S 15 KR 3/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 3/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 288/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 26/19 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht.

Der Kläger war seit seiner Geburt privat krankenversichert. Vom 1. März 2009 bis zum 31. März 2009 war er arbeitslos. Für diesen Zeitraum erhielt er von der Beklagten eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht für die Dauer der Arbeitslosigkeit. Ab dem 1. April 2009 war er bei der Firma C. Baugrundberatung GmbH (im Folgenden: Firma C.) als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt und weiterhin privat versichert. Seit dem 2. Januar 2012 ist der Kläger als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer bei der Firma D. Geotechnik GmbH (im Folgenden: Firma D.) beschäftigt und war ebenfalls weiterhin privat krankenversichert. Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung wurden während der Beschäftigungen im Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2016 nicht abgeführt.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung Hessen bei der Firma C. wurde mit Bescheid vom 11. Dezember 2013 die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt. Betroffen ist der Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Dezember 2011. Das vom Kläger bezogene Arbeitsentgelt habe vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an die Beitragsbemessungsgrenze unterschritten (01.04.2009 - 31.12.2009: 24.200 EUR; 2010: 33.850 EUR; 2011: 42.400 EUR). Der hiergegen durch die Firma C. zunächst eingelegte Widerspruch wurde zurückgenommen. Im Rahmen einer durch die Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz durchgeführten Betriebsprüfung bei der Firma D. wurde für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Juli 2016 die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt (Bescheid vom 28. September 2016). Auch hier wurde zur Begründung die Unterschreitung der Beitragsbemessungsgrenze angeführt (2012: 37.050 EUR; 2013: 37.050 EUR; 2014: 46,092 EUR; 2015: 42.250 EUR; 01.01.2016 - 31.07.2016: 22.750 EUR).

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28. August 2016 bei der Beklagten die Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht.

Mit Bescheid vom 9. September 2016 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Im Rahmen der Betriebsprüfungen sei festgestellt worden, dass der Kläger in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung versicherungspflichtig sei, da sein Einkommen unterhalb der maßgeblichen Jahresarbeitsentgeltgrenze liege. Ein Befreiungstatbestand sei nicht erfüllt.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2016 zurück. Das Arbeitsentgelt des Klägers habe in der betreffenden Zeit dauerhaft unter der maßgeblichen Jahresarbeitsentgeltgrenze gelegen, weshalb Versicherungspflicht bestanden habe. Ein Befreiungstatbestand sei nicht gegeben. Der jeweilige Arbeitgeber sei zur Prüfung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet gewesen. Dieser hätte die Beiträge ordnungsgemäß abführen und eine korrekte Meldung erstellen müssen.

Hiergegen hat der Kläger am 5. Januar 2017 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Bescheid verletze seine persönlichen Rechte zu einer freien Lebensgestaltung. Darüber hinaus verstoße die nur für Teile der Bevölkerung bestehende Pflicht zu Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung gegen Art. 3 GG. Die durch die Maßnahmen ausgelösten Folgen (Steuernachveranlagung, Zurechnung von Leistungen, die er nicht empfangen habe) würden ihn finanziell so stark belasten, dass ein Abgleiten in die Sozialhilfe sowie eine Privatinsolvenz zu befürchten seien. Die nachträglich vom Arbeitgeber in der gesetzlichen Höhe geleisteten Beiträge müsse er nun versteuern. Durch die Entscheidung werde in eine laufende kieferchirurgische Behandlung eingegriffen, für welche die Beklagte - anders als seine private Krankenversicherung - die Kosten voraussichtlich nicht übernehmen werde. Warum die Beklagte nicht zeitnah nach der Anmeldung durch seinen ersten Arbeitgeber nach der Arbeitslosigkeit wegen der Mitgliedschaft an ihn herangetreten sei, sei für ihn nicht nachvollziehbar und von der Beklagten verschuldet. Insbesondere die Einzugsstelle habe die fehlenden Versicherungsbeiträge frühzeitig erkennen können. Er sei als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer gemeldet worden. Da keine Reaktion der Beklagten erfolgt sei, sei er davon ausgegangen, die Weiterführung der privaten Krankenversicherung werde stillschweigend akzeptiert. Zudem habe er keine Leistungen der Beklagten in Anspruch nehmen können, weshalb eine Beitragsforderung rechtswidrig sei. Er sei im Rahmen der Betriebsprüfung bei der Firma C. nicht nach § 12 SGB X am Verfahren beteiligt worden. Zudem sei ihm durch seine Arbeitgeber nie die freie Wahl der Krankenversicherung nach § 175 SGB V gegeben worden. Die zunächst auch gegen den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 4. August 2016 erhobene Klage hat der Kläger auf den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2017 beschränkt.

Der Kläger beantragt,
1. a. die rückwirkende zwangsweise Einweisung in die gesetzliche Krankenversicherung der Beklagten für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2016 abzuweisen,
1. b. hilfsweise der Beklagten den Verzicht auf die Einziehung von Beiträgen für den genannten Zeitraum aufzuerlegen,
2. die Beklagte zur Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherung für die Dauer seines Arbeitsverhältnisses bei seinem derzeitigen Arbeitgeber zu verpflichten,
3. die Beklagte zur Erstattung der aufgrund einer Betriebsprüfung bei seinem Arbeitgeber im Juli 2016 für die rückliegende Zeit bis 31. Juli 2016 voreilig eingezogenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu verurteilen,
4. die Beklagte zum Ausgleich der durch die von der Beklagten eingeleiteten Maßnahmen entstandenen Kosten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Versicherungspflicht bestehe unabhängig vom Willen der Beteiligten.

Am 10. Oktober 2017 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. In diesem haben sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, welche Gegenstand der Entscheidung sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist aufgrund der beigezogenen und vorgelegten Unterlagen sowie des Vorbringens der Beteiligten umfänglich geklärt. Die Beteiligten sind vorab zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden und haben nichts vorgetragen, was einer Entscheidung nach § 105 SGG entgegenstehen würde. Das Gericht übt das ihm zustehende Ermessen daher für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid aus.

Die Klage ist bereits teilweise unzulässige (vgl. hierzu 2.) und im Übrigen unbegründet.

Der Bescheid vom 14. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht.

1. Das Gericht legt den Antrag zu 2) des Klägers dahingehend aus, dass dieser die Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2017 sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht begehrt.

Dieser Antrag hat keinen Erfolg.

Der Kläger war in beiden Beschäftigungsverhältnissen als Arbeitnehmer grundsätzlich versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Als Befreiungstatbestand kommt vorliegend allein § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Betracht. Hiernach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 Satz 2 oder Abs. 7 versicherungspflichtig wird. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das Arbeitseinkommen des Klägers nie über der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 6 SGB V lag. Die Überprüfung durch das Gericht ergibt nichts anderes. Daher hat vorliegend nicht eine Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zur Versicherungspflicht geführt, weshalb der Befreiungstatbestand nicht erfüllt ist.

Vielmehr war der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum als Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig und auch nicht von der Versicherungspflicht befreit. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind versicherungsfrei Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt. Dies war gerade nicht der Fall. Überdies wäre die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V von der jeweils zuständigen Deutschen Rentenversicherung im Rahmen einer etwaigen Überprüfung ihrer Bescheide zu berücksichtigen. Sie würde jedoch nicht zu einem Anspruch auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 8 SGB V führen.

Soweit der Kläger erhebliche finanzielle Belastungen einwendet, ändert dies nichts. Denn der Gesetzeswortlaut des § 8 SGB V ist eindeutig und abschließend (vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand 09/17, § 8, Rn. 18). Aus etwaigen finanziellen Belastungen im Falle der Nichtbefreiung von der Versicherungspflicht ergibt sich kein Befreiungstatbestand. Gleiches gilt für das Argument laufender kieferchirurgischer Leistungen.

Auch der Umstand, dass die Beklagte (ggf. als Einzugsstelle) nicht unmittelbar nach Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma C. die Versicherungspflicht überprüft hat, erfüllt keinen der genannten Befreiungstatbestände. Werden Versicherungsbeiträge durch die zuständigen Stellen verspätet geltend gemacht, so ist dieser Gesichtspunkt allenfalls im Hinblick auf eine etwaige Verjährung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV: Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind) oder Verwirkung zu überprüfen. Dafür, dass die gegenüber den (ehemaligen) Arbeitgebern des Klägers geltend gemachten Versicherungsbeiträge verjährt oder verwirkt gewesen wären, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Überdies ist dies ein Einwand, der lediglich gegenüber der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen einer Überprüfung der Betriebsprüfungsbescheide geltend gemacht werden könnte. Eine Verjährung oder Verwirkung führt aber gerade nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht. Die vom Kläger angenommene "stillschweigende Akzeptanz" erfüllt keinen der genannten Befreiungstatbestände des § 8 SGB V. Dies gilt ebenso für das Argument, der Kläger habe seine Krankenkasse nicht gemäß § 175 SGB V frei wählen können. Ebenso kann der Kläger eine etwaige fehlende Beteiligung im Rahmen der Betriebsprüfung bei der Firma C. lediglich der zuständigen Rentenversicherung entgegenhalten. Auch dieser Umstand erfüllt keinen Befreiungstatbestand. Gleiches gilt für die fehlende Möglichkeit der Leistungsinanspruchnahme gegenüber der Beklagten für die Vergangenheit.

Die fehlende Befreiungsmöglichkeit von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht verletzt den Kläger nicht in Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) oder in Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot).

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsgemäß ist. Es hat dem Gemeinwohlbelang "Sicherung und Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung im Interesse sozialschutzbedürftiger Versicherter als überragenden Gemeinwohlbelang eingestuft. Diese Versicherten seien vor den hohen finanziellen Risiken einer Erkrankung zu schützen, weshalb ein sozialer Ausgleich innerhalb des Systems notwendig sei. Um dies zu gewährleisten könne der Gesetzgeber den Mitgliederkreis von Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei. In diesem Zusammenhang wird die Finanzierung des Systems gerade durch leistungsfähige Arbeitnehmer zur Absicherung als notwendig angesehen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 20. März 2001 - 1 BvR 491/96 -, Rn. 41 ff., juris, m.w.N.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 2004 - 1 BvR 1103/03 -, Rn. 17, juris, m.w.N.). Dem Gesetzgeber kommt hier ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Nicht jedem im Einzelfall auftretendem Bedürfnis nach der Befreiung von der Versicherungspflicht kann daher Rechnung getragen werden (vgl. BSG, Urteil vom 28. April 1982 - 12 RK 55/80 -, Rn. 19, juris, m.w.N.). Dieser überragend wichtige Gemeinwohlbelang rechtfertigt einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 - B 12 KR 6/10 R -, Rn. 23, juris, m.w.N.; Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 42/92 -, Rn. 16 f., juris).

Ebenso scheidet eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung dadurch, dass der Kläger - anders als über der Jahresentgeltgrenze verdienende - nicht von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreit werden kann, aus. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nur verletzt, wenn durch eine Norm eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Dabei ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Hierzu hat das Bundessozialgericht bereits weiter ausgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 42/92 -, Rn. 18 ff., insb. Rn. 20, juris, m.w.N.):

"Die gesetzliche Regelung mit ihren Auswirkungen beruht auch darauf, daß der Gesetzgeber die Versicherungspflicht der Beschäftigten vom erzielten Arbeitsentgelt abhängig macht. Es tritt Versicherungspflicht ein, wenn die Höhe des Arbeitsentgelts zwischen der Geringfügigkeitsgrenze (§ 7 SGB V iVm § 8 SGB IV) und der Versicherungspflichtgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) liegt. Die Einbeziehung von Beschäftigten bei einer bestimmten Höhe des Arbeitsentgelts enden zu lassen, ist sachgerecht. Wegen der großen Zahl der Beschäftigten (im Jahre 1988 allein über 18,7 Millionen versicherungspflichtige Arbeiter und Angestellte in den alten Bundesländern, vgl. BABl 10/1989 S 139/140) durfte der Gesetzgeber in einer typisierenden Betrachtungsweise das zwischen Geringfügigkeits- und Versicherungspflichtgrenze liegende Arbeitsentgelt auch dann allein zur Bestimmung der Versicherungspflicht heranziehen, wenn Versicherte im Einzelfall neben dem Arbeitsentgelt eine Rente oder Versorgungsbezüge erhalten. Hierfür spricht nicht nur, daß der versicherungspflichtig Beschäftigte typischerweise solche Bezüge nicht erhält, sondern auch eine Reihe anderer Gründe wie Beitragsklarheit, Zuverlässigkeit der Finanzierung, Ausschluß von Manipulation, problemlose Zugriffsmöglichkeiten, klare Zuordnung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen, eindeutige individuelle Zurechenbarkeit bei der Bestimmung von Entgeltersatzleistungen, Übereinstimmung mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung (vgl Zwischenbericht und Endbericht der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung", BT-Drucks 11/3267 Abschn B 2. Teil Nr. 2.2.1.1, Seite 340/341; BT-Drucks 11/6380 Abschn B 2. Teil Nr. 2.2.1.1, S 152/153). Die allein arbeitsentgeltbezogene Versicherungspflicht führt auch zu einer im wesentlichen gleichmäßigen und kalkulierbaren Belastung der Arbeitgeber. Des weiteren muß die Feststellung der Versicherungspflicht bei Millionen von Beschäftigungsverhältnissen insbesondere im Falle einer Erkrankung schnell und unkompliziert vonstattengehen. Das ist bei der allein an das Arbeitsentgelt geknüpften Versicherungspflicht in der Regel gewährleistet. Diese zusätzlich von anderen Einkünften abhängig zu machen, würde praktische Schwierigkeiten zur Folge haben, die eine umgehende Klärung der Versicherungspflicht mit ihren Folgen für die Leistungsgewährung häufig nicht erlauben und von solchem Gewicht sind, dass sie die Durchführbarkeit einer gesetzlichen Pflichtversicherung überhaupt in Frage stellen. Demgegenüber fallen die Schwierigkeiten, die bei der Ermittlung der genauen Beitragshöhe unter Einbeziehung anderer Einnahmen entstehen können (vgl. auch bei Versorgungsbezügen, BSG SozR 2200 § 393a Nr 2; SozR 3-2200 § 393a Nr 2), weniger ins Gewicht, weil die Leistungsgewährung von der Beitragshöhe nicht abhängt und unvollständige oder fehlerhafte Beitragserhebungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften nachgeholt oder geändert werden können."

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an. Diese Ausführungen gelten nicht nur für den vom Bundessozialgericht zu entscheidenden Fall des Hinzutretens einer Rente oder Versorgungsbezüge zum Arbeitsentgelt, sondern allgemein für die Differenzierung zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit, abhängig von der Einkommenshöhe. Das Gesetz grenzt den Kreis Versicherungspflichtiger nach dem Sicherungsbedürfnis der in Betracht kommenden Personen ab. Es liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu entscheiden, welches Merkmal in der Regel für die Einbeziehung von Personenkreisen in die Versicherungspflicht und damit für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein soll. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, bei Einführung einer gesetzlichen Pflichtversicherung den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für eine leistungsfähige Solidargemeinschaft erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber für die notwendigen Regelungen zur Finanzierung von Leistungen einen weiten Gestaltungsspielraum eingeräumt (vgl. z.B. zur Versicherungsfreiheit Selbstständiger im Rahmen der Rentenversicherung BSG, Urteil vom 11. Oktober 2001 B 12 KR 19/00 R -, Rn. 28, juris, m.w.N.). Dass dieser im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung überschritten wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr braucht der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie hier nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2001 - B 12 KR 12/00 R -, Rn. 32, juris).

Eine Benachteiligung kann auch nicht darin gesehen werden, dass ein von dem Betroffenen als vorteilhaft eingeschätzter Krankenversicherungsschutz in der privaten Krankenversicherung durch den Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung ersetzt wird. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kein anzuerkennender Nachteil, da bei einem Systemvergleich von der Gleichwertigkeit der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1997 - 12 RK 16/96 -, Rn. 19, juris; Beschluss vom 05. Oktober 2006 - B 12 KR 82/05 B -, Rn. 10, juris).

2. Auch der Antrag zu 1a) bleibt erfolglos. Dieser richtet sich gegen die rückwirkende "zwangsweise Einweisung" in die gesetzliche Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2016. Eine solche Einweisung hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid aber nicht vorgenommen. Vielmehr wurden entsprechende Entscheidungen durch die Deutschen Rentenversicherungen Hessen und Rheinland-Pfalz getroffen. Der Kläger hat die Klage auf den Bescheid der Beklagten beschränkt und damit die ursprünglich auch gegen den Bescheid der Deutschen-Rentenversicherung Rheinland-Pfalz vom 3. August 2016 erhobene Klage zurückgenommen, weshalb die Bescheide der Rentenversicherungen (gegen die ohnehin zunächst das Vorverfahren durchgeführt werden müsste) nicht streitgegenständlich sind. Da die Beklagte diese "zwangsweise Einweisung" nicht vorgenommen hat, kann sie auch nicht zu einer Aufhebung oder Rückgängigmachung verpflichtet werden. Für den hilfsweise gestellten Antrag 1b) (Verzicht auf die Einziehung von Beiträgen durch die Beklagte) ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Gleiches gilt für die Anträge zu 3) (Erstattung der beim Arbeitgeber eingezogenen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung) und zu 4) (Übernahme von Kosten). Auch dafür ist keine Rechtsgrundlage gegeben. All diese Anträge waren überdies nicht Gegenstand des angegriffenen Bescheides, weshalb es überdies an der Durchführung eines Vorverfahrens mangelt und die Klage daher insoweit unzulässig ist.

Die Klage ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Klägers.
Rechtskraft
Aus
Saved