S 10 (8) AL 208/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 (8) AL 208/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 88/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 20.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2002 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der von dem Kläger tatsächlich aufgewendeten Beträge für gesetzlich vorgeschriebene oder nach Grund und Höhe angemessenen Versicherungen zu leisten. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, inwieweit Aufwendungen für Versicherungen bei der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen sind. Der am 00.00.1951 geborene Kläger beantragte am 18.11.2002 Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 23.12.2002. ln diesem Antrag gab der Kläger an, seit Juli 1998 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 622,05 EUR zu beziehen. Des Weiteren habe er insgesamt 1,49 EUR an Zinsen erhalten. Als Aufwendungen für Versicherungen gab der Kläger an:
Hausratsversicherung 77,24 EUR jährlich
Unfallversicherung 120,34 EUR jährlich
Freiwillige Rentenversicherung 1.363,50 EUR jährlich
Private Haftpflichtversicherung 82,39 EUR jährlich
Kfz-Versicherung 255,68 EUR jährlich
Rechtsschutzversicherung 82,73 EUR jährlich
Krankenversicherung 8,41 EUR monatlich
DKV-Versicherung 8,04 EUR monatlich

Mit Bescheid vom 20.11.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von 38,78 EUR wöchentlich ab dem 23.12.2002 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 385,00 EUR, dem allgemeinen Leistungssatz, der Leistungsgruppe A und unter Berücksichtigung eines wöchentlichen Anrechnungsbetrages von 96,32 EUR. Am 25.11.2002 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein. Er verwies darauf, dass die Entscheidung nicht richtig sein könne, da er nun fast die Hälfte weniger an Arbeitslosenhilfe erhalte als zuvor. Es sei so sowohl das Bemessungsentgelt gemindert worden als auch der Anrechnungsbetrag erhöht worden, obwohl sich seine Einkommensverhältnisse nicht geändert haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Neben Ausführungen zur Höhe des Bemessungsentgelts verwies die Beklagte darauf, dass sich der Leistungssatz des Klägers nach § 195 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IIl) um das im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigende eigene Einkommen des Klägers mindere. Als eigenes Einkommen sei hier die Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 622,95 EUR netto abzüglich des Freibetrages nach § 2 Nr. 3 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) in Höhe von 184,43 EUR monatlich zu berücksichtigen. Weiterhin sei gemäß § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III i. V. m. § 3 Abs. 2 AlhiV ein Betrag in Höhe von 3% der Bruttorente als Beitrag zu öffentlichen und privaten Versicherungen zu berücksichtigen. Daraus ergebe sich ein Freibetrag von 20,34 EUR monatlich. Die Zinseinnahmen in Höhe von 1,49 EUR seien als Zinserträge mit 0,12 EUR monatlich anzurechnen. Insgesamt ergebe sich daraus ein Anrechnungsbetrag von 417,40 EUR im Monat und damit 96,32 EUR in der Woche. Dagegen hat der Kläger am 13.12.2002 Klage erhoben, mit der er geltend machte, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Versicherungen zu berücksichtigen seien. Aufgrund der Pauschalierung sei es nicht möglich, die in Abzug zu bringenden Beiträge für Versicherungen zu berücksichtigen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 20.11,2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2002 aufzuheben und dem Kläger ab dem 23.12.2002 Arbeitslosenhilfe von täglich 10,61 EUR zu zahlen. Der Vertreter der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen. Ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid verweist die Beklagte auf die Ausführungen, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin, Az.: L 10 AL 79/02, vorgetragen hat. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten (Stammnr.: 331A214396) Bezug genommen. Diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 20.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2002 beschwert im Sinn des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für den Bewilligungszeitraum ab dem 23.12.2002 Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der von dem Kläger tatsächlich aufgewendeten Beiträge für gesetzlich vorgeschriebene oder nach Grund und Höhe angemessene Versicherungen zu leisten. Nach § 190 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wer

1. wer arbeitslos ist 2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat 3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht hat, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat , 4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeit mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist 5. bedürftig ist. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen. Ebenfalls unstreitig war im Klageverfahren, dass dem Kläger nach § 195 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. der SGB III – Leistungsentgelt - Verordnung 2002 bei einem Bemessungsentgelt von 385,00 EUR und der Leistungsgruppe A grundsätzlich eine Arbeitslosenhilfe von 135,10 EUR wöchentlich zusteht.

Nach § 195 Satz 2 SGB III vermindert sich die Arbeitslosenhilfe um das im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen. Nach § 193 Abs. 1 ist ein Arbeitsloser bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Zu berücksichtigendes Einkommen ist nach § 194 Abs. 1 Satz 1 SGB III das Einkommen des Arbeitslosen, soweit es nicht als Nebeneinkommen anzurechnen ist. Als Einkommen sind dabei alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können, zu berücksichtigen (§ 194 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Grundsätzlich zählen dazu zum einen die Zinseinnahmen in Höhe von 1,49 EUR sowie die Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 622,05 EUR netto monatlich. § 194 Abs. 3 SGB III bestimmt, welche Leistungen nicht als Einkommen gelten. Darüber hinaus wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung nach § 206 Nr. 2 SGB III ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtverordnung zu bestimmen, welche weiteren Einnahmen nicht als Einkommen gelten. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit der Arbeitslosenhilfe - Verordnung (AhliV 2002) vom 13. Dezember 2001 (BGBl I Seite 3734) Gebrauch gemacht. In § 2 Satz 1 Nr. 3 AhüV 2002 ist bestimmt, dass nicht als Einnahmen gelten die Rente wegen Berufsunfähigkeit bis zur Höhe des Unterschiedes zwischen der Arbeitslosenhilfe nach § 195 Satz 1 SGB III und der Arbeitslosenhilfe, die dem Arbeitslosen hiernach zustehen würde, wenn sein Arbeitsentgelt nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeit, verminderter Berufsfähigkeit in Bergbau oder Verrichtungen einer wirtschaftlichen nicht gleichwertigen Arbeit gemindert wäre. Zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers in Höhe von 437,62 EUR monatlich anzurechnen ist, Unstreitig ist des Weiteren, dass die Zinsen von 1,49 EUR mit 0,12 EUR monatlich als Einkommen im Sinn des § 194 Abs. 2 Satz 1 SGB III zu berücksichtigen sind. Von diesen Einnahmen kann der Kläger jedoch nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III seine Aufwendungen für Versicherungen absetzen, so dass sich das anzurechnende Einkommen verringert. Nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III sind von den Einnahmen die Pflichtbeiträge zu Sozialversicherungen und zur Arbeitsförderung sowie Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Der Kläger kann danach unter Berücksichtigung seiner Beiträge zur Hausratsversicherung, für die Unfallversicherung, die freiwillige Rentenversicherung, die private Haftpflichtversicherung, die Kfz - Versicherung, die Rechtsschutzversicherung, die Krankenversicherung, die DKV - Versicherung in Höhe von 41,87 EUR wöchentlich von seinen Einnahmen absetzen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 206 Nr. 4 SGB III i. V. m. § 3 Abs. 2 AhliV 2002. § 206 Nr. 4 SGB III ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, ob und welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen sind. Auf dieser Grundlage ist § 3 Abs. 2 AhliV 2002 erlassen worden. Dieser lautet: "Als Pauschbetrag für die nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, ist ein Betrag in Höhe von 3% des Einkommens abzusetzen, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen sozialversicherungspflichtig sind, in den übrigen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen." § 3 Abs. 2 AhliV 2002 war durch das Gericht nicht anzuwenden, denn diese Vorschrift verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG. Rechtsnormen, die mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbaren sind, sind von den Gerichten nicht anzuwenden. Insoweit besteht eine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz des Gerichts. Lediglich für formelle Gesetze ist durch Art. 100 Abs. 1 GG etwas anderes bestimmt. Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG verbietet es, gleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln. Gemeinsame Bezugspunkte sind hier die Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen. Insoweit handelt es sich für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und nicht sozialversicherungspflichtig Tätige um einen vergleichbaren Sachverhalt. Denn die meisten Versicherungen differenzieren hinsichtlich ihrer Beitragshöhe nicht nach dem sozialversicherungsrechtlichen Status des Versicherten. Diesen Sachverhalt behandelt § 3 Abs. 2 AhIIV 2002 ungleich, denn nicht in der gesetzlichen Sozialversicherung Versicherungspflichtige haben weiterhin die Möglichkeit, ihre tatsächlichen Aufwendungen geltend zu machen, während Sozialversicherungspflichtige nur 3% ihres Einkommens geltend machen können. Für diese Ungleichbehandlung liegt kein rechtfertigender Grund vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernis reichen. Die Abstufung der Anforderung folgt aus dem Wortlaut und Sinn von Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen (BVerfG, Urteil vom 02.03.1999 - 1 BvL 2/99, NJW 1999, 1535 ff.). Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine nicht gerechtfertigte verschiedene Behandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung vor allem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung des Merkmals zu beeinflussen, nach dem unterschieden wird. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind überdies um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirkt (vgl, Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 88, Seite 87, 96). Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsrechtlichen Prüfung (vgl. BVerfG, Urteil vom 12.03.1999 - 1 BvL 2/99, NJW 1999, 1535 ff.; vgl. VerfGH Berlin, BVBI 2001, 1586). Durch § 3 Abs. 2 AhliV 2002 werden Personengruppen ungleich behandelt, indem an den Status der Sozialversicherungspflicht angeknüpft wird. Diesen Status kann der Einzelne in der Regel durch sein Verhalten nicht beeinflussen. Für die durch § 3 Abs. 2 AhliV 2002 vorgenommene Differenzierung sind keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht erkennbar, die eine ungleiche Rechtsfolge anknüpfend an den Status der Sozialversicherungspflicht rechtfertigen. Insbesondere lässt sich diese Differenzierung nicht damit rechtfertigen, dass nicht Sozialversicherungspflichtige einen höheren Beitrag zu Versicherungen leisten müssten. Denn grundsätzlich wird für die Höhe des Versicherungsbeitrags nicht nach dem sozialversicherungsrechtlichen Status des Versicherungsnehmers differenziert. Vielmehr knüpfen die meisten Versicherungen an Risiken des Versicherungsnehmers an, die unabhängig von ihrem sozialversicherungsrechtlichen Status sind (z. B. Hausratsversicherung, Rechtsschutzversicherung, Kfz - Versicherung, Haftpflichtversicherung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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