L 4 P 63/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 21 P 57/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 P 63/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Wohngruppe im Sinne von § 38a SGB XI kann auch vorliegen, wenn die Mitglieder familiär miteinander verbunden sind.
2. Eine gemeinschaftliche Beauftragung im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI existiert nicht, wenn durch die einzelnen Bewohner jeweils einzelvertraglich eine Person beauftragt wird.
3. Das Ausmaß der nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI erforderlichen Präsenz hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere von der Art der Tätigkeit der beauftragten Person ab. Die beauftragte Person muss so häufig und so lange in der Wohngruppe anwesend sein, wie es notwendig ist, um die im konkreten Einzelfall übernommenen Pflichten effektiv zu erfüllen.
4. Beauftragter im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI kann ein Familienangehöriger der Wohngruppenmitglieder sein.
5. Eine Beauftragung im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI setzt kein vertraglich vereinbartes Entgelt voraus.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.05.2018 wird geändert. Der Bescheid vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2017 wird aufgehoben, soweit die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags ab 01.12.2017 abgelehnt wird. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.12.2017 monatlich 214,- Euro Wohngruppenzuschlag samt Zinsen gem. § 44 SGB I zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.05.2018 zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat 60% der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI.

Die 1938 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Die Klägerin ist pflegebedürftig; im Juli 2016 wurde Pflegestufe I festgestellt. Sie lebt zusammen mit ihrem 1937 geborenen Ehemann, ihrer pflegebedürftigen Tochter P. A. (geb. 1967) und ihrem pflegebedürftigem Sohn D. A. (geb. 1964) zur Miete in einem Einfamilienhaus. Vermieter ist Herr R. A. (R. A.), ein weiterer Sohn, der in M-Stadt wohnt.

Am 14.02.2017 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags. Sie lebe in einer ambulant betreuten Wohngruppe. Die Wohngruppe bestehe aus mehreren Zimmern innerhalb einer abgeschlossenen Wohnung mit einem eigenen abschließbaren Zugang. Außer den von der Klägerin genutzten Zimmern seien die weiteren Räume jederzeit durch jeden Bewohner nutzbar. In der Wohngruppe lebten noch drei weitere Personen; von diesen erhielten zwei Personen Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes. Als beauftragte Person gab die Klägerin R. A. an. Dieser wohne in M-Stadt. Die beauftragte Person kümmere sich um die Koordination der Pflegedienste und sei regelmäßig auf Abruf sowie 14-tägig zwei bis drei Stunden anwesend.

Die Klägerin legte eine "Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag" vor, wonach das Haus an drei Parteien zu gleichen Teilen vermietet ist: Die Klägerin und ihren Ehemann als eine Partei, Herrn D. A. und Frau P. A ... Die Gesamtwohnfläche ist mit 260 m² angegeben. Die Vereinbarung enthält Angaben zur alleinigen bzw. gemeinschaftlicher Nutzung einzelner Räume; ein Plan war beigefügt.

Weiter legte die Klägerin einen Vertrag mit dem Pflegedienst E. UG vom Oktober 2016 und eine Vereinbarung mit ihrem Sohn R. A. vom 10./13.02.2017 vor, die lautet:

"Mit mir und meinem Ehemann wohnen zwei weitere Leistungsnehmer in einem gemeinsamen Haushalt in einer Wohngemeinschaft mit vier (4) Personen. Es wird vereinbart, dass mein Sohn R. A. die Koordination der Pflege-Dienste übernimmt, die Leistungen für uns drei Pflege-Leistungs-Empfänger übernimmt."

Mit Bescheid vom 21.02.2017 lehnte die Beklagte die Zahlung ab. Das Zusammenleben in einem Familienverbund könne nicht bezuschusst werden. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05.03.2017 Widerspruch ein. Die Voraussetzungen des § 38a SGB XI seien erfüllt. In der Wohngruppe lebten vier Personen, von denen drei Pflegesachleistungen bezögen. Es gebe keine gesetzliche Grundlage dafür, Familienmitglieder auszuschließen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 12.06.2017 (Montag) Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Die Voraussetzungen des § 38a SGB XI seien erfüllt. In der Wohngruppe seien mehrere professionelle Pflegekräftekräfte tätig. Zweck des gemeinschaftlichen Wohnens sei die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung. Die Regelungen des Art. 2 Bayer. Pflege- und Wohnqualitätsgesetz - BayPfleWoqG - stünden dem nicht entgegen. Die beteiligten Personen lebten nur zusammen, damit eine gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung möglich sei. Soweit die Beklagte darauf abstelle, das Zusammenleben innerhalb eines Familienverbundes verfolge nicht den Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung, verkenne sie, dass dies zwar für Eltern zutreffend sein möge, die mit ihren minderjährigen Kindern zusammenlebten. Im vorliegenden Fall lebten die Personen jedoch ausschließlich deswegen zusammen, weil die Organisation der gemeinsamen Pflege dadurch erleichtert werde. Es handele sich insoweit um eine selbstorganisierte Versorgung innerhalb einer Wohngemeinschaft. Dass die pflegebedürftigen Personen miteinander verwandt seien, spiele für die Zweckerreichung eine untergeordnete Rolle.

Am 20.10.2017 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. In diesem hat das SG darauf hingewiesen, dass es im vorliegenden Fall bereits an einer gemeinschaftlichen Vereinbarung der Beauftragung einer Präsenzkraft fehle. Mit Schreiben vom 09.01.2018 hat die Klägerin daraufhin eine Vereinbarung vom 12./20.11.2017 vorgelegt, die zwischen ihr und den beiden weiteren pflegebedürftigen Familienangehörigen mit R. A. als Auftragnehmer abgeschlossen wurde. Die Vereinbarung lautet:

"Zwischen den Auftraggebern und dem Auftragnehmer wird vereinbart, dass der Auftragnehmer wie bereits seit Oktober 2016 durchgeführt, für alle drei Auftraggeber die Koordination der Pflegedienste und die Verwaltung von deren Abrechnungen sowie die Weiterleitung an die Kostenträger übernimmt."

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30.01.2018 darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des §§ 38a SGB XI kumulativ erfüllt sein müssten. Die gemeinsam beauftragte Präsenzkraft R. A. sei ein Familienmitglied 1. bzw. 2. Grades. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB XI bestehe ein Verbot des Vertragsschlusses zum Beispiel mit Verwandten bis zum 3. Grad. Die gemeinsame Vereinbarung mit der Präsenzkraft unterscheide sich nicht von den Aufgaben eines gesetzlichen Betreuers. Es werde nicht zwischen den Aufgaben einer Präsenzkraft und den grundsätzlichen innerfamiliären Verpflichtungen unterschieden.

Die Klägerin hat entgegnet, dass die Wohngruppe ohne Zweifel dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung diene. Dies ergebe sich daraus, dass der innere Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin objektiviert sei. § 77 SGB XI sei nicht anzuwenden. Die Tätigkeit des R. A. beinhalte weder die körperbezogene Pflege noch die pflegerische Betreuung noch die Haushaltsführung. Hätte der Gesetzgeber das Verbot des Vertragsschlusses mit Verwandten auch für Leistungserbringer nach § 38a SGB XI regeln wollen, so hätte er dies in § 38a SGB XI enumerativ aufführen können.

Mit Urteil vom 09.05.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Entgegen der Ansicht der Beklagten handele es sich um eine Wohngemeinschaft im Sinne des § 38a SGB XI. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R) könnten Familien, die zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer Wohnung zusammenlebten, einen Anspruch auf Wohngruppenzuschlag haben. Vorliegend wohnten die pflegebedürftige Mutter und der Vater mit ihren beiden über 50-jährigen pflegebedürftigen Kindern zusammen in einer Wohngruppe. Es erscheine plausibel, dass diese Form des Zusammenlebens dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten Pflege diene. Dies sei auch nach außen hin objektiviert, denn die Pflege werde gemeinschaftlich durch Pflegedienste organisiert, die die Versorgung der Bewohner gemeinschaftlich vornähmen.

Es handele sich bei dem von der Wohngemeinschaft beauftragten R. A. jedoch nicht um eine Person im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI.

Die Anerkennung als Person im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI scheitere bereits daran, dass R. A. nach der Angabe im Antrag vom 14.02.2017 und bedingt durch seinen Wohnsitz in M-Stadt nur auf Abruf und am Wochenende tatsächlich bei den Pflegebedürftigen anwesend sei. Es müsse sich bei der beauftragten Person jedoch um eine "Präsenzkraft", also um eine Person handeln, die in einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich anwesend sei oder sein könne. Nach Angabe der Klägerin in ihrem Antrag vom 14.02.2017 sei R. A. 14-tägig und auf Abruf anwesend. Dies sei nicht ausreichend, um "Präsenzkraft" im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI zu sein. Selbst wenn der Gesetzgeber keine zeitliche Mindestanwesenheit festgelegt habe, so sei dennoch nach Sinn und Zweck des Gesetzes davon auszugehen, dass die beauftragte Person zur Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig - wenn möglich täglich -, aber zumindest 1-2 wöchentlich anwesend sein müsse. Dies sei vorliegend nicht gegeben.

Des Weiteren entständen der Wohngruppe durch die Hilfestellung von R. A. keine weiteren Kosten, die durch den Wohngruppenzuschlag kompensiert werden könnten. Nach Sinn und Zweck des § 38a SGB XI genüge eine unentgeltliche und ehrenamtliche Hilfestellung jedoch nicht, um einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag zu begründen. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass mit dem Wohngruppenzuschlag jene Aufwendungen zweckgebunden abgegolten werden sollten, die der Wohngruppe durch die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft entständen. Damit solle dem besonderen Aufwand Rechnung getragen werden, der Folge der neu organisierten pflegerischen Versorgung der Wohnform sei. Die Leistung werde pauschal zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Organisation sowie Sicherstellung der Pflege in der Wohngemeinschaft gewährt. Der Wohngruppenzuschlag solle jedoch keine schlichte Aufstockung der den Mitgliedern der Wohngruppe ohnehin individuell gewährten Leistungen der häuslichen Pflege (§§ 36 ff SGB XI) bewirken (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R, Rn. 23).

Gegenüber einer normalen häuslichen Versorgung lägen auch keine zusätzlichen Strukturen vor, die mit dem Wohngruppenzuschlag finanziert werden könnten. Sinn und Zweck des Wohngruppenzuschlags sei es, die Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen zu bewahren. Die Betreuungsleistungen sollten durch ein gemeinschaftliches Management der Bewohner organisiert werden. Im Sinne der Selbstbestimmtheit müssten besondere Aufwendungen vorliegen, welche von dem Pflegebedürftigen zu leisten seien. Die Aufgaben der Präsenzkraft sollten dabei aber stets neben den Aufgaben der Bewohnerinnen und Bewohner und denjenigen des sozialen Umfeldes stehen. Denn es handele sich bei der Wohngruppe um eine ambulante Versorgung. Das zentrale Merkmal einer ambulanten Versorgung sei, dass regelhaft Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig blieben. R. A. sei zwar nicht als Pflegeperson tätig und erhalte auch kein Pflegegeld gem. § 37 SGB XI. Er sei ausschließlich - auch bedingt durch den weit entfernten Wohnsitz - für organisatorische Fragen zuständig. Die wahrgenommenen Tätigkeiten gingen jedoch nicht über die normalen und bei jedem Pflegebedürftigen mit einer ambulanten Versorgung einhergehenden Aufgaben hinaus. Es sei gerade der Kern einer ambulanten Versorgung, dass das soziale Umfeld sich einbringe und Teilaufgaben bei der Pflege erbringe. Dies geschehe hier durch die - bei allen Pflegebedürftigen anfallende - Organisation der Pflegedienste durch R. A ... Zusätzliche Strukturen, die durch den Wohngruppenzuschlag finanziert werden könnten, seien nicht erkennbar.

Gegen das am 31.07.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31.08.2018 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Es gebe keine Festlegung für den Umfang der Anwesenheit der Präsenzkraft. Der erforderliche Umfang der Präsenz richte sich zum einen nach der Größe der Wohngemeinschaft - die vorliegend gering sei -, zum anderen danach, welche Tätigkeiten die Präsenzkraft übernehme. R. A. übernehme eine organisatorische und verwaltende Tätigkeit im Zusammenhang mit der Akquirierung und Koordination von vier verschiedenen Pflegediensten. Es sei möglich, diese Tätigkeit - anders als zum Beispiel Tätigkeiten im Haushalt - auch von außerhalb zu bewältigen und nur in begrenztem Umfang vor Ort zu sein.

Im Übrigen sei R. A. in den zwei Jahren vom 01.10.2016 bis 30.09.2018 an 274 Tagen vor Ort gewesen; hierfür seien 60 einzelne Anfahrten erforderlich gewesen. Hierzu hat die Klägerin eine von R. A. erstellte Tabelle vorgelegt.

Es treffe nicht zu, dass die Präsenzkraft entgeltlich tätig sein müsse. Der Gesetzgeber habe bewusst auf den Nachweis entstehender Kosten verzichtet. Der Wohngruppenzuschlag solle gerade dazu dienen, R. A. eine Vergütung für seinen Aufwand zukommen zu lassen, die man sich ohne diesen Zuschlag nicht leisten könne. Eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung bestehe nicht.

Ein besonderer Aufwand entstehe dadurch, dass die Versorgung der drei Mitglieder der Wohngruppe durch vier verschiedene Pflegedienste zu leisten sei, da keiner der Pflegedienste in ausreichendem Umfang Pflegekräfte zur Verfügung stellen könne, die den gesamten Pflegeaufwand abdecken könnten. Die abgesprochenen Versorgungszeiten müssten immer wieder geändert werden, weil Pflegedienste das Personal nicht wie vereinbart zur Verfügung stellen könnten und dadurch wieder anderweitige Ersatzkräfte organisiert werden müssten.

In der mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 hat R. A. angegeben, die Klägerin habe 2018 eine Erhöhung im Pflegegrad von 2 auf 3 erhalten. Seine Schwester habe Pflegegrad 4, der Bruder Pflegegrad 5. Beide Geschwister hätten seit frühester Kindheit eine Behinderung. Er selbst lebe nicht in dem Einfamilienhaus, auch nicht bei längeren Besuchen. Sein Wohnsitz sei M-Stadt. Er habe ca. 1,5 km entfernt von dem Einfamilienhaus, in dem die Klägerin wohne, eine eigene Wohnung. Sein Aufwand für die Wohngruppe seien vor allem die Fahrtkosten. Hierfür erhalte er von der Klägerin gelegentlich einen Pauschalbetrag, der jedoch nicht kostendeckend sei. Derzeit würden vier Pflegedienste in Anspruch genommen, faktisch mit 24-Stunden-Pflege. Es bestehe eine gemeinsame Nachtpflege. Ergänzend wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.05.2018 sowie des Bescheides vom 21.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2017 zu verurteilen, der Klägerin vom 01.10.2016 bis zum 31.12.2016 monatlich 205,- Euro Wohngruppenzuschlag und ab 01.01.2017 monatlich 214,- Euro Wohngruppenzuschlag samt Zinsen gem. § 44 SGB I zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG - die Klägerin begehrt laufende Leistungen für mehr als ein Jahr) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).

Die Berufung ist teilweise begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zulässig. Sie ist jedoch unbegründet, soweit die Klägerin die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags für den Zeitraum 01.10.2016 bis 30.11.2017 begehrt (dazu 1.); hinsichtlich des Zeitraums ab 01.12.2017 ist die Klage dagegen begründet (dazu 2.).

1. Soweit die Klägerin die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags für den Zeitraum 01.10.2016 bis 30.11.2017 begehrt, ist die Berufung unbegründet. Ein Anspruch aus § 38a SGB XI steht der Klägerin insoweit nicht zu.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass keine Person "durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt" ist, wie dies § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vorsieht. Vorliegend hat die Klägerin mit R. A. am 10./13.02.2017 einen Einzelvertrag geschlossen.

Eine gemeinschaftliche Beauftragung im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI existiert aber gerade nicht, wenn durch die einzelnen Bewohner jeweils einzelvertraglich eine Person beauftragt wird. Selbst wenn alle Auftraggeber dieselbe Person beauftragen, liegt rechtlich betrachtet nicht ein Vertrag mit einem Auftraggeber vor, sondern eine Vielzahl von Verträgen mit einer Vielzahl von Auftraggebern. Weitere Voraussetzung ist nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI zudem die "gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung". Auch hieran fehlt es, wenn jeder Bewohner individuell seine pflegerische Personalversorgung selbst organisiert und entsprechend eigene Verträge schließt (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.01.2019, L 30 P 23/18, Rn. 32). Der Beauftragung muss ein gemeinschaftlicher Willensprozess der Gruppe zu Grunde liegen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2018, L 30 P 71/16, Rn. 45). Daran fehlt es hier. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Erfordernis der gemeinschaftlichen Beauftragung bestehen nicht.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, eine gemeinschaftliche Beauftragung sei mündlich erfolgt. Denn aus § 38a Abs. 2 Nr. 5 SGB XI ergibt sich, dass ein Auftragsverhältnis im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI schriftlich zu fixieren ist (BSG, Urteil vom 18.02.2016, B 3 P 5/14 R, Rn. 28). Dies war vorliegend erst am 12./20.11.2017 der Fall.

2. Für den Zeitraum ab 01.12.2017 steht der Klägerin dagegen ein Anspruch auf Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI zu.

a) Es liegt eine Wohngruppe im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI vor. Die Klägerin wohnt mit drei weiteren Personen, von denen zwei ebenfalls pflegebedürftig sind, in einer gemeinsamen Wohnung. Eine solche besteht, wenn der Sanitärbereich, die Küche und der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden können (BSG, a.a.O., Rn. 20). So liegt es hier; der Senat sieht keinen Anlass, an dem entsprechenden Vortrag der Klägerin zu zweifeln. Dass die Bewohner miteinander verheiratet bzw. verwandt sind, spricht nicht gegen das Vorliegen einer Wohngruppe im Sinne des Gesetzes (BSG, a.a.O., Rn. 15). Auch der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin nicht pflegebedürftig ist, steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen; nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift ist nicht Voraussetzung, dass alle Bewohner pflegebedürftig sind (in diesem Sinne auch BSG, a.a.O., Rn. 19).

Ferner wird die Wohngruppe ambulant betreut. Das zentrale Merkmal einer ambulanten Versorgung ist, dass regelhaft Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig bleiben. Es muss vorgesehen sein, dass sich das soziale Umfeld der in der Wohngruppe lebenden Menschen in die Leistungserbringung und in den Alltag einbringen kann, etwa durch die Sicherstellung der Arztbesuche, die Gestaltung und kleine Reparaturen in der Wohnung, Entscheidungen über neue Bewohnerinnen und Bewohner, die Neuanschaffung von Geräten, den Einkauf von Lebensmitteln oder die Verwaltung der Gruppenkasse (BT-Drs. 18/2909, S. 42). Daran bestehen in der vorliegenden, familiär geprägten Konstellation keine Zweifel, zumal der Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag nicht davon abhängt, dass die Bewohnerin oder der Bewohner auch in jedem Einzelfall Angehörige oder ein soziales Umfeld hat, die ihr oder ihm helfen können; entscheidend ist vielmehr, ob nach der Konstruktion der Wohngruppe Möglichkeiten vorhanden sind, dass sich das soziale Umfeld engagiert (BT-Drs. 18/2909, S. 42).

Die Personen leben auch zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zusammen. Anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall (zu diesem BSG, a.a.O., Rn. 31) liegt eine organisierte Struktur der pflegerischen Versorgung vor, die über die individuelle häusliche Pflege hinausgeht. Diese Struktur besteht gerade in dem zusätzlichen - mit zeitlichem und finanziellem Aufwand verbundenen - Einsatz von R. A., der die übrigen Familienmitglieder durch die Organisation und Koordination der verschiedenen Pflegedienste unterstützt, ohne selbst in dem Anwesen zu wohnen. Ob die Unterhaltung einer Zweitwohnung durch R. A. in der Nähe der Wohngruppe ebenfalls Bestandteil der zusätzlichen Struktur ist, lässt der Senat offen. Unabhängig davon ermöglicht gerade das gemeinsame Wohnen Synergieeffekte bei der Pflege wie insbesondere die gemeinsame Nachtpflege, von der R. A. glaubwürdig berichtet hat. Solche Synergieeffekte stellen in jedem Fall Merkmale einer über die individuelle häusliche Pflege hinausgehenden Struktur dar.

b) Die Klägerin bezieht Leistungen im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI. Dies ergibt sich schon aus dem vorgelegten Vertrag mit dem Pflegedienst E. UG, in dem Leistungen nach § 38 SGB XI vereinbart sind, und wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

c) R. A. ist eine beauftragte Person im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI.

aa) Mit der Vereinbarung vom 12./20.11.2017 liegt eine gemeinschaftliche, schriftliche Beauftragung vor.

bb) Gegenstand der Beauftragung ist die Koordination der Pflegedienste, die Verwaltung von deren Abrechnungen und die Weiterleitung an die Kostenträger. Dabei handelt es sich unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung um allgemeine organisatorische und verwaltende Tätigkeiten. Diese gehen deutlich über rein familiäre Verpflichtungen eines ca. 200 km entfernt lebenden Sohnes bzw. Bruders hinaus (zu dieser Voraussetzung BSG, a.a.O., Rn. 25).

cc) Eine Beauftragung im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI scheitert nicht daran, dass R. A. zu selten persönlich in der Wohngruppe anwesend wäre.

Das Gesetz selbst enthält keine Vorgaben, die die Präsenz der beauftragten Person in der Wohngruppe betreffen. In der Fassung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes vom 23.10.2012 (BGBl I 2246) hatte § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI noch verlangt, dass in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet. Dieser Hinweis auf das Erfordernis einer Präsenz entfiel jedoch mit der Neufassung durch das Erste Pflegestärkungsgesetz vom 17.12.2014 (BGBl I 2222), die zum 01.01.2015 in Kraft getreten ist.

Die Gesetzesbegründung hat zwar den im Gesetzeswortlaut zu keiner Zeit verwendeten Begriff der "Präsenzkraft" geprägt (erstmals BT-Drs. 17/9369, Seite 41), enthält aber keine konkreten Hinweise auf den Umfang der erforderlichen Präsenz.

Das Ausmaß der erforderlichen Präsenz hängt daher von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere von der Art der Tätigkeit der beauftragten Person ab. Die beauftragte Person muss so häufig und so lange in der Wohngruppe anwesend sein, wie es notwendig ist, um die im konkreten Einzelfall übernommenen Pflichten effektiv zu erfüllen.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass eine gelegentliche Anwesenheit ausreichend ist. R. A. hat die Aufgabe übernommen, verschiedene Pflegedienste zu koordinieren, deren Abrechnungen zu verwalten und an die Kostenträger weiterzuleiten. In der Praxis bedeutet dies häufig, dass R. A. auf kurzfristige Personalengpässe bei einzelnen Pflegediensten reagieren muss, indem er Kontakt mit anderen Pflegediensten aufnimmt und anfragt, ob diese in bestimmten Zeiträumen einspringen können, damit sichergestellt ist, dass jede der pflegebedürftigen Personen zu jeder Zeit die erforderliche Pflege erhält. Die Verwaltung der Rechnungen umfasst deren Prüfung und die Weiterleitung an den jeweils zuständigen Kostenträger, wobei zu beachten ist, dass neben der Beklagten auch die Versorgungsverwaltung und der zuständige Sozialhilfeträger involviert sind, wodurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Rechnungen auch an mehrere Kostenträger weiterzuleiten sind. Dies alles ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den glaubhaften Ausführungen der Klägerin. Es handelt sich damit teilweise um eine kommunikative Tätigkeit, die vor allem Erreichbarkeit und die Fähigkeit zu zeitnaher Reaktion voraussetzt, teilweise um eine Bürotätigkeit. Für beide Tätigkeiten ist eine persönliche Anwesenheit in der Wohngruppe von nachrangiger Bedeutung. Insbesondere ist die Sicherstellung der jeweils erforderlichen Pflege durch Kontakte mit verschiedenen Pflegediensten mittels Mobiltelefon auch von M-Stadt oder von anderen Orten aus möglich. Gleiches gilt für die Arbeit mit den anfallenden Rechnungen, die von den Pflegediensten ebenso gut nach M-Stadt wie direkt in die Wohngruppe geschickt werden können.

Eine Präsenz an mehreren Tagen in jeder einzelnen Woche ist damit für die übernommene Tätigkeit nicht erforderlich. Der Gesetzgeber lässt in § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI die Übernahme von allgemeinen organisatorischen, verwaltenden Tätigkeiten genügen. Vorgaben zu dem Ort, an dem diese Tätigkeiten durchzuführen sind, hat er nicht gemacht. Es liegt - wie dargestellt - in der Natur der Sache, dass verwaltende und organisatorische Tätigkeiten weniger ortsgebunden sind als die ebenfalls in Betracht kommenden betreuenden Tätigkeiten oder die Unterstützung der Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung.

Ergänzend merkt der Senat noch an, dass sich die Anwesenheit von R. A. in der Wohngruppe nicht auf eine Rufbereitschaft beschränkt, was nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht ausreichend wäre (KassKomm/Leitherer, SGB XI, Stand März 2019, § 38a Rn. 13; Wiegand, in: jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 38a Rn. 31). Dies belegt seine im Berufungsverfahren vorgelegte Aufstellung. Er war danach im Zeitraum Dezember 2017 bis September 2018 an 105 Tagen präsent, was im Durchschnitt 10,5 Tagen pro Monat und damit mehr als einem Drittel der Tage entspricht. Da er auch die Zahl der Anfahrten von M-Stadt angegeben hat, lässt sich erkennen, dass er nicht selten auch an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen anwesend war. Dies geht über eine bloße Rufbereitschaft deutlich hinaus.

dd) Einer Beauftragung im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI steht weiter nicht entgegen, dass R. A. als Sohn bzw. Bruder ein Familienangehöriger der Wohngruppenmitglieder ist. Gesetz und Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis darauf, dass die Beauftragung von Familienangehörigen ausgeschlossen wäre.

Das BSG hat ausgeführt, sowohl dem Gesetz als auch den Gesetzesmaterialien fehlten eindeutige Anhaltspunkte, dass auch Familien- oder Haushaltsangehörige von der Wohngruppe beauftragt werden dürften (a.a.O., Rn. 28). Gleichzeitig fehlen eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass Familien- oder Haushaltsangehörige von der Wohngruppe nicht beauftragt werden dürften. Dies ist nach Überzeugung des Senats ausschlaggebend.

Ein entsprechendes Verbot ergibt sich insbesondere nicht aus analoger Anwendung von § 77 Abs. 1 Satz 4 SGB XI. Dort ist geregelt, dass Pflegekräfte mit dem Pflegebedürftigen, dem sie Leistungen der häuslichen Pflegehilfe erbringen, kein Beschäftigungsverhältnis eingehen dürfen.

Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist nur geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert. Daneben muss eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegen (BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 8 SO 1/13 R, Rn. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Es fehlt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. § 77 Abs. 1 Satz 4 SGB XI bewirkt, dass das sog. Arbeitgeber- oder Assistenzmodell nicht im Rahmen des § 77 Abs. 1 SGB XI durchgeführt werden kann mit der Folge, dass den betroffenen Pflegebedürftigen nicht der im Vergleich zum Pflegegeld (§ 37 Abs. 1 SGB XI) höhere Leistungsrahmen der Pflegesachleistung (§ 36 Abs. 3 SGB XI) zur Verfügung steht (Wahl, in: jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 77 Rn. 18). Hierzu ist ein Verbot von Beschäftigungsverhältnissen - in denen für Arbeit ein Entgelt geschuldet wird, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV - erforderlich. Im Kontext des § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI wäre das denkbare gesetzgeberische Ziel, einen Anspruch auf Zahlung des Wohngruppenzuschlags auszuschließen, wenn Familienangehörige beauftragt sind, bereits durch die Formulierung eines entsprechenden negativen Tatbestandsmerkmals erreichbar. Ein generelles Verbot, Familienangehörige mit Tätigkeiten der in § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI zu beauftragen, wäre nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.

Unabhängig davon kann eine Regelungslücke nicht festgestellt werden. Der Wortlaut "eine Person" umfasst auch Familienangehörige. Da der Gesetzgeber den Wohngruppenzuschlag im Fall der Beauftragung von Familienangehörigen nicht ausgeschlossen hat, kommt er in entsprechenden Fällen - wie vorliegend - in Betracht.

ee) Schließlich spricht auch der Umstand, dass R. A. für seine Tätigkeit kein vertraglich vereinbartes Entgelt bezieht, nicht gegen seine Beauftragung als nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI.

Das Gesetz sieht in seinem Wortlaut keine entgeltliche Dienstleistung vor. Im Gegenteil: Mit der Formulierung "eine Person ... beauftragt ist" legt der Gesetzgeber nahe, dass es sich um einen Auftrag im Sinne von § 662 BGB oder ein Gefälligkeitsverhältnis handeln kann, die definitionsgemäß unentgeltlich ausgeführt werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/9369, S. 41) heißt es, auf einen konkreten Nachweis entstandener Kosten werde bewusst verzichtet. Damit nimmt der Gesetzgeber auch bewusst in Kauf, dass ein Wohngruppenzuschlag auch gezahlt wird, wenn keine Kosten anfallen.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des BSG (a.a.O., Rn. 22 f.). Das BSG hat ausgeführt:

"Mit dem von der Pflegekasse pauschal gewährten Wohngruppenzuschlag sollen jene Aufwendungen zweckgebunden abgegolten werden, die der Wohngruppe durch die gemeinschaftliche Beauftragung der Präsenzkraft entstehen (vgl BT-Drucks 17/9369, S 40 f; BT-Drucks 18/2909, S 42). Damit wird dem besonderen Aufwand Rechnung getragen, der Folge der neu organisierten pflegerischen Versorgung als Wohnform ist. Die Leistung wird pauschal zur eigenverantwortlichen Verwendung für die Organisation sowie Sicherstellung der Pflege in der Wohngemeinschaft gewährt (vgl BT-Drucks 17/9369, S 40). Auf einen konkreten Nachweis der entstandenen Kosten wird verzichtet (vgl BT-Drucks 17/9369, S 41) ...

... Diese Voraussetzung verdeutlicht, dass der Wohngruppenzuschlag keine schlichte Aufstockung der den Mitgliedern der Wohngruppe ohnehin individuell gewährten Leistungen der häuslichen Pflege (§§ 36 ff SGB XI) bewirken sollte."

Es steht den Mitgliedern der Wohngruppe also frei, die Mittel eigenverantwortlich für die zusätzlichen Strukturen der pflegerischen Versorgung zu verwenden, die über die individuelle häusliche Pflege hinausgehen. Diese Strukturen bestehen in dem zusätzlichen - mit zeitlichem und finanziellem Aufwand verbundenen - Einsatz von R. A., der die übrigen Familienmitglieder durch die Organisation und Koordination der verschiedenen Pflegedienste unterstützt, ohne selbst in dem Anwesen zu wohnen (s.o. unter a)). Die Klägerin verwendet die streitgegenständlichen Mittel für diese Strukturen, wenn sie diese an R. A. weiterreicht. Bei einer solchen Verwendung liegt auch keine schlichte Aufstockung der individuell gewährten Leistungen der häuslichen Pflege vor, denn die genannten zusätzlichen Strukturen gehen gerade über die individuelle häusliche Pflege hinaus.

Voraussetzung eines Anspruchs auf Zahlung des Wohngruppenzuschlags ist nicht, dass die entsprechenden Mittel unentbehrlich sind, um die pflegerische Versorgung in einer Wohngruppe sicherzustellen, dass also die zusätzlichen Strukturen nur Bestand haben können, wenn eine vertraglich geschuldete Entlohnung mit den Mitteln des Wohngruppenzuschlags möglich ist. Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten im Gesetz.

Das BSG hat verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt, die je nach Wahl der Wohngruppe für die Verwendung des Wohngruppenzuschlags in Frage kommen (a.a.O., Rn. 26 ff.). Soll danach dem Wohngruppenzuschlag eine ähnliche Funktion wie dem Pflegegeld (§ 37 SGB XI) zukommen (vgl. BT-Drucks 17/9369, S 40), so darf er kein Entgelt sein, sondern entsprechend dem Pflegegeld nicht mehr als eine materielle Anerkennung der erbrachten Aufgaben auch für Angehörige, selbst wenn zwischen der Pflegekraft und den Mitgliedern der Wohngruppe ein Auftragsverhältnis besteht, das schriftlich zu fixieren ist (§ 38a Abs. 2 Nr. 5 SGB XI). So liegt es hier. Die Wohngruppe will den Zuschlag weder einer von der Pflegekasse nach § 77 SGB XI anerkannten Einzelpflegekraft noch einem ambulanten Pflegedienst zukommen lassen, sondern einem Angehörigen eine materielle Anerkennung zuwenden. Dabei handelt es sich - ähnlich wie beim Pflegegeld - nicht um ein vertraglich vereinbartes Entgelt.

Das BSG hat in diesem Zusammenhang offen gelassen, ob die für das Pflegegeld aufgezeigten Grundsätze unmittelbar oder entsprechend für den pauschal zur häuslichen Pflege zusätzlich gewährten Wohngruppenzuschlag gelten (a.a.O., Rn. 28).

Der Senat legt § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI dahingehend aus, dass er die Anwendung der für das Pflegegeld geltenden Grundsätze ermöglicht, ohne dass es einer Analogie bedürfte.

Das gesetzliche Konzept des Pflegegeldes sieht vor, dass pflegende Angehörige unentgeltlich tätig sind und dass Pflegebedürftige ihnen als Anerkennung das Pflegegeld zuwenden können. Das Pflegegeld ist daher nicht als Entgelt ausgestaltet. Es soll vielmehr im Sinne einer materiellen Anerkennung einen Anreiz darstellen und zugleich die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen stärken, indem diese das Pflegegeld zur freien Gestaltung ihrer Pflege einsetzen können (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2014, 1 BvR 1133/12, Rn. 21). Wenn Angehörige unentgeltlich pflegen, liegt dem rechtlich im Regelfall um ein Gefälligkeits- oder Auftragsverhältnis zu Grunde.

§ 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V setzt eine "Beauftragung" und damit ein Rechtsverhältnis voraus, das demjenigen zwischen Pflegebedürftigen und unentgeltlich pflegenden Familienangehörigen deutlich ähnelt. Der Wohngruppenzuschlag ist ebenso wie das Pflegegeld pauschaliert und orientiert sich in seiner Höhe nicht an marktüblichen Entgelten für bestimmte Tätigkeiten. Dagegen ist er geeignet, als materielle Anerkennung für unentgeltlich geleistete Unterstützung verwendet zu werden.

Anhaltspunkte für einen gesetzgeberischen Willen, den Wohngruppenzuschlag auszuschließen, wenn die in § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI vorgesehene "Beauftragung" unentgeltlich ist, sieht der Senat unter diesen Umständen nicht.

Es kann offen bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang R. A. für seine Tätigkeit als Betreuer seiner Geschwister eine Vergütung erhält. Denn er ist nicht Betreuer seiner Mutter, der Klägerin im vorliegenden Verfahren. Unabhängig davon steht es den Mitgliedern der Wohngruppe frei, ihm auch zusätzlich zu einer etwaigen Vergütung als Betreuer finanzielle Zuwendungen zu gewähren, selbst wenn diese zur Abdeckung seiner Fahrtkosten ausreichen würde.

d) Anhaltspunkte dafür, dass eine Versorgungsform der in § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB XI bezeichneten Art vorliegen könnte, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Dies wurde auch von der Beklagten nicht geltend gemacht.

Damit liegen sämtliche Voraussetzungen des streitgegenständlichen Anspruchs auf Gewährung eines Wohngruppenzuschlags vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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