S 1 R 186/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 R 186/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 105/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 220/17 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung der Beklagten in Höhe von 400 EUR monatlich.

Seit dem 1.3.2012 bewilligt die Beklagte dem Kläger Rentenleistungen.

Am 21.10.1992 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung eines Forderungsbetrages in Höhe von 5.886,42 EUR mit der zu zahlenden Rente. Bei dem Forderungsbetrag handelt es sich um einen Beitragsanspruch der Beigeladenen einschließlich Säumniszuschlägen und Nebenkosten, welche durch Beitragsnachweise für die Monate März 1985 und April 1985 belegt wurden.

Nach Anhörung des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29.3.2012 fest, dass die Forderung der Beigeladenen mit der laufenden Rente in Höhe von 833,79 EUR monatlich aufgerechnet werde. Die Verrechnung mit der laufenden Rente wurde ab dem Monat Mai 2012 zur Ausführung gebracht.

Hiergegen legte der Kläger am 23.4.2012 Widerspruch mit der Begründung ein, dass die von der Beigeladenen geltend gemachte Forderung verjährt sei und damit gegenstandslos.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.6.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Klage, die der Kläger am 25.7.2012 vor dem Sozialgericht Fulda erhoben hat.

Das Gericht hat den Vogelsbergkreis beauftragt zu prüfen, ob bei einer Verrechnung in Höhe von 400 EUR Hilfebedürftigkeit eintritt. Der Vogelsbergkreises hat mit Schreiben vom 15.9.2014 und anliegender Berechnung mitgeteilt, dass bei einer Kürzung von 400 EUR keine Grundsicherungsbedürftigkeit entsteht.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Forderung der Beigeladenen bereits verjährt sei. Zudem habe er nicht vorsätzlich die Beiträge der Krankenkasse einbehalten, auch beruft er sich auf die damalige Insolvenzsituation. Darüberhinaus sei der Verrechnungsbetrag zu hoch und führe zu Hilfebedürftigkeit.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.3.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.6.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass die Forderung der Beigeladenen bestehe und nach Aussage des Vogelsbergkreises der Kläger bei dem streitgegenständlichen Aufrechnungsbetrag nicht hilfebedürftig werde.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie ist mit einer Reduzierung der Forderung nicht einverstanden.

Mit Schreiben vom 14.10.2015 sind die Beteiligten dazu angehört worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Beschlussbesetzung ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen, insbesondere des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akten der Beklagten, die Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 14.10.2015 angehört worden.

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 29.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.6.2012, mit dem die Beklagte eine Aufrechnung vornahm. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist Forderung der Beigeladenen in Höhe von 5.886,42 EUR, da diese bereits bestandskräftig wurde.

Bei einer Aufrechnungserklärung handelt es sich nach allerdings umstrittener Ansicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) (so im Ergebnis auch BSGE 53, 208, 209; a.A. BVerwG NJW 1983, 776; zum Ganzen KassKomm-Seewald, § 51 SGB I, Rdnrn. 21 u. 34). Das Gericht schließt sich dieser Ansicht an, zumal die Beklagte vorliegend auch die Aufrechnung ausdrücklich durch einen förmlichen Bescheid erklärte und dessen Recht- und Zweckmäßigkeit im Widerspruchsverfahren durch Erlass des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides überprüfte. Der Kläger wendet sich gegen die durch diesen Verwaltungsakt vorgenommene Aufrechnung, die zu einer Kürzung des Rentenauszahlungsbetrags führt. Zulässige Klageart ist damit die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Bereits mit einer Aufhebung des Bescheides wird dem Klagebegehren des Klägers entsprochen, so dass es keiner mit der Anfechtungsklage kombinierten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG auf Auszahlung der ungekürzten Rente bedarf (so z.B. auch: LSG Baden-Württemberg, vom 2. Juli 2009, Breith. 2010, 93 ff; a.A. BSG vom 24. Juli 2003, SozR 4-1200 § 52 Nr. 1).

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - mit der Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - deren Ansprüche gegen den Berechtigten - also den Kläger - mit der ihr obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier auf Rentenauszahlung - mit Ansprüchen (jeder Art) gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen - wie hier - kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig nach den Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (bis 31.12.2004); ab 1.1.2005 kann der zuständige Leistungsträger entsprechend aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II wird (§ 51 Abs. 2 SGB I in der jeweiligen Fassung).

Die Beklagte nahm eine Aufrechnung nach § 52 SGB I i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I vor. Vorliegend bestehen zum einen ein laufender Rentenanspruch des Klägers ab dem 1.3.2012 in Höhe von 833,79 EUR (netto), zum anderen die Forderung der Beigeladenen in Höhe von 5.886,42 EUR. Vorliegend hat die Beigeladene eine Aufstellung über die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge übersandt, so dass für das Gericht das Bestehen einer hinreichend bestimmten Forderung, die mit laufenden Rentenleistungen verrechnet werden kann, feststeht.

Sowohl bei der Haupt- als auch der Gegenforderung muss es sich um eine gleichartige Forderung im Sinne eines Geldleistungsanspruchs handeln. Ferner ist Voraussetzung die Gegenseitigkeit der Ansprüche, die Fälligkeit der Gegenforderung sowie die Erfüllbarkeit der Hauptforderung des Berechtigten. Ob ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I besteht, richtet sich nach den maßgeblichen Rückforderungsansprüchen, insbesondere nach den §§ 45 ff SGB X. Dem Leistungsträger steht bei der Ausübung des Aufrechnungsrechts ein Ermessensspielraum zu; dieser betrifft sowohl das Ob als auch das Wie der Aufrechnung.

Nicht mehr zu prüfen ist dabei die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung des Anspruchs der Beigeladenen gegenüber dem Kläger in Höhe von 5.886,42 EUR. Der Bescheid mit dem diese Forderung bestandskräftig festgestellt wurde, liegt zwar nicht mehr vor, es reicht jedoch die Vorlage der Beitragsnachweise (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 23.4.2013, Az: L 20 R 819/09). Dies ist vorliegend geschehen, so dass keine Zweifel an dem Bestehen der Forderung vorliegen. Die Rechtmäßigkeit des Erstattungsanspruchs ist nicht gesonderte Voraussetzung der Aufrechnung, vielmehr ist die bestandskräftige Feststellung des Bestehens dieses Anspruchs ausreichend. Die Forderung, mit der die Beklagte aufrechnet, muss vollwirksam und fällig sein (s.a. BGHZ 2, 302). Dies ist bereits dann gegeben, wenn die Erfüllung der Forderung erzwungen werden kann und ihr keine Einrede entgegensteht. Das Gericht kann in dem vorliegenden Verfahren deshalb nicht überprüfen, ob die Erstattungsforderung der Beklagten zu Recht besteht.

Die Beklagte hat im Übrigen auch in hinreichendem Umfang das ihr zustehende und im Rahmen von § 51 Abs. 2 SGB I grundsätzlich auch auszuübende Ermessen betätigt. Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ist es gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I erforderlich, dass der Verwaltungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung (überhaupt) ausübt und dass er dabei im Übrigen auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der gemäß § 39 Abs. 1 SGB I von der Ermessensentscheidung Betroffene hat einen korrespondierenden Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Nur in diesem – eingeschränkten – Umfang unterliegt nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG die Ermessensentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle. Rechtswidrig können Verwaltungsakte demnach nur in Fällen des Ermessensfehlgebrauchs (entweder in Gestalt des Ermessensnichtgebrauchs oder in Gestalt der Ermessensüberschreitung) sein (vgl. BSG vom 14. Dezember 1994 - 4 RA 42/94 = SozR 3-1200 § 39 Nr. 1). Die Frage, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung ergangen ist und ob diese gegebenenfalls rechtmäßig war, beurteilt sich dabei nach dem Inhalt des Verrechnungsbescheides, insbesondere nach seiner Begründung. Diese muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, und sie muss darüber hinaus grundsätzlich auch diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Verwaltungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn. 5, 20).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts eine diesen Grundsätzen entsprechende hinreichende Ermessensentscheidung getroffen, indem sie im Verrechnungsbescheid vom 29.3.2012 und nochmals im Widerspruchsbescheid vom 26.6.2012 die seitens des Klägers vorgetragenen Einwände zur Kenntnis genommen und bei der Ausübung des ihr zustehenden Ermessens berücksichtigt hat. Die Ermessensentscheidung ist auch hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung von 400 EUR nicht zu beanstanden. Sie hat einerseits die Höhe der laufenden Rente des Klägers, andererseits die Höhe der Gesamtforderung mit der entsprechend sich ergebenden Laufzeit der Aufrechnung in die Gesamtabwägung einbezogen. Es kann zur Überzeugung des Gerichts rechtlich nicht beanstandet werden, dass die Beklagte jedenfalls insoweit das öffentliche Interesse bzw. das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Entrichtung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge höher bewertet hat, als das Interesse des Klägers an einer weitgehend ungeschmälerten Auszahlung seiner Altersrente.

Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I tritt dadurch nicht ein. Laut des Schreibens des Vogelsbergkreises vom 15.9.2014 kann mit einem Betrag in Höhe von 400 EUR aufgerechnet werden, ohne dass der Kläger dadurch hilfebedürftig wird. Der Kläger hat einen anders lautenden Nachweis des Landkreises Hersfeld Rotenburg nicht vorgelegt, so dass der Eintritt von Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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