringen seien, ergeben sich keine Einschränkungen für Tätigkeiten in Zwangshaltungen des Halses, einschließlich der Überkopfarbeiten. Das gilt ebenso für den Bereich der Hände, Gelenke sowie am Vorfuß. Für diese Bereiche liegt kein orthopädischer Befund vor, der Leistungseinschränkungen begründen könnte. Der Sachverständige hat dargelegt, dass die Beschwerden am rechten Vorfuß – sofern sie durch einen Nervenknoten verursacht sein sollten – grundsätzlich durch Einlagen erfolgreich behandelt werden könnten. Für die anderen Bereiche mangelt es an einer erkennbaren orthopädischen Erkrankung.

Die Einschätzung des Sachverständigen D wird von dem von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannten Sachverständigen B geteilt, der als Diagnose lediglich ein Fibromyalgiesyndrom angegeben und in seinem Sachverständigengutachten und den ergänzenden Stellungnahmen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass bei rein orthopädischer Analyse der Funktionsstörungen keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit angenommen werden könne.

2) Fibromyalgiesyndrom

Aus dem Fibromyalgiesyndrom bzw. einer anhaltenden Schmerzstörung unter dem klinischen Bild eines Fibromyalgiesyndroms ergeben sich weitere qualitative, jedoch nicht quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens. Das Fibromyalgiesyndrom bzw. eine Schmerzverarbeitungsstörung führen nicht zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen. Das ergibt sich aus den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. A und des Sachverständigen D. Der Einschätzung des Sachverständigen B , der die Auffassung vertreten hat, die Klägerin könne nur noch in einem Umfang von weniger als drei Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten verrichten, kann nicht gefolgt werden.

Wie vom Sachverständigen D zutreffend dargelegt kommt es nicht darauf an, ob das Fibromyalgiesyndrom als eigenständiges Krankheitsbild angesehen werden kann, oder ob es sich um eine chronische Schmerzstörung auf dem Boden eines Fibromyalgiesyndroms handelt und wie die Erkrankung nach dem ICD-10- Kode zu verschlüsseln ist. Denn der Sachverständige hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es zur Ermittlung des Leistungsvermögens auf die aus einer Erkrankung folgenden Leistungseinschränkungen ankommt und die genaue Bezeichnung der Erkrankung bzw. die Verschlüsselung nach dem ICD-10 System rentenrechtlich nicht maßgeblich ist. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob eine Verschlüsselung als eigenständiges, organisches Krankheitsbild möglich ist (M79.70) oder ob eine Kodierung als seelische Gesundheitsstörung in Kap. F (F45.4 – ff.) das Krankheitsgeschehen zutreffender abbildet (s. hierzu in der S3-Leitlinie Fibromyalgiesyndrom der Deutschen Schmerzgesellschaft, Stand 2017). Denn es kommt darauf an, ob unter Berücksichtigung der üblichen Anforderung der Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine mindestens sechs Stunden dauernde tägliche Tätigkeit auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen möglich ist oder nicht.

Nach Auffassung der medizinischen Sachverständigen Dr. A , D und B handelt sich bei dem Fibromyalgiesyndrom um eine Schmerzerkrankung, Stressfolgerkrankung oder Schmerzverarbeitungsstörung. Der ermittelte objektive körperliche Befund vermag auch nach Auffassung von B die Beschwerden und vorgetragenen Schmerzen für sich alleine nicht zu begründen. In einem solchen Fall besteht die Schwierigkeit zunächst darin, das Vorbringen zum Schmerz zu objektivieren und die hieraus folgenden gesundheitlichen Funktionseinschränkungen zu ermitteln bzw. die Auswirkungen einer geregelten Tätigkeit auf die Schmerzerkrankung einzuschätzen. Es bleibt aber dabei, dass das Leistungsvermögen nach objektiven Kriterien zu ermitteln ist, weshalb die subjektive Einschätzung der betroffenen Versicherten zum Umfang und zur Intensität der Schmerzen keinesfalls ausreicht. Ebenso wenig reicht die Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms aus, es kommt vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung des Krankheitsbildes an. Deshalb ist durch medizinische Sachverständige anhand der vorliegenden Befunde und durch eine gründliche Befragungen und Untersuchung die Konsistenz der Schmerzen anhand objektiver Kriterien zu ermitteln und mit dem Untersuchungsbefund abzugleichen. Die Begutachtung von Schmerzen ist grundsätzlich nicht auf eine bestimmte medizinische Fachrichtung beschränkt, sondern kann sowohl auf orthopädisch-chirurgischem als auch neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erfolgen (s. Bayerisches LSG v. 21.03.2018 – L 13 R 211/16 in juris, Rn 65). Im vorliegenden Fall liegen Sachverständigengutachten beider Fachrichtungen vor.

Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. A und D kann jedoch nicht von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen werden. Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf Umfang und Intensität der vorgetragenen Schmerzen Inkonsistenzen gibt. Dabei wird von beiden Sachverständigen nicht in Abrede gestellt, dass die Klägerin unter Schmerzen bzw. einem Fibromyalgiesyndrom leidet. Die festgestellten Inkonsistenzen beziehen sich auf die Ausprägung bzw. Intensität der Schmerzen und den sich hieraus ergebenden Auswirkungen der Erkrankung auf das Leistungsvermögen. Diese wiederum begründen zwar zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen, jedoch keine zeitliche Limitierung, so dass weder eine teilweise noch eine vollständige Erwerbsminderung vorliegt.

Die Klägerin sollte deshalb überwiegend in trockenen und temperierten Räumen tätig sein, insbesondere nicht unter Einfluss ungünstiger Witterung (Kälte, Nässe, Zugluft) oder unter Exposition gegenüber Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Lärm. Zudem sind Tätigkeiten im Akkord oder in ähnlich leistungsbezogenen Lohnformen nicht mehr möglich, wie der Sachverständige D in seinem Gutachten vom 28. August 2018 zutreffend dargelegt hat. Ferner darf die Klägerin ausschließlich im Tagdienst arbeiten, wobei gegen eine Wechselschicht nach Auffassung des Sachverständigen keine Einwände bestehen. Ebenso sind Arbeiten unter andauernd vermehrtem Zeitdruck nicht mehr möglich und gefährliche Tätigkeiten auf Leitern oder an laufenden Maschinen. Leichte körperliche Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, nicht mit häufigem Publikumsverkehr, sind unter diesen Bedingungen, z.B. an Büromaschinen oder Bildschirmen möglich und können im Sitzen, Gehen oder Stehen ausgeübt werden, ein Wechselrhythmus ist nicht erforderlich.

Die Einschätzungen und Feststellungen der Sachverständigen Dr. A und D zum Leistungsvermögen sind plausibel. Beide Sachverständigen sind auf der Basis einer gründlichen Untersuchung und Auswertung der Befunde und Beobachtungen während der Untersuchungen zu der Einschätzung gelangt, dass die Einschränkungen, die aus den Schmerzen bzw. dem Fibromyalgiesyndrom folgen, nicht so gravierend sind, dass sich hieraus ein aufgehobenes Leistungsvermögen ableiten ließe. Insbesondere ist die Klägerin im Hinblick auf zumutbare Arbeiten nicht zeitlich limitiert.

Dass die Klägerin unter Schmerzen leidet und ein Leidensdruck besteht, wird durch die Schmerzmitteleinnahme und den langen und kontinuierlichen Behandlungsverlauf mit Inanspruchnahme von zahlreichen medizinischen/ärztlichen Behandlungen einschließlich einer stationärer Rehabilitationsmaßnahmen dokumentiert, so wie es die Sachverständige Dr. A in ihrem Sachverständigengutachten vom 24. Februar 2016 dargelegt hat. Im Hinblick auf das Ausmaß und die Intensität der von der Klägerin geschilderten Schmerzen werden jedoch von den Sachverständigen Inkonsistenzen beschrieben. Die hieraus folgenden Zweifel lassen es nicht zu, die Beschwerdeschilderung der Klägerin in vollem Umfang zur Leistungsbeurteilung zu übernehmen und im Ergebnis mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit ein aufgehobenes Leistungsvermögen anzunehmen.

Die von der Klägerin geschilderte durchgängige Schmerzempfindung ist von den Sachverständigen Dr. A und D bezweifelt worden. Die Sachverständige Dr. A hat ausgeführt, dass die Verhaltensbeobachtungen während der Exploration und auch den vorangegangenen Untersuchungen den Rückschluss auf die von der Klägerin geschilderte Schmerzbelastung nicht zulasse. Die von der Klägerin umfangreich und "extrem" geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen seien daher bezogen auf die Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit des Alltages nicht nachvollziehbar. Die erforderliche deutliche Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus durch die Schmerzerkrankung könne deshalb nicht festgestellt werden. So habe sich ein druckvoller Beschwerdevortrag der Klägerin gezeigt, z.B. auch in den Gesprächsabschnitten, in denen die Klägerin in den Gang und Stand gewechselt habe, ohne dass – nonverbal – ein vermehrtes Schmerzempfinden wahrzunehmen gewesen wäre. Ähnliche Beobachtungen hat der Sachverständige D geschildert. Die Klägerin habe während der Untersuchung beispielsweise den Langsitz ohne wahrnehmbaren Schmerz oder Angaben von Beschwerden eingenommen. Es sei ihr ebenfalls möglich gewesen ihre Bekleidung zügig mit flüssigem Bewegungsablauf in beiden Schulterregionen – selbst über Kopf –abzulegen. Der Sachverständige hat auch keine Muskelverminderungen- oder Verschmächtigungen feststellen können, wie es aber bei ständiger Schonung und rascher Ermüdbarkeit infolge von Schmerzen zu erwarten wäre. Die von der Sachverständigen Dr. A geschilderte lebhafte und durchaus druckvolle Beschwerdeschilderung unter aufmerksamer Beobachtung der Reaktionen der Sachverständigen mit umfassendem Vorbringen spricht auch gegen die gegenüber dem Sachverständigen B im Sachverständigengutachten vom 15. November 2017 detailliert geschilderten Konzentrationsstörungen. Die Klägerin hat dort angegeben, vergesslicher geworden zu sein, unter Wortfindungsstörungen zu leiden mit zunehmender Einschränkung der geistigen Regsamkeit. Derartige Schwierigkeiten sind von den gerichtlichen Sachverständigen an keiner Stelle beschrieben oder festgestellt worden. Die Sachverständige Dr. A hat Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, also der Aufmerksamkeit des Gedächtnisses und der exekutiven Funktionen nicht feststellen können, die dokumentierte ausführliche Beschwerdeschilderung – auch gegenüber dem Sachverständigen B — spricht ebenfalls gegen das Vorliegen derartiger Beschwerden. Das gilt auch für die von der Klägerin immer wieder geltend gemachten Schlafstörungen mit entsprechender Müdigkeit. Auch hier haben sich während der gesamten Befragung und Untersuchung keinerlei Anzeichen für eine rasche Ermüdbarkeit gezeigt.

Die Sachverständige Dr. A hat auch darauf hingewiesen, dass aus der von der Klägerin geschilderten Lebens- und Tagesgestaltung keine deutliche Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus durch die Schmerzerkrankung resultiere. Familiäre und freundschaftliche Kontakte könnten durchaus noch aufrechterhalten und Hobbies in bestimmtem Umfang gepflegt werden. Das gelte auch für Urlaubsreisen. So hat die Klägerin gegenüber der Sachverständigen angegeben, 2015 eine Reise nach Kreta unternommen zu haben, danach habe sich die Schmerzsituation auch gebessert. Auch wenn aus dem von der Klägerin gegenüber den Sachverständigen geschilderten jeweiligen Tagesablauf durchaus ein sozialer Rückzug abgeleitet werden kann, ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass Ressourcen im Hinblick auf die Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit im Alltag bestehen. So hat die Klägerin gegenüber den Sachverständigen Dr. A , B und D angegeben, sich viel in ihrem Garten aufzuhalten. Gegenüber dem Sachverständigen D hat sie angegeben, gelegentlich zu einem Treffen von Harley-Davidson- Fahrern zu gehen. Von einem völligen sozialen Rückzug, wie er im Hinblick auf die Beschwerdeschilderung der Klägerin zu erwarten wäre, kann daher nicht ausgegangen werden. Auch die von der Beklagten beauftragte Gutachterin Dr. F. beschrieb in ihrem Gutachten vom 2. Dezember 2013 Inkonsistenzen, indem die Klägerin während der gesamten Exploration keine Schonhaltung eingenommen habe und sich insgesamt keine Schmerzbeeinträchtigung bzw. kein Leidensdruck gezeigt habe, wohl aber Hinweise auf eine bewusstseinsnahe Beschwerdebetonung. Auch hier wurde die Klägerin durchgehend als aufmerksam, konzentriert, auf ihre Beschwerden fixiert und mit einem sehr guten Durchsetzungsvermögen ihrer eigenen Interessen beschrieben.

Die Beobachtungen der Sachverständigen sprechen gegen das von der Klägerin geschilderte Schmerzausmaß und die von ihr beschriebenen Auswirkungen. So hat die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen D einen Ganzkörperschmerz, Muskelschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsmängel, Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit auf einer Schmerzscala von 0-10 durchgehend mit 8, also auf einem sehr hohen Niveau angegeben. Gegenüber der Sachverständigen Dr. A hat sie angegeben, dass sie nirgends mehr hingehen könne, ihre Kopfhaut tue weh, sie fühle sich an wie angeschwollen, sie könne kaum noch Kartoffeln schälen und benötige für das Besteck Schaumstoffverdickungen wegen ihrer Schmerzen. Gegenüber dem Sachverständigen B hat die Klägerin dargelegt, dass jede angefangene körperliche Tätigkeit nach kürzester Zeit wieder abgebrochen werden müsse, weil die Muskelaktivität den Schmerz so verschlimmere. Alles sei nur ansatzweise möglich, müsse aber sofort wieder unterbrochen oder abgebrochen werden. Aus Schmerzgründen könne sie überhaupt nicht mehr weggehen. Bei einem derart intensiven Schmerzempfinden und bei derart gravierenden Auswirkungen wäre zu erwarten, dass während der jeweils zwei Stunden dauernden Untersuchungen mit einer intensiven Befragung und einer ausführlichen körperlichen Untersuchung, bei der sich die Klägerin aus- und wieder anziehen musste, bei den jeweiligen Sachverständigen erhebliche und auch konsistente Beschwerden auftreten, was jedoch nach den Angaben von Dr. A und D nicht der Fall gewesen ist.

Auch die vom Sachverständigen D festgestellte Inkonsistenz bei der Einnahme der Medikamente spricht dagegen, dass die Klägerin in dem von ihr geschilderten Ausmaß schmerzbelastet ist. So hat die Blutuntersuchung ergeben, dass das Medikament Tilidin jedenfalls nicht regelmäßig eingenommen wird. Die Blutprobe ist — anders als bei der Untersuchung 2016 durch Dr. A — negativ gewesen. Nach dem Mainzer Stadienmodell zur Schmerzchronifizierung ergibt sich für diesen Punkt nicht das Achsenstadium II, sondern vielmehr ein Achsenstadium I. Dem Sachverständigen ist zustimmen, dass sich hieraus ein signifikanter Widerspruch zu dem von der Klägerin beklagten Dauerschmerz ergibt. Bei dem von ihr angegebenen durchgängig hohen Schmerzniveau mit den geschilderten gravierenden Auswirkungen auf die alltäglichen Verrichtungen, wäre zu erwarten, dass die Klägerin die verordneten Schmerzmedikamente auch regelmäßig einnimmt. Soweit der Sachverständige B in der ergänzenden Stellungnahme vom 5. Dezember 2018 die Einschätzung des Sachverständigen D im Hinblick auf die Medikamenteneinnahme nur als vordergründig richtig beurteilt, ist festzustellen, dass dieser selbst zur Begründung seiner Einschätzung eines aufgehobenen Leistungsvermögens auf die Klassifizierung des Mainzer Stadienmodells in seinem Sachverständigengutachten vom 15. November 2017 abgestellt hat. Aufgrund der erheblichen Chronifizierung der Schmerzen hat er nämlich eine schwere Schmerzstörung Grad III unter Verweis auf ein Formular zur Auswertung des Mainzer Stadienmodells der Schmerzchronifizierung im Anhang des Gutachtens ermittelt. In dem Formular sind Angaben der Klägerin zum Medikamenteneinnahmeverhalten ausgewertet worden. Soweit der Sachverständige B nunmehr – mit dem Einwand des mangelnden Nachweis von Tilidin konfrontiert – darauf verweist, dass die Verordnung von Schmerzmedikamenten bei einem Fibromyalgiesyndrom nicht indiziert sei, setzt er sich in einem erheblichen Widerspruch zu seinen Ausführungen im Sachverständigengutachten vom 5. Dezember 2018. Es ist auch zu berücksichtigen, dass das Medikament vom behandelnden Arzt zur regelmäßigen Einnahme verordnet wurde und die Klägerin angegeben hat, es regelmäßig zu nehmen. Sofern diese Angabe nicht durch einen objektiven Befund wie eine Blutuntersuchung verifiziert werden kann und auf der anderen Seite ganz gravierende Beeinträchtigungen durch massive Schmerzen vorgetragen werden, ergibt sich unabhängig von der speziellen Indikation für die Verabreichung von Medikamenten bei einem Fibromyalgiesyndrom eine Inkonsistenz.

Die Sachverständige Dr. A hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin keine wesentliche Einschränkung der Willensfähigkeit bestehe, die der Aufnahme einer Tätigkeit von dem Hintergrund des Fibromyalgiesyndroms entgegenstehen würde. Der von ihr erhobene psychische Querschnittsbefund habe keine wesentliche Störung der für die Willensbildung und Willensfähigkeit determinierten Ichfunktionen ergeben. Diese Einschätzung ist in Anbetracht der Ausführungen der Sachverständigen zur Beschwerdeschilderung plausibel und nachvollziehbar.

Nach Auffassung der Sachverständigen Dr. A und D ist auch die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Der abweichenden Auffassung von B kann nicht gefolgt werden. Der Sachverständige D hat zu Recht darauf hingewiesen, dass keine Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaßen bestehen würden und auch der Muskelmantel beider Beine seitengleich symmetrisch mit einer gleichmäßigen Fußsohlenbeschwielung sei. Das spricht gegen gravierende Einschränkungen der Gehfähigkeit. Der Sachverständige B hat sich hingegen allein auf die Angaben der Klägerin zur Zeitdauer von Wegstrecken von 500 m gestützt.

Nicht gefolgt werden kann der Einschätzung des Sachverständigen B. Dieser hat seine Einschätzung zum Leistungsvermögen der Klägerin im Wesentlichen diagnosebezogen unter Berücksichtigung der subjektiven Beschwerdeschilderung und der Schmerzangaben der Klägerin während der Untersuchung mit dem Vorliegen eines Fibromyalgiesyndroms und der hiermit verbundenen raschen Ermüdbarkeit begründet. Er hat dabei ausführlich begründet, dass es sich um eine Stressfolgenerkrankung handele, die zu Muskelverkürzungen und Muskeldysbalancen führe, was wiederum Schmerzen auslöse. Aus den chronischen, häufig lokalisierten Muskelschmerzen entstehe ein Dauerschmerz. Die bei der Klägerin gefundenen Schmerzareale und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Schulter und des Halses und der Brustwirbelsäule sowie im Vorfußbereich mit Muskelverkürzungen und Dysbalancen seien geradezu typisch hierfür.

Das Sachverständigengutachten lässt jedoch die erforderliche Konsistenzprüfung der subjektiv angegebenen Beschwerden und Schmerzen vermissen. Für den Gutachter passen Erkrankung und geschilderte Symptome gut zueinander, hieraus hat er ein aufgehobenes Leistungsvermögen im Hinblick auf eine nicht mehr mögliche Dauerbelastung abgeleitet. Wie bereits dargelegt wäre es aber erforderlich gewesen, die subjektiven Beschwerden der Klägerin – gerade vor dem Hintergrund einer möglicherweise passenden Diagnose – einer kritischen Würdigung durch einen Abgleich mit den vorliegenden Befunden und den eigenen Beobachtungen während der Untersuchung zu unterziehen, um Verdeutlichungs- oder gar Simulationstendenzen auszuschließen. Auch wäre es erforderlich gewesen, das Ausmaß der Schmerzen und deren Intensität zu ermitteln und kritisch zu würdigen. Dies ist in dem Sachverständigengutachten von B so gut wie gar nicht geschehen. Das wäre aber im Kern die Aufgabe des Sachverständigen gewesen. Das gilt auch für die Schmerzangaben der Klägerin zu den sog. Tenderpoints. Der Sachverständige hat die Angaben der Klägerin übernommen und an keiner Stelle wird eine kritische Auseinandersetzung mit der Schmerzschilderung deutlich. Hier vermag auch der Verweis auf die eigene (und hier nicht angezweifelte) Qualifikation bei der Behandlung des Fibromyalgiesyndroms nicht weiterzuhelfen. Denn das Gericht wird so nicht in die Lage versetzt, das Sachverständigengutachten auf seine Schlüssigkeit zu überprüfen. Das gilt auch soweit der Sachverständige zur Begründung auf Muskelverkürzungen und einen hieraus folgenden chronischen Schmerz abstellt. Denn hierbei handelt es sich weniger um eine konkrete gutachterliche Feststellung des Gesundheitszustandes der Klägerin als um einen Erklärungsversuch der zu einem Fibromyalgiesyndrom führenden Prozesse. Irgendwelche krankhaften Veränderungen der Muskulatur in Form von Verkürzungen oder Verspannungen hat der Sachverständige D gerade nicht feststellen können. Auch eine (unauffällige) Prüfung der Tenderpoints ist bei D negativ ausgefallen. Die quantitative Leistungsminderung wird von B fast ausschließlich aus der Beschwerde- und Schmerzschilderung hergeleitet. Diese Ausführungen vermögen die konkrete Leistungseinschätzung daher auch nicht zu objektivieren.

Soweit B mit seinen Ausführungen auf die Richtigkeit der Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms abstellt, reicht die Diagnose einer Erkrankung gerade nicht aus, zumal nach den S3-Leitlinien der Deutschen Schmerzgesellschaft grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass das Leistungsvermögen nicht aufgehoben ist. Dabei wird nicht verkannt, dass der Sachverständige B eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen hat, indem er Schmerzempfindungen an den sog. Tenderpoints und die während der Untersuchung geklagten Schmerzen ermittelt und den erhobenen Befund mit dem Krankheitsbild einer Fibromyalgie mit einem positiven Ergebnis abgeglichen hat. Unter Berücksichtigung der typischen Begleiterscheinungen des Krankheitsbilds und der Beschwerdeschilderung der Klägerin hat er dann aufgrund der geklagten Erschöpfungszustände ein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt. Gleichwohl vermag die Begründung nicht zu überzeugen, die Prüfung greift zu kurz. Der Sachverständige hat zwar möglicherweise überzeugend das Vorliegen eines Fibromyalgiesyndroms herausgearbeitet, hieraus folgt aber noch kein aufgehobenes Leistungsvermögen. Eine Erkrankung oder Diagnose begründet nur im Ausnahmefall so gravierende Funktionseinschränkungen, dass von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen werden kann. Maßgeblich sind die Ausprägung der Erkrankung und die sich hieraus ergebenden limitierenden Folgen. Der Sachverständige D hat insoweit zu Recht auf die einschlägige Leitlinie der Deutschen Schmerzgesellschaft 2017 hingewiesen, wonach ein Fibromyalgiesyndrom nicht grundsätzlich zu quantitativen Leistungseinschränkungen im Erwerbsleben führen muss. Zwar ist B zuzustimmen, dass das Krankheitsbild im Einzelfall zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führen kann, jedoch wäre in einem weiteren Schritt eine Überprüfung der Schmerzangaben ebenso notwendig gewesen, wie eine Ermittlung der Schmerzintensität und der konkreten Ausprägung der Erkrankung. Dabei muss anhand von objektiven Prüfkriterien eine Aussage zur Konsistenz der Schmerzangabe getroffen werden. Ein solcher Abgleich ist ausführlich und nachvollziehbar von der Sachverständigen Dr. A vorgenommen worden, mit dem Ergebnis, dass Beschwerden zwar grundsätzlich plausibel erscheinen, nicht jedoch das von der Klägerin geschilderte massive und dauerhafte Schmerzbild bis hin zu schwerwiegenden, den Alltag begrenzenden Einschränkungen. An dieser Stelle fehlt es im Sachverständigengutachten von B an der erforderlichen Begründungsdichte. So reicht es nicht aus, die Schmerzen, die während der Untersuchung von der Klägerin geklagt worden sind, in Übereinstimmung mit einem bestimmten Krankheitsbild zu setzen, ohne sich näher mit der Intensität und den Auswirkungen auf eine Erwerbstätigkeit auseinanderzusetzen und herauszuarbeiten, dass konkret ein besonders schwerwiegende Erscheinungsform des Fibromyalgiesyndroms vorliegt.

Die Auffassung, dass nur ein auf das Fibromyalgiesyndrom spezialisierter Sachverständiger zu einer sachgerechten Einschätzung des Leistungsvermögens gelangen kann, wird nicht geteilt. Wie bereits dargelegt, geht es im Kern darum, die Auswirkungen der Schmerzerkrankung zu ermitteln und zu objektivieren. Der Senat hat dem Erfordernis, dass die Schmerzbegutachtung interdisziplinär die Kompetenz zur Beurteilung körperlicher und psychischer Störungen aufweisen soll, dadurch Rechnung getragen, dass Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet eingeholt worden sind. Der orthopädische Sachverständige ist zudem auf dem Gebiet der Schmerztherapie kompetent.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es gibt keine Gründe, die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved