L 11 RJ 511/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 3493/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 RJ 511/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Begrenzung nach § 22b FRG auf 25 Entgeltpunkte auch beim Zusammentreffen eigener und einer Hinterbliebenenrente ist nicht rechtmäßig. (Bestätigung von BSG - B 4 RA 118/00 R - vom 30.08.2001 - gegen Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 Kn 2/02 - vom 12.12.2002
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Witwenrente. Streitig ist insbesondere die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte (EP) für anrechenbare Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Die am 1937 geborene Klägerin übersiedelte im November 1996 gemeinsam mit ihrem Ehemann aus Sibirien in die Bundesrepublik Deutschland. Die Eheleute wurden als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Dem Ehemann der Klägerin gewährte die Beklagte auf seinen Antrag vom 19.01.1998 mit Bescheid vom 17.04.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Die Klägerin bezieht von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersrente für Frauen seit 01.02.2000. Aus dem Bescheid vom 09.03.2000 ergeben sich für die Klägerin nach dem FRG insgesamt 27,0424 EP, die auf 25 EP begrenzt wurden.

Nach dem Tod des Ehemannes am 08.01.2000 beantragte die Klägerin am 13.01.2000 bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Mit Bescheid vom 18.02.2000 (nicht in der Verwaltungsakte enthalten) bewilligte die Beklagte der Klägerin zunächst für die Zeit ab 01.02.2000 sog. große Witwenrente in Höhe von DM 517,21 monatlich.

Nach Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nahm die Beklagte mit Bescheid vom 28.04.2000 den Bescheid vom 18.02.2000 über die Bewilligung einer Witwenrente für die Zeit ab 01.05.2000 gemäß § 45 SGB X zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, bezögen beide Ehepartner eine eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so gelte die Begrenzungsregelung nach § 22b Abs. 3 FRG, wonach beide Leistungen zusammen nicht mehr als 40 Entgeltpunkte für FRG-Zeiten enthalten dürften. Nach dem Tod ihres Ehemannes habe die Klägerin Anspruch sowohl auf eine Versicherten-, als auch auf eine Hinterbliebenenrente. Die FRG-Anteile beider Renten dürften zusammen höchstens 25 Entgeltpunkte betragen (§ 22b Abs. 1 FRG). Vorrang hätten hierbei die Entgeltpunkte in der Versichertenrente. Laut Bescheid der BfA vom 09.03.2000 lägen der Versichertenrente der Klägerin 25 Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG zugrunde, so dass bei der Witwenrente daher keine FRG-Entgeltpunkte zu berücksichtigen seien. Der Bescheid vom 18.02.2000 sei somit ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt. Da die laufende Zahlung ab dem 01.05.2000 gestoppt worden sei, könne die Klägerin weder Leistungen verbraucht, noch Vermögensdispositionen getroffen haben. Ihr Vertrauen sei daher als nicht schutzwürdig anzusehen. Die Bewilligung dürfe daher für die Zeit ab 01.05.2000 zurückgenommen werden. Ab 01.05.2000 betrügen die laufenden Zahlungen 6,22 DM monatlich.

Am 15.03.2002 legte die Klägerin gegen den Rentenbescheid vom 28.04.2000 Widerspruch ein, weil das Gesetz § 22b Abs. 1 FRG mit der Witwenrente nichts zu tun habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück: Der Widerspruch sei zulässig. Die Widerspruchsfrist sei an sich abgelaufen, da der Widerspruch nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe erhoben worden sei, die Beklagte sei jedoch bereit, diesen dennoch als zulässig anzusehen. Der Widerspruch sei jedoch nicht begründet. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 30.08.2001 (B 4 RA 118/00 R) entschieden, dass die Begrenzung auf 25 EP aus Fremdrentenzeiten beim Zusammentreffen von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente unzulässig sei. Nach Auffassung der Rentenversicherungsträger sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch über den Einzelfall hinaus nicht zu folgen. Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes sei eindeutig auch die Hinterbliebenenrente von der Begrenzungsregelung des § 22b FRG erfasst. Der Gesetzgeber habe für alle Personen, die ab dem 7. Mai 1996 in die Bundesrepublik Deutschland gezogen seien, das bisher geltende Eingliederungsprinzip durch das Bedürftigkeitsprinzip ersetzt. Die Renten dieser Spätaussiedler sollten sich nur noch an der Höhe der Eingliederungshilfe orientieren. Besondere Regelungen für die Hinterbliebenenrente seien vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass eine andere Behandlung von Hinterbliebenen als von Alleinstehenden vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sei. Der Bescheid vom 18.02.2000 sei daher ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt. Das Vertrauen der Klägerin auf diesen Bestand sei auch deshalb für die Zeit ab 01.05.2000 nicht schutzwürdig, weil der Klägerin durch den Hinzutritt ihrer Altersrente weiterhin etwa der gleiche Betrag zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung stehe.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung berief sich die Klägerin im wesentlichen auf das Urteil des BSG vom 30.08.2001. Das BSG habe klargestellt, dass § 22b FRG eine Begrenzung auf 25 EP allein beim Zusammentreffen mehrerer eigener Rentenrechte eines Berechtigten bzw. mehrerer eigener Rechte von Ehegatten und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft rechtfertige. Weder unmittelbar noch in analoger Anwendung ergäbe sich aus der Vorschrift dagegen eine Begrenzung der nach dem FRG berücksichtigungsfähigen EP auch für die Inhaber einer Hinterbliebenenrente neben einer eigenen Rente.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage von Kopien aus den Mitteilungen 7-8/2002 der LVA Rheinprovinz mit einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 30.08.2001 entgegen.

Mit Urteil vom 21.01.2003, der Beklagten zugestellt am 11.02.2003, hob das SG den Bescheid vom 28.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002 auf. In den Entscheidungsgründen führte es aus, zu Unrecht wende die Beklagte auf das Zusammentreffen einer Hinterbliebenenrente mit einer Rente aus eigener Versicherung § 22b Abs. 1 FRG an. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 22b FRG der Tatsache Rechnung getragen, dass die an Spätaussiedler gezahlten Renten nicht auf eigener Beitragsleistung beruhen und deshalb die Höhe der Rente an Bedürftigkeitsgesichtspunkten orientiert für einen Berechtigten auf 25 EP beschränkt. Unterhalb dieser Grenze handle es sich aber nach wie vor um eine aus der Anrechnung rentenrechtlicher Zeiten zu ermittelnde Rente und nicht um eine von der konkreten Bedürftigkeit abhängigen Sozialleistung. Wäre § 22b Abs. 1 FRG so wie von der Beklagten angenommen dahingehend auszulegen, ein Berechtigter könne als Inhaber mehrerer Rechte auf Rente ausnahmslos nur die Berücksichtigung von höchstens 25 EP nach dem FRG begehren, so wären hinterbliebene Spätaussiedler anders als alle anderen rentenberechtigten Hinterbliebenen von Versicherten vielfach nur Inhaber eines letztlich leeren Rechts auf Hinterbliebenenrente und blieben im Ergebnis auf den Wert ihrer eigenen Rente und die hieraus monatlich erwachsenden Einzelansprüche beschränkt. Damit würde dem Zweck von Hinterbliebenenrenten nicht hinreichend Rechnung getragen. Eine Begrenzung der nach dem Gesetz berücksichtigten EP auch für die Inhaber einer Hinterbliebenenrente neben einer eigenen Rente auf insgesamt 25 EP sei somit nicht gerechtfertigt (so auch BSG, Urteil vom 30.08.2001 - B 4 RA 118/00 R). Nachdem der ursprüngliche Verwaltungsakt vom 18.02.2000 somit rechtmäßig gewesen sei, fehle es für die Rücknahme dieses Bescheides bereits an der Voraussetzung der Rechtswidrigkeit.

Hiergegen richtet sich die am 13.02.2003 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie vor, nach übereinstimmender Auffassung der Rentenversicherungsträger sei das Urteil des BSG nicht überzeugend, weshalb ihm - über den Einzelfall hinaus - nicht gefolgt werden könne. Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes werde auch die Hinterbliebenenrente von der Begrenzungsregelung erfasst. Mit der Einführung des § 22b Abs. 1 FRG habe der Gesetzgeber nämlich für alle Personen, die ab dem 07.05.1996 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen seien bzw. zuzögen, das bisher geltende Eingliederungsprinzip durch das Bedürftigkeitsprinzip ersetzt. Ihr Standpunkt werde gestützt durch das zwischenzeitlich rechtskräftig gewordene Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27.11.2002 - S 9 RJ 2074/02 - sowie das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 12.12.2002 - L 5 KN 2/02 - und ein Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29.04.2003.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung bereits aus den vom SG zutreffend dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zutreffend hat das SG entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 18.02.2000 nicht vorliegen, da dieser rechtmäßig ist. Die Begrenzung der anrechenbaren Zeiten nach dem FRG auf 25 EP gemäß § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG findet keine Anwendung, wenn ein Begünstigter neben einem Recht aus eigener Versicherung ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente hat.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 30.08.2001 -B 4 RA 118/00 R-, dem sich der erkennende Senat anschließt, im einzelnen ausgeführt, dass der Einwand eines bereits eingetretenen Verbrauchs der nach dem FRG höchstens berücksichtigungsfähigen EP nur Versicherte betrifft, die verschiedene Rechte auf Rente aus eigener Versicherung haben, bei denen für sie jeweils Zeiten nach dem FRG anrechenbar sind. Nur bei diesen Versicherten gilt, dass ihnen aufgrund ihrer Arbeit im Vertreibungsgebiet Rangstellenwerte in der deutschen Rentenversicherung nur einmal und höchstens bis zu 25 EP zuerkannt werden. Schon der Wortlaut des Gesetzes ("anrechenbare Zeiten", "Berechtigter") steht einer Anwendung auf Hinterbliebene entgegen. Begründet wird dies damit, dass der Wert von Hinterbliebenenrenten im Gegensatz zu demjenigen von Versichertenrenten, die den Ersatz entfallenen Erwerbseinkommens bezwecken, gerade nicht auf einer individuellen Rangstelle und dem Maß beruht, in dem der Rentner selbst während seiner aktiven Erwerbsphase im jährlichen Vergleich mit den zeitgleich Versicherten zum damaligen Beitragsaufkommen beigetragen hat. Sie leiten sich vielmehr entsprechend ihrer andersgearteten Funktion, nämlich Ersatz für den -bei Witwen stets gesetzlich unterstellten und nicht konkret nachzuweisenden- Unterhalt durch den Verstorbenen zu leisten, ohne eigene Vorleistung des Rentners bzw. ohne besondere Vorleistung des Versicherten nach den Gesichtspunkten des Unterhaltsersatzes aus der Rente des Versicherten ab. Bei einer Anwendung des § 22b Abs. 1 FRG auf Sachverhalte wie den Vorliegenden, in denen neben einem Recht auf Rente aus eigener Versicherung noch ein aus der Versicherung des verstorbenen Ehegatten abgeleitetes Recht auf eine Hinterbliebenenrente besteht, könnte ein Berechtigter ausnahmslos für die zuerkannte Rente auf Alters- und Hinterbliebenenrente insgesamt nur die Berücksichtigung von höchstens 25 EP beanspruchen. Spätaussiedler wie die Klägerin, bei denen 25 EP bereits mit der Altersrente verbraucht sind, wären dann anders als alle anderen rentenberechtigten Hinterbliebenen von Versicherten vielfach nur Inhaber eines letztlich leeren Rechts auf Hinterbliebenenrente.

Soweit in der gesetzlichen Regelung ein Grundsatz des Gesetzgebers gesehen wird, dass er Alleinstehende nur mit Leistungen nach maximal 25 EP ausstatten will, und hieraus der Schluss gezogen wird, dass die für lebende Ehegatten geltende Regelung nach dem Tod des Einen nicht zu einer höheren Versorgung des Längstlebenden führen soll, weil andernfalls Witwen oder Witwer besser gestellt würden, als wenn der verstorbene Partner am Leben wäre (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 12.12.2002 -L 5 Kn 2/02-) überzeugt dies den Senat nicht. Denn bei dieser Argumentation wird die andersgeartete Funktion der Hinterbliebenenrenten, Ersatz für einen gesetzlich unterstellten und nicht konkret nachzuweisenden Unterhaltsausfall zu kompensieren, nicht ausreichend berücksichtigt. Die Betroffenen erhalten zusammen aus "FRG-Zeiten" höchstens den Rangstellenwert der neuen Sozialrente für Spätaussiedler (25 EP) zuzüglich einer Hinterbliebenenrente hieraus (15 EP).

Wie das BSG sieht auch der Senat keine gesetzliche Grundlage dafür, eine Wertbestimmung von Hinterbliebenenrenten dann insgesamt zu verweigern, wenn 25 EP aufgrund "FRG-Zeiten" bereits im Rahmen einer eigenen Rente Berücksichtigung gefunden haben, und damit Witwer/Witwen mit einem derartigen Recht aus eigener Versicherung anders zu behandeln als sonstige Inhaber eines Rechts auf Hinterbliebenenrente. Vielmehr steht beiden Gruppen einheitlich eine allein und unabhängig aus der Rente des Verstorbenen abgeleitete Rente zu.

Die Berufung der Beklagten konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen wird.
Rechtskraft
Aus
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