S 21 AL 91/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AL 91/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 59/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 03.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides wird, soweit er den Zeitraum 17.07.2012 bis 20.09.2012 betrifft, aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III) wegen der Aufnahme einer nichtgeringfügigen Beschäftigung und einer sich anschließenden Sperrzeit bei Arbeitsaufnahme.

Der im Jahr 1991 geborene Kläger ist ausgebildeter Koch. Er stand im Jahr 2012 im Bezug von Arbeitslosengeld. In dem zugrundeliegenden Antragsformular vom 30.05.2012 hatte er durch seine Unterschrift bestätigt, das sog. "Merkblatt 1" erhalten zu haben.

Anfang Juni 2012 stellte er sich bei der Fa. C. GmbH vor, die damals Köche als neue Mitarbeiter suchte. Es wurde zunächst ein Probearbeiten vereinbart. Am 15.06.2012 begann der Kläger dann dort in der Küche zu arbeiten. Eine schriftliche Vereinbarung war zwischen den Beteiligten nicht getroffen worden. Die Tätigkeit dauerte jedoch nur bis zum 28.06.2012 an. Der Kläger teilte dem Küchenchef zu diesem Zeitpunkt mit, dass er sich in dem Unternehmen nicht wohlfühle und daher nicht weiter dort arbeiten wolle. Daraufhin war die Tätigkeit beendet. Laut Lohn-/Gehaltsabrechnung vom 11.07.2012 zahlte die Fa. C. GmbH dem Kläger für seine beendete Tätigkeit einen Betrag i.H.v. 755,00 EUR brutto aus.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 17.07.2012 teilte der Kläger dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten mit, dass seine Tätigkeit bei der Fa. C. beendet sei. Daraufhin forderte dieser das Unternehmen zur Übersendung einer Arbeitsbescheinigung auf, die schließlich erst im November 2012 vorgelegt wurde. Darin heißt es, der Kläger sei dort im Zeitraum 15.06. - 28.06. als Koch tätig gewesen. Vereinbarte Arbeitszeit seien 40 Std/Woche gewesen. Er habe für die Tage seiner Tätigkeit ein Bruttoentgelt von 755 EUR erhalten. Der Kläger habe selbst gekündigt.

Durch Bescheid vom 03.01.2013 stellte die Beklagte daraufhin eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe für den Zeitraum 29.06. – 20.09.2012 fest. Der Bescheid ist – nach Durchführungen von Vor-, Klage- und Berufungsverfahren mittlerweile bestandskräftig (Az. S 21 AL 82/13).

Daneben erließ die Beklagte jedoch am 03.01.2013 einen weiteren Bescheid, mit dem sie die Leistungsgewährung für den Zeitraum 15.06. – 20.09.2012 aufhob und erbrachte Leistungen i.H.v. 2.581,44 EUR zurückverlangte. Der Kläger habe die Aufnahme der nichtgeringfügigen Beschäftigung grobfahrlässig nicht angezeigt. Auch habe er erkennen müssen, dass der Anspruch mit der Aufgabe der Tätigkeit durch Eintritt der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe weggefallen sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Bescheid vom 18.02.2013 zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 20.02.2013 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Er trägt vor, er habe der Beklagten mit Fax vom 06.06.2012 mitgeteilt, dass er sich auf einen ihm übersandten Vermittlungsvorschlag nicht bewerben werde, weil er ab Beginn des Monats Juli 2012 eine Stelle bei der Fa. C. in Aussicht habe. Bereits ab sofort werde er mehrmals pro Woche von 17:00 bis 23:00 Uhr dort probeweise arbeiten. Sollte es mit dieser von ihm ausgesuchten Stelle nicht klappen, werde er sich sofort neu bewerben.

Die Mitteilung der Arbeitsaufnahme sei demnach rechtzeitig erfolgt. Auch sei er von der Beklagten nicht auf das Drohen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe hingewiesen worden. Insbesondere habe er trotz seiner Unterschrift im Antragsformular auf Arbeitslosengeld das dort genannte "Merkblatt 1" nicht erhalten. Auch sei er bei seiner persönlichen Vorsprache am 17.07.2012 nicht auf eine mögliche Sperrzeit aufmerksam gemacht worden.

Er beantragt,
den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet den Eingang des Faxes vom 06.06.2012. Ein solches sei bei ihr nicht auffindbar. Der Kläger habe zudem auch das "Merkblatt 1" erhalten und sei damit hinreichend über die Möglichkeit einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe belehrt worden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsvorgänge ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der angegriffene Bescheid vom 03.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2013 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als darin die Leistungsgewährung auch für die Zeit 17.07. – 20.09.2012 aufgehoben und die Erstattung der entsprechenden Leistungen verlangt wird.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Vorliegend ist zunächst eine wesentliche Änderung dergestalt eingetreten, dass der Kläger am 15.06.2012 eine nichtgeringfügige Beschäftigung bei der Fa. C. GmbH aufgenommen hat und erst am 28.06.2012 wieder ausgeschieden ist. Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III jedoch nicht, wer in einem Beschäftigungsverhältnis steht.

Grundsätzlich erfordert der leistungsrechtliche Beschäftigungsbegriff eine faktische Beziehung, welche die Arbeitsleistung unter persönlicher Abhängigkeit von einem anderen zum Inhalt hat, wobei sich diese Abhängigkeit auf der einen Seite in der tatsächlichen Verfügungsgewalt (Direktionsrecht) und auf der anderen Seite in der faktischen Dienstbereitschaft auswirkt; insbesondere auch unentgeltliche Beschäftigungsverhältnisse sind erfasst. Entscheidend ist allein, dass Gegenstand des Verhältnisses gerade die Leistung fremdnütziger Arbeit von wirtschaftlichem Wert im Rahmen eines wirtschaftlichen Austauschverhältnisses ist (BSG, 13.7.2006 - B 7a AL 16/05 R). Eine Beschränkung erfolgt nach § 118 Abs. 3 SGB III F. 1998 nur insoweit, als eine kurzzeitige Beschäftigung mit bis zu 15 Wochenstunden die Arbeitslosigkeit nicht ausschließt. Abzustellen ist hierfür auf eine vorausschauende Betrachtung (Prognose) im Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung (BSG, 15.12.1999 - B 11 AL 53/99).

Unschädlich ist es insbesondere, dass es sich vorliegend um ein sogenanntes Probearbeitsverhältnis gehandelt haben soll, weil auch dieses dem vorbenannten Beschäftigungsbegriff unterliegt und nur unter erleichterten Voraussetzungen eine Auflösung der Beschäftigung ermöglicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, 30.8.2005 L 12 AL 70/04). Gehen die Arbeitsvertragsparteien jedoch davon aus, dass eine gute Möglichkeit dafür besteht, dass die Probephase nicht zu einer vorzeitigen Beendigung der Beschäftigung führen wird - was regelmäßig schon deshalb anzunehmen ist, weil ansonsten das Probearbeitsverhältnis nicht begründet würde - ist bei vorausschauender Betrachtung davon auszugehen, dass die Beschäftigung die Kurzzeitigkeitsgrenze überschreiten sollte (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. August 2011 – L 7 AL 72/09 –, Rn. 40 f., juris).

Der Kläger hat auch letztlich nachweisen können, dass er die Aufnahme dieser Probearbeit der Beklagten durch das Faxschreiben vom 06.06.2012 mitgeteilt hat. Zwar hat er dem Gericht ein entsprechendes Schreiben vorgelegt, jedoch kann er den Zugang des Faxes nicht unter Beweis stellen. In den Vorgängen der Beklagten findet sich dieses Schreiben nicht. Der Kammer sind daher im Ergebnis Zweifel verblieben, ob der Kläger das Faxschreiben wie behauptet tatsächlich zu dem genannten Datum übersandt hat. Möglich erscheint beispielsweise, dass er dies seinerzeit schlicht vergessen hat.

Die fehlende Mitteilung durch den Kläger war auch grob fahrlässig. Das Gericht hat zum einen bereits Zweifel, ob der Vortrag, wonach er das sog. "Merkblatt 1", in dem umfassend auf sämtliche Mitteilungspflichten hingewiesen wird, nicht erhalten habe, tatsächlich zutrifft. Der Kläger hat jedoch jedenfalls im Antragsformular mit seiner Unterschrift bestätigt, das Merkblatt ausgehändigt bekommen zu haben. Die entsprechende Formulierung findet sich unmittelbar oberhalb des Feldes zur Unterschrift und ist zudem durch Fettdruck hervorgehoben. Wenn der Kläger das Merkblatt also nicht erhalten haben sollte, so muss er sich jedenfalls vorwerfen lassen, das Gegenteil im Formular bestätigt zu haben, ohne um Aushändigung des Merkblattes zu bitten. Dies hätte nach Auffassung der Kammer vom Kläger auch unter Berücksichtigung seines individuellen Einsichtsvermögens erwartet werden können. Er hat auf das Gericht den Eindruck erweckt, als wäre er problemlos dazu im Stande gewesen, bei sorgfältiger Durchsicht des Formulares den Widerspruch zu entdecken und die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Wenn er dies jedoch unterlassen hat, so stellt dieses Verhalten einen schweren Sorgfaltsverstoß dar.

Die Aufhebungsentscheidung betreffend des Zeitraumes 15.06.2012 – 28.06.2012 begegnet auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere wurden die maßgeblichen gesetzlichen Fristen eingehalten. Ein Ermessen war nach § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III nicht auszuüben.

Für den Anschlusszeitraum 29.06. – 16.07.2012 lag ebenfalls eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse vor, da es an einer wirksamen persönlichen Arbeitslosmeldung des Klägers fehlte, die nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Anspruchsvoraussetzung für Arbeitslosengeld ist. Die oder der Arbeitslose hat sich gem. § 141 Abs. 1 S. 1 SGB III persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Dies hatte der Kläger zwar vor Beginn des Leistungsbezuges unstreitig getan. Jedoch erlischt nach § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III die Wirkung der Meldung mit der Aufnahme der Beschäftigung, wenn die oder der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Da der Kläger die unverzügliche Mitteilung der Beschäftigungsaufnahme hier nicht nachweisen kann (siehe oben), fehlte es an der Arbeitslosmeldung bis zur erstmaligen Wiedervorsprache am 17.07.2012.

Der Kläger hätte auch erkennen müssen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht nach Aufgabe der Tätigkeit von selbst wieder entstanden ist. Im "Merkblatt 1" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine persönliche Arbeitslosmeldung Anspruchsvoraussetzung ist.

Was den letzten Aufhebungszeitraum 17.07.2012 – 20.09.2012 anbetrifft, so ist die Aufhebungsentscheidung allerdings rechtswidrig. Nach Einschätzung der Kammer liegen die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X nicht vor. Dem Kläger kann nicht vorgeworfen, dass er grobfahrlässig den Wegfall des Arbeitslosengeldanspruches infolge der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nicht erkannt hat. Es fehlt an einem besonders schweren Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten. Das "Merkblatt 1" enthält zwar in seinem Kapitel 6 Ausführungen zu den verschiedenen Sperrzeittatbeständen, u.a. auch zur Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Insofern konnte der Kläger erkennen, dass wegen der unbegründeten Aufgabe der Beschäftigung bei der Fa. C. GmbH eine Sperrzeit eintreten wird. Jedoch finden sich im Merkblatt keinerlei Ausführungen dazu, zu welchem Zeitpunkt die Sperrzeit eintritt. Es bestände daher aus Sicht des Arbeitslosen die Möglichkeit, dass es etwa für das Ruhen des Leistungsanspruches einer Feststellung der Sperrzeit durch die Beklagte bedarf. Auch individuell liegen im Falle des Klägers keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er zwingend über den sofortigen Wegfall des Leistungsanspruches mit dem Tag nach der Arbeitsaufgabe im Bilde sein musste. Auch hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass sie ihn noch innerhalb des Sperrzeitzeitraumes auf den Eintritt der Sperrzeit aufmerksam gemacht hat.

Die Erstattungsforderung ergibt sich aus § 50 Abs. 1 SGB X, ist jedoch betreffend den Zeitraum 17.07.2012 – 20.09.2012 ebenfalls rechtswidrig und dementsprechend zu reduzieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang der Hauptsache. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved