L 11 V 1344/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 V 1631/96
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 V 1344/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Stellt sich nach Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge heraus, dass entweder keine Schädigung vorgelegen oder die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung nicht bestanden hat, ist Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Anerkennung nicht § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG, sondern § 45 SGB X.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts K. vom 29. November 2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Beschädigtenversorgung.

Der im Jahre 1940 geborene Kläger stellte am 28.04.1992 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen "Verletzung der Wirbelsäule und damit verbundender Behinderung". Er gab an, während eines im Mai 1945 erfolgten Luftangriffs auf einen Militärzug, der in der Nähe des Bahnhofs H. abgestellt gewesen sei, sei auch das Haus, in dem er nach der Evakuierung aus O. gewohnt habe, getroffen worden. Die Verletzung der Wirbelsäule habe er sich durch Splitter und einen nachfolgenden Sturz zugezogen.

Das Versorgungsamt K. (VA) richtete Anfragen an die vom Kläger benannten Zeuginnen. L.M. teilte mit, sie sei die Mutter des Klägers und 79 Jahre alt. Zum Zeitpunkt des Angriffs hätten sich die Bewohner des Hauses im Treppenhaus aufgehalten. Unmittelbar nach dem Angriff habe sich bei dem Kläger eine stark blutende Verletzung am Rücken gezeigt. Sie hätten sofort das Krankenhaus H. aufgesucht, wo eine Verletzung der Wirbelsäule festgestellt worden sei. Die Wirbelsäule sei durch Bandagen ruhiggestellt worden. Sofort nach Kriegsende sei eine Behandlung im Städtischen Krankenhaus O. erfolgt. Da sich trotz Anfertigung einer Gipsschale keine Besserung gezeigt habe, sei der Kläger in der zweiten Jahreshälfte in das Krankenhaus Fr. eingewiesen worden, wo er bis 1949 geblieben sei. Von 1950 bis 1954 habe dann eine stationäre Behandlung im Krankenhaus Scheidegg stattgefunden. Die Zeugin G.S. gab an, sie sei die Schwester des Klägers und habe sich während des Tieffliegerangriffs neben dem Kläger befunden. Sie könne die Angaben ihrer Mutter hinsichtlich des Vorfalls bestätigen. Die Zeugin G.H. teilte mit, sie sei bei dem Tieffliegerangriff nicht anwesend gewesen. Nach Kriegsende habe ihr die Mutter des Klägers erzählt, dass dieser bei dem Tieffliegerangriff verletzt worden sei. Der Kläger legte eine Erklärung der Zeugin A.S. vor. Darin heißt es, der Tieffliegerangriff habe kurz nach Weihnachten 1944 stattgefunden. Nach der Verletzung des Klägers hätten sie diesen in das Krankenhaus H. gebracht, wo er von Dr. H. behandelt worden sei. Das Kreiskrankenhaus T-N teilte dem VA auf Anfrage mit, dass es in Fr. kein Krankenhaus gebe. Das Städtische Krankenhaus N. habe bis 1979 bestanden; das Archiv befinde sich im Rathaus. Die Stadtverwaltung T-N berichtete, dass Unterlagen über den Kläger nicht auffindbar seien. Das Kreiskrankenhaus O. und die Kinderkurklinik Sch./A. teilten mit, dass Unterlagen aus der damaligen Zeit nicht mehr vorhanden seien.

Das VA veranlasste sodann eine Begutachtung des Klägers durch die Chirurgin Dr. P ... Diese berücksichtigte hierbei einen radiologischen Befundbericht des Dr. L., der Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule vom 26.10.1950 (vermutlich Universitätsklinik H.) sowie vom 11.04.1963 und 28.02.1972 auswertete. Dr. P. führte aus, röntgenologisch zeige sich, dass im Bereich der unteren Brustwirbelsäule ein entzündlicher Prozess abgelaufen sei. Die Folge sei eine ausgeprägte Gibbusbildung. Die von der Mutter des Klägers erwähnte ruhigstellende Bandagierung der Wirbelsäule im Krankenhaus H. weise daraufhin, dass Wirbelkörperfrakturen vorgelegen hätten. Der lange Heilungsprozess sei durch eine Osteomyelitis kompliziert worden. Eine Anerkennung als Schädigungsfolge werde empfohlen.

Durch Bescheid vom 02.05.1994 anerkannte das VA mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. als Schädigungsfolgen:

"Gibbusbildung und Versteifung der Brustwirbelsäule nach Wirbelkörperfrakturen und Osteomyelitis (Th 10/12, LWK 1 und Bandscheibe zwischen BWK 10 und 9)".

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren zog das VA die Akten der Badischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bei. Diese enthalten ein Gutachten von Prof. Dr. R., Abteilungsleiter der Orthopädischen Universitätsklinik H., vom 11.12.1986 wegen eines Unfalls vom 30.05.1986 sowie die Krankenunterlagen der Orthopädischen Universitätsklinik H. über die Behandlung des Klägers seit 1950. Im Krankenblatt vom 21.12.1950 wird zur Vorgeschichte berichtet, seit 1945 hätten Beschwerden im Rücken bestanden. Im Sommer 1945 sei der Kläger in die Kinderheilstätte Fr. aufgenommen worden und dort bis 1949 wegen einer Spondylitis tuberculosa stationär behandelt worden. Die weitere Behandlung sei seit 31.07.1950 in der Orthopädischen Universitätsklinik H. durchgeführt worden. Im Gutachten von Prof. Dr. R. heißt es zur Vorgeschichte, dass im Jahre 1944 eine Wirbelsäulentuberkulose aufgetreten sei.

Das VA richtete nunmehr eine Anfrage an die Stadtverwaltung Fr ... Diese berichtete, Krankenunterlagen der ehemaligen Kinderheilstätte Schloss Fr. seien nicht vorhanden. Näheres wäre eventuell über den Caritasverband für die Erzdiözese F. in Erfahrung zu bringen. Der Deutsche Caritasverband e.V. F. teilte dem VA auf Anfrage mit, dass Unterlagen über die Kinderheilstätte Schloss Fr. nicht vorhanden seien.

Hierauf äußerte sich Dr. R. in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme. Er führte aus, aufgrund der Unterlagen der Orthopädischen Universitätsklinik H. sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass damals eine Wirbelsäulentuberkulose vorgelegen habe. Eine weitere unspezifische Entzündung in Zusammenhang mit einem durchgemachten Trauma sei sehr unwahrscheinlich. Bei seiner Einweisung in die Orthopädische Universitätsklinik H. sei der Kläger 10 Jahre alt gewesen und dürfte die Diagnose erfahren und auch behalten haben. Außerdem sei er ausweislich der Unterlagen im Jahre 1975 in der Orthopädischen Universitätsklinik H. nochmals wegen der Folgen der Wirbelsäulentuberkulose untersucht worden. Im Jahre 1961 habe der Kläger zudem ein Medizinstudium begonnen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er die durchgemachte Tuberkulose beim Antragsverfahren und auch bei der Begutachtung bewusst verschwiegen habe.

Im Verfahren zur Anhörung wegen der Erteilung eines Rücknahmebescheides nahm der Kläger den Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.05.1994 zurück. Im übrigen äußerte er sich dahingehend, dass die Möglichkeit bestehe, dass wegen der zweifelhaften hygienischen Verhältnisse bei Kriegsende die Tuberkulose aufgrund einer offenen Wirbelsäulenverletzung gerade diese Stelle befallen habe.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme legte Dr. R. dar, dass eine tuberkulöse Infektion der Wirbelsäule regelrecht auf dem Blutwege erfolge. Ein Infektionsweg über eine Wunde könne vorliegend nicht angenommen werden, zumal Hinweise auf eine wesentliche offene Wirbelsäulenverletzung gar nicht bestünden.

Mit Rücknahmebescheid vom 11.10.1995 nahm das VA gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) den Bescheid vom 02.05.1994 sowie die Anpassungsbescheide vom 21.06.1994 und 23.06.1995 mit Wirkung ab 01.04.1992 zurück. Zugleich entschied es, dass bereits erbrachte Leistungen nicht zurückgefordert würden. Zur Begründung führte das VA aus, es stehe unzweifelhaft fest, dass die anerkannte Wirbelsäulenerkrankung auf eine schädigungsunabhängige Wirbelsäulentuberkulose zurückzuführen sei. Eine Superinfektion in der Wunde durch Tuberkulose sei medizinisch nicht zu begründen. Bei der gebotenen Ermessensausübung seien neben den persönlichen Verhältnissen des Klägers und den Grundsätzen des Vertrauensschutzes auch die der Verwaltung obliegende Pflicht zur gesetzestreuen Ausführung rechtlicher Vorschriften und das Gebot der Gleichbehandlung übereinstimmender Sachverhalte bei der Gesetzesanwendung berücksichtigt worden. Unter Abwägung aller Umstände überwiege die Verpflichtung der Verwaltung zur gesetzestreuen Ausführung rechtlicher Vorschriften und das Gebot der Gleichbehandlung aller Beschädigten den Vertrauensschutz des Klägers. Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger u.a. damit, dass Tuberkelbakterien auch durch Hautwunden in den Körper eindringen könnten (Inokulationstuberkulose). In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme wies Dr. Z.-C. darauf hin, dass eine Inokulationstuberkulose eine extreme Seltenheit sei und eigentlich immer zu einer Hauttuberkulose führe. Auch könne unmittelbar nach der Verwundung noch keine spezifische oder unspezifische Entzündung der Wirbelkörper zu klinischen Symptomen geführt haben, da eine solche Entwicklung bis zur klinischen Manifestation Wochen bis Monate benötige. Zum Verwundungszeitpunkt müsse aber schon eine massive Symptomatik vorgelegen haben, da sonst die Wirbelsäule nicht fest bandagiert worden wäre. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.1996 wies sodann der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht K. (SG). Er trug vor, dass die Unterlagen der Orthopädischen Universitätsklinik H. nicht beweisend seien für das Vorliegen einer Tuberkulose. Würde das Vorliegen einer Tuberkulose unterstellt, könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese unzweifelhaft schädigungsunabhängig sei.

Das SG zog u.a. die bei dem Caritasverband für die Erzdiözese F. e.V. archivierten Krankenunterlagen des Klägers bezüglich des stationären Aufenthalts vom 14.07.1945 bis 10.08.1949 im Kinderheim Schloss Fr. bei. Darin wird im Aufnahmebefund berichtet, der Kläger sei an Weihnachten 1944 von der Treppe gestürzt und dann noch bis März ohne Schmerzen herumgesprungen. Nach dem Auftreten von Schmerzen habe der Arzt in H. einen alten Rippenbruch diagnostiziert. Die Nachuntersuchung in O. habe dann aber die richtige Diagnose einer Wirbeltuberkulose erbracht. Der Vater des Klägers habe früher eine Bauchtuberkulose durchgemacht, die sehr gut ausgeheilt sei.

Für den Beklagten äußerte sich die Lungenärztin Dr. Sch. in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme. Sie führte aus, die Latenzzeit der Wirbeltuberkulose betrage 6 bis 24 Monate. Den bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilungen könne daher uneingeschränkt gefolgt werden.

Das SG hörte die Mutter des Klägers als Zeugin. Mit Urteil vom 29.11.2001, dem Beklagten zugestellt am 22.03.2002, hob das SG die angefochtenen Bescheide auf. Zur Begründung führte es aus, aufgrund der Aussagen der Mutter des Klägers sei erwiesen, dass der Kläger eine Wirbelsäulenverletzung erlitten habe. Eine Inokulationstuberkulose könne nicht völlig ausgeschlossen werden. Es bestehe ferner die Möglichkeit, dass eine bereits bestehende Spondylitis durch den Sturz von der Treppe richtunggebend verschlimmert worden sei. Ausgeschlossen werden könne auch nicht, dass sich der Kläger die Tuberkulose durch die Unterbringung während der Evakuierung oder während eines der Krankenhausaufenthalte zugezogen habe. Es stehe daher nicht unzweifelhaft fest, dass die anerkannten Gesundheitsstörungen nicht Folge einer Schädigung seien.

Hiergegen hat der Beklagte am 17.04.2002 Berufung eingelegt. Unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Medizinaldirektorin Dr. R. trägt er vor, dass bei dem Kläger keine entschädigungspflichtigen Gesundheitsstörungen vorlägen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts K. vom 29. November 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Senat hat die im Kinderheim Schloss Fr. angefertigten Röntgenaufnahmen des Klägers beigezogen und von Prof. Dr. R. ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt. Darin wird ausgeführt, die chronologische Abfolge der radiologischen Veränderungen vom 18.09.1945 bis 09.12.1949 zeige einen für eine tuberkulöse Spondylitis typischen Verlauf. Es sei bekannt, dass die im Röntgennativbild erkennbaren Veränderungen der klinischen Symptomatik oft um 2 bis 3 Monate hinterherhinkten. Ein Zeitpunkt, auch ein "ungefährer Zeitpunkt" für die Entstehung der Wirbelsäulentuberkulose könne anhand der vorliegenden Röntgenaufnahmen nicht bestimmt werden. Eindeutige Hinweise auf ein vorangegangenes Trauma fänden sich auf den Röntgenbildern nicht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist nach Auffassung des Senats nicht § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG, aufgehoben durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 11.04.2002 mit Wirkung ab 01.05.2002, sondern § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG bezieht sich auf die fehlerhafte Beurteilung der medizinischen Kausalität. Stellt sich nach der Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge heraus, dass entweder keine Schädigung vorgelegen oder die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung nicht bestanden hat, kann eine Rücknahme nach § 1 Abs. 3 Satz 3 BVG nicht erfolgen (Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 1 RdNr. 104).

Vorliegend hat das VA mit Bescheid vom 02.05.1994 Wirbelkörperfrakturen und ihre Folgen anerkannt. Wirbelkörperfrakturen haben aber nach der Überzeugung des Senats nicht vorgelegen. Wenn der Kläger bei dem von ihm behaupteten Treppensturz an Weihnachten 1944 Frakturen erlitten hätte, hätte er nicht, wie in dem Krankenblatt des Kinderheims Schloss Fr. berichtet wird, noch bis März 1944 ohne Schmerzen herumspringen können. Dementsprechend finden sich auch, wie Prof. Dr. R. dargelegt hat, auf den im Kinderheim Schloss Fr. angefertigten Röntgenaufnahmen keine Hinweise auf Frakturen. Diese Röntgenbilder zeigen vielmehr einen für eine tuberkulöse Spondylitis typischen Verlauf.

Gemäß Abs. 1 des hier anzuwendenden § 45 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

In § 45 Abs. 2 SGB X ist bestimmt, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderlich Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Der Bescheid vom 02.05.1994 sowie die Anpassungsbescheide vom 21.06.1994 und 23.06.1995 sind rechtswidrig, weil mit "Wirbelkörperfrakturen" nicht vorhandene Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt worden sind.

Die Voraussetzungen für die Rücknahme der genannten Bescheide sind erfüllt, da der Kläger sich nicht auf Vertrauen berufen kann. Nach Auffassung des Senats beruhen diese Bescheide darauf, dass der Kläger bei der Antragstellung am 28.04.1992 grob fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich, unvollständige Angaben insofern gemacht hat, als er die tuberkulöse Erkrankung der Wirbelsäule verschwiegen hat.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Kindesalter noch nicht über den Charakter seiner Wirbelsäulenerkrankung aufgeklärt war. Nicht auszuschließen ist auch, dass ihn seine Eltern später nicht informiert haben. Nach Auffassung des Senats hat aber der Kläger im weiteren Verlauf der Behandlung in der Orthopädischen Universitätsklinik H. Kenntnis über den Charakter seiner Wirbelsäulenerkrankung erlangt. Aus dem im Widerspruchsverfahren beigezogenen Gutachten des Prof. Dr. R. vom 11.12.1986 geht hervor, dass im Rahmen der am 12.06.1975 erfolgten ambulanten Vorstellung Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule angefertigt wurden und dass wegen der auf die Tuberkulose zurückgeführten Veränderungen operative Maßnahmen mit dem Kläger besprochen wurden. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger spätestens zu diesem Zeitpunkt über den im Bereich der Wirbelsäule abgelaufenen tuberkulösen Prozess aufgeklärt worden ist. Hinzu kommt, dass der Kläger, der über eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügt, vorübergehend auch Medizin studiert hat und sich aus diesem Grunde sicherlich für die Ursachen seiner Wirbelsäulenerkrankung interessiert hat.

Die nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderliche Ermessensausübung hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise vorgenommen.

Auf die Berufung des Beklagten war hiernach im tenorierten Umfang zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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