L 1 U 3237/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 3168/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3237/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Berufsgenossenschaften sind keine Unternehmen im Sinne der Art. 81 (ex-Art. 85) und 82 (ex-Art. 86) des EG-Vertrages.
2. Eine Satzungsbestimmung nach § 162 SGB VII verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, wenn sie für eine unterdurchschnittliche Unfallbelastung lediglich einen Beitragsnachlass von 10 vH vorsieht.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen Beitragsforderungen der beklagten Berufsge-nossenschaft für die Jahre 1998 und 1999.

Der am geborene Kläger, griechischer Staatsangehöriger, betreibt seit August 1988 ein Transportunternehmen. Gegenstand des Unternehmens war zunächst nur die Durchführung von Kleintransporten und Kurierfahrten mit Lastkraftwagen (LKW) und Personenkraftwagen (PKW). Am 07.06.1993 erhielt er von der Stadt Stuttgart nach § 80 GüKG in der bis zum 30.06.1998 geltenden Fassung die Erlaubnis für den allgemeinen Güternahverkehr und am 29.04.1999 vom Landratsamt Karlsruhe die Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr nach § 3 GüKG. Seit 16.07.1998 ist die Firma des Klägers als " M. G. Intern. Transporte E.K." mit Sitz in E. in das Handelsregister des Amtsgerichts Karlsruhe eingetragen. Aufgrund eines Antrags vom 10.05.1995 wurde für den Kläger eine Zusatzversicherung gemäß § 41 der Satzung der Beklagten abgeschlossen und die Gesamtversicherungssumme auf die satzungs-mäßige Höchstgrenze festgelegt.

Mit Bescheid Nr. 4 vom 28.03.1999 forderte die Beklagte vom Kläger für die Zusatzversiche-rung gemäß § 41 ihrer Satzung für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1998 bei einem Beitragsfuß von 2,70 einen Beitrag in Höhe von insgesamt 1.173,69 DM. Mit Bescheid Nr. 5, ebenfalls vom 28.03.1999, setzte die Beklagte die Beiträge für das Unternehmen des Klägers bei einem Beitragsfuß von 2,70 für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1998 auf insgesamt 72.071,53 DM (947,70 DM für die Unternehmerpflichtversicherung und 71.123,83 DM für die Arbeitneh-merversicherung) fest. Die Festsetzung der Beiträge für das Jahr 1999 erfolgte durch den Be-scheid Nr. 6 vom 26.03.2000. Bei einem Beitragsfuß von 2,95 ergab sich für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1999 ein Gesamtbetrag von 109.305,93 DM (951,08 DM für die Unterneh-merpflichtversicherung und 108.354,85 DM für die Arbeitnehmerversicherung). In den Be-scheiden Nr. 5 und 6 wurde dem Kläger ein Nachlass von je 10 v.H. gewährt.

Am 17.05.1999 legte der Kläger gegen die Bescheide Nr. 4 und 5 vom 28.03.1999 und am 13.04.2000 gegen den Bescheid Nr. 6 vom 26.03.2000 Widerspruch ein. Er machte geltend, die Bescheide würden in vollem Umfang angegriffen. Das in Deutschland derzeit geltende Sozialversicherungsmonopol der gesetzlichen Unfallversicherung, auf dessen Grundlage die Beitragsbescheide ergangen seien, verstoße gegen das geltende europäische Recht, in dem es zum einen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 ff. EG-Vertrag n. F./Art. 59 ff. EG-Vertrag a.F., zum anderen die Wettbewerbsfreiheit gemäß Art. 81 EG-Vertrag n. F. / Art. 85 ff. a.F. verletze. Darüber hinaus sei das Prinzip des Zwangsversicherungsmonopols gemäß § 114 SGB VII wegen Verstoßes gegen Art. 12, 2, 14 Grundgesetz (GG) verfassungswidrig. Unabhängig von diesen grundsätzlichen Verstößen werde die Rechtmäßigkeit der konkreten Beitragsbescheide gerügt. Sowohl die angesetzten Gefahrenklassen als auch der Beitragsfuß seien nicht nachvollziehbar, die satzungsmäßige Regelung des Nachlasses begegne rechtli-chen Bedenken. Wegen Einzelheiten der Widerspruchsbegründung wird auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 08.06.2000 (Blatt 73/84 der BG-Akte) verwiesen.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies die Widersprüche des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2000 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen die angefochtenen Bescheide fristgerecht Widerspruch eingelegt. Den Widersprüchen könne jedoch nicht stattgegeben werden. Die Forderung der Sozialversicherungsbeiträge vom Kläger seien rechtmäßig. Das Unternehmen des Klägers sei mit Datum vom 12.01.1990 rückwirkend ab 08.08.1988 in das Unternehmerverzeichnis eingetragen worden. Nach Ablauf der Widerspruchsfrist begründeten sich hieraus die satzungsmäßigen Rechte und Pflichten des Unternehmens, wie z.B. die Feststellung der Zugehörigkeit des Unternehmens zur Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen und Unterstellung des Unternehmens zur satzungsmäßigen Pflichtversicherung. Widersprüche gegen die Beitragsbescheide könnten sich daher lediglich gegen Fehler im Beitragsbescheid selber richten, nicht jedoch gegen die grundsätzliche Heranziehung zur Beitragszahlung nach bindend festgestellter Mitgliedschaft. Insoweit würden die Widersprüche gegen die Betragsbescheide gegen die Heranziehung zur Beitragszahlung als unzulässig zurückgewiesen. Was das vom Kläger gerügte Nachlasssystem betreffe, so sei darauf hinzuweisen, dass die gewerblichen Berufsgenossenschaften seit 1965 gesetzlich verpflichtet sind, ein Beitragsausgleichsverfahren durchzuführen. Dabei überlasse der Gesetzgeber die Wahl des Verfahrens den Versicherungsträgern. Die Gestaltung der Verfahren, d.h. die Berechnung von Nachlässen und/oder Zuschlägen liege im Ermessen der Berufsgenossenschaft. Gemäß § 162 SGB VII hätten die gewerblichen Berufs-genossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen. Das Nähere bestimme die Satzung. Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richte sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale. Der Gesetzeswortlaut ermögli-che damit sowohl reine Nachlass- und Zuschlagsverfahren als auch kombinierte Nachlass-/Zuschlagsverfahren und habe der Selbstverwaltung dabei einen weitgehenden Gestaltungs-spielraum eingeräumt. Nachdem das Hessische Landssozialgericht in seiner Entscheidung vom 01.12.1971 ausgeführt habe, dass ein Zuschlag von 10 % des Beitrages des Unterneh-mers ein geeigneter Maßstab ist, dürfte dies auch für Nachlässe in gleicher Höhe Gültigkeit besitzen. Auch die Einwendungen des Klägers gegen die Beitragsfüße der Jahre 1998 und 1999 seien nicht begründet. Der Beitragsfuß werde durch Division des Umlagesolls durch die Beitragseinheiten berechnet. Der Beitragsfuß 1998 sei mit 2,70 in der Sitzung des Vorstands am 25.03.1999 beschlossen worden und der Beitragsfuß 1999 mit 2,95 in der Sitzung des Vorstands am 23.03.2000.

Am 23.08.2000 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.09.2000 an das örtlich zuständige Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwiesen. Mit seiner Klage hat der Kläger die bereits im Widerspruchsverfahren erho-benen grundsätzlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aufrechterhalten. Mit Urteil vom 20.06.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Ent-scheidungsgründen hat es u.a. ausgeführt, soweit der Kläger gegen sein Mitgliedschaft bei der Beklagten Einwendungen vorbringe, seien diese von der Beklagten zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden. Denn die gegen die Bescheide über die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten gegebene Widerspruchsfrist sei bei weitem abgelaufen gewesen. Bereits mit Bescheid vom 12.01.1990 sei der Kläger rückwirkend in das Unternehmerverzeichnis einge-tragen worden, so dass die 2000 eingelegten Widersprüche bei weitem verspätet gewesen sei-en. Nur ergänzend weise die Kammer darauf hin, dass sie, soweit der Kläger Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit einer Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten gegen Verfas-sungs- und Europarecht äußere, in vollem Umfang auf die Ausführungen im Urteil des SG Würzburg vom 28.10.1999 Bezug nehme und sich dessen Ausführungen anschließe. Soweit die Anwendung geltenden Rechts im Hinblick auf die Festsetzung des Beitragsfußes bzw. die Nachlassgestaltung bemängelt worden sei, unterlägen die Entscheidungen der Beklagten auch insoweit keinen Bedenken. Die für den Kläger bestimmte Ausfertigung des Urteils ist dessen Prozessbevollmächtigtem mittels Empfangsbekenntnis am 04.07.2001 zugestellt worden.

Am 08.08.2001 hat der Kläger Berufung eingelegt. Das Berufungsschreiben vom 01.08.2001 ist allerdings am 01.08.2001 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangen und, da es an das Lan-desarbeitsgericht Baden-Württemberg adressiert war, an dieses weitergeleitet worden, wo es am 03.08.2001 eingegangen ist. Das Landesarbeitsgericht hat das Berufungsschreiben dann dem Landessozialgericht übersandt. Mit Beschluss vom 24.09.2001 hat der Senat dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, das SG habe die Ein-wendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit sowie die Vereinbarkeit des Versicherungsmo-nopols der deutschen Unfallversicherer mit dem EG-Vertrag mit der Begründung zurückge-wiesen, Einwendungen gegen die Mitgliedschaft zur Beklagten seien im Hinblick auf seine seit 1989 bestehende, bis 2000 nicht angegriffene Eintragung in das Unternehmerverzeichnis verfristet und damit unzulässig. Diese Auffassung sei jedoch unzutreffend. Unterstellt, das Zwangsversicherungsmonopol der Unfallversicherungen verstoße gegen das EU-Wettbewerbs- bzw. Dienstleistungsrecht und/oder das Grundgesetz, so seien die §§ 114 ff. SGB VII und damit die Rechtsgrundlage für seine Mitgliedschaft bei der Beklagten für nich-tig zu erklären. Bestehe damit keine Versicherungspflicht mehr, so entfalle - unabhängig da-von, dass seine Mitgliedschaft nach bisher geltendem Recht bestandskräftig war - die Grund-lage für die Beitragsveranlagung und damit auch die Rechtmäßigkeit des auf dem Zwangsver-sicherungsmonopol basierenden Beitragsbescheides. Würde man der vom Sozialgericht ver-tretenen Auffassung folgen, wäre ein Angriff gegen das Zwangsversicherungsmonopol der Unfallversicherung nur für Neugründer möglich. Dies widerspreche jedoch sowohl den gel-tenden Rechtsstaatsprinzipien als auch jeder Logik.

Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung sei die Pflichtmitgliedschaft sowohl mit dem EU-Recht als auch dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Berufsgenossenschaften seien Un-ternehmen im Sinne der Art. 81 ff. EG-Vertrag. Dem stehe die Entscheidung des EuGH zur Unternehmereigenschaft des italienischen Unfallversicherers INAIL nicht entgegen. Diese Entscheidung sei auf die Unfallversicherung in Deutschland nicht übertragbar. Die Regelung des italienischen Unfallversicherungsrechts unterschieden sich maßgeblich vom deutschen Recht. So werde in Italien das Versicherungssystem durch Beiträge finanziert, deren Höhe nicht streng proportional zum Versichertenrisiko sei, vielmehr sei der Beitragssatz an be-stimmte Höchstbeträge gebunden, auch wenn die ausgeübte Tätigkeit mit einem sehr hohen Risiko verbunden sei. Auch die Höhe der gewährten Leistungen sei nicht notwenig proportio-nal zu dem Einkommen des Versicherten. Im italienischen Unfallversicherungsrecht werde die Höhe der Leistungen und der Beitrag letztlich staatlich festgelegt, während den Berufsge-nossenschaften in Deutschland eine wesentlich größer Freiraum bei der Beitragsgestaltung eingeräumt werde, wie beispielsweise auch die völlig unterschiedlichen Regelungen des Nachlass-/Zuschlagsverfahrens in den verschiedenen Berufsgenossenschaften zeigten. In die-sem Zusammenhang werde nochmals auf die Entscheidung des EuGH zur Unternehmereigen-schaft französischer und niederländischer Sozialversicherungseinrichtungen hingewiesen, in denen die Unternehmereigenschaft der Einrichtungen bejaht worden sei. Zwischenzeitlich habe der BGH dem Europäischen Gerichtshof in zwei Entscheidungen die Frage vorgelegt, ob die deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen Unternehmen im Sinne der §§ 81 ff. EU-Vertrags sind und hierbei die Auffassung vertreten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die gesetzlichen Krankenversicherungen als Unternehmer anzusehen seien. Dasselbe gelte dann auch für die gesetzlichen Unfallversicherungen. Nachdem somit das höchstinstanzliche deutsche Gericht die Unternehmereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherung bejaht und die Frage dem EuGH vorgelegt hat, werde nochmals nachdrücklich der Antrag auf Vor-lage an den EuGH zur Klärung der Unternehmereigenschaft der gesetzlichen Unfallversiche-rungen wiederholt.

Das Versicherungsmonopol der Berufsgenossenschaften stelle auch einen Eingriff in das Grundrecht der freien Berufswahl und -ausübung gemäß Art. 12 GG dar. Durch die enormen Beitragszahlungen von zuletzt fast 100.000,00 DM pro Jahr werde er in seiner Berufsaus-übung beschränkt, da Kapital in dieser Höhe gebunden werde und nicht anderweitig sinnvoll investiert werden könne. Er bzw. seine Arbeitsnehmer würden für die Beitragsleistungen auch keine äquivalente Gegenleistung erhalten. Eine Einschränkung der Berufswahl durch Schaf-fung staatlicher Monopole sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, wenn dieses staatliche Monopol zur Abwehr schwerer Gefahren für ein beson-ders wichtiges Gemeinschaftsgut unentbehrlich sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Durch die Übertragung der Versicherungstätigkeit auf private Versicherer entstünde keine Gefahr für das im Rahmen der Unfallversicherung zu schützende Gemeinschaftsgut Gesundheit der Ar-beitnehmer. Durch Schaffung einer Pflichtversicherung entsprechend derjenigen im Kfz-Haftpflichtrecht wäre dafür Sorge getragen, dass jeder Unternehmer im Rahmen der gesetzli-chen Unfallversicherung für Versicherungsschutz seiner Arbeitnehmer sorgen müsse. Eventu-elle Insolvenzrisiken privater Versicherer ließen sich durch entsprechende Aufsicht, Auflagen oder Fonds ausschließen.

Das Zwangsversicherungsmonopol stelle auch einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ge-mäß Art. 2 GG und das Eigentumsrecht bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß Art. 14 GG dar. Durch die Regelung der §§ 114 ff. SGB VII werde er gezwungen, seine Arbeitnehmer bei der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft gegen Un-fälle und Berufskrankheit zu versichern; er habe keine freie Wahl des Versicherungsunter-nehmens. Dies sei unverhältnismäßig. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei nicht stimmig. Nach einer Aufstellung der Beklagten habe sie für Unfälle von Arbeitsnehmern seines Unterneh-mens seit 1989 ca. 15.000,00 DM Entschädigungsleistung erbracht, wobei in diesen Beträgen ca. 7.000,00 DM Entschädigungsleistungen enthalten seien, die seitens der Beklagten nach entsprechendem Widerspruch des Klägers als nicht mehr meldepflichtig korrigiert worden seien. Die Versicherungsleistung der Beklagten für bzw. an seine Arbeitsnehmer betrügen somit innerhalb der letzten elf Jahre ca. 8.000,00 DM. Dem stünden Beiträge allein für die Jahre 1988 und 1999 in Höhe von ca. 163.000,00 DM gegenüber. Angesichts dieses Missver-hältnisses sei das auf dem Grundsatz der Solidargemeinschaft basierende Umlageverfahren unverhältnismäßig und nicht haltbar. Die Grundrechte der Art. 2, 14 GG erforderten, dass entgegen der derzeit geltenden Regelung den Umständen und Risiken der einzelnen Unter-nehmen wesentlich mehr Rechnung getragen werden müssten.

Auch das von der Beklagten praktizierte Nachlasssystem halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Dass die Beklagte ihre für die streitgegenständlichen Bescheide geltende Satzung zwischenzeitlich zum 01.01.2000 geändert und nunmehr ein kombiniertes Nachlass-/Zuschlagsverfahren beschlossen habe, zeige, dass auch die Beklagte das bisherige Verfahren für nicht sachgerecht erachtet habe. Das gesamte Beitragsausgleichsverfahren sei grundlegend geändert worden. Im Unterschied zur streitgegenständlichen Regelung berücksichtige die Neuregelung jedenfalls individuelle Verhältnisse eines Betriebes wesentlich mehr als die bis-herige Regelung, nach der Betriebe, in denen sich überdurchschnittlich viele Unfälle ereigne-ten, nicht zusätzlich belastet, sondern über den allgemein gültigen Beitragsfuß von den Be-trieben mit wenigen Unfällen mitfinanziert würden. Die im Widerspruchsverfahren noch ge-äußerten Bedenken zur Festsetzung des Beitragsfußes seien bereits im Klageverfahren nicht mehr weiter verfolgt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juni 2001 sowie die Bescheide der Be-klagten vom 28. März 1999 und 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die angefochtenen Beitragsbescheide rechtmäßig sind. Das deutsche Recht der gesetzlichen Unfallversicherung verstoße nicht gegen EU-Recht. Der EuGH habe mit Urteil vom 22.01.2002 entschieden, dass die italienische Unfallversiche-rungsanstalt kein Unternehmen im Sinne des EG-Vertrages sei. Damit sei erneut bestätigt worden, dass bestimmte Einrichtungen, die obligatorische, auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende Systeme in der sozialen Sicherheit verwendeten, nicht unter dem Begriff des Un-ternehmens fielen und dass die Mitgliedsstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht die Kompe-tenz zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit hätten. Das geltende Recht ver-stoße auch nicht gegen das Grundgesetz. Hierzu sei nur erwähnt, dass das Bundesverfas-sungsgericht sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit den verschiedensten Aspekten des Unfallversicherungsrechts beschäftigt habe und bei diesen Entscheidungen die Verfassungs-mäßigkeit des Versicherungsmonopols der Berufsgenossenschaften und des gegliederten Sys-tems des gesetzlichen Unfallversicherung mit Zwangsmitgliedschaft vorausgesetzt und auch nicht beanstandet habe.

Während des Klageverfahrens sind weitere Beitragsbescheide für die nachfolgenden Jahre ergangen. Der Berichterstatter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die für die Jahre ab 2000 ergangenen Bescheide möglicherweise analog § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Ge-genstand des Klage- und Berufungsverfahrens geworden sind. Nach Vorlage der Bescheide und der hierzu vom Kläger eingelegten Widersprüche sind die Beteiligten mit Schreiben vom 01.07.2003 darauf hingewiesen worden, dass gegen die Folgebescheide nicht die gleichen Einwände erhoben worden seien wie gegen die mit der Klage angefochtenen Bescheide, son-dern darüber hinaus weitere Einwände vorgebracht worden seien. Eine Einbeziehung der Fol-gebescheide in das Klage- oder Berufungsverfahren entspreche daher nicht der Prozessöko-nomie.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklag-ten verwiesen. Auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Satzung (Anlage zu Bl. 68/119 der LSG-Akte und Anlage zu Bl. 44 der SG-Akte) wird in vollem Umfang Bezug ge-nommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Zwar hat der Kläger die Frist für die Einlegung der Berufung versäumt, dieser Umstand steht jedoch der Zulässig-keit der Berufung nicht mehr entgegen, da der Senat dem Kläger wegen Versäumung der Be-rufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind nur die Bescheide vom 28.03.1999 und der Be-scheid vom 26.03.2000, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2000. Nicht Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens sind die später ergangenen Beitrags-bescheide der Beklagten. Zwar werden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Beitragsrecht während des Verfahrens vor dem Sozialgericht und dem Landessozi-algericht im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergangene Folgebescheide, die eine Re-gelung jeweils für einen weiteren Zeitraum treffen, in entsprechender Anwendung von § 96 SGG i.V. m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des beim LSG anhängigen Streitverfahrens, wenn gegen die Folgebescheide die gleichen Einwände wie gegen den Erstbescheid erhoben wer-den, der Kläger sich auch gegen die Folgebescheide wendet und die Beklagte nicht wider-spricht. Dies gilt nach der Rechtsprechung insbesondere auch hinsichtlich der in der gesetzli-chen Unfallversicherung für die einzelnen Geschäftsjahre ergangenen Beitragsbescheide (BSG-Urteil vom 14.12.1999 - SozR 3-2200 § 549 Nr. 48 mit weiteren Nachweisen). Im vor-liegenden Fall scheidet eine Einbeziehung der für die Jahre ab 2000 ergangenen Beitragsbe-scheide analog §§ 96, 153 Abs. 1 SGG aus, weil gegen diese Bescheide nicht die gleichen Einwendungen erhoben worden sind wie gegen die für die Jahre 1998 und 1999 ergangenen Bescheide. Auch sind bereits Widerspruchsverfahren gegen die Folgebescheide eingeleitet und mehrere Abhilfebescheide erlassen worden, mit denen den Einwendungen des Klägers teilweise Rechnung getragen worden ist.

Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rech-ten.

Der Kläger macht in diesem Verfahren nur noch geltend, dass die gesetzlichen Vorschriften, auf denen die angefochtenen Bescheide beruhen, gegen höherrangiges Recht verstoßen. Ein-wände gegen die Veranlagung zu einem bestimmten Gefahrtarif sowie gegen die Festsetzung des Beitragsfußes werden nicht mehr erhoben. Mit seinen gegen die Wirksamkeit der gesetz-lichen und satzungsrechtlichen Bestimmungen vorgebrachten Argumenten ist der Kläger nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Bescheid, mit dem die Zugehörigkeit des Unterneh-mens des Klägers zur Beklagten bestimmt wurde, bestandskräftig geworden ist. Daraus folgt lediglich, dass der Kläger der Erhebung von Beiträgen nicht mit dem Einwand begegnen kann, sein Unternehmen sei nach dem geltenden Rechts gar nicht Mitglied der Beklagten. Diesen Einwand erhebt der Kläger aber nicht. Er ist vielmehr der Ansicht, dass das geltende Recht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht wirksam ist und daher auch keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erhoben werden können. Mit diesem Vorbrin-gen ist der Kläger nicht ausgeschlossen. Sollten die Beitragbescheide der Beklagten auf Rechtsvorschriften beruhen, die nicht mit dem Grundgesetz oder dem europäischen Recht vereinbar sind, wären sie in jedem Fall rechtswidrig. Ein solcher Fall liegt nach Auffassung des Senats hier aber nicht vor.

Rechtsgrundlage der für die Jahre 1998 und 1999 ergangenen und hier streitgegenständlichen Bescheide sind die §§ 114 ff SGB VII, insbesondere die 150ff SGB VII sowie die Satzungs-bestimmungen der Beklagten. In der gesetzlichen Unfallversicherung werden die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaften durch Beiträge der Unternehmer aufgebracht (§ 150 Abs. 1 SGB VII). Die Beiträge werden nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsansprüche entstanden sind, im Wege der Umlage festgesetzt. Die Umlage muss den Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres einschließlich der zur Ansammlung der Rücklage nötigen Beträge decken. Darüber hinaus dürfen Beiträge nur zur Zuführung zu den Betriebs-mitteln erhoben werden (§ 152 Abs. 1 SGB VII). Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die Gefahrklas-sen (§ 153 Abs. 1 SGB VII). Für die Beiträge der kraft Satzung versicherten Unternehmer und der freiwillig Versicherten ist anstelle der Arbeitsentgelte die kraft Satzung bestimmte Versi-cherungssumme die Berechungsgrundlage (§ 154 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Die gewerblichen Berufsgenossenschaften haben unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (§ 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Das Nähere hat die Berufsgenossenschaft in ihrer Satzung zu bestimmen (§ 162 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 SGB VII).

Diese gesetzlichen Bestimmungen verstoßen nach Ansicht des Senats nicht gegen europäi-sches Recht. Daher ist eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im vorliegenden Verfahren nicht erforderlich. Das Gemeinschaftsrecht lässt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Sys-teme der sozialen Sicherheit unberührt (EuGH Urt. vom 22.01.02 - Rs. C-218/00 - Breithaupt 2002, 354 m.w.N.). Auch der Schutz gegen die Risiken von Arbeitsunfällen und Berufskrank-heiten, wie ihn die deutsche gesetzliche Unfallversicherung bietet, gehört zum sozialen Schutz, den die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihrer gesamten Bevölkerung oder einem Teil hiervon gewähren. Daher ist der nationale Gesetzgeber berechtigt, in eigener Zu-ständigkeit die Unfallversicherung als Teil eines Systems der sozialen Sicherheit auszugestal-ten.

Die Beklagte ist als gewerbliche Berufsgenossenschaft Träger der gesetzlichen Unfallversi-cherung (Anlage 1 Nr. 33 zu § 114 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Sie ist - wie die anderen Berufsge-nossenschaften - kein Unternehmen i.S. der Art. 81 (ex- Art. 85) und 82 (ex-Art. 86) des Ver-trages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag). Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben-de Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Eine wirtschaft-liche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten (EuGH aaO S. 358). Die beklagte BG übt keine wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Sinn aus, weil das System der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung einen sozialen Zweck verfolgt, den Grundsatz der Solidarität umsetzt und die Höhe der Bei-träge staatlicher Aufsicht unterliegt. Die vom EuGH in seiner Entscheidung zum italienischen Unfallversicherungssystem gemachten Ausführungen gelten daher im Wesentlichen auch für die deutsche gesetzliche Unfallversicherung. Die Beklagte nimmt durch ihre auf Gesetz beru-hender Mitwirkung an einem traditionellen Zweig der sozialen Sicherheit eine Aufgabe rein sozialer und nicht wirtschaftlicher Art wahr (vgl EuGH aaO S. 361).

Mit den Bestimmungen des SGB VII verfolgt der deutsche Gesetzgeber einen sozialen Zweck. Die Vorschriften gewähren unabhängig von einer Pflichtverletzung des Geschädigten und des Arbeitgebers Deckung gegen die Risiken des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit. In § 7 Abs. 2 SGB VII wird ausdrücklich bestimmt, dass verbotswidriges Handeln einen Ver-sicherungsfall nicht ausschließt. Der soziale Zweck des deutschen Versicherungssystems wird ferner dadurch bestätigt, dass die Leistungen auch gewährt werden, wenn die fälligen Beiträge nicht entrichtet wurden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt EuGH aaO S. 360).

Der Grundsatz der Solidarität wird auch in der deutschen Unfallversicherung umgesetzt. Denn die Unfallversicherung wird durch Beiträge finanziert, die nicht streng proportional zum ver-sicherten Risiko und überdies der Höhe nach begrenzt sind. Berechnungsgrundlage für die Beiträge sind neben den Gefahrklassen auch die Arbeitsentgelte der Versicherten (§ 153 Abs. 1 SGB VII). Damit werden die Beiträge nicht nur auf der Grundlage des mit der Tätigkeit des betreffenden Unternehmens verbundenen Risikos berechnet. Das Arbeitsentgelt wird außer-dem nur bis zur Höhe des Höchstjahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt (§ 153 Abs. 2 SGB VII). Zwar kann dessen Höhe durch die Satzung bestimmt werden (§ 85 Abs. 2 Satz 2 SGB VII), doch ändert dies nichts daran, dass eine Begrenzung erfolgt. Im Übrigen haben alle Versicherten unabhängig von der Höhe ihres Einkommens Anspruch auf Heilbehandlung (§§ 26ff SGB VII), die zudem als Sachleistung gewährt wird, sodass noch nicht einmal finanzielle Vorleistungen erbracht werden müssen (§ 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII). Der Anspruch auf Heilbehandlung umfasst u.a. ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei, Verband-, Heil- und Hilfsmittel sowie stationäre Behandlung in Krankenhäusern und Rehabi-litationseinrichtungen (§ 27 SGB VII). Das in § 162 SGB VII vorgesehene Beitragsaus-gleichsverfahren, das der Beitragsdifferenzierung nach dem versicherten Risiko dient und so ökonomische Anreize zur Prävention schaffen soll, stellt zwar eine Betonung des Versiche-rungsprinzips dar (Papier/Möller SGb 1998, 337,348), doch wird durch die Bestimmungen in § 162 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII wieder sicher gestellt, dass auch im Ausgleichsverfahren Elemente des Solidaritätsprinzips erhalten bleiben. Denn mit den genannten Bestimmungen werden Risiken (z.B. Wegeunfälle) vom Ausgleichsverfahren ausgenommen, auf die der Ar-beitgeber keinen Einfluss hat. Darin liegt eine Stärkung des Solidarprinzips, weil diese Risi-ken jedenfalls nicht über das Beitragsausgleichsverfahren individualisiert werden können (Pa-pier/Möller aaO).

Die deutsche gesetzliche Unfallversicherung ist wie die italienische Unfallversicherung staat-licher Aufsicht unterworfen (vgl. zu diesem Aspekt EuGH aaO S. 361). Der Gefahrtarif und jede Änderung bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 158 Abs. 1 SGB VII). Wird der Gefahrtarif in einer von der Aufsichtsbehörde gesetzten Frist nicht aufgestellt oder wird er nicht genehmigt, stellt ihn die Aufsichtsbehörde auf (§ 158 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Damit trägt der Staat eine Mitverantwortung für die Höhe der Versicherungsbeiträge.

Die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung durch die Beklagte verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz. Sozialversicherungsbeiträge sind keine Sonderabgaben im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG SozR 5425 § 1 Nr. 1). Zwar darf bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen ein Beteiligter, der nicht selbst Versicherter ist, nur dann zur Finanzierung herangezogen werden, wenn es dafür einen sach-orientierten Anknüpfungspunkt in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitrags-pflichtigen gibt (vgl BVerfG aaO). Diese Voraussetzung ist hier jedoch erfüllt. Denn der Klä-ger haftet als Arbeitgeber für die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und diese Haftung wird im System der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Unfallversicherungs-träger - wozu auch die Beklagte gehört - übernommen. Dafür zahlt der Kläger als Arbeitgeber Beiträge. Grundkonzeption der Unfallversicherung ist die Finanzierung aller Folgen von Ar-beitsunfällen und Berufskrankheiten durch alle Mitglieder der Unfallversicherungsträger (BSG 18.04.2000 - B 2 U 2/99 R - ).

Die Verpflichtung des Klägers zur Beitragszahlung verstößt auch nicht gegen Art 12 Abs. 1 GG. Dabei lässt der Senat offen, ob der Anwendungsbereich dieser Norm überhaupt betroffen ist. Denn die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung lässt keine berufs-regelnde Tendenz erkennen. Durch die Erhebung der Beiträge und die Art der Erhebung in Form eines Umlageverfahrens soll weder die Wahl noch die Art der Ausübung eines Berufs gesteuert werden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG aaO). Sofern davon ausgegangen werden muss, dass der Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG auch dann eröffnet ist, wenn eine berufsregelnde Tendenz der zu beurteilenden Normen nicht gegeben ist, hält der Senat den mit der Beitragsbelastung verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit für verfassungsrechtlich unbedenklich. Eingriffe in die Berufsausübung sind gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung zulässig, die den Anforderun-gen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Dies ist der Fall, wenn die eingreifende Norm kompetenzgemäß erlassen worden ist und durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfG SozR 3-1400 § 128a Nr. 9). Da die Höhe der Beiträge in der gesetzlichen Unfallver-sicherung nicht unmittelbar durch Gesetz, durch Rechtsverordnung oder Satzung des Versi-cherungsträgers festgesetzt wird, sondern sich - wie oben dargelegt - im Wege einer Umlage nach Ablauf des Kalenderjahres ergibt, ist für die konkrete Abgabenbelastung neben der Schadensentwicklung vor allem maßgebend, wie die Gefahrgemeinschaften gebildet werden (Papier/Möller aaO S. 337). Die Bildung der Gefahrklassen durch die Beklagte wird vom Kläger aber nicht (mehr) beanstandet. Seinem Vorbringen lässt sich jedenfalls nicht entneh-men, weshalb die Gefahrklassen im konkreten Fall anders hätten gebildet werden müssen. Auch hat er die wirtschaftliche Situation seines Unternehmens nicht näher dargelegt, sodass nicht festgestellt werden kann, ob die Beitragsbelastung gemessen an Umsatz und Ertrag des Unternehmens verhältnismäßig ist. Der Hinweis, dass die Haftung des Arbeitgebers für Ar-beitsunfälle und Berufskrankheiten auch durch eine private Versicherung gewährleistet wer-den könnte, reicht zur Begründung für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nicht aus.

Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 14 GG scheidet aus. Dieses Grundrecht schützt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht das Vermögen als sol-ches gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten (BVerfG aaO).

Der Kläger wird durch die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen in die gesetzliche Unfallversi-cherung auch nicht in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit verletzt (Art 2 Abs. 1 GG). Die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen berührt zwar die wirtschaftliche Freiheit des Klägers, verletzt aber nicht den durch Art 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass dem Kläger aufgrund der hier streitgegenständlichen Beitragsbelastung kein angemessener Spielraum mehr verbleibt, um sich als verantwortlicher Unternehmer wirt-schaftlich frei zu entfalten (vgl hierzu BVerfG aaO). Auch der Mitgliedschaftszwang bei einer Berufsgenossenschaft schränkt zwar die Handlungsfreiheit des Unternehmers ein, aber nicht in rechtswidriger Weise. Mit dem System der gesetzlichen Unfallversicherung verfolgt der Gesetzgeber - wie bereits dargelegt - nicht nur einen sozialen Zweck, sondern setzt auch den Grundsatz der Solidarität um.

Das von der Beklagten in ihrer Satzung normierte System der Beitragsnachlässe gemäß § 162 SGB VII verstößt in der hier maßgeblichen, für die Jahre 1998 und 1999 geltenden Fassung nicht gegen höherrangiges Recht. Nach § 26 der Satzung bewilligt die Beklagte unter Berück-sichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Nachlässe auf den Beitrag. Dabei bleiben Wegeunfälle, Berufskrankheiten sowie auf Antrag des Unternehmers Versicherungsfälle, die nachweislich auf höhere Gewalt oder alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehö-render Personen zurückzuführen sind, unberücksichtigt. Einen Nachlass erhalten Unterneh-men, deren Unfallbelastung im Umlagejahr die durchschnittliche Unfallbelastung aller Unter-nehmen um einen Mindest-Vomhundertsatz unterschreitet. Arbeitsunfälle werden ihrer Schwere entsprechend mit Messzahlen bewertet. Die Unfallbelastung eines Unternehmens ergibt sich aus dem Verhältnis der Summe der Messzahlen für die im Unternehmen vorge-kommenen Arbeitsunfälle zum Jahresbeitrag. Die durchschnittliche Unfallbelastung ergibt sich aus dem Verhältnis der Gesamtsumme der Messzahlen zum Umlagesoll. Die Messzahlen (Belastungseinheiten) für anzeigepflichtige Arbeitsunfälle werden in der Satzung festgesetzt. Liegt die Unfallbelastung eines Unternehmens mindestens 10 v.H. unter der durchschnittli-chen Unfallbelastung, so wird der Umlagebeitrag um 10 v.H. ermäßigt.

Diese Ausgleichsregelung ist rechtmäßig. Der Beklagten ist es nicht verwehrt, ein reines Nachlassverfahren vorzusehen. Sie ist nicht verpflichtet Betriebe, in denen sich überdurch-schnittlich viele Unfälle ereignen, mit Zuschlägen zu belasten. Auch die Begrenzung des Nachlasses auf 10 v.H. des Umlagebeitrags ist nicht zu beanstanden. Mit der von der Beklag-ten im streitigen Zeitraum getroffenen Regelung wird zwar das individuelle Risiko weniger stark berücksichtigt. Die darin zum Ausdruck kommende Betonung des Solidarausgleichs ist aber rechtmäßig. Wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt beruht die Grundkonzep-tion der Unfallversicherung gerade in der Finanzierung aller Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten durch alle Mitglieder der Unfallversicherungsträger (BSG 18.04.2000 - B 2 U 2/99 R - ). Das Beitragsausgleichsverfahren dient vor allem dazu, Anreize zur Vermei-dung von Unfällen zu schaffen. Diese Aufgabe erfüllt auch ein reines Nachlasssystem, das den Nachlass auf 10 v.H. des Beitrags begrenzt.

Auch der Bescheid Nr. 4 vom 28.03.1999, mit dem die Beklagte den Beitrag für die Zusatz-versicherung gemäß § 41 ihrer Satzung geltend macht, ist rechtmäßig. Fehler bei der Anwen-dung des geltenden Rechts werden vom Kläger nicht behauptet und es wird - abgesehen von der vom Kläger beanstandeten Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung - auch nicht dargelegt, weshalb § 41 der Satzung der Beklagten gegen höherrangiges Recht verstoßen soll. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Zusatzversicherung ohnehin nur auf Antrag des Klägers zustande kommen konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung. In Verfahren, die vor dem Inkrafttreten des 6. SGGÄndG am 2.1.2002 anhängig gewesen sind, ergeht die Kostenentscheidung in jedem Rechtszug unabhängig vom Entscheidungszeit-punkt auf der Grundlage des § 193 in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung (§ 193 aF). Dies folgt aus der in Art 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGGÄndG getroffenen Übergangsregelung. Dort wird zwar dem Wortlaut nach nur die Weitergeltung von § 183 aF angeordnet; eine aus-drückliche Regelung, nach welchen Vorschriften in diesen Verfahren ab dem Inkrafttreten des 6. SGGÄndG die Kostengrundentscheidung zu treffen ist, ist in Art 17 nicht enthalten. Der 6. Senat des BSG hat jedoch in seinem Urteil vom 30.1.2002 – B 6 KA 12/01 R –zu Recht ent-schieden, dass die Anordnung der Weitergeltung des alten Rechts nicht nur die Gerichtskos-ten, sondern auch die Vorschriften für die Kostentragungspflicht der Beteiligten erfasst. Die Anwendung von § 197a SGG führt vor allem im Bereich der Erstattungsfähigkeit von Kosten zu einem deutlich höheren Kostenrisiko für Kläger, weil die Regelung keine dem § 193 Abs 4 SGG vergleichbare Bestimmung enthält. Es widerspricht aber den rechtsstaatlichen Grundsät-zen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, einen Prozessbeteiligten nachträglich einem Kostenrisiko auszusetzen, das bei Beginn des Prozesses noch nicht gegeben war (BSG aaO)

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen ( § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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