L 12 AL 4537/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 2703/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 4537/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Art und Inhalt des Auftrags ist maßgeblich dafür, ob eine Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten iSv. § 13 Abs. 2 BRAGO vorliegen. Weitere Kriterien sind die Gleichzeitigkeit des Auftrags, die Gleichartigkeit des Verfahrens sowie der innere Zusammenhang. Unerheblich ist, ob es sich um verschiedene Streitgegenstände im prozessrechtlichen Sinn oder um verschiedene Gegenstände im Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO handelt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.Auf die Anschlussberufung wird das Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Kostenerstattung für Widerspruchsverfahren strei-tig.

Mit Urteil vom 26.10.2000 - L 12 AL 1582/99 - verurteilte der Senat die Beklagte dem Grun-de nach zur Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg). Auf Grund dieses Urteils war Alg für die Zeit vom 18.12.1996 bis 21.4.1998 zu bewilligen. Die Beklagte führte das Urteil der durch vier Bescheide vom 1.2.2001 wie folgt aus: Alg ab 18.12.1996 in Höhe von wöchentlich 239,40 DM (Bewilligungsbescheid), Alg ab 1.1.1997 in Höhe von wöchentlich 252,00 DM (Änderungsbescheid), Alg ab 1.10.1997 in Höhe von wöchentlich 254,40 DM (Änderungsbe-scheid) und Alg ab 1.1.1998 in Höhe von wöchentlich 255,64 DM (Änderungsbescheid). Je-der Bescheid enthielt eine eigene Rechtsmittelbelehrung dahingehend, der Widerspruch sei zulässig. Die Bescheide übersandte sie mit einem Anschreiben, in dem es hieß: Sie erhalten die Bewilligungs- und Leistungsbescheide ab 18.12.1996. Zur besseren Übersicht habe ich die Nachzahlungszeiträume und - Beträge aufgegliedert: ...

Am 8.2.2001 legte Bevollmächtigte der Klägerin gegen den Bewilligungsbescheid sowie die drei Änderungsbescheide Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit weiterem Schrei-ben vom 5.4.2001 bat sie, die Bescheide näher zu erläutern. Bei dieser Überprüfung stellte die Beklagte fest, dass anstatt der richtigen Leistungsgruppe C Alg nach Leistungsgruppe A be-willigt worden war (Schreiben vom 25.5.2001). Mit vier Änderungsbescheiden vom 26.5.2001 bewilligte die Beklagte Alg ab 18.12.1996 in Höhe von wöchentlich 278,40 DM, Alg ab 1.1.1997 in Höhe von wöchentlich 303,60 DM, Alg ab 1.10.1997 in Höhe von wö-chentlich 306,60 DM und Alg ab 1.1.1998 in Höhe von wöchentlich 307,79 DM. Alle Ände-rungsbescheide waren mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, es sei der Widerspruch zuläs-sig. In einem Begleitschreiben erläuterte die Beklagte die Berechnung des Bemessungsent-gelts sowie die Dynamisierung und wies darauf hin, dass die beigefügten Änderungsbescheide Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden seien. Gleichzeitig teilte sie mit, sie werde die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag erstatten.

Am 04.07.2001 legte die Klägerin gegen die Änderungsbescheide Widerspruch ein, da diese mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen seien. Eine weitere Begründung erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 13.8.2001 nahm die Klägerin die Widersprüche gegen die angefochtenen Bescheide zurück. Sie machte für jeden Widerspruch eine gesonderte Gebühr in Höhe von

591,60 DM, insgesamt 2.366.40 DM geltend. Die Einzelgebühr setzt sich jeweils wie folgt zusammen: Gebühr gem. § 116 BRAGO analog DM 470,- Auslagen DM 40,- 16 % MWSt DM 81,60 DM 591,60

Die Beklagte erstattete mit Schriftsatz vom 13.8.2001 Kosten für ein Widerspruchsverfahren in Höhe von 591,60 DM (302,48 EUR): In Ausführung des LSG-Urteils vom 26.10.2000 sei am 1.2.2001 ein Bescheid erlassen worden, dem zur besseren Übersicht Bewilligungs- und Ände-rungsbescheide für verschiedene Zeiträume beigefügt worden seien. Demzufolge handle es sich um nur ein Widerspruchsverfahren.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch: Es seien vier Bescheide mit einer jeweils eigenen Rechtsbehelfsbelehrung ergangen. Mit Schreiben vom 7.2.2001 sei Widerspruch gegen alle Bescheide vom 1.2.2001 eingelegt worden. Demzufolge lägen vier voneinander unabhängige und getrennte Widerspruchsverfahren vor. Den Widersprüchen sei mit Bescheiden vom 25.5.2001 abgeholfen worden, wobei jeder dieser Bescheide eine eigene Rechtsbehelfsbeleh-rung enthalten habe.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2001 zurück: Die Bewilligung des Alg sei als eine einheitliche Entscheidung anzusehen, damit seinen auch nur Gebühren für ein Verfahren zu erstatten.

Hiergegen hat die Klägerin am 25.10.2001 Klage beim Sozialgericht (SG) Ulm erhoben, zu deren Begründung sie an ihrer Rechtsauffassung festgehalten hat.

Mit Urteil vom 11.10.2002 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 21.8.2001 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 4.10.2001 verurteilt, weitere Kosten in Höhe von 124,55 EUR (243,60 DM) nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erstatten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe Alg durch vier selbstständige Bescheide bewilligt. Damit seien grundsätzlich Gebühren für vier Widerspruchsverfahren angefallen. Für das erste Widerspruchsverfahren sei die Mittel-gebühr einzusetzen. Für die weiteren Widerspruchsverfahren sei die Mittelgebühr unange-messen hoch. Hier sei ausschließlich die Mindestgebühr angemessen.

Gegen das ihr am 24.10.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.11.2002 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie auf den erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen hat.

Die Beklagte hat am 23.1.2003 Anschlussberufung eingelegt: Die Klägerin habe einen Wider-spruch gegen vier Bescheide eingelegt. Allein durch Benennung der drei Folgebescheide sei sie nicht in vier Angelegenheiten im Sinne von § 13 BRAGO tätig geworden. Es habe sich nur um eine Angelegenheit gehandelt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Oktober 2002 und den Be-scheid vom 13. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr au-ßergerichtliche Kosten in einer Resthöhe von 1650,25 EUR nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

sowie das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Oktober 2002 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Akten der Ver-fahren S 7 AL 682/97, L 12 AL 1582/99 und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere liegt der Gegenstandswert über der nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG maßgeblichen Grenze von 500 EUR. Die (unselbstständige) Anschlussberufung der Beklagten ist gleichfalls zulässig. Eine Frist zur Einlegung der Anschlussberufung hat die Beklagte nicht einhalten müssen, § 524 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar (BSGE 28,32 zum früheren inhaltsgleichen § 522a ZPO).

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, die Anschlussberufung hat in vollem Umfang Erfolg. Der Bescheid vom 13.8.2001 (als solcher ist der Schriftsatz vom genannten Tag anzu-sehen) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.10.2001 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Erstattung der Mittelgebühr für eine Angelegenheit.

Grundlage für die Erstattung von Kosten in Widerspruchsverfahren ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Ausla-gen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X). Vorliegend hat die Beklagte dem Grunde nach die Erstattungspflicht und die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmäch-tigten anerkannt.

Für die Erstattung der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts gelten auch in Wider-spruchsverfahren die Regelungen der BRAGO. Im Verfahren vor Gerichten der Sozialge-richtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz - wie im vorliegenden Verfahren - nicht an-zuwenden ist, erhält der Rechtsanwalt nach § 116 Abs. 1 BRAGO (in der hier anzuwenden-den bis 31.12.2001 geltenden Fassung) eine Rahmengebühr von 100 bis 1300 DM. Obwohl diese Vorschrift nur von Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit spricht, findet sie auch für Widerspruchsverfahren nach dem SGG Anwendung, der Gebührenrahmen ist jedoch insoweit zu modifizieren, als eine 2/3-Gebühr gilt (ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. SozR 1300 § 63 Nr. 2). Der Gebührenrahmen bestimmt sich aus dem Wert von 2/3 des Min-destwertes und des Höchstwertes. Damit gilt für das Widerspruchsverfahren ein Gebühren-rahmen von 70 bis 870 DM und eine Mittelgebühr von 470 DM. Dies ist zwischen den Betei-ligten nicht streitig, beide Beteiligte gehen von der Anwendung des § 116 BRAGO und des reduzierten Gebührenrahmens aus.

Die streitige Frage, ob die Klägerin die Gebühr für die Widerspruchsverfahren nur einmal oder mehrfach erhält, erschließt sich aus § 13 BRAGO. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Maßgeblich ist also, ob es sich vorliegend um eine oder um mehrere Angelegenheiten im Sinne von § 13 Abs. 2 BRAGO gehandelt hat.

Der Begriffe der Angelegenheit ist in der BRAGO nicht näher definiert. Es handelt sich um einen gebührenrechtlichen Begriff, der dazu dient, den anwaltlichen Tätigkeitsbereich, den eine Pauschalgebühr abgelten soll, abzugrenzen. Grundsätzlich soll die Pauschalgebühr die gesamte Tätigkeit des Anwalts von der Erteilung des jeweiligen Auftrags bis zu Beendigung dieses Auftrags abgelten (§ 13 Abs. 1 BRAGO). Deswegen ist Art und Inhalt des Auftrags maßgeblich dafür, ob eine Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten vorliegen. Weitere Kriterien sind die Gleichzeitigkeit des Auftrags, die Gleichartigkeit des Verfahrens sowie der innere Zusammenhang. Unerheblich ist daher, ob es sich um verschiedene Streitgegenstände im prozessrechtlichen Sinn oder um verschiedene Gegenstände im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO handelt. Wie schon aus § 7 Abs. 2 BRAGO folgt, können mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit betreffen. Es kommt damit entgegen der Auffassung des SG auch nicht darauf an, ob mehrere rechtlich selbstständige Bescheide ergangen sind. Genauso wenig kann es allein darauf ankommen ob es sich, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid ge-meint hat, um eine rechtlich einheitliche Entscheidung gehandelt hat, die gegebenenfalls durch mehrere Bescheide erfolgen kann. Dieselbe Angelegenheit im Sinne § 13 Abs. 2 BRA-GO ist vielmehr dann anzunehmen, wenn ein einheitlicher Auftrag vorliegt, der gleiche Rah-men bei der Verfolgung mehrerer Ansprüche eingehalten werden muss und zwischen einzel-nen Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang besteht. So werden beispielsweise mehrere verbundene Verfahren, die subjektive oder objektive Klagehäufung als eine Angele-genheit im Sinne des Gebührenrechts angesehen.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat hier eine Angelegenheit vorgelegen, sodass die Klägerin die Gebühr nur einmal verlangen kann. Es hat nur ein einheitlicher Auftrag vorgele-gen, nämlich die zutreffende Ausführung des Senatsurteils zu prüfen. Die Bewilligung ist einheitlich für den gesamten Zeitraum ergangen, ein objektiver Zusammenhang zwischen den einzelnen Bescheiden hat vorgelegen. Dass die Bewilligung für den zusammenhängenden Zeitraum durch mehrere Bescheide erfolgt ist, hat allein Gründe der Übersichtlichkeit gehabt. Die Klägerin hat auch mit einem einzelnen Schriftsatz gegen alle vier Bescheide Widerspruch erhoben, sodass die Angelegenheit der Sache nach nicht anders gelegen hat, als wenn sie mit einer Klage mehrere Widerspruchsbescheide angegriffen hätte, mit der Folge, dass eine objek-tive Klagehäufung nach § 56 SGG gegeben gewesen wäre.

Damit hat die Klägerin Anspruch auf Erstattung auf einer Gebühr innerhalb des oben aufgezeigten Gebührenrahmens. Innerhalb dieses Rahmens ist die Mittelgebühr angemessen. Nach § 12 Abs. 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Die Bevollmächtigte der Klägerin hat vorliegend die Mittelgebühr angesetzt, wobei sie allerdings von vier Angelegenheiten ausgegangen ist. Der Ansatz der Mittelgebühr ist nach den in § 12 Abs. 1 BRAGO genannten Kriterien jedoch auch zutreffend, wenn man richtigerweise von einer Angelegenheit ausgeht. Die wirtschaftliche Bedeutung ist für die Klägerin allenfalls durchschnittlich gewesen. Nachdem der Umstand dass ihr überhaupt Alg zustand bereits auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Senats zustand, ging es nur noch um die Kontrolle der Ausführung. Besonders schwierig ist die Angelegenheit unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände nicht gewesen. Dass die Beklagte vier Bescheide erlassen hat, führt nicht zu einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit. Selbst wenn alle vier Bescheide geprüft werden mussten, ist zu berücksichtigen, dass die Widerspruchseinlegung sowie die drei weiteren Schreiben jeweils pauschal alle vier Bescheide erfasst haben. Es ist kein gesondertes Eingehen auf einen einzelnen Bescheid ersichtlich. Weiterhin hat sie keine Widerspruchs-begründung vorgelegt, sondern nur die Beklagte gebeten, die Bescheide zu erläutern. Die Schwierigkeit ist nicht höher gewesen, als wenn die Beklagte die Entscheidung in einem Be-scheid getroffen hätte. Dafür, dass die Vermögens- und Einkommensverhältnisse eine Gebüh-renerhöhung rechtfertigen, ist nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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