L 11 KR 287/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KN 137/16 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 287/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.03.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Iluvien-Injektion in das rechte Auge als Off-Label-Use und wendet sich gegen die Rücknahme einer fingierten Genehmigung dieser Behandlung.

Der am 00.00.1947 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet u.a. unter einem zystoiden Makulaödem rechts. Am 15.02.2016 beantragte er bei der Beklagten unter Schilderung der bisherigen Behandlung sowie der Nachteile von Behandlungsalternativen die Kostenübernahme für die Behandlung des rechten Auges mittels Iluvien-Injektion. Er legte einen Ambulanzbrief der Augenklinik Merheim vom 05.01.2016 vor, in dem die beantragte Behandlungsmethode empfohlen wird.

Ohne den Kläger darüber zu informieren, schaltete die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) ein. Dieser führte im Gutachten nach Aktenlage vom 11.03.2016 aus, die medizinischen Voraussetzungen zur zulassungsüberschreitenden intravitrealen Injektionstherapie mit Iluvien am rechten Auge lägen nicht vor. Keine der drei kumulativen Voraussetzungen für einen Off-Label-Use sei gegeben. Dem folgend lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 28.04.2016 ab.

Hiergegen legte der Kläger am 09.05.2016 Widerspruch ein. Der MDK habe sich nur mit dem letzten augenärztlichen Bericht beschäftigt. Die nun gesetzlich vorgesehene Drei- bzw. Fünf-Wochen-Frist für die Entscheidung der Krankenkasse sei weit überschritten. Im Übrigen habe sich sein Visus auf 0,5 verschlechtert. Er legte ergänzend weitere Ambulanzbriefe vor.

Mit Anhörungsschreiben vom 08.07.2016 führte die Beklagte aus, sie habe festgestellt, dass der Antrag des Klägers verspätet beschieden worden sei mit der Folge, dass die Leistung als genehmigt gelte. Sie beabsichtige, die fiktive Genehmigung zurückzunehmen. Da er die Leistung nicht in Anspruch genommen und keine Vermögensdispositionen getroffen habe, könne sich der Kläger nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Der Kläger wies darauf hin, dass andere Krankenkassen die Iluvien-Behandlung übernähmen. Sein Visus am rechten Auge habe sich weiter auf 0,3 reduziert. Auch am linken Auge sei die Sehkraft wegen eines Makulaschichtforamen zurückgegangen. Die in Aussicht genommene Rücknahme sei rechtswidrig (Schreiben vom 11.07.2016 und 13.07.2016).

Mit Bescheid vom 05.08.2016 nahm die Beklagte die fiktive Genehmigung vom 08.03.2016 über die intravitreale Injektion mit Iluvien im Off-Label-Use mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die fiktive Genehmigung sei rechtswidrig, weil sie nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimme. In die Ermessensentscheidung sei eingeflossen, dass ansonsten entgegen der materiellen Rechtslage Sozialleistungen gewährt würden. Die Rücknahme für die Zukunft stelle keine besondere Härte dar. Eine mildere Möglichkeit bestehe nicht.

Dagegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 10.08.2016. § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei auf die Genehmigungsfiktion nicht anwendbar. Die fingierte Genehmigung sei kein Verwaltungsakt.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 28.04.2016 nach erneuter medizinischer Begutachtung durch den MDK (Gutachten vom 13.09.2016) mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 zurück. Den Widerspruch vom 10.08.2016 gegen den Rücknahmebescheid vom 05.08.2016 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2016 zurück.

Am 19.10.2016 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 28.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben (Az. S 34 KN 137/16 KR). Mit der am 05.12.2016 erhobenen Klage hat er den Bescheid vom 05.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2016 angefochten (Az. S 34 KN 147/16 KR). Zur Begründung hat er im wesentlichen Bezug auf sein bisheriges Vorbringen genommen und ergänzt, eine Aufhebung der Genehmigungsfiktion würde der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, die Genehmigungsfiktion hätte dann keine praktische Bedeutung mehr.

Der Kläger hat beantragt,

1) den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2016 aufzuheben,

2) den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine zulassungsüberschreitende intravitreale Injektionstherapie mit Iluvien am rechten Auge als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen bezogen.

Mit Beschluss vom 21.03.2017 hat das SG beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbunden. Es hat die Beklagte mit Urteil vom 21.03.2017 antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion einen Naturalleistungsanspruch auf die begehrte zulassungsüberschreitende intravitreale Injektionstherapie mit Iluvien am rechten Auge. Diese liege nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Genehmigungsfiktion sei auch nicht wirksam nach § 45 Abs. 1 SGB X zurückgenommen worden. Da die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erfüllt gewesen seien, liege keine anfängliche Rechtswidrigkeit vor. Auf den weiteren Inhalt der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 29.03.2017 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 21.04.2017. Sie vertritt die Auffassung, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Iluvien sei nur für die Behandlung des chronischen diabetischen Makulaödems zugelassen. Mangels indikationsbezogener Zulassung liege die beantragte Leistung offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV und der Kläger habe sie nicht für erforderlich halten dürfen, da die behandelnden Ärzte ausdrücklich auf den Off-Label-Use und die Erforderlichkeit der Genehmigung der Krankenkasse hingewiesen hätten. Jedenfalls sei eine etwaig eingetretene fiktive Genehmigung wirksam zurückgenommen worden. Hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit sei auf die materielle Rechtslage abzustellen. Die bloße Versäumung einer Bescheidungsfrist könne keinen weitergehenden, nämlich einen unter materiellen Gesichtspunkten unabänderlichen Anspruch begründen, während bei einem schwerwiegenden Fehler der Behörde z.B. bei der Prüfung der materiellen Rechtslage im Rahmen des Erlasses eines "realen" Verwaltungsakts die Rücknahme nach § 45 SGB X möglich sei. Auch der Gesetzesbegründung sei an keiner Stelle zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der fiktiven Genehmigung dem Versicherten einen unverrückbaren Anspruch auf eine Leistung habe geben wollen, die ihm entgegen der materiellen Rechtslage zustehen sollte. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), wenn Versicherte, bei denen die Genehmigungsfiktion eintrete, besser gestellt würden als Versicherte, bei denen die Krankenkasse rechtzeitig, aber fehlerhaft entschieden habe.

Der Kläger habe auch keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Behandlung mit Iluvien-Injektion. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Es stünden alternative Therapien mit Ozurdex-Injektionen, Steroid-/Antiphlogistika-/ Acetazolamid-Gabe oder Laserbehandlung zur Verfügung. Ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis für die beantragte Behandlung fehle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.03.2017 zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückweisen.

Er verweist auf die Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG). Nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten sei das rechte Auge zunächst mit dem Medikament Ozurdex versorgt worden. Allerdings begehre er für die zukünftig weiter erforderliche Behandlung die Versorgung mit Iluvien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger eine intravitreale Injektionstherapie mit Iluvien am rechten Auge als Sachleistung zu gewähren. Der Bescheid vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 und der Bescheid vom 05.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2016 sind rechtswidrig und beschweren den Kläger; denn er hat kraft Genehmigungsfiktion einen Anspruch auf eine Iluvien-Injektion am rechten Auge.

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgten zulässigen Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage gerichtet auf Sachleistung und die isolierten Anfechtungsklagen gegen die Ablehnungsentscheidung und die Rücknahmeentscheidung (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - und vom 26.02.2019 - B 1 KR 23/18 R -).

2. Der Kläger hat Anspruch auf Versorgung mit einer Iluvien-Injektion aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V (in der seit dem 26.02.2013 geltenden Fassung des Art. 2 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatRVerbG) vom 20.02.2013, BGBl. I 277). Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt (vgl. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V), erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 06.11.2018 - B 1 KR 30/18 R -, vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R - und vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -). Die Voraussetzungen des Anspruchs auf künftige Versorgung sind erfüllt:

§ 13 Abs. 3a SGB V erfasst die vom Kläger beantragte Leistung nicht nur zeitlich, sondern auch als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu a)). Der Kläger war und ist leistungsberechtigt (dazu b)). Er stellte bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag auf eine Injektion des Arzneimittels (dazu c)), die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt und die er für erforderlich halten durfte (dazu d)). Diesen Antrag beschied die Beklagte ohne Begründung nicht fristgerecht (dazu e)). Die Genehmigung ist auch nicht später erloschen (dazu f)).

a) Der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V ist eröffnet. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht greift sie lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.02.2013 stellen (BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R - m.w.N.). Der Kläger stellte seien Antrag im Jahr 2016.

§ 13 Abs. 3a SGB V ist auf den Antrag des Klägers auch sachlich anwendbar, denn er verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (vgl. dazu BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; Senat, Urteil vom 31.01.2018 - L 11 KR 591/16 -), sondern eine Krankenbehandlung i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB V.

b) Er ist als bei der Beklagten Versicherter leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen u.a. in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 11.09.2018 - B 1 KR 1/18 R -).

c) Der Kläger beantragte als Leistung hinreichend bestimmt, ihm eine Iluvien-Injektion in das rechte Auge zu gewähren. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Die Fiktion kann nur greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 06.11.2018 - B 1 KR 30/18 R -, vom 11.09.2018 - B 1 KR 1/18 R - und vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -). Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung zu gewähren, verschafft dem Adressaten eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel auf das Zuerkannte zu erhalten. Die Vollstreckung erfolgt nach den Regelungen über vertretbare Handlungen (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 1, § 198 Abs. 1 SGG, § 887 Zivilprozessordnung). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist. Diese allgemeinen Grundsätze gelten ebenso, wenn Patienten zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die Beratung des behandelnden Arztes angewiesen sind (BSG, Urteile vom 06.11.2018 - B 1 KR 30/18 R - und vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - m.w.N.).

Der Antrag des Klägers vom 15.02.2016 genügte diesen Anforderungen. Er war auf eine Iluvien-Injektion in das rechte Auge gerichtet, ohne dass sich der Kläger auf eine bestimmte Leistungsart - stationär oder ambulant - oder die Art der ggf. behandelnden Praxis bzw. des ggf. behandelnden Krankenhauses festgelegt hätte.

d) Der Antrag des Klägers betraf auch eine Leistung, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag und die er für erforderlich halten durfte. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; Senat, Urteil vom 12.07.2017 - L 11 KR 28/16 R -). Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 S 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gerechtfertigt (BSG, Urteile vom 06.11.2018 - B 1 KR 13/17 R - und vom 24.04.2018 - B 1 KR 13/16 R -). § 13 Abs. 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von den genannten Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine Krankenkasse einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs. 3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V obsolet (BSG, Urteile vom 26.02.2019 - B 1 KR 18/18 R - und vom 06.11.2018 - B 1 KR 30/18 R -).

Die von dem Kläger begehrte Iluvien-Injektion liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen Off-Label-Use, d.h. um eine zulassungsüberschreitende Anwendung eines Medikaments handelt. Sie lag schon deshalb nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, weil selbst die Beklagte zunächst den MDK einschalten musste um nach Einholung externen Sachverstands beurteilen zu können, ob in dem zu beurteilenden Sachverhalt die medizinischen Voraussetzungen für einen Off-Label-Use gegeben waren. Immerhin ist nicht jede Leistung außerhalb des Zulassungsbereichs ausgeschlossen. Wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use oder diejenigen nach § 2 Abs. 1a SGB V erfüllt sind, gehört die zulassungsüberschreitende Anwendung von Medikamenten zum Leistungskatalog der GKV. So schließt auch der MDK eine Leistungspflicht der Beklagten für eine Iluvien-Injektion bei zystoidem Makulaödem nicht generell, sondern nur bezogen auf diesen Einzelfall aus, wenn er in seinem Gutachten vom 11.03.2016 ausführt, dass beim Kläger "derzeit" keine Situation vorliege, die zu einer akuten Erblindung und damit zu einem Leistungsanspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V führen könne, und dass ein Therapieversagen oder Kontraindikationen behandlerseits nicht "in befundgestützter Form belegt" seien. Der Kläger durfte aufgrund der fachlichen Befürwortung seines Antrags durch seine behandelnden Ärzte die Therapie für geeignet und erforderlich halten. Darüber hinaus hatte er in der Vergangenheit bereits Avastin im Off-Label-Use erhalten (so der MDK). Daher musste er erst recht nicht davon ausgehen, dass eine zulassungsüberschreitende Anwendung per se oder in seinem Fall ausgeschlossen ist. Darüber hinaus hatten die behandelnden Ärzte auf eine drohende Erblindung hingewiesen, so dass die vergleichsweise weitgehenden Leistungsansprüche nach § 2 Abs. 1a SGB V hätten eröffnet sein können.

e) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der hier eingreifenden Frist von drei Wochen, sondern erst nach Fristablauf. Maßgeblich für den Fristbeginn ist Dienstag, der 16.02.2016, der Tag nach Eingang des Antrags bei der Beklagten (15.02.2016, vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB). Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene Krankenkasse meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 11.09.2018 - B 1 KR 1/18 R -). Der Antrag setzte die gesetzliche Frist von drei Wochen in Gang. Eine längere Frist gilt nur, wenn die Krankenkasse den Antragsteller vor Fristablauf von einem Verlängerungstatbestand unterrichtet. Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V: ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt - wie hier - keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Maßgeblich ist - wie im Falle der Entscheidung durch einen bekanntzugebenden Verwaltungsakt - der Zeitpunkt der Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller, nicht jener der behördeninternen Entscheidung über die Information (BSG, Urteil vom 06.11.2018 - B 1 KR 20/17 R -). Ohne die gebotene Information über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme können Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen nach Antragstellung annehmen, dass ihr Antrag als genehmigt gilt. Die Beklagte unterrichtete den Kläger nicht vor Fristablauf vom Eintritt eines Verlängerungstatbestands. Die Frist endete am Montag, dem 07.03.2016 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Die Beklagte lehnte den Antrag erst nach Ablauf der Frist ab (Bescheid vom 28.04.2016). Sie teilte dem Kläger vorab keine Gründe für die Fristüberschreitung mit.

f) Die Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Sie schützt hiermit den Adressaten. In diesem Sinne ist eine Krankenkasse nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen.

Die Voraussetzungen einer Rücknahme sind nicht erfüllt.

aa) Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistung (Bescheid vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016) weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl. hierzu §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (vgl. st.Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 26.02.2019 - B 1 KR 23/18 R -).

bb) Die (fingierte) Genehmigung ist auch durch den Bescheid vom 05.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2016 nicht aufgehoben worden.

Die Rücknahmevoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Genehmigung rechtmäßig ist. § 45 Abs. 1 SGB X bestimmt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Grundvoraussetzung der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts - hier: der fingierten Genehmigung - ist nach der klaren Gesetzesregelung, dass der begünstigende Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Daran fehlt es. Ansprüche auf Leistungen, die Versicherte aufgrund fingierter Genehmigung erlangen, gehören zum Leistungskatalog der GKV. Maßstab der Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung ist nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts § 13 Abs. 3a SGB V (BSG, Urteil vom 26.02.2019 - B 1 KR 18/18 R - m.w.N.). Der gesetzliche Regelungszweck, dem Antragsteller schnell Gewissheit zu verschaffen, ob ihm die beantragte Leistung endgültig zusteht, würde verfehlt, wollte man einen rechtmäßig nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V fingierten Verwaltungsakt als einen eine Leistung rechtswidrig bewilligenden Verwaltungsakt ansehen. Es wäre auch widersinnig, würde das Gesetz zunächst mit großer Geste die Genehmigung der Leistung fingieren, der betroffenen Krankenkasse aber abschließend gestatten, die fingierte Genehmigung wegen Rechtswidrigkeit der Leistung wieder zurückzunehmen (vgl. zum Ganzen BSG, Urteile vom 26.02.2019 - B 1 KR 18/18 R - und vom 07.11.2017 - B 1 KR 24/17 R -).

cc) Zwar verbleibt damit als Anwendungsfall für § 45 SGB X nur eine Klarstellungsfunktion für Fälle, in denen die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten war, aber der Anschein entstanden sein könnte. Würde aber für die Prüfung, ob eine Genehmigungsfiktion rechtswidrig ist, auf das jeweilige Leistungsrecht abgestellt, hätte die Krankenkasse im Fall der Fristversäumnis - jedenfalls solange der Versicherte sich die Leistung nicht besorgt hat - stets die Möglichkeit nach § 45 SGB X die Genehmigungsfiktion wieder aufzuheben. Der Naturalleistungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V liefe damit faktisch leer.

Die Genehmigung der Leistung hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X). Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht. So kann etwa - für den Versicherten erkennbar - eine "Erledigung auf andere Weise" einer fingierten Genehmigung einer beantragten Krankenbehandlung eintreten, wenn die ursprünglich behandlungsbedürftige Krankheit nach ärztlicher, dem Betroffenen bekannter Einschätzung vollständig geheilt ist: Es verbleibt durch diese Änderung der Sachlage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr. Sie kann nach ihrem Inhalt und Zweck keine Geltung für den Fall derart veränderter Umstände beanspruchen. Dies muss sich für den Betroffenen unzweifelhaft erschließen (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26.02.2019 - B 1 KR 18/18 R - m.w.N.). Umstände, die die Genehmigung entfallen lassen könnten, etwa, dass der Kläger die beantragte Leistung nicht mehr subjektiv für erforderlich halten durfte, etwa weil seine Krankheit geheilt ist, sind nicht ersichtlich. Die zwischenzeitliche Behandlung mit Ozurdex hat den zukünftigen Behandlungsbedarf des zystoiden Makulaödems des rechten Auges nicht entfallen lassen.

3. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom 28.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016) ist rechtswidrig. Sie verletzt den Kläger in seinem sich aus der fiktiven Genehmigung seines Antrags ergebenden Leistungsanspruch. Gleiches für den Aufhebungsbescheid vom 05.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2016.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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