S 11 RJ 220/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 220/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 3/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Beitragszeiten aufgrund einer Arbeitsleistung während der nationalsozialistischen Verfolgung.

Der am 00.00.1932 in P(bei X)/Polen geborene Kläger ist jüdischer Abstammung. Er war Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.

Seit Dezember 1947 lebt der Kläger in J und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Er ist als Verfolger im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und hat Leistungen in diesem Gesetz bezogen.

Am 18.10.2002 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Altersrente nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Er machte dabei Beschäftigungszeiten ab August 1942 beim Straßenbau im Ghetto X geltend. Er legte zur Begründung eine eigene Erklärung vom 27.11.2002 vor, in der es u.a. wie folgt heißt: " als ich mit meiner Mutter und meinem Bruder, Juli 1942, in das Ghetto X eingewiesen wurde, verstand ich, dass hier arbeiten muss, um nicht hungern zu müssen und auch, um das Wegschleppen in ein ZAL und sogar Vernichtungslager einigermaßen vermeiden zu können. Deswegen wandte ich mich dem Judenrat des Ghettos mit der Bitte, mir zu einer regelmäßigen Arbeit zu verhelfen. So konnte ich schon seit August 1942 eine Arbeit anfangen, und zwar beim Straßenbau. Wir bauten eine Straße in der Stadt X. Zu diesem Zweck wurde ich täglich, von der SS, aus dem Ghetto zur Arbeit geführt und abends zurück, in das Ghetto. Bei der Arbeit aber waren wir nicht bewacht, nur durften wir das Ghetto nicht verlassen, ohne eine entsprechende Wache. Ich habe 8 Stunden täglich gearbeitet, 6 mal wöchentlich. Für meine Arbeit habe ich Essen erhalten und Lebensmittel, mit denen ich auch meiner Familie helfen konnte. Diese Arbeit habe ich ununterbrochen bis April 1943 fortgesetzt, ". Die Beklagte zog daraufhin die Entschädigungsakten des Klägers vom Amt für Wiedergutachtung in Saarburg bei und wertete diese aus. Dort heißt es in einer Erklärung des Zeugen S-B C1 vom 06. Januar 1960, dass er den Kläger ungefähr im Sommer 1942 im Ghetto X kennen gelernt habe. Sie hätten sich in der Küche in der Ostraße getroffen. Sie hätten beide in dieser Ghettoküche Nahrung erhalten. Ferner erinnerte sich der Zeuge daran, dass der Kläger alleine gewesen sei, ohne Angehörige. Der Zeuge N1-N2 C2 gab in seiner Erklärung vom 20.07.1960 ebenfalls an, dass er den Kläger ungefähr im Herbst 1942 im Ghetto X gesehen habe. Sie hätten sich regelmäßig in der Küche in der Ostraße getroffen, wo sie beide Nahrung bekommen hätten. Der Kläger sei allein ohne Angehörige gewesen. Der Kläger selber hatte im Entschädigungsverfahren in einer Erklärung vom 19.09.1960 ebenfalls angegeben, dass er sich Nahrung in einer Küche in der Ostraße während seiner Zeit im Ghetto X verschaffen konnte, sowie auch, dass er in X alleine ohne Angehörige gewesen sei. Von seinen Eltern sei er noch im Ghetto P getrennt worden. Er habe oft hungern müssen, da er nicht immer in der Küche zu essen bekommen habe.

Mit Bescheid vom 09.07.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Sie führte zur Begründung aus, dass Voraussetzung für den Anspruch einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung die Zurücklegung einer Mindestversicherungszeit (Wartezeit) sei. Für den Kläger seien keine für die Wartezeit anrechenbare Zeiten vorhanden. Die von ihm geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden. Denn nach seinen Angaben habe er während seines Aufenthaltes im Ghetto Warschau in der Zeit von August 1942 bis April 1943 durch Vermittlung des Judenrates eine Beschäftigung als Straßenbauarbeiter ausgeübt. Für diese Arbeit will er Essen und zusätzliche Lebensmittel als Entlohnung erhalten haben. Diese Arbeiten sollen ohne Bewachung außerhalb des Ghettos verrichtet worden sein. Dagegen sprächen jedoch die Angab en des Klägers im damaligen Entschädigungsverfahren, wonach er sich zwar während des genannten Zeitraumes im Ghetto X aufgehalten habe, aber eine Arbeitsleistung weder von ihm noch von den Zeugen erwähnt worden sie. Da der jetzige Sachvortrag im Widerspruch zu den damaligen Angaben stehe, sei die geltend gemachte entlohnte Beschäftigung nicht glaubhaft.

Der Kläger erhob dagegen unter dem 10.07.2003 Widerspruch und trug zur Begründung vor, dass er für die Tätigkeit im Ghetto X von Juli 1942 bis April 1943 Lohn in Form von Essen und zusätzlichen Lebensmitteln erhalten habe. Die Voraussetzungen nach dem ZRBG seien damit erfüllt. Er hat weiter eine eigene Erklärung vom 28.07.2003 zu den Akten gereicht, in welcher es u.a. wie folgt heißt: " als ich am 19.09.1960 eine Erklärung gegeben hatte, hat man mich über meine Arbeit im Ghetto nicht gefragt, denn in jenem Fall war es nicht wichtig und darum habe ich nichts über meine Arbeit gesagt. Ich Wirklichkeit habe ich im Ghetto als Straßenarbeiter gearbeitet und für diese Arbeit Lebensmittel bekommen. ". Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie wies ergänzend darauf hin, dass aus den vom Kläger am 19.09.1960 im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben ersichtlich sei, dass er im Ghetto lediglich Unterkunft gefunden und sich in einer Küche Nahrung verschafft habe. Damit sei ein Beschäftigungsverhältnis aus einem Willensentschluss im Ghetto nicht überwiegend wahrscheinlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides Bezug genommen. (Bl. 81 bis Bl. 83 der Verwaltungsakten).

Der Kläger hat dagegen am 23.09.2003 Klage erhoben und erneut darauf hingewiesen, dass er für seine Tätigkeit als Straßenarbeiter als Lohn zusätzliches Essen und Lebensmittel erhalten habe.

Der Bevollmächtigte des Klägers ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 11.10.2004 ordnungsgemäß zum Termin der mündlichen Verhandlung am 15.11.2004 geladen worden.

Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretene Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2003 zu verurteilen, ihm eine Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Beitragszeiten von Juli 1942 bis April 1943 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Entschädigungsakten über den Kläger vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg mit dem Aktenzeichen 000000, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch sein Bevollmächtigter am Termin zur mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Der Bevollmächtigte des Klägers ist in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit hingewiesen worden (vgl. § 124 des Sozialgerichtsgesetztes –SGG-).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Dem Kläger kann keine Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung bewilligt werden. Denn er erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 35 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGBVI) als der allein vorliegenden in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage. Nach § 35 SGB VI erhalten Versicherte Regelaltersrente, die das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Auf die Wartezeit sind gemäß § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten anrechenbar.

Gemäß § 55 Labs. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Im Fall des Klägers ist eine Beitragszahlung zur deutschen Rentenversicherung unterblieben und kann auch unter Berücksichtigung der im ZRBG getroffenen Regelungen nicht fingiert werden. § 2 Abs. 1 ZRBG bestimmt, dass für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten, wenn die in § 1 ZRBG genannten Voraussetzungen gegeben sind. Gemäß § 1 Abs. 1 ZRBG gilt das Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben wenn

1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willen und Entschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eigegliedert war.

Der Kläger gehört nicht zu dem von § 1 ZRBG erfassten Personenkreis. Denn es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, daß er eine entgeltliche Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausgeübt hat. Nach seiner im Verwaltungsverfahren bei Beantragung der Regelaltersrente vorgelegten eigenen Erklärung vom 28.07.2003 will er für seine Tätigkeit im Ghetto X als Straßenbauarbeiter Essen und Lebensmittel erhalten haben, mit denen er auch seiner Familie habe helfen können. Diese Angaben des Klägers sind jedoch nicht in Einklang zu bringen mit seiner eigenen Erklärung im Entschädigungsverfahren und den dort vorliegenden Zeugenerklärungen. Denn sowohl die Zeugen im Entschädigungsverfahren als auch der Kläger selber haben übereinstimmend angegeben, dass sie im Ghetto X in einer Küche in der Ostraße Verpflegung erhalten hätten. Von einer Arbeitstätigkeit ist nicht die Rede gewesen. Gegen den Vortrag des Klägers, dass er im Ghetto X für seine Tätigkeit als Straßenarbeiter zusätzliche Lebensmittel und Verpflegung erhalten habe, spricht auch der Umstand, dass er nach seinen Angaben Entschädigungsverfahren und auch nach den Angaben der Zeugen sich im Ghetto X alleine aufgehalten habe, weil seine Eltern bereits zu Beginn der Errichtung des Ghettos X verschleppt worden seien. Insoweit kann es nicht zutreffen, dass der Kläger Lebensmittel auch zur Verpflegung seiner Familie erhalten hat. Daher kann es dahinstehen, dass der Kläger unter Umständen eine Tätigkeit im Ghetto X im Entschädigungsverfahren nicht erwähnt hat, weil damals nicht danach gefragt worden ist. Auch kann die Frage unbeantwortet bleiben, ob der Kläger als 10-Jähriger einer grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigung bereits hat nachgehen können. Denn jedenfalls ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger für eine derartige Tätigkeit einen Lohn in Form von über eine Verpflegung hinausgehenden Lebensmittel erhalten hat.

Mangels Beitragszeiten sind für den Kläger aus keine Ersatzzeiten anrechenbar.

Das Gericht verkennt nicht, dass dem Kläger durch die nationalsozialistische Verfolgung unermessliches Leid zugefügt worden ist. Es gibt jedoch keine gesetzliche Regelung, nach der der Kläger im Rahmen der deutschen Rentenversicherung für das erlittene Unrecht finanziell entschädigt werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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