L 1 BA 78/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 BA 195/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 78/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2019 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 24.464,64 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die am 8. September 2019 erhobene Beschwerde gegen den genannten Beschluss ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen. Die aufschiebende Wirkung des gegen den Prüfbescheid vom 6. Mai 2019 erhobenen Widerspruches war nicht anzuordnen.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2019 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil damit Beiträge nachgefordert werden. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 8. Januar 2016 - L 1 KR 557/15 B ER -, zitiert nach Juris). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber - wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt - an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. In den Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rdnr. 12e ff m. w. Nachw.).

Im vorliegenden Verfahren gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit eines Beitragsbescheides abzuweichen. Die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller sind als eher gering einzuschätzen. Es ist hier nach Aktenlage von Weisungsgebundenheit und damit von Beschäftigungen im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch auszugehen. Dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss begründet dargestellt. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird hierauf verwiesen, § 142 Abs. 2 S. 3 SGG.

Entscheidend für den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Tätigkeit ist nicht eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Auch eine von den Beteiligten ausdrücklich gewollte Selbständigkeit - wie hier - muss vor den tatsächlichen Verhältnissen bestehen können. Denn die Versicherungspflicht entsteht kraft Gesetzes und kann nicht Gegenstand einzelvertraglicher Vereinbarungen sein. Entscheidend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist deswegen die tatsächliche Ausgestaltung der Verhältnisse, welcher gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Regelungen zukommen kann (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R - juris Rdnr. 17 und Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R - juris Rdnr. 17).

Nach der Rechtsprechung des BSG und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann die Tätigkeit eines Lehrers bzw. Dozenten grundsätzlich sowohl in der Form einer abhängigen als auch in der einer selbständigen Tätigkeit erbracht werden. Dies hat der Gesetzgeber selbst anerkennt. § 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ordnet für selbständig tätige Lehrer, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung an (BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 - B 12 KR 26/02 R -, juris-Rdnr. 16). Dabei gilt für Lehrkräfte an allgemeinen Schulen, dass sie regelmäßig als abhängig Beschäftigte anzusehen sind (BAG, Urteil vom 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09- juris-Rdnr. 19). Diese Unterscheidung stützt sich u. a, darauf, dass der stärkeren Einbindung von Schülern in ein Schul- oder Ausbildungssystem auch eine stärkere persönliche Abhängigkeit der Lehrkräfte vom Unterrichtsträger entspricht. So gibt es für den Unterricht an allgemeinbildenden Schulen ein dichtes Regelwerk von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen, die nicht nur die Unterrichtsziele sondern auch Inhalt, Art und Weise des Unterrichts betreffen. Der Unterricht der verschiedenen Fächer und Stufen muss nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch und didaktisch aufeinander abgestimmt werden. Außerdem unterliegen diese Lehrkräfte wegen der erheblichen Bedeutung der allgemeinen Schulbildung einer verstärkten Aufsicht und Kontrolle. Diese bedeuten mittelbar auch eine Kontrolle der Unterrichteten. Schließlich fallen bei Unterricht an allgemeinbildenden Schulen regelmäßig mehr Nebenarbeiten an als bei der Abhaltung außerschulischer Lehrgänge. Dazu gehört die Unterrichtsvorbereitung, die Korrektur schriftlicher Arbeiten, die Beteiligung an der Abnahme von Prüfungen, die Teilnahme an Konferenzen (BAG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 AZR 104/95 - juris Rdnr. 43 f für Lehrtätigkeit an einem Abendgymnasium). Entscheidend ist insgesamt, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden (Urteil des Senats vom 2. Mai 2019 - L 1 KR 157/17 -, juris-Rdnr. 58 mit Bezugnahme auf BSG, a. a. O. juris-Rdnr. 30). An diesen Grundsätzen gemessen spricht hier viel für die Annahme, dass die als Musiklehrer in der Schule des Antragstellers tätigen Musiklehrer W und H einem Weisungsrecht im Sinne einer dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess unterlegen haben, weil sie als Lehrkräfte in einer allgemeinen Schule (einer Grundschule) unterrichtet haben. Unwidersprochen hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegt, dass der Schulrektor der Einrichtung bestätigt habe, dass die Beschäftigten nach den Vorgaben des für Berlin gültigen Rahmenlehrplans den regulären Pflichtunterricht im Fach Musik erteilt haben, ihre Schüler benotet und auch an den (Zeugnis-) Konferenzen teilgenommen haben. Daneben führten sie Pausen- und Essens-Aufsichten und Arbeitsgemeinschaften durch.

Dass daneben in tatsächlicher Hinsicht auch Umstände für eine selbständige Tätigkeit sprechen, fällt demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht. Dies gilt für die nur beschränkte wochenzeitliche Bindung an die Unterrichtsstunden in der Schule des Antragstellers und die fehlende Rufbereitschaft. Dass die Lehrkräfte die Teilnahme an den Konferenzen vergütet erhielten, spricht -entgegen der Auffassung des Antragstellers - eher für eine Eingliederung in den Schulbetrieb als dagegen.

Der Antragssteller kann sich auch voraussichtlich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BSG berufen, dass ein deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegenden und Eigenvorsorge zulassendes vereinbartes Honorar ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist. Dieser Umstand ist nämlich nur einer von je nach Einzelfall vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien (vgl. BSG, Urteil vom 07. Juni 2019 - B 12 R 6/18 R - Rdnr. 34; Beschluss vom 27. November 2018 - B 12 R 41/18 B -, Rdnr. 5 mit Bezugnahme auf Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 7/15 R - BSGE 123, 50 Rdnr. 50). Zudem stellt sich ganz allgemein bei nur kurzfristig bzw. befristet benötigten qualifizierten Arbeitskräften die Zahlung eines höheren Arbeitslohns auch als Ausgleich dafür dar, sich für beschränkte Zeiträume zur Verfügung zu stellen, was die Möglichkeit beschäftigungsloser Zeiten einschließt (Beschluss des Senats vom 26. April 2018 - L 1 KR 526/16 -, juris-Rdnr. 25, Urt. vom 19. Oktober 2018 - L 1 KR 185/16 -, juris-Rdnr. 38).

Das SG hat abschließend bereits zu Recht festgestellt, dass der Sofortvollzug des streitgegenständlichen Prüfbescheids keine besondere Härte darstellt. Eine solche liegt grundsätzlich nicht vor, wenn gesetzlich begründete Beitragsansprüche auch durchgesetzt werden sollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 197a SGG, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz. In Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG, bei welchen die Erfolgschancen im Hauptsacheverfahren zu prüfen sind, ist grundsätzlich die Hälfte des Hauptsachenstreitwerts anzusetzen (ständige Rechtsprechung des Senats).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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