L 16 R 74/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 R 4716/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 74/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Berlin vom 15. Januar 2018 aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat den Klägern die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die unbekannten Erben nach D L (nachfolgend: Versicherter), gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger, machen einen Anspruch auf Gewährung von Rente we-gen Erwerbsminderung (EM) in voller Höhe für die Monate Dezember 2011 und Ja-nuar 2012 geltend, soweit der Anspruch nicht bereits durch Zahlung erfüllt ist.

Die Beklagte bewilligte 1954 geborenen Versicherten, dessen Beschäftigungsver-hältnis zum 31. Dezember 2011 durch Auflösungsvertrag unter Rückabwicklung des vereinbarten Altersteilzeitverhältnisses und Auszahlung des (angesparten) Wertgut-habens im Dezember 2011 in Höhe von 866 EUR und im Januar in Höhe von 15.971 EUR endete, antragsgemäß aufgrund eines Leistungsfalls am 14. Oktober 2010 ab 1. Mai 2011 eine befristete Rente wegen voller EM, wobei sie die Rente für die Zeit von Mai bis November 2011 in voller Höhe (1.282,54 EUR), unter Berücksichtigung der individu-ellen Hinzuverdienstgrenzen für Dezember 2011 nur in Höhe von ¾ des Zahlbetra-ges (971,27 EUR) und im Januar 2012 gar nicht (0 EUR) auszahlte und sodann ab Februar 2012 wieder ungekürzt (Rentenbescheide vom 16. April 2012 und vom 21. August 2012, Widerspruchsbescheid vom 18. September 2012). Das ausgezahlte Wertgut-haben sei als angespartes Arbeitsentgelt dem jeweiligen Auszahlungsmonat zuzu-ordnen.

Der Versicherte hat vor dem Sozialgericht Berlin (SG) nachfolgend Klage erhoben mit dem Begehren, auch für Dezember 2011 und Januar 2012 EM-Rente in voller Höhe zu erhalten, und der Begründung, keinen Hinzuverdienst erzielt zu haben, der die Beklagte zu einer Kürzung der gewährten Rente wegen voller EM berechtige. Er habe im Januar 2012 nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Der Versicherte ist am 7. November 2015 verstorben.

Das SG hat nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens und nach Bestellung des Nachlasspflegers für die unbekannten Erben durch das Nachlassgericht (Bestal-lungsurkunde des Amtsgerichts K vom 28. März 2017 mit dem gerichtlich bestimm-ten Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses und Ermittlung der Er-ben) mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2018 den angefochtenen Bescheid der Beklagten geändert und diese verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Januar 2012 Rente wegen voller EM in voller Höhe aus der Versiche-rung des Versicherten zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt, die ausgezahl-ten Wertguthaben seien zwar grundsätzlich Arbeitsentgelt, nämlich solches, das in das Wertguthaben eingebracht worden sei, um es für Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung oder der Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu ent-nehmen (angespartes Arbeitsentgelt). Allerdings habe es sich vorliegend nicht um Arbeitsentgelt aus Beschäftigung gehandelt, weil im Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs die Freistellungsphase bereits begonnen und deshalb die Beschäf-tigung nicht mehr fortbestanden habe.

Mit ihrer Berufung vom 29. Januar 2018 macht die Beklagte geltend, das SG habe außer Acht gelassen, dass der Fiskus als gesetzlicher Erbe die Ansprüche nicht gel-tend machen könne. Dies gelte auch dann, wenn, wie hier, ein Nachlasspfleger für die unbekannten Erben Ansprüche gegen den Rentenversicherungsträger geltend mache. Solange der Erbe als Fiskus in Betracht komme, bestände die Möglichkeit, dass der Fiskus die Erfüllung nicht verlangen könne. Allein einem natürlichen Erben gegenüber könne die Erfüllung der Leistung nicht verweigert werden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2018 aufzu-heben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte des Nachlassverwalters hat ausgeführt, Erben des Ver-sicherten seien noch nicht ermittelt worden. Sonderrechtsnachfolger seien nicht be-kannt. Ein Verfahren zur Feststellung des Fiskuserbrechts sei nicht eingeleitet wor-den.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsge-setz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist teilweise begründet, nämlich soweit das SG die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheides auch sinnge-mäß zur Auszahlung des Differenzbetrages zwischen der tatsächlich gezahlten EM-Rente für die Monate Dezember 2011 und Januar 2012 und dem vollen Zahlbetrag ohne Anrechnung eines Hinzuverdienstes verurteilt hat. Im Übrigen, hinsichtlich der Änderung des angefochtenen Bescheides, ist die Berufung unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Mit dem Tod des Versicherten im Klageverfahren hat auf der Klägerseite ein Beteilig-tenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine Unterbrechung des Verfahrens (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 239 Zivilprozessordnung [ZPO]) ist nicht eingetreten, weil der Ver-sicherte durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist (§ 246 ZPO), der den Rechtsstreit seither für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fortgeführt hat bzw. fortführt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 1993 – II ZR 62/92 – juris Rn. 11 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 5. Februar 1958 – IV ZR 204/57 – juris). Sonderrechtsnachfolger i.S.d. § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) sind nicht vorhanden; ein natürlicher Erbe wurde bisher nicht ermittelt. Mit der Bestellung des Nachlasspflegers durch das Nachlassgericht ist dieser als gesetzlicher Vertreter der endgültigen Erben aktiv prozessführungsbefugt; die Bestellung erfolgt für denjenigen, welcher Erbe wird (vgl. § 1960 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2004 – IV ZR 199/03 – juris Rn. 16 f.). In dieser Eigenschaft und nicht etwa als Vertreter des Nachlasses bzw. treuhänderische Amtsperson hat er nach herrschender Auffassung seiner Hauptaufgabe, der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, für den wirklichen Erben nachzukommen mit nach außen grundsätzlich unbeschränkter Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis (BGH, a.a.O. Rn. 17). Dementsprechend begehrt er mit der noch vom Versicherten erhobenen, nunmehr fortgeführten Klage unter Aufhebung des ursprünglich angefochtenen Bescheides vom 16. April 2012 in der Fassung des Bescheides vom 21. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2012 die Zahlung voller EM-Rente ohne Anrechnung eines Hinzuverdienstes auch für die Monate Dezember 2011 und Januar 2012, soweit der Anspruch nicht bereits durch Zahlung seitens der Beklagten erfüllt worden ist. Die insofern erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist zwar statthaft, aber, anders als vom SG entschieden, nicht vollumfänglich zulässig und begründet. Denn der Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter der noch unbekannten Erben kann die Zahlungsansprüche zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, nicht mit Erfolg geltend machen, so dass die (kombiniert erhobene) Leistungsklage unzulässig ist. Dem Nachlasspfleger fehlt für die Leistungsklage das Rechtsschutzinteresse. Dagegen ist die zugleich (kombiniert) erhobene Anfechtungsklage (isoliert) begründet, wie vom SG zu Recht sinngemäß entschieden worden ist.

Zwar fehlt einer isolierten Anfechtungsklage gegen einen Bescheid, mit dem, wie hier, eine höhere Leistung abgelehnt worden ist, die indes begehrt wird, regelmäßig das Rechtsschutzinteresse (BSG, Urteil vom 18. September 2012 – B 2 U 15/11 – juris Rn. 6). Die gegen den streitgegenständlichen Bescheid erhobene Anfechtungs-klage als regelmäßig nur "technisches Ingredienz" (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2005 – B 13 RJ 31/04 R – juris) ist vorliegend aber isoliert zulässig, weil der Nach-lasspfleger als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben allein mit dieser Klage-art verhindern kann, dass der zunächst vom Versicherten und nach dessen Ableben während des anhängigen Rechtstreits nunmehr für die unbekannten Erben geltend gemachte Anspruch auf Geldleistungen gegenüber der Beklagten, nämlich die Ge-währung voller EM-Rente in den Monaten Dezember 2011 und Januar 2012, unter-geht, weil der angefochtene Bescheid im Falle eines Prozessurteils auch hinsichtlich der Anfechtungsklage zwar nicht materiell in Rechtskraft erwachsen würde (vgl. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG), der geltend gemachte Anspruch auf Geldleistungen jedoch mit Beendigung des Rechtshängigkeit und damit einhergehender Bestandskraft des angefochtenen Bescheides (§ 77 SGG) erlöschen würde (vgl. § 59 Satz 2 SGB I).

Wie vom SG sinngemäß entschieden, ist die – isolierte – Anfechtungsklage auch be-gründet. Der Senat hält insofern an seiner vom SG zitierten Entscheidung mit Urteil vom 18. Februar 2015 (– L 16 R 458/14 – juris Rn. 13 f.) fest, mit dem er unter Hin-weis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Juli 2012 (– B 13 R 85/11 R – juris Rn. 20) ausgeführt hat, dass es sich bei der Auszahlung von Wertguthaben auch der vorliegenden Art aus einer vorzeitig beendeten Altersteilzeitbeschäftigung nicht um einen ("rentenschädlichen") Hinzuverdienst i.S.d. § 96a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) handelt. Nachdem die Beklagte mit ihrer Berufung dieser Rechtsauffassung nicht mehr entgegengetreten ist, sieht der Senat insofern von einer weiteren Begründung ab und verweist auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides des SG (§ 153 Abs. 2 SGG).

Für das Leistungsbegehren fehlt dem Nachlasspfleger jedoch, anders als vom SG entschieden, in dem für das Vorliegen sämtlicher Prozessvoraussetzungen maßgeb-lichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats das erforderliche Rechtsschutzinte-resse. Denn solange – mangels Sonderrechtsnachfolger – nur die abstrakte Möglich-keit besteht, dass ein natürlicher Erbe vorhanden ist und noch ermittelt wird, hat die-ser, wie sich aus Sinn und Zweck der Regelung in § 58 Satz 2 Sozialgesetzbuch Ers-tes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ergibt, kein schützenswertes Interesse, den Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten, wie diese zu Recht eingewandt hat, durchzusetzen. Die Leistungsklage ist mithin unzulässig.

Zwar sind die vom Nachlasspfleger geltend gemachten Ansprüche auf Geldleistun-gen – Zahlung höherer EM-Rentenbeträge für Dezember 2011 und Januar 2012 – wegen des anhängigen Rechtsstreits nicht mit dem Tod des Versicherten erloschen (vgl. § 59 Satz 2 SGB I). Ob vorliegend der Fiskus als Erbe in Betracht kommt oder eine natürliche Person, steht nicht bindend fest, weil eine Feststellung des Nachlass-gerichts nach § 1964 Abs. 1 BGB, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vor-handen ist, bisher nicht getroffen worden ist. Dies kann indes dahinstehen. Denn für diese Fallgestaltung ist bereits höchstrichterlich entschieden (vgl. BSG, Urteil vom 25. November 1982 – 5b RJ 46/81 – juris Rn. 10 f. sowie Urteil vom 13. September 1994 – 5 RJ 44/93 – juris Rn. 12, worauf der Senat die Beteiligten am 13. August 2019 schriftlich hingewiesen hat), dass ein vom Gericht eingesetzter Nachlasspfleger – wie hier – die Auszahlung der Rente nicht beanspruchen kann, wenn der Fiskus im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge (vgl. §§ 1922 ff., 1964 BGB) als Erbe in Betracht kommt. Denn solange dies, wie hier, der Fall ist, wie der Nachlassverwalter mit sei-ner Stellungnahme vom 6. August 2018, die seine Prozessbevollmächtigten an das Gericht weitergeleitet haben, im Übrigen eingeräumt hat, besteht die Möglichkeit, dass die Ansprüche nach § 58 Satz 2 SGB I nicht geltend gemacht werden können, die Erfüllung der vom Nachlassverwalter geltend gemachten Forderung mithin end-gültig nicht verlangt werden kann. Nach dieser Vorschrift kann der Fiskus als gesetz-licher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen, die nicht nach den §§ 56 und 57 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, nicht geltend machen. Zwar besteht, wie in den vom BSG entschiedenen Revisionsverfahren (a.a.O.), auch hier noch die – abstrakte – Möglichkeit, dass ein bisher nicht ermittelter natürlicher Erbe vorhanden ist, demgegenüber die Erfüllung der Leistung seitens der Beklagten nicht verweigert werden könnte, welches jene im Übrigen auch nicht bestreitet. Diese bloße Möglichkeit genügt indes nach aus Sicht des Senats gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (a.a.O.), der sich der Senat anschließt, nicht, um dem Nachlasspfleger das Recht zuzubilligen, die fälligen höheren Rentenansprüche zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Denn die Einreden, die gegen ein Zahlungsverlangen des Erben – ggf. gegenüber dem Fiskus – beständen, bestehen auch gegenüber dem Nachlassverwalter. Insofern hat der Gesetzgeber den Fiskus als Erben aber generell von der Geltendmachung rückständiger Rentenansprüche ausgeschlossen. Bei dieser Sachlage kann das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung eines Erben gegenwärtig nicht verbessern, so dass es für die Rechtsverfolgung für die noch unbekannten Erben, wie ausgeführt, am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG lie-gen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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