L 12 AL 1928/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 6152/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1928/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.04.2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg). Der Kläger begehrt die Gewährung von Alg (auch) für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016.

Der 1971 geborene Kläger meldete sich am 10.08.2016 bei der Agentur für Arbeit S. mit Wirkung zum 16.09.2016 arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor hatte er seit 15.06.2015 bei der Firma R. D. O. GmbH (R.) versicherungspflichtig als Kraftfahrer gearbeitet; das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 09.08.2016 am 15.09.2016. Am 23.08.2016 teilte der Kläger telefonisch mit, seine Mutter sei verstorben und er müsse deshalb nach Afrika reisen, um dort traditionelle Rituale durchzuführen. Die Beklagte genehmigte daraufhin eine Ortsabwesenheit für die Zeit vom 16.09.2016 bis 23.09.2016 (acht Kalendertage). Am 21.09.2016 meldete sich der Kläger erneut telefonisch bei der Beklagten und teilte mit, er sei vom 21.09.2016 bis 20.10.2016 arbeitsunfähig krank geschrieben; eine Verlängerung sei wahrscheinlich. Am 26.10.2016 sprach der Kläger dann persönlich bei der Agentur für Arbeit S. vor und überreichte die Antragsunterlagen. Am Folgetag legte er eine in Kamerun ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 21.09.2016 bis 21.10.2016 vor.

Mit Bescheid vom 26.10.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 16.09.2016 bis 23.09.2016. Die Leistungshöhe betrug kalendertäglich 41,07 EUR und die Anspruchsdauer 180 Kalendertage. Wegen Ortsabwesenheit erfolge die Bewilligung nur befristet. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg in unveränderter Höhe für die Zeit vom 26.10.2016 bis 16.04.2017 (Anspruchsdauer: 172 Kalendertage). Mit Bescheid vom 27.10.2016 lehnte die Beklagte einen vom Kläger am selben Tag gestellten Überprüfungsantrag ab. Die Überprüfung der Bescheide vom 26.10.2016 habe ergeben, dass weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, noch das Recht unrichtig angewandt worden sei. Der Kläger habe keinen Nachweis über einen stationären Krankenhausaufenthalt während des Urlaubs beigebracht.

Der Kläger erhob am 04.11.2016 Widerspruch. Die Beklagte habe ihm zu Unrecht für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2015 kein Alg bewilligt. Er habe sich rechtzeitig arbeitslos gemeldet und sei seinen Meldeverpflichtungen nachgekommen. Für die Arbeitsunfähigkeit ab 21.09.2016 liege eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes in Kamerun vor. Bei dieser Sachlage habe die Beklagte für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit Alg zu zahlen. Die Krankenkasse gewähre erst ab der siebten Woche Krankengeld.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016 keinen Anspruch auf Alg. Trete Arbeitsunfähigkeit während einer genehmigten Ortsabwesenheit ein, ende die Leistungsfortzahlung spätestens mit Ablauf der genehmigten Ortsabwesenheit, hier also am 23.09.2016. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Arbeitslose sich in stationäre Behandlung befinde und nicht ins Inland zurückkehren könne. Eine Bescheinigung über einen solchen Krankenhausaufenthalt habe der Kläger jedoch nicht vorgelegt.

Der Kläger hat am 14.11.2016 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Gemäß § 146 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) verliere derjenige, der während des Bezugs von Alg infolge Krankheit unverschuldet arbeitsunfähig oder während des Bezugs von Alg auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt wird, dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen (Leistungsfortzahlung). Die Voraussetzungen dieser Norm lägen im Fall des Klägers vor. Die vom Beklagten vertretene Rechtsansicht, bei einer genehmigten Ortsabwesenheit gelte § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III nur im Fall eines stationären Aufenthalts, finde im Gesetz keine Stütze. Ein Verschulden könne ihm nicht vorgeworfen werden. Er sei in Kamerun an einer schweren Grippe erkrankt und habe deshalb Infusionen erhalten. In diesem Zustand sei es ihm unmöglich gewesen, nach Deutschland zurückzufliegen. Er sei dann am 09. oder 10.10.2016 nach Deutschland zurückgekehrt. Er habe erst am 26.10.2016 bei der Beklagten vorgesprochen, da er an diesem Tag einen Termin gehabt habe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Trete die Arbeitsunfähigkeit bei genehmigter Ortsabwesenheit während des Zeitraums mit Anspruch auf Leistungsfortzahlung ein, sei die Bewilligung von Alg nach Ablauf der genehmigten Ortsabwesenheit wegen fehlender Erreichbarkeit (Wegfall der Verfügbarkeit) aufzuheben. Dies gelte nach ihren Geschäftsanweisungen nur dann nicht, wenn der Arbeitslose stationär behandelt werde und nicht an den Wohnort zurückkehren könne. Diese Regelung (in den Geschäftsanweisungen der Beklagten) sei im Juli 2016 eingeführt worden. Im Fall des Klägers könne der Sachverhalt deshalb nur dann anders bewertet werden, wenn dieser nachweislich entweder stationär behandelt worden oder reiseunfähig gewesen wäre. Dabei sei auch zu beachten, ob der Kläger schon Vorkehrungen für seine Rückreise getroffen habe und diese kurzfristig storniert werden konnte bzw. musste.

Mit Bescheid vom 29.11.2016 hat die Beklagte die (mit Bescheid vom 26.10.2016 verfügte) Bewilligung von Alg wegen der Aufnahme einer Beschäftigung (Prozessarbeitsverhältnis bei der Firma R. für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits) mit Wirkung zum 01.12.2016 aufgehoben. Nach Abschluss des Kündigungsschutzprozesses und Beendigung des Prozessarbeitsverhältnisses am 10.01.2017 hat sich der Kläger am 11.01.2017 erneut arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, der Kläger habe ab 11.01.2017 noch einen Restanspruch auf Alg von 136 Tagen. Dieser verringere sich aber bei einem für den Kläger erfolgreichen Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits um 30 Tage.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.04.2017 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016 Alg nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Nachdem der Kläger ab dem 21.09.2016 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, habe es zwar an der objektiven Verfügbarkeit gefehlt. Diese könne jedoch nach Maßgabe des § 146 Abs. 1 SGB III ersetzt werden. Die Voraussetzungen dieser Norm lägen im Fall des Klägers vor. Dem stehe nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeit hier während eines Aufenthalts außerhalb des Nahbereichs der Agentur für Arbeit eingetreten sei. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten setze § 146 SGB III gerade keine Reiseunfähigkeit oder stationäre Behandlung des Arbeitslosen voraus.

Gegen diesen ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 13.04.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 12.05.2017 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Leistungsfortzahlung nach § 146 SGB III könne unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Krankengeldanspruchs immer nur solange wirken, wie ein Anspruch auf Alg dem Grunde nach noch bestehe. Im Fall einer genehmigten Ortsabwesenheit sei dies mit Ablauf des genehmigten Zeitraums nicht mehr der Fall. Im Übrigen habe der Kläger erneut Alg bezogen und nun nur noch ein Restanspruch von einem Kalendertag.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.04.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, die Akten des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist aber nicht begründet, das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger kann die Bewilligung von Alg auch für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016 beanspruchen.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage sind die dem Kläger für die Zeiten vom 16.09.2016 bis 23.09.2016 und vom 26.10.2016 bis 16.04.2017 Alg bewilligenden Bescheide vom 26.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2016 (letzterer mit Wirkung ab 01.12.2016 aufgehoben durch Bescheid vom 29.11.2016). Diese Bescheide, mit denen die Beklagte über den Anspruch des Klägers auf Alg ab 16.09.2016 einheitlich entschieden hat und die deshalb hinsichtlich der hier angegriffenen Ablehnung der Bewilligung von Alg für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016 eine einheitliche Verfügung bilden, erweisen sich insoweit als rechtswidrig und den Kläger in subjektiven Rechten verletzend, als der Beklagte für die Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2016 kein Alg bewilligt hat.

Nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der hier anwendbaren ab 01.04.2012 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit, wenn sie arbeitslos sind (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Diese Voraussetzungen haben am 16.09.2016 (und im hier streitgegenständlichen Zeitraum) vorgelegen. Der Kläger hat sich am 10.08.2016 mit Wirkung zum 16.09.2016 persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs. 1 Nr. 2, § 141 SGB III). Die Wirkung dieser Arbeitslosmeldung ist nicht gemäß § 141 Abs. 2 SGB III erloschen, da eine mehr als sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit nicht vorgelegen (vgl. § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III) und der Kläger auch keine Beschäftigung, selbständige Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger aufgenommen hat, ohne dies der Agentur für Arbeit unverzüglich mitzuteilen (vgl. § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III).

Der Kläger hat auch die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 137 Abs. 1 Nr. 3, § 142 SGB III). Er stand in der Zeit vom 15.06.2015 bis 15.09.2016 durchgängig in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma R. und hat deshalb innerhalb der Rahmenfrist (vgl. § 143 Abs. 1 SGB III; hier: 16.09.2014 bis 15.09.2016) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Der Kläger war bis zur Aufnahme einer Beschäftigung ab 01.12.2016 letztlich auch arbeitslos im Sinne des § 138 Abs. 1 SGB III, denn er stand nicht in einem Beschäftigungsverhältnis (Beschäftigungslosigkeit; § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), hat sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen; § 138 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) und stand den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung (Verfügbarkeit; § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III).

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger während der genehmigten Ortsabwesenheit (16.09.2016 bis 23.09.2016) arbeitsunfähig erkrankt ist und deshalb bis einschließlich 21.10.2016 objektiv nicht verfügbar gewesen ist. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten findet hier § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III Anwendung. Diese Vorschrift lautet wie folgt: Wer während des Bezugs von Arbeitslosengeld infolge Krankheit unverschuldet arbeitsunfähig oder während des Bezugs von Arbeitslosengeld auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt wird, verliert dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen (Leistungsfortzahlung). Zweck der Norm ist es, den Beziehern von Lohnersatzleistungen nach dem SGB III bei kurzfristigen Erkrankungen (von zehn Tagen bis zu sechs Wochen) einen Wechsel des Sozialleistungsträgers zu ersparen (Brand in Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 146 Rn. 2; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 146 Rn. 1). Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten Arbeitslosen oder eine Entlastung der für die Zahlung des Krankengelds zuständigen Krankenkasse ist hingegen nicht beabsichtigt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 07.02.2002 – B 7 AL 28/01 R –, juris ).

Nach wohl einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 25.07.1985 – 7 RAr 74/84 –, SozR 4100 § 105b Nr. 4; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.06.2005 – L 8 AL 217/04 –, juris; SG Karlsruhe, Urteil vom 26.03.2018 – S 5 AL 3727/17 –, juris) und Literatur (vgl. z. B. Behrend a.a.O. Rn. 66, Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 146 Rn. 32) findet § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III auch dann Anwendung, wenn der Arbeitslose zu einem Zeitpunkt erkrankt, in dem er sich mit Zustimmung der Agentur für Arbeit außerhalb des sog. zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Leistungsfortzahlung in einem solchen Fall nicht auf die Zeit der ursprünglich genehmigten Ortsabwesenheit beschränkt. Hiervon abzuweichen, sieht auch der erkennende Senat keine Veranlassung.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 25.07.1985 (a.a.O.) zur Vorgängervorschrift § 105b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) entschieden, dass auch ein Bezieher von Arbeitslosengeld, der während eines berechtigten Aufenthalts außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes infolge Krankheit arbeitsunfähig wird und sich weiterhin während seiner Erkrankung dort über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufhält, nach § 105b AFG Alg beanspruchen kann. Dies hat das BSG wie folgt begründet:

"Nach Abs 1 dieser Vorschrift (§ 105b AFG) verliert der Arbeitslose den Anspruch auf Alg für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen nicht dadurch, daß er während des Bezuges von Alg infolge von Krankheit arbeitsunfähig wird ... Die Rechtsfolge des § 105b AFG ist zunächst daran geknüpft, daß der Arbeitslose während des Bezuges von Alg arbeitsunfähig erkrankt. Die vom Gesetz gewählte Formulierung, daß der Arbeitslose dadurch, dh durch die die Arbeitsunfähigkeit begründende Erkrankung, den Anspruch auf Alg bis zur Dauer von sechs Wochen nicht verliert, macht deutlich, daß die Fortzahlung des Alg grundsätzlich nur in Betracht kommen soll, wenn die Leistung ohne Eintritt der Arbeitsunfähigkeit weiterzuzahlen wäre. Das bedeutet, andere Gründe dürfen nicht zum Verlust des Anspruchs auf Alg führen. Da es sich hier um die Frage handelt, ob die Beklagte berechtigt war, das rechtmäßig bewilligte Alg ... zu entziehen, kann es sich nur um solche Gründe handeln, die sie berechtigen, gemäß § 48 Abs 1 SGB X den Bewilligungsbescheid aufzuheben. Dies setzt voraus, daß in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Das ist hier nicht der Fall.

Wesentlich ist eine Änderung, die dazu führt, daß der gesetzliche Tatbestand für die bisherige Leistung nicht mehr vorliegt ... Auch wenn man davon ausgeht, daß im Hinblick auf die Residenzpflicht gemäß § 103 Abs 1 Nr 3 AFG und entsprechend den Bestimmungen der Aufenthaltsanordnung nach einem Aufenthalt von mehr als sechs Wochen die Verfügbarkeit entfällt, steht dies einer Anwendung des § 105b AFG nicht entgegen. (Der Kläger) war nicht verpflichtet, der Residenzpflicht nachzukommen.

Wenn § 105b AFG bestimmt, Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit führe während des Bezugs von Alg nicht zum Verlust der Leistung bis zu der dort vorgesehenen Dauer, so bedeutet dies nicht, wie das LSG meint, die Vorschrift fingiere die Verfügbarkeit. Vielmehr geht sie davon aus, daß ein Anspruch auf Alg trotz fehlender Verfügbarkeit besteht (so auch Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 103 Erl 2a). Zwar schließt eine Arbeitsunfähigkeit nicht schon begriffsnotwendig die Verfügbarkeit aus. Verfügbarkeit besteht zB dann, wenn der arbeitsunfähige Versicherte eine seinem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Beschäftigung sucht. Eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit endet weder dadurch, daß der Versicherte in der Lage ist, einer anderen Erwerbstätigkeit nachzugehen, noch dann, wenn er zur Aufnahme einer anderen Beschäftigung bereit ist, solange die Arbeitsvermittlung zu keinem Erfolg geführt hat (BSG SozR 4100 § 158 Nr 6). Im Hinblick darauf, daß der § 105b AFG an den Bezug von Alg bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit anknüpft, ist jedoch bei der Beurteilung der Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, nicht die zuletzt ausgeübte Tätigkeit zugrunde zu legen, sondern der Tätigkeitsbereich, der für eine Vermittlung des Arbeitslosen in Betracht kommt (so auch Hennig/Kühl/Heuer aaO; Nr 3.3. des Rundschreibens der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Bundesanstalt für Arbeit vom 20. November 1980, abgedruckt bei Schmitz/Specke/Picard, AFG, 2. Aufl, Stand: 1. April 1981, Übergangsverlautbarungen S 163). Dies bedeutet aber, daß fehlende Verfügbarkeit und Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 105b AFG identisch sind. Diese Bestimmung geht davon aus, daß der arbeitsunfähige Arbeitslose insoweit nicht in der Lage ist, eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und dadurch gemäß § 103 Abs 1 Nr 1 AFG der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht. Dies wiederum hat zur Folge, daß dem Arbeitslosen nicht zugemutet werden kann, trotz der fehlenden Verfügbarkeit gemäß § 103 Abs 1 Nr 1 AFG der Residenzpflicht gemäß § 103 Abs 1 Nr 3 AFG nachzukommen.

Mit der Residenzpflicht soll eine sofortige Vermittelbarkeit erreicht werden. Diesem Zweck steht jedoch im allgemeinen die fehlende Leistungsfähigkeit des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitslosen entgegen. So hat dann auch die Beklagte in ihrem Runderlaß vom 5. Dezember 1980 (Dienstblatt 301/80 Nr 5.3 Abs 1) keine Bedenken gegen eine Leistungsfortzahlung, wenn sich ein im Inland arbeitsunfähig erkrankter Leistungsempfänger während des Bezugs von Alg gemäß § 105b AFG ins Ausland begeben will, sofern die jeweils zuständige Krankenkasse in vergleichbaren Fällen das Krankengeld weiterzahlt. Es kommt danach nicht darauf an, ob der arbeitsunfähige Leistungsempfänger die Residenzpflicht gemäß § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG erfüllt. Wenn von einem Leistungsempfänger, der sich bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am Wohnort aufhält, nicht verlangt wird, dort zu bleiben, um seiner Residenzpflicht zu genügen, obwohl er reisefähig und damit auch in der Lage ist, das Arbeitsamt aufzusuchen, muß dies erst recht für Arbeitslose gelten, die während des Bezugs von Alg im Ausland, dh außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamts, erkranken. Ein solcher Arbeitsloser ist uU nicht reisefähig, muß den Arzt wechseln und gefährdet womöglich seine Gesundung, wenn er trotz der Arbeitsunfähigkeit die Heimreise antritt. Wenn die Beklagte nach ihrem vorstehend aufgeführten Runderlaß lediglich zwischen Inlands- und Auslandsaufenthalt unterscheidet, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der Residenzpflicht nicht erheblich. Hierfür kommt es nur darauf an, ob sich der Arbeitslose im oder außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamts aufhalten muß. Ist dies, wie hier, nicht der Fall, können Beweisschwierigkeiten, wie sie das LSG aufgezeigt hat, nicht eintreten.

Soweit das LSG darauf abstellt, es müsse sichergestellt sein, daß mit dem Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Alg weiterbestehe, ist dies kein Kriterium für die Frage, ob § 105b AFG anwendbar ist. Für den Anspruch auf Alg ist bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unerheblich, ob Leistungsträger gemäß § 105b AFG die Beklagte oder gemäß § 158 AFG die Krankenkasse ist. Allerdings erspart sich der Arbeitslose, wenn die Beklagte Leistungsträger ist, den Wechsel von der Krankenkasse zum Arbeitsamt. Das ist, wie der Senat in dem erwähnten Urteil vom 24. Mai 1984 näher dargelegt hat, der eigentliche Zweck des § 105b AFG. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es im vorliegenden Falle, die Beklagte als zuständigen Leistungsträger anzusehen. Sie soll grundsätzlich bei Arbeitsunfähigkeit für sechs Wochen das Alg erbringen, das gemäß § 105b AFG nicht wegen Arbeitslosigkeit, sondern wegen Krankheit fortgezahlt werden soll."

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat auch hinsichtlich der nunmehr Anwendung findenden Regelung des § 146 SGB III an. Gründe, den Geltungsbereich des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III im Vergleich zu den Vorgängervorschriften § 105b AFG und § 126 SGB III (in der bis 31.03.2012 geltenden Fassung) enger zu fassen, sind nicht erkennbar. Die Gesetzesmaterialien enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm durch die erfolgten Neuregelungen begrenzen wollte (vgl. dazu a.a.O. Rn. 9).

Die Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben in der hier streitgegenständlichen Zeit vom 24.09.2016 bis 21.10.2016 vorgelegen. Der Kläger ist während seines Aufenthalts in Kamerun erkrankt und deshalb bis 21.10.2016 unverschuldet arbeitsunfähig gewesen. Dies steht fest aufgrund der vom Kläger im Verlauf des Verwaltungsverfahrens vorgelegten, in Kamerun ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 21.09.2016 bis 21.10.2016, an deren Richtigkeit zu zweifeln, für den Senat kein Anlass besteht. Im Ergebnis erfüllte der Kläger deshalb auch in der streitgegenständlichen Zeit vom 24.09.2016 bis 25.10.2017 alle Voraussetzungen für die Bewilligung von Alg. Dass der Kläger erst am 26.10.2016 wieder persönlich bei der Agentur für Arbeit vorgesprochen hat, steht dem nicht entgegen, da die Wirkung der zuvor am 10.08.2016 erfolgten Arbeitslosigkeit, wie oben dargelegt, nicht entfallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor; der Rechtssache kommt, nachdem die streitige Auslegung des § 146 SGB III durch das BSG (a.a.O.) höchstrichterlich geklärt ist, insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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