L 5 KR 226/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 186/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 226/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 5/02 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.05.2000 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 4) auch im Berufungsverfahren, im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die bei der Klägerin als sogenannte Abrufkraft tätige Beigeladene zu 4) der Versicherungspflicht unterliegt.

Die Klägerin setzt u.a. in ihrer Niederlassung in L ... zur Unterstützung der Stammbelegschaft sogenannte Abrufkräfte zur Sortierung von Info-Postsendungen ein. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Geschäftspost (z.B. Versandkataloge oder Werbematerialien) mit einem vom Umfang her täglich schwankenden Aufkommen. Die Klägerin schließt mit den Abrufkräften zunächst eine Rahmenvereinbarung, nach der die jeweilige Abrufkraft in den Kreis der an Arbeitseinsätzen Interessierten aufgenommen wird. Wechselseitige Ansprüche oder Verpflichtungen werden durch diese Vereinbarung nicht begründet. Die näheren Einzelheiten werden in einem Arbeitsvertrag geregelt. Dabei handelt es sich um einen formularmäßigen Vordruck, der die Einstellung als Angestellte oder Arbeiter sowie die Bezeichnung der Tarifverträge und der Vergütungs- bzw. Lohngruppe beinhaltet.

Die Beigeladene zu 4) schloss mit der Klägerin am 22.11.1996 die Rahmenvereinbarung sowie am 10.03.1997 und 20.08.1997 entsprechende Arbeitsverträge. In dem Zeitraum vom 27.11.1996 bis 25.08.1998 fanden insgesamt 97 Arbeitseinsätze der Beigeladenen zu 4) statt, die jeweils vier Stunden umfassten; lediglich am 23.12.1997 arbeitete die Beigeladene zu 4) fünf Stunden. Im Einzelnen ergibt sich jeweils folgende Anzahl von Arbeitseinsätzen je Monat: November 1996: 2; Dezember 1996: 5; Januar 1997: 6; Februar 1997: 5; März 1997: 5; April 1997: 3; Mai 1997: 3; Juni 1997: 5; Juli 1997: 2; August 1997: 6; September 1997: 6; Oktober 1997: 5; November 1997: 2; Dezember 1997: 6; Januar 1998: 5; Februar 1998: 5; März 1998: 5; April 1998: 3; Mai 1998: 5; Juni 1998: 6; Juli 1998: 4; August 1998: 2. Das Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 4) erreichte in keinem Monat die in § 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) in der Fassung von Artikel 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung anderer Vorschriften (2. Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches - 2. SGBÄndG) vom 13.06.1994, BGBl. I Seite 1229, festgesetzten Grenzen.

Die Klägerin beurteilte die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV: Sie hielt die ersten 50 Arbeitseinsätze der Beigeladenen zu 4) vom 27.11.1996 bis zum 30.09.1997 für versicherungsfrei; in dem sich anschließenden Zeitraum ab 24.10.1997 erachtete sie die Beigeladene zu 4) dagegen für versicherungspflichtig.

Auf Antrag der Beigeladenen zu 4) entschied die Beklagte durch Bescheid vom 08.10.1998, dass keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe; dies ergebe sich aus § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Dagegen legte die Klägerin am 27.10.1998 mit der Begründung Widerspruch ein: Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV seien nicht erfüllt, weil die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) nicht regelmäßig erfolge. Diese werde aus der Liste der an Arbeitseinsätzen Interessierten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsbescheid vom 13.04.1998 zurück: Die Beigeladene zu 4) werde seit dem 27.11.1996 im Rahmen eines regelmäßig sich wiederholenden Arbeitsverhältnisses unter gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Die ständige Wiederholung über einen längeren Zeitraum kennzeichne jede dieser Beschäftigungen als regelmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.

Die Klägerin hat am 12.05.1999 Klage erhoben.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass es sich bei den Abrufkräften um Personen handele, die zwar wiederkehrend, jedoch kurzfristig und unvorhersehbar zu Arbeitseinsätzen herangezogen würden. Es handele sich deshalb um keine regelmäßige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der AOK Schleswig-Holstein vom 08.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der AOK Schleswig-Holstein vom 13.04.1998 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat daran festgehalten, dass ihrer Ansicht nach die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) aufgrund der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV als versicherungsfrei zu beurteilen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29.05.2000 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihr am 03.11.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.12.2000 (Montag) Berufung eingelegt.

Zur Begründung bringt sie vor: Die Abgrenzung zwischen regelmäßiger (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) und gelegentlicher Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) müsse danach erfolgen, ob die einzelnen Arbeitseinsätze zeitlich bestimmt seien und in vorhersehbarer Weise anfielen. Zu berücksichtigen sei, dass eine bloße Wiederholung von Arbeitseinsätzen zur Bejahung des Merkmals der Regelmäßigkeit nicht ausreichen könne, weil auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ganz offensichtlich von wiederholten Arbeitseinsätzen ausgegangen werde. Hier handele es sich um jeweils kurzfristig entsprechend dem jeweiligen Arbeitsanfall anberaumte Arbeitseinsätze. Richtigerweise sei deshalb die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zu beurteilen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.05.2000 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 08.10.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1998 festzustellen, dass die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) ab 24.10.1997 Versicherungspflicht in der Kranken-,Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung begründet hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 1) bis 3) sind der Auffassung der Beklagten beigetreten; die Beigeladene zu 4) hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Es besteht keine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Das ergibt sich für die gesetzliche Krankenversicherung aus § 7 SGB V, für die Pflegeversicherung aus § 20 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI), für die gesetzliche Rentenversicherung aus § 5 Absatz 2 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), für die Arbeitslosenversicherung aus § 27 Absatz 2 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III), soweit Beschäftigungszeiten nach dem 31.12.1997 betroffen sind; für Beschäftigungszeiten vor dem 01.01.1998 aus § 169 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Nach § 7 Absatz 1 SGB V ist, wer eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 SGB IV ausübt, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei; dies gilt nicht für eine Beschäftigung im Rahmen betrieblicher Berufsbildung (Nr. 1), nach dem SozDiG (Nr. 2) oder nach dem FÖJG (Nr. 3). Dem Abs. 1 1. Halbsatz dieser Vorschrift - die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 2. Halbsatz liegen ersichtlich nicht vor - (inhaltlich) entsprechende Regelungen ergeben sich für die Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI sowie § 24 Abs. 1 SGB III bzw. § 169 AFG.

Versicherungsfreiheit gemäß § 7 SGB V setzt - wie auch die übrigen Vorschriften der SGB III, VI und XI sowie des AFG - zunächst voraus, dass grundsätzlich Versicherungspflicht aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses besteht.

Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselb ständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Diese Voraussetzung erfüllt die Tätigkeit der Beigeladenen zu 4) bei der Klägerin; dies ist unter den Beteiligten auch nicht umstritten. Folglich ist grundsätzlich Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (für die gesetzliche Krankenversicherung), § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung), § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (für den Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung) sowie § 24 Abs. 1 SGB III bzw. § 168 Abs. 1 AFG in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung (für den Bereich der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung) anzunehmen.

Weitere Voraussetzung für das Bestehen von Versicherungsfreiheit gemäß § 7 Absatz 1 1. Halbsatz SGB V sowie den weiteren o.g. Vorschriften der anderen Zweige der Sozialversicherung ist, dass es sich um eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV handelt. Eine geringfügige Beschäftigung liegt nach dieser Vorschrift vor, wenn 1. die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt, 2. die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt und ihr Entgelt die in Nr. 1 genannten Grenzen übersteigt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen der Nr.1 erfüllt, so dass eine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) gemäß Nr. 2 nach dem 50. Arbeitstag, d.h. mit dem Arbeitseinsatz am 24.10.1997, nicht anzunehmen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfolgt die Abgrenzung zwischen den beiden Regelungen der Nr. 1 und der Nr. 2 des § 8 Abs. 1 SGB IV danach, ob eine Beschäftigung regelmäßig (dann gilt Nr. 1) oder nicht regelmäßig - also nur gelegentlich - (dann gilt Nr. 2) ausgeübt wird (vgl. BSG Urteil vom 23.05.1995, Az. 12 RK 60/93, SozR 3-2400 § 8 Nr.4 mit weiteren Nachweisen). Das Merkmal der Regelmäßigkeit ist (auch) erfüllt, wenn der Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereit steht, ohne verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr. 3, BSG a.a.O. m.w.N.). Ferner ist für die Beurteilung des Merkmals der Regelmäßigkeit keine (ausschließlich) vorausschauende Betrachtungsweise vorzunehmen: der Wille der Beteiligten zu einer regelmäßigen Beschäftigung wird vielmehr häufig erst in der Retrospektive deutlich (BSG a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist eine regelmäßige Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) zu bejahen: Die Beigeladene zu 4) hat bei der Klägerin im Zeitraum von November 1996 bis August 1998 (regelmäßig) jeden Monat gearbeitet; dass die genaue Anzahl und das exakte Datum der Arbeitseinsätze im voraus nicht absehbar waren, schließt eine Regelmäßigkeit der Beschäftigung nicht aus.

Entsprechendes gilt für die fehlende arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beigeladenen zu 4), auf jede Anforderung der Klägerin hin zur Arbeit zu erscheinen, denn in der Retrospektive hat die Beigeladene zu 4) ihre Tätigkeit über einen langen Zeitraum immer wieder mehrfach (drei- bis sechsmal) monatlich ausgeübt.

Diese Form der sich wiederholenden Arbeitseinsätze genügt entgegen der Ansicht der Klägerin den im Rahmen des § 8 Absatz 1 Nr. 1 SGB IV an die Regelmäßigkeit zu stellenden Anforderungen. Erforderlich ist nicht, dass die Arbeitseinsätze in exakt den gleichen zeitlichen Abständen aufeinander folgen. Ausreichend ist vielmehr, dass die Klägerin und die Beigeladene zu 4) - die Ausgangslage zugrunde gelegt - übereinstimmend von einer gewissen Anzahl monatlicher Arbeitseinsätze über einen längeren Zeitraum ausgegangen sein müssen. Deutlich wird dies, wenn man sich die mit den Arbeitseinsät zen verbundenen tatsächlichen (betrieblichen) Verhältnisse vergegenwärtigt: Grundsätzlich waren die Arbeitseinsätze absehbar, weil das erhöhte Arbeitsaufkommen, die Info-Post, jedenfalls in einem generellen Sinne vorhersehbar bzw. bestimmbar war. Die Klägerin wusste aufgrund ihrer Erfahrungen, dass monatlich mit einem (erhöhten) Info-Postaufkommen zu rechnen war, das fortlaufend von der Stammbelegschaft nicht würde bewältigt werden können. Deshalb ergab sich der stetige Mehrbedarf an Arbeitskräften. Als Folge sah sich die Klägerin zum Abschluss der Rahmenvereinbarung mit den Abrufkräften veranlasst, von der die Arbeitseinsätze sogar auch aus einer Betrachtungsweise ex ante "umklammert" werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich sowohl die Abrufkräfte wie auch die Klägerin als Arbeitgeberin an kontinuierlich stattfinden den Arbeitseinsätzen interessiert gewesen sein dürften. Die Arbeitskräfte deshalb, weil sie mit dem ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Einkommen kalkulieren mussten; die Klägerin des halb, weil ansonsten eine aufwendige telefonische Suche nach zum Einsatz bereiten Arbeitskräften hätte erfolgen müssen. Zwar mag es für die Klägerin keine Rolle gespielt haben, wenn einzelne Arbeitnehmer zu einem bestimmten Arbeitseinsatz nicht zur Verfügung gestanden haben. Jedoch kann es kaum im Sinne der Klägerin gewesen sein, wenn sie bei einer Vielzahl von Abrufkräften bei jedem Arbeitseinsatz mit Absagen rechnen musste.

Es kann bei dieser Sachlage keine Rede davon sein, dass die Arbeitseinsätze der Beigeladenen zu 4) nur "gelegentlich" im Sinne des § 8 Absatz 1 Nr.2 SGB IV erfolgt sind.

Schließlich sind weder die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV enthaltenen Zeit- noch Entgeltgrenzen überschritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved