S 18 U 509/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 509/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 425/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit der Ziff.1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine = BK-3101) vorliegt.

Die 0000 geborene Klägerin machte von 1978 bis 1981 einer Ausbildung zur Frisörin. Anschließend arbeitete sie im erlernten Beruf. Nachdem sie 1985 die Meisterschule absolviert hatte, machte sie sich zunächst selbstständig mit einem Reisegewerbe. Seit 1993 arbeitet sie in einem eigenen Geschäft. Im Jahre 2006 erfolgte die Umstellung auf einen "Naturfrisörbetrieb".

Im Mai 2013 erstattete der Urologe Dr. A eine "Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit". Darin gab er an, es sei ein Urothelpapillom bei der Klägerin festgestellt worden, das am 12.04.2013 operiert worden sei. Die Klägerin führe diese Erkrankung auf den Kontakt mit Chemikalien beim Färben von Haaren zurück. Möglicherweise liege eine BK-1301 vor. Ergänzend gab die Klägerin noch an, seit Jahren mit aromatischen Aminen gearbeitet zu haben.

Die Beklagte holte zunächst zwei Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes ein. Dieser teilte zunächst unter dem 09.09.2013 mit, bislang seien Harnblasenkarzinome als berufsbedingt angesehen worden, wenn ein Versicherter mit Färbearbeiten in Frisörsalons beschäftigt gewesen sei, diese Arbeiten vor 1978 gelegen hätten und mindestens 10 Jahre lang ausgeführt worden seien. Im Übrigen seien nicht alle aromatischen Amine krebserzeugend, sondern nur einige wenige. Zwar würden auch heute noch Farbstoffe auf der Basis aromatischer Amine hergestellt, diese seien aber nicht kanzerogen. Es lägen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass Frisöre in Deutschland nach dem Jahr 1978 in erhöhtem Maße von Harnblasenkarzinomen betroffen seien. Ergänzend gab der Präventionsdienstes am 12.12.2013 aufgrund der von der Klägerin vorher gemachten Angaben an, seit 1978 seien aromatische Amine, bei denen eine krebserzeugende Wirkung wissenschaftlich festgestellt worden sei, nicht mehr in Haarfärbemitteln zum Einsatz gekommen. Eine Gefährdung durch den Produkteinsatz sei daher nicht anzunehmen. Es ergäben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK-1301.

Des Weiteren holte die Beklagte noch eine beratungsärztliche Stellungnahme des Urologen Dr. C vom 09.01.2014 ein. Dieser führte darin im Wesentlichen aus, bei Frisören komme eine Gefährdung durch den Umgang mit kanzerogenen aromatischen Aminen infrage, die bis 1978 etwa in Haarfärbemitteln enthalten gewesen seien. Eine andere berufliche Gefährdung sei nicht gesichert.

Mit Bescheid vom 19.03.2014 lehnte die Beklagte alsdann die Anerkennung einer BK-1301 bei der Klägerin ab.

Am 16.04.2014 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren hörte die Beklagte erneut ihren Präventionsdienst. Dieser gab am 04.07.2014 an, bei Frisören, die vor 1970 tätig gewesen seien, bestehe ein um den Faktor 2,56 gegenüber der allgemeinen Bevölkerung erhöhtes Risiko an Harnblasenkrebs zu erkranken. Dieses Risiko sei später im Laufe der Zeit auf 0,92 für den Zeitraum ab 1990 zurückgegangen. Ob dieser Risikorückgang durch die langen Latenzzeiten oder durch den Austausch besonders kritischer aromatische Amine seit 1980 zu erklären sei, sei unklar. Jedenfalls könne vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen nach wie vor nicht ausgegangen werden.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 21.11.2014 erhobene Klage. Die Klägerin ist im Wesentlichen der Ansicht, bei ihr sei eine BK-1301 anzuerkennen. Sie leide an einem Urothelpapillom der Blase. Diese Erkrankung sei auf den Umgang mit Haarfärbemitteln zurückzuführen. Darin seien auch nach 1978 noch aromatische Amine enthalten gewesen. Alles andere sei realitätsfremd. Bei ihrer Beurteilung habe die Beklagte neuere Studien nicht beachtet. Eine klare Abwägung der Faktoren, die für bzw. gegen eine Berufskrankheit sprechen, seien nicht vorgenommen worden. Auch setze der Wortlaut der Berufskrankheitenverordnung für die Annahme einer BK-1301 keine berufliche Mindestbelastungsdosis voraus.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2014 zu verurteilen, bei ihr das Vorliegen einer BK-1301 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und ist nach wie vor der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Anerkennung einer BK-1301 lägen nicht vor. Bestätigt sieht sie sich auch durch das vom Gericht von Amts wegen eingeholte Gutachten.

Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arbeitsmediziners und Diplom-Chemikers Dr. B vom 11.08.2015. Zu seinem Gutachten hat Dr. B am 23.09.2015 ergänzend Stellung genommen.

Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und den der zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten über die Klägerin wird ergänzend in vollem Umfang Bezug genommen. Alle Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2015 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte die Anerkennung einer BK-1301 abgelehnt.

Berufskrankheiten sind gemäß §§ 9 Abs.1 Satz 1 SGB-VII Krankheiten, die die Bundes-regierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrank-heiten bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit, die den Versicherungs-schutz nach §§ 2 , 3 oder 6 SGB VII begründet, erleiden. Für die Anerkennung einer BK-1301 ist Voraussetzung, dass Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege vorliegen, die durch aromatische Amine verursacht worden sind.

Dabei ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung der Erkrankung erforderlich. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des "Vollbeweises" also mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang grundsätzlich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (nicht allerdings die bloße Möglichkeit) ausreicht.

Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK-1301 liegen hier nach Ansicht der Kammer nicht vor.

Unstreitig leidet die Klägerin an einem Urothelpapillom der Harnblase und damit an einer Krankheit, die grundsätzlich unter die BK-1301 fällt. Es kann jedoch nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass diese aufgrund des beruflichen Umgangs mit aromatischen Aminen verursacht worden ist.

Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer bereits aus dem vom Gericht von Amts wegen eingeholten Gutachten des Arbeitsmediziners und Diplom-Chemikers Dr. B.

Darin hat der Sachverständige hauptsächlich ausgeführt, es sei zunächst zu beurteilen, ob eine Exposition in entsprechender Qualität und Quantität vorgelegen habe, die die haftungsbegründende Kausalität für den Erwerb einer BK-1301 sichere. Verwertbare Unterlagen zu der genauen stofflichen Exposition seien trotz eines langen Anamnesegesprächs mit der Klägerin nicht zu erheben gewesen. Im Frisörhandwerk sei die berufliche Exposition gegenüber aromatischen humankanzerogenen Aminen nicht quantitativ erfassbar. Daher sei man auf eine Abschätzung anhand der epidemiologischen Daten angewiesen. Diese ließen in früheren Jahren ein deutlich erhöhtes Blasenkrebsrisiko im Frisörhandwerk erkennen, dies allerdings nur in der Zeit der Exposition gegenüber Haarfärbemitteln vor 1976 und unter dem Kriterium einer mehr als 10-jährigen Expositionszeit.

Auch die haftungsbegründende Kausalität für eine BK-1301 sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Für das Entstehen von Urothelpapillomen würden verschiedene exogenen Noxen, wie z.B. Teerprodukte, Phenacetinabusus oder Benzidin verantwortlich gemacht. Auch könnten chronische Entzündungen eine Rolle spielen. Des Weiteren sei die festgestellte Hepatopathie anzuführen. Chronische systemische Entzündungen besäßen keine bekannte vorrangige Risikogewichtung für die Verursachung eines Urothelpapilloms. Dennoch stellen sie ein zusätzliches, außerberufliches Risiko dar und seien in die Gesamtbeurteilung mit einzubeziehen. Zusammenfassend gibt Dr. B an, eine BK-1301 liege bei der Klägerin nicht vor. Es sprächen bei der gewichtenden Bewertung mehr Faktoren gegen als für eine berufliche Ursache der festgestellten Erkrankung.

Bei dieser Bewertung ist der Sachverständige auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.09.2015, die er nach Kritik der Klägerin an seinem Gutachten abgegeben hat, geblieben. Dabei hat noch einmal darauf hingewiesen, dass die berufliche Exposition der Klägerin nicht als ausreichend anzusehen sei, um mit der geforderten Wahrscheinlichkeit als Ursache oder als rechtlich wesentliche Teilursache für die unstreitige Erkrankung zu dienen.

Die Kammer hat keine Bedenken, den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Dr. B zu folgen. Als erfahrener Gutachter verfügt er über die Kenntnisse und Fähigkeiten, den Gesundheitszustand eines Klägers und den Zusammenhang mit den geltend gemachten beruflichen Einwirkungen zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass Gesundheitsstörungen übersehen oder fehlerhaft bewertet worden wären, lässt das Gutachten nicht erkennen. Es ist aufgrund eingehender Untersuchung und unter Berücksichtigung der übrigen vorliegenden medizinischen Unterlagen erstattet worden.

In seinem Gutachten ist Dr. B im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis gekommen, wie der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörte Urologe Dr. C. Die Überstimmung zweier solch erfahrener Sachverständiger spricht auch für die Richtigkeit der von ihnen abgegebenen Beurteilung.

Soweit die Klägerin die Ausführungen von Dr. B vehement angegriffen hat, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend im vorliegenden Fall ist, worauf der Sachverständige auch mehrfach hingewiesen hat, dass eine entsprechende Exposition gegenüber Berufsstoffen mit humankanzerogenen aromatischen Aminen gerade nicht vorgelegen hat. Ab etwa 1980 waren keine aromatischen Amine mehr in Haarfärbemitteln zu erwarten. Die Klägerin konnte auch kein entsprechendes Produkt benennen.

Es ist zwar durchaus zutreffend, dass der Wortlaut der BK-1301 keine Mindestbelas-tungsdosis voraussetzt. Sowohl aus den Ausführungen des Präventionsdienstes als auch des Sachverständigen lässt sich aber entnehmen, dass eine Expositionszeit von ca. 10 Jahren erforderlich ist, bis das relative Risiko zu erkranken gegenüber der Normalbevölkerung ansteigt. Die Klägerin ist aber erst seit 1978 im Beruf. Eine 10-jährige Expositionszeit ist dann bei weitem nicht erreicht.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände konnte sich die Kammer nicht davon überzeugen, dass hier die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK-1301 vorliegen.

Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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