L 20 KR 122/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 166/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 122/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein späterer Berichtigungsbeschluss hindert den Lauf der Rechtsmittelfrist bzgl. der ursprünglichen Entscheidung nicht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die ursprüngliche Entscheidung insgesamt nicht klar genug gewesen wäre, um Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln des Rechtsmittelführers zu sein.
2. Eine weitere Ausnahme unabhängig von der Frage der Klarheit der zu berichtigenden Entscheidung auch für den Fall, dass das Gericht die Beteiligten innerhalb der laufenden Rechtmittelfrist auffordert, die übersandten Ausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung zurückzusenden (so BSG, Beschluss vom 28.01.2004, B 6 KA 95/03 B), verbietet sich.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.12.2018 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die weitere Zahlung von Krankengeld sowie die Höhe der für eine Haushaltshilfe zu erstattenden Kosten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg vom 20.12.2018, zu der die Klägerin nach Aufhebung der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens nicht erschienen war, ist die gegen den Bescheid vom 21.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2017 betreffend Krankengeld und den Bescheid vom 01.02.2017 in Form des Bescheides vom 09.02.2017, diese wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2018 betreffend Haushaltshilfe gerichtete Klage abgewiesen worden.

Das schriftlich abgefasste Urteil, in dessen Rubrum als Datum "am 20.01.2019" aufgeführt ist, ist der Klägerin samt dem Protokoll, in dem das zutreffende Datum "20.12.2018" genannt ist, am 29.01.2019 zugestellt worden.

Mit Schreiben des SG vom 12.02.2019 sind die Beteiligten um Rücksendung der beglaubigten Abschrift des Urteils vom - in Anführungszeichen gesetzt - "20.01.2019" gebeten worden. Mit Berichtigungsbeschluss gemäß § 138 Satz 1, 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ebenfalls vom 12.02.2019 hat das SG beschlossen: "Das Rubrum des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg wird insoweit berichtigt, als die mündliche Verhandlung am 20.12.2018 stattgefunden hat." Nach nochmaliger Erinnerung mit gerichtlichem Schreiben vom 21.02.2019 hat die Klägerin die ihr zugestellte Abschrift des Urteils an das SG übermittelt.

Mit Zugang am 27.02.2019 ist der Klägerin die beglaubigte Abschrift des Urteils samt Berichtigungsbeschluss zugestellt worden.

Mit Eingang am 11.03.2019 hat die Klägerin gegen das Urteil des SG Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, die sie mit Schreiben vom 12.07.2019 begründet hat.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 05.09.2019 ist der Klägerin erläutert worden, dass die Berufung wegen Verfristung unzulässig sei und der Senat daher beabsichtige, über die Berufung durch Beschluss zu entscheiden.

Die Klägerin hat bislang keinen konkreten Antrag gestellt; es ist daher davon auszugehen, dass sie beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 20.12.2018 aufzuheben und
1. den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.09.2016 bis 03.10.2016 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
2. den Bescheid vom 01.02.2017 in Form des Bescheides vom 09.02.2017, diese wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2018 abzuändern und der Klägerin für in Anspruch genommene Haushaltshilfe weitere 430,- EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen (Schriftsatz vom 30.04.2019), bzw. als unzulässig zu verwerfen (Schriftsatz vom 27.09.2019).

Vorgelegen haben neben den Akten des Bayer. LSG, auch zu den Aktenzeichen L 20 KR 332/17 B ER und L 20 KR 333/17 B ER, die Akten des SG zu den Aktenzeichen S 7 KR 166/17, S 7 KR 249/17 ER und S 7 KR 250/17 ER sowie die Beklagtenakte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch Beschluss gemäß § 158 Satz 2 SGG entscheiden; einer mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht. Die Beteiligten sind mit Schreiben des Gerichts vom 05.09.2019 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört worden.

Die Berufung ist unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist.

Gegen das Urteil des SG vom 20.12.2018 ist das Rechtsmittel der Berufung statthaft. Entgegen der Ansicht der Berufungsbeklagten im Schriftsatz vom 27.09.2019 ist der für die Statthaftigkeit der Berufung erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 750,- EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht. Klage und Berufung betreffen die Zahlung von Krankengeld in Höhe von insgesamt 397,98 EUR (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 27.09.2019) einerseits und die Erstattung von Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von 430,- EUR andererseits. Dass die Klägerin die Berufung auf einen der beiden Streitgegenstände beschränkt hätte, kann ihrer Berufungsbegründung vom 12.07.2019 nicht entnommen werden. Der Regelung des § 5 Zivilprozessordnung i.V.m. § 202 SGG entsprechend sind mehrere zusammen geltend gemachte Ansprüche grundsätzlich zusammenzurechnen, sodass vorliegend der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR übersteigt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung nur dann, wenn Verfahren vom Gericht willkürlich verbunden worden sind (vgl. z.B. Bayer. LSG, Urteil vom 16.03.2017, L 11 AS 839/16). Vorliegend liegt aber keine Verbindung zweier Klageverfahren zu Grunde, sondern eine einzige Klageerhebung mit zwei selbstständigen Streitgegenständen. Damit verbleibt es beim Grundsatz der Zusammenrechnung der Ansprüche. Dafür, dass die Klägerin missbräuchlich allein mit dem Ziel, zwei isoliert betrachtet nicht berufungsfähige Ansprüche mit der Erhebung einer einzigen Klage berufungsfähig zu machen, gehandelt hätte, kann der Senat keine Anhaltspunkte erkennen, ebenso nicht dafür, dass das SG bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung eine Trennung zwingend vorzunehmen gehabt hätte. Darauf, dass eine Trennung aus Sicht des Senats durchaus angezeigt gewesen wäre, weil die beiden geltend gemachten Ansprüche inhaltlich keinerlei Bezugspunkte aufweisen und zudem bei einem Streitgegenstand (Haushaltshilfe) bei Klageerhebung noch kein Widerspruchsbescheid vorgelegen hatte und daher vom SG die Nachholung des Widerspruchsverfahrens zu veranlassen gewesen wäre, kommt es nicht weiter an.

Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, wobei die Berufungsfrist auch gewahrt ist, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 SGG).

Das in der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2018 gefällte und mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des SG ist der Klägerin nachweislich der Postzustellungsurkunde am 29.01.2019 zugestellt worden. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung hat damit am 28.02.2019 (vgl. § 151 Abs. 1 und 2, § 64 Abs. 1 und 2, Sätze 1 und 2 SGG) geendet, was zur Folge hat, dass die erst am 11.03.2019 beim SG eingegangene Berufung nicht mehr innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden und daher als unzulässig zu verwerfen ist (§ 158 SGG).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Rubrum des angegriffenen Urteils des SG mit Beschluss vom 12.02.2019, der Klägerin zugestellt am 27.02.2019, hinsichtlich des dort angegebenen Datums der mündlichen Verhandlung berichtigt worden ist.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat die Berichtigung eines Urteils grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Der Berichtigungsbeschluss wirkt auf die Zeit der Verkündung des Urteils zurück und die durch die Berichtigung erzeugte neue Fassung wird als die ursprüngliche behandelt. Gegen das berichtigte Urteil findet deshalb nur das Rechtsmittel statt, das gegen das ursprüngliche Urteil zulässig war, wobei die Rechtsmittelfrist zur Einlegung mit der Zustellung der ursprünglichen (unberichtigten) Urteilsfassung zu laufen beginnt.

Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die ursprüngliche Entscheidung insgesamt nicht klar genug gewesen ist, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln des Rechtsmittelführers zu sein, wobei von einer Klarheit im genannten Sinn dann auszugehen ist, wenn "bei durchschnittlicher Sorgfalt ohne weiteres [zu] erkennen" (Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 09.12.1983, V ZR 21/83) ist, was mit der (später noch berichtigten) Entscheidung gewollt war (zu der Thematik der Rechtsmittelfrist bei berichtigten Entscheidungen vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 15.02.1990, 1 BvR 1211/89, und vom 08.09.2005, 2 BvR 824/05; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 27.07.2004, IX R 44/01; BGH, Urteile vom 26.10.1976, VI ZR 249/75, vom 10.03.1981, VI ZR 236/79, vom 09.12.1983, V ZR 21/83, und vom 09.11.1994, XII ZR 184/93, sowie Beschlüsse vom 17.01.1991, VII ZB 13/90, und vom 05.11.1998, VII ZB 24/98; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschlüsse vom 22.03.1991, 7 B 30/91, und vom 06.05.2010, 6 B 48/09; Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 28.01.2004, B 6 KA 95/03 B). Sofern von Leitherer (vgl. ders., in: Meyer-Ladewig/Keller/ders./Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 151, Rdnr. 7) formuliert wird "Erbittet Gericht Abschrift bzw. Ausfertigung zur Berichtigung zurück, kann Beteiligter Eingang der berichtigten Ausfertigung abwarten (BSG 28.1.04, B 6 KA 95/03 B, SozR 4-1500 § 151 Nr. 1; BVerwG DVBl. 92, 775)", und damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die Rechtsmittelfrist grundsätzlich erst mit Zugang der berichtigten Entscheidung zu laufen beginne, steht diese Kommentierung in der dort getroffenen Pauschalität im Widerspruch zur aufgezeigten höchstrichterlichen Rechtsprechung und wird so auch nicht von den zwei von Leitherer angeführten Entscheidungen getragen (näher dazu s. unten).

Der Umstand, dass vorliegend innerhalb der laufenden Berufungsfrist am 12.02.2019 ein Berichtigungsbeschluss ergangen ist und die Urteilsabdrucke zur Berichtigung zurückgefordert worden sind, führt nicht zu einer Verlängerung der Berufungsfrist.

Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Grundsatz, dass eine Berichtigung nicht zu einer Verlängerung der Rechtsmittelfrist führt, wie sie in der vorgenannten Rechtsprechung aufgezeigt ist, also wenn die angegriffene Entscheidung "insgesamt nicht klar genug gewesen wäre, um Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln" (BVerfG, Beschluss vom 08.09.2005, 2 BvR 824/05) des Rechtsmittelführers zu sein, sind vorliegend nicht erfüllt. Das Urteil des SG konnte auch aus Sicht der Klägerin nicht dahingehend missverstanden werden, dass für sie nicht klar genug gewesen wäre, was der Inhalt der Entscheidung des SG und wer von dieser Entscheidung betroffen war, welche weiteren Schritte und innerhalb welcher Frist diese von ihr zu treffen wären. Sowohl aus dem am 29.01.2019 zugestellten Urteil als auch aus dem der Klägerin übersandten Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 20.12.2018 war zweifelsfrei zu ersehen, dass ihre Klage abgewiesen worden war. Dieser - für die Klägerin negative - Verfahrensausgang wurde auch nicht durch das zunächst falsche Datum im Rubrum des Urteils infrage gestellt. Auch in dieser - später berichtigten - Urteilsfassung war die Klageabweisung zutreffend und für jedermann verständlich formuliert. Auch aus dem Schreiben des SG vom 12.02.2019, in dem das Datum des ergangenen Urteils in Anführungszeichen gesetzt worden war, konnte die Klägerin klar erkennen, dass ausschließlich das im Rubrum fälschlicherweise genannte Datum - und nichts Anderes - zu berichtigen war. Dass mit Ausnahme des im Rubrum fälschlicherweise genannten Datums des Urteils nichts zu berichtigen war, konnte die Klägerin schließlich auch daraus ersehen, dass anderenfalls auch das Protokoll zur Berichtigung gemäß § 202 SGG i.V.m. § 164 ZPO zurückgefordert worden wäre. Es musste ihr also bereits mit Zustellung der Ausfertigung des (unberichtigten) Urteils klar sein, dass sie binnen Monatsfrist Berufung einlegen müsse, wenn sie eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung im Wege der Berufung wünsche; durch die vom SG ausgesprochene Rückforderung des Urteils zur Berichtigung ist insofern keine Unklarheit entstanden.

Sofern das BSG im Beschluss vom 28.01.2004, B 6 KA 95/03 B, über die aufgezeigte Ausnahme hinaus und unter Verweis auf den Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991, 7 B 30.91, dahingehend eine weitere Ausnahme gemacht hat, dass - unabhängig von der Frage der Klarheit der berichtigten Entscheidung - für den Fristbeginn auch dann auf die Bekanntgabe des Berichtigungsbeschlusses und nicht die zuvor erfolgte Zustellung des noch zu berichtigenden Urteils abzustellen sei, wenn das Gericht die Beteiligten während des ersten Monats nach Zustellung der später berichtigten Entscheidung, also während der laufenden Rechtmittelfrist, dazu aufgefordert habe, die übersandten Ausfertigungen/Abdrucke zum Zwecke der Berichtigung zurückzusenden, handelt es sich hierbei offensichtlich um eine reine Einzelfallentscheidung, ohne dass das BSG damit eine grundsätzliche Rechtsansicht zum Ausdruck hätte bringen wollen. Dies schließt der Senat aus folgenden Überlegungen:

* Das BSG hat vor seiner Entscheidung vom 28.01.2004 nicht den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen, obwohl dies seine Pflicht gewesen wäre, wenn er eine weitere Ausnahme, nämlich den Fall der Rückforderung der Entscheidung zur Berichtigung innerhalb einer offenen Rechtsmittelfrist unabhängig davon, ob die zu berichtigende Entscheidung eine Unklarheit erzeugt hat, entgegen der anderslautenden Rechtsprechung anderer oberster Gerichte hätte begründen wollen. Dass das BSG dies nicht getan hat, belegt, dass es keine abweichende Rechtsprechung begründen wollte, sondern lediglich eine reine Einzelfallentscheidung ohne Bezugsfallwirkung getroffen hat.

Der Gemeinsame Senat gemäß Art. 95 Abs. 3 Grundgesetz (GG) dient der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Ein Senat des BSG hat den Gemeinsamen Senat anzurufen, wenn er von der Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts oder des Gemeinsamen Senats abweichen will (§ 2 Abs. 1 Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes), wobei sich die Vorlagepflicht auf entscheidungserhebliche Rechtsfragen bezieht.

Das BSG ist mit seinem Beschluss vom 28.01.2004, B 6 KA 95/03 B, in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Zeit vor diesem Beschluss abgewichen. Bis dahin war es höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Berichtigung für den Lauf von Rechtsmittelfristen grundsätzlich unbeachtlich ist und eine (einzige) Ausnahme von diesem Grundsatz nur für den Fall zulässig ist, dass die Entscheidung in der Fassung vor der Berichtigung nicht klar genug gewesen ist, um dem Betroffenen eine ausreichende Entscheidungsgrundlage dafür zu liefern, ob Anlass für ihn besteht, sich gegen die Entscheidung mittels Rechtsmittel zur Wehr zu setzen. Dieser Grundsatz mit einer einzigen Ausnahme, wie sich aus dem Wort "nur" ergibt, kommt beispielsweise in folgenden Entscheidungen zum Ausdruck (Anmerkung: Unterstreichungen durch den Senat):

o BVerwG, Beschluss vom 07.04.1966, IV B 165.65:
"Ein Berichtigungsbeschluß nach VwGO § 118 eröffnet eine neue Notfrist nur dann, wenn das Urteil vor der Berichtigung keine hinreichend klare Grundlage für die Entschließungen des Rechtsmittelführers gebildet hat."

o BGH, Urteil vom 20.05.1970, VIII ZR 256/68:
"An der schon vom Reichsgericht vertretenen Meinung, eine Urteilsberichtigung könne den Lauf der Rechtsmittelfrist grundsätzlich nicht beeinflussen, eine Ausnahme müsse nur dann gelten, wenn eine Partei nach der ursprünglichen Fassung des Urteils keinen Anlass zu einem Rechtsmittel hatte, ist festzuhalten (vgl. RGZ 110, 427; BGHZ 17, 149, 151)."

o BFH, Beschluss vom 09.08.1974, V B 29/74:
"Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 319 ZPO (Urteil vom 20. Mai 1970 VIII ZR 256/68, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970 S. 757 - MDR 1970, 757 -, und Beschluss vom 1. März 1972 VI ZB 5/72, Versicherungsrecht 1972 S. 586 - VersR 1972, 586 -) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 118 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (Beschluss vom 7. April 1966 IV B 165/65, Recht der Landwirtschaft 1966 S. 251 - RdL 1966, 251 -), der sich der erkennende Senat hinsichtlich des gleichlautenden § 107 FGO anschließt, eröffnet ein Berichtigungsbeschluß eine neue Rechtsmittelfrist gegen die berichtigte Entscheidung nur dann, wenn die letztere nicht hinreichend klar genug gewesen ist, um die Grundlage für das weitere Verhalten der Partei und des Rechtsmittelgerichts zu bilden."

o BFH, Beschluss vom 23.08.1989, IV R 44/88:
"Etwas anderes gilt nur dann, wenn die berichtigte Entscheidung nicht klar genug gewesen ist, um Grundlage des weiteren Verhaltens der Partei und des Rechtsmittelgerichts zu bilden".

Es war also bis zur Entscheidung des BSG vom 28.01.2004 (ständige) höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Ausnahme vom Grundsatz, dass eine Berichtigung der Entscheidung am Beginn der Rechtsmittelfrist nichts ändere, nur, d.h. ausschließlich, für die Fälle zugelassen wurde, dass die ursprüngliche Entscheidung nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln des Rechtsmittelführers darzustellen. Wann die Berichtigung erfolgt, ob innerhalb oder nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, ist demnach von keiner rechtlichen Bedeutung.

* Sofern sich das BSG in seinem Beschluss vom 28.01.2004 auf den Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991, 7 B 30.91, stützt, ändert dies an der aufgezeigten Auffassung des Senats nichts. Denn der Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991 stellt aus den gleichen Gründen wie der Beschluss des BSG vom 28.01.2004 (vgl. oben) eine reine Einzelfallentscheidung dar, aus der keine weitergehenden Rückschlüsse auf die Entwicklung einer Rechtsprechung des BVerwG zu ziehen sind. Dies wird aus der Rechtsprechung des BVerwG selbst deutlich. So hat das BVerwG weder vor noch nach dem Beschluss vom 22.03.1991 weitergehende Ausnahmen zugelassen (Anmerkung: Unterstreichungen im Folgenden durch den Senat):

o In dem zeitlich davor ergangenen Beschluss vom 07.04.1966, IV B 165.65, hat das BVerwG ausgeführt:
"Ein Berichtigungsbeschluß nach VwGO § 118 eröffnet eine neue Notfrist nur dann, wenn das Urteil vor der Berichtigung keine hinreichend klare Grundlage für die Entschließungen des Rechtsmittelführers gebildet hat."

o In dem später erfolgten Beschluss vom 06.05.2010, 6 B 48/09, dem ein gleich gelagerter Sachverhalt wie der Entscheidung vom 22.03.1991 zu Grunde lag, weil die Berichtigung innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist erfolgt war, hat das BVerwG ausgeführt "Die Berichtigung eröffnet eine neue Rechtsmittelfrist gegen die berichtigte Entscheidung nur dann, wenn erst die berichtigte Fassung des Urteils die Partei in die Lage versetzt, sachgerecht über die Frage der Einlegung des Rechtsmittels und dessen Begründung zu entscheiden", ohne vor seiner Entscheidung den Gemeinsamen Senat nach Art. 95 Abs. 3 GG oder zumindest den Großen Senat beim BVerwG anzurufen, der zur Klärung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen des 4. und des 7. Senats des BVerwG gemäß § 11 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung zu befassen gewesen wäre; auch hat es kein Wort zu der Entscheidung des BVerwG vom 22.03.1991 verloren.

Ganz abgesehen davon, dass es sich bei dem vom BSG zitierten Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991 aus den oben aufgezeigten Gründen um eine reine Einzelfallentscheidung ohne Bezugsfallwirkung handelt, stellt sich auch die Frage, ob sich aus dem Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991 überhaupt ein zwingender Rückschluss auf eine Konstellation wie hier, in der in einem sozialgerichtlichen Verfahren vor Ablauf der Rechtsmittelfrist das (anzugreifende) Urteil zur Berichtigung zurückgefordert wird, gezogen werden könnte. Dagegen sprechen folgende zwei Gesichtspunkte:

o Der Senat hat schon Zweifel an der grundsätzlichen Übertragbarkeit der Entscheidung des BVerwG vom 22.03.1991 auf sozialgerichtliche Verfahren. Denn die zu Grunde liegenden Sachverhalte sind wegen der Unterschiede, wie sie sich aus den jeweiligen gerichtlichen Verfahrensordnungen ergeben, in entscheidenden Punkten nicht vergleichbar. Das BVerwG hat seine Argumentation darauf gestützt, dass die Rechtsmittelfrist gleichzeitig auch eine "Überlegungsfrist" (BVerwG, Beschluss vom 22.03.1991, 7 B 30.91) sei, die vom potentiellen Rechtsmittelführer voll ausgeschöpft werden dürfe. Hinter dieser Argumentation steht die Überlegung, dass mit der Erhebung eines Rechtsmittels automatisch auch weitere (Gerichts-)Kosten verbunden sind und ein Betroffener vor der Eingehung eines unnötigen Kostenrisikos geschützt werden muss, zumal der Kostengesichtspunkt regelmäßig auch in die Überlegungen eines unterlegenen Beteiligten einfließen wird, ob er eine für ihn nachteilige gerichtliche Entscheidung akzeptiert oder ein Rechtsmittel einlegt. Da aber in einem gemäß § 183 SGG kostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren durch die Einlegung einer Berufung weder Gerichtskosten noch, da auch kein Anwaltszwang besteht, zwingend außergerichtliche Kosten im Sinne von Rechtsberatungskosten entstehen, ist die Situation im sozialgerichtlichen Verfahren nicht mit der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vergleichbar. So kann ein Beteiligter im sozialgerichtlichen Verfahren gegen eine erstinstanzliche sozialgerichtliche Entscheidung Berufung einlegen, ohne dass damit irgendein Kostenrisiko verbunden wäre. Ob er die Berufung dann später fortführt oder wieder zurücknimmt, kann er sich ohne irgendwelchen Zeit- und Kostendruck überlegen, da mit der Rücknahme für ihn keinerlei Kosten verbunden sind. Anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gibt es also im gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren keinen Grund, auch bei einer u.U. unklaren Entscheidung - davon ist im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht auszugehen (vgl. oben) - aus Kostengründen die Einlegung eines Rechtsmittels so lange zurückzustellen, bis durch die Berichtigung der Entscheidung völlige Klarheit über deren Inhalt und Auswirkungen besteht.

o Im Übrigen ist der dem Beschluss des BVerwG vom 22.03.1991 zu Grunde liegende Sachverhalt auch schon deshalb nicht mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt vergleichbar, da vorliegend - anders als bei dem Sachverhalt des BVerwG, bei dem völlig unklar war, was berichtigt werden sollte - für die Klägerin aufgrund des übersandten Protokolls und des im Anforderungsschreiben des SG vom 12.02.2019 in Anführungszeichen gesetzten Datums des Urteils offensichtlich erkennbar war, dass eine Berichtigung lediglich hinsichtlich des im Rubrum des Urteils aufgeführten Datums erfolgen sollte. Denn anderenfalls wäre auch das Protokoll zur Berichtigung gemäß § 202 SGG i.V.m. § 164 ZPO zurückgefordert worden. Der Tenor des Urteils und die Tatsache, dass von dem Urteil die Klägerin betroffen war, war für die Klägerin sowohl aus dem Protokoll als auch aus dem noch unberichtigten Urteil offensichtlich eindeutig und unter keinem Gesichtspunkt unklar.

Im Übrigen stünde eine Rechtsprechung, mit der die Ausnahmen zur Unbeachtlichkeit eines Berichtigungsbeschlusses hinsichtlich des Fristbeginns für Rechtsmittel erweitert würden, auch im Widerspruch zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. So hat das BVerfG im Beschluss vom 08.09.2005, 2 BvR 824/05, die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit einer Berichtigung für den Beginn der Rechtsmittelfrist nur, also ausschließlich, im Fall einer mangelnden Klarheit der zu berichtigenden Entscheidung sieht, wie folgt bestätigt (Anmerkung: Unterstreichungen durch den Senat): "Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beschwerdeentscheidung insgesamt nicht klar genug gewesen wäre, um Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln des Beschwerdeführers zu sein, denn der Irrtum eines Gerichts darf sich nicht dahin auswirken, dass die Möglichkeit des Beschwerdeführers, einen Rechtsbehelf einzulegen, beeinträchtigt oder gar vereitelt wird ( ...)."

Es verbleibt daher vorliegend bei dem Grundsatz, dass der Berichtigungsbeschluss vom 12.02.2019 und dessen Zustellung an die Klägerin für den Beginn der Rechtsmittelfrist keine Bedeutung haben, was zur Konsequenz hat, dass die Klägerin die Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist erhoben hat.

Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG zu gewähren.

§ 67 SGG sieht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, sofern der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht worden sind, sowie innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden ist. Darüber hinaus darf seit dem Ende der versäumten Frist i.d.R. nicht bereits ein Jahr vergangen sein (vgl. § 67 Abs. 3 SGG).

Vorliegend liegt zwar eine nicht eingehaltene Verfahrensfrist (mit der versäumten Berufungsfrist) vor, es fehlt aber schon an einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zudem wäre das Fristversäumnis auch nicht unverschuldet. Der Klägerin hätte bereits mit Übersendung der unberichtigten Urteilsausfertigung aufgrund der angefügten Rechtmittelbelehrung klar sein müssen, dass sie eine Berufung innerhalb eines Monats ab Zugang des Urteils einlegen müsse. Aus der Rückforderung der Urteilsausfertigung durch das SG zum Zwecke der Berichtigung konnte die Klägerin kein schutzwürdiges Vertrauen darauf ableiten, dass die Berufungsfrist verlängert werde oder nochmals mit der Zustellung der berichtigten Entscheidung zu laufen beginne. Insofern stellt das Abwarten der Klägerin über das Ende der mit Zustellung des (später berichtigten) Urteils in Lauf gesetzten Berufungsfrist hinaus ein ihr vorwerfbares Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist dar. Eine Wiedereinsetzung ist damit ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere lässt sich aus den oben näher dargelegten Gründen aus dem Beschluss des BSG vom 28.01.2004 keine Zulassungsbedürftigkeit ableiten. Aus dem Umstand, dass das BSG die damals in gleicher Weise wie in diesem Beschluss im Raum stehende Frage nicht dem Gemeinsamen Senat gemäß Art. 95 Abs. 3 GG vorgelegt hat, kann nur der Rückschluss gezogen werden, dass das BSG mit seiner Entscheidung vom 28.01.2004 eine reine Einzelfallentscheidung ohne Bezugsfallwirkung getroffen hat (vgl. oben).
Rechtskraft
Aus
Saved