S 87 KA 1066/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
87
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KA 1066/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Neupraxenstatus entfällt, wenn ein Arzt vor seiner Tätigkeit in einem MVZ oder einer BAG im selben Planungsbereich vertragsärztlich tätig war. Vertragsärztlich tätig in diesem Sinne ist nicht ein angestellter Arzt. Die vorherige Tätigkeit als angestellter Arzt im Planungsbereich lässt den Neupraxenstatus nicht entfallen.
Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 wird insoweit aufgehoben, als die Erhöhung der Fallzahlen im Rahmen der Neupraxenregelung für die am MVZ Krankenhaus H. angestellte Ärztin Frau A. für die Quartale II/2012 bis IV/2012 abgelehnt wird.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für die am MVZ Krankenhaus H. angestellte Ärztin bei der Berechnung des Regelleistungsvolumens eine Fallzahlerhöhung im Rahmen der Neupraxenregelung für die Quartale II-IV/2012 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte und die Klägerin haben jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anwendbarkeit der Neupraxenregelung bei der Berechnung des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Quartale II-IV/2012.

Die Klägerin ist die Trägergesellschaft einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (üBAG) des MVZ P. und MVZ am Krankenhaus H.

Das MVZ P. ist seit dem 1. April 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, das MVZ am Krankenhaus H. seit dem 1. Oktober 2010. Seit 1. April 2012 besteht die üBAG beider MVZ.

Im MVZ am Krankenhaus H. waren zunächst der Facharzt für Chirurgie Dr. G. und die Fachärztin für Neurochirurgie Frau A. tätig.

Frau A. war seit 1. August 2008 in einem anderen MVZ und seit 1. Oktober 2010 im MVZ am Krankenhaus H. angestellt. Herr Dr. G. war seit 1. Oktober 1999 in B. als Vertragsarzt zugelassen. Dr. G. war seit 1. Oktober 2010 ebenfalls als angestellter Arzt im MVZ am Krankenhaus H. mit einem vollen Versorgungsauftrag tätig. Zum 1. Juli 2012 übernahm die Fachärztin für Chirurgie Dr. N. als angestellte Ärztin 0,75 % des Versorgungsauftrages des Herrn Dr. G. Zum 3. Juli 2012 wurde Dr. N. die Berechtigung zur Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung (OnkV) erteilt.

In den Quartalen II-IV/2012 lag das RLV der Frau A. unter dem Fachgruppendurchschnitt.

Mit Widerspruchsschreiben vom 10. August, 10. Oktober 2012 und 14. Januar 2013 stellte die Klägerin Anträge auf Anwendung der Neupraxenregelung bei der Berechnung des RLV für die Quartale II – IV/2012.

Diese lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 ab. Das begründete sie im Wesentlichen damit, dass die Neupraxenregelung des HVM 2012 nicht anwendbar sei, weil das MVZ P. bereits zum 1. April 2006 zugelassen worden sei und daher die Neupraxenregelung im Quartal I/2009 geendet habe.

Am 26. August 2016 hat die Klägerin Klage erhoben mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Klägerin trägt vor, die Neupraxenregelung nicht für das MVZ P., sondern für das MVZ am Krankenhaus H. geltend gemacht werde. Dieses sei jedoch erst zum 1. Oktober 2010 zugelassen worden, so dass die Neupraxenregelung noch Anwendung finde. Insoweit habe das Landessozialgerichts Berlin Brandenburg (LSG BB) mit Urteil vom 19. Februar 2014, L 7 KA 68/12, entschieden, dass die Neupraxenregelung auch dann anzuwenden sei, wenn in einem MVZ zunächst Ärzte mit unterdurchschnittlicher Fallzahl ihre Zulassung einbrächten und dann durch jüngere Ärzte ersetzt würden. Das MVZ sei einem Vertragsarzt gleichzusetzen. Es sei auch zu beachten, dass die Anstellung der Fachärztin für Neurochirurgie Frau A. im Wege der Neuzulassung und nicht der Nachbesetzung erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt,

der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2015 (Tagebuchnummern 28289-14; 44215-14, 1169-15, 4625-15) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Erhöhung der Fallzahlen im Rahmen der Neupraxenregelung für das MVZ Krankenhaus H. für die Quartale II – IV/2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass der die Neupraxenregelung auch für das MVZ am Krankenhaus H. nicht zu gewähren sei. Denn nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R stelle der Eintritt eines weiteren Arztes in eine bereits bestehende BAG keine Neuaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit dar. Dies sei auch hier gegeben. Seit Gründung der üBAG sei damit auch das MVZ am Krankenhaus H. keine Neupraxis mehr. Die Regelung im HVV 2012 gelte entsprechend für das MVZ. Die Einbringung einer Zulassung in ein MVZ, Neueinstellung oder der Austausch eines angestellten Arztes begründeten keine Neupraxenregelung. Das BSG habe im Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R bestätigt, dass für die Frage des Vorliegens einer Aufbaupraxis der Zulassungszeitpunkt des MVZ entscheidend sei. Daneben müsse auch für die jeweils im MVZ tätigen Ärzte noch der Neupraxenstatus bestehen. Das MVZ P. sei seit 1. April 2006 zugelassen, so dass die Neupraxenregelung zum Quartal I/2009 endete. Außerdem sei bei den im MVZ am Krankenhaus H. tätigen Ärzte Dr. G. und Frau A. der Neupraxenstatus in den streitigen Quartalen ebenfalls nicht mehr gegeben, da Dr. G. seit 1. Oktober 1999 in Berlin als Vertragsarzt zugelassen gewesen sei und Frau A. seit 1.Juli 2008 an einem anderen MVZ in B. als angestellte Ärztin vertragsärztlich tätig gewesen sei.

In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte die Vertagung mit der Begründung beantragt, die allein zuständige Sachbearbeiterin sei erkrankt und eine E-Mail der Administration der Klägerin vom Verhandlungstag 7:50 Uhr vorgelegt, die lautet: "[ ] leider ist Frau S. heute erkrankt und muss den Termin absagen. Da sie unbedingt selbst an der Verhandlung teilnehmen möchte, bittet sie, den Termin zu verschieben. Das Attest folgt, sofern benötigt." Diesen Antrag hat die Kammer mit Beschluss in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der geheimen Beratung geworden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG handelt.

Die Kammer hat den Vertagungsantrag der Klägerin abgelehnt, weil kein erheblicher Grund i.S.d. § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO für die Vertagung bestand.

Nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO kann das Gericht einen Termin nur aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen verlegen. Ein entsprechend erheblicher Grund liegt nur vor, wenn es dem verhinderten Beteiligten ohne diese unmöglich gemacht würde, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern. Ein anwaltlich vertretener Kläger muss in seinem Verlegungsantrag substantiiert darlegen, warum es unerlässlich ist, dass er in einem Termin anwesend ist. Eine Erkrankung ist durch eine ärztliche Bescheinigung zu belegen (vgl. BSG, Beschluss vom 5. März 2004, B 9 SB 40/03 B; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 12. Auflage 2017 § 110 Rn 4bff.).

Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, warum es unerlässlich war, dass die Sachbearbeiterin Frau S. am Termin teilnimmt, in dem sie von ihrem anwesenden Bevollmächtigten vertreten war. Allein die Angabe, dass die alleinige Sachbearbeiterin gern am Termin teilnehmen möchte, genügt insoweit nicht. Während des Klageverfahrens erfolgte der gesamte Vortrag über den Klägerbevollmächtigten. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Anwesenheit der im Klageverfahren nicht in Erscheinung getretenen Sachbearbeiterin der Klägerin im Termin unerlässlich gewesen sein sollte.

Die Klage hat keinen Erfolg.

Sie ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG zulässig, und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 23. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erhöhung der Fallzahlen im Rahmen der Neupraxenregelung für die am MVZ am Krankenhaus H. angestellte Ärztin Frau A. für die Quartale II –IV/2012. Darüber hinaus besteht kein Anspruch auf Erhöhung der Fallzahlen für das gesamte MVZ am Krankenhaus H., die Bescheide waren insoweit rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Teil B § 12 der hier maßgeblichen HVM für die Quartale II- IV/2012 lautet:

"Ein neu niedergelassener Arzt erhält ein Regelleistungsvolumen auf Basis der Fallzahl des Vorgängerarztes. Soweit diese Fallzahl des Vorgängerarztes aufgrund von honorarberichtigenden Maßnahmen geändert wird, ist diese geänderte Fallzahl ggf. auch rückwirkend für das Regelleistungsvolumen des neu niedergelassenen Arztes maßgeblich. Soweit es keinen Vorgängerarzt gibt, erfolgt die Berechnung des Regelleistungsvolumens auf der Basis der Hälfte der durchschnittlichen, für das Regelleistungsvolumen relevanten Fallzahl der jeweiligen Arztgruppe. Soweit eine höhere Fallzahl – als die in Satz 1 und 2 genannte – im Abrechnungsquartal tatsächlich erreicht wird, vergrößert sich das Regelleistungsvolumen des Arztes je zusätzlichem Fall in Höhe des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe begrenzt bis zur durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe. Nach Ablauf von 12 Quartalen nach der Niederlassung berechnet sich das Regelleistungsvolumen auf der Basis der Fallzahl des Vorjahresquartals. Überschreitet er die durchschnittliche Fallzahl der Arztgruppe, gilt die vorgenannte Regelung nicht mehr. Verlegt ein Arzt seine Praxis in einen Verwaltungsbezirk, der isoliert betrachtet für die bedarfsplanungsrelevante Arztgruppe einen Versorgungsgrad von weniger als 100 % aufweist, so gelten für ihn auf Antrag Satz 3 bis 6 entsprechend."

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2014 wurde – rückwirkend zum 01 April 2012 § 12a in den HVM eingefügt. Dieser hat folgenden Wortlaut:

"§ 12 gilt entsprechend für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als zugelassene Leistungserbringer. Bei der Berechnung des Wachstums nach § 12 auf den gewichteten Mittelwert der Arztgruppendurchschnitte der im MVZ vertretenen Arztgruppen werden die zugelassenen und angestellten Ärzte innerhalb des MVZ herangezogen. Dabei begründet insbesondere nicht die Einbringung einer Zulassung in ein MVZ, nicht die Neueinstellung eines Arztes oder der Austausch von angestellten Ärzten innerhalb eines MVZ allein ein Wachstum. Die Berufsausübungsgemeinschaft als solche ist vom Wachstum ausgeschlossen."

Die Kammer kann offenlassen, ob die rückwirkende Einführung des § 12a HVM rechtmäßig war. Denn die entsprechende Anwendung der für Vertragsärzte geltenden Bestimmungen auf MVZ, soweit keine abweichende Bestimmung besteht, ergibt sich ohnehin aus § 72 Abs. 1 S. 1 SGB V (vgl. dazu Urteil des SG Berlin vom 27. Juni 2012, S 83 KA 223/11 Rn 33; bestätigt durch Urteil des LSG BB vom 19. Februar 2014, L 7 KA 68/12 ).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen im Rahmen Regelung der Leistungsmengen durch RLV und QZV umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Dem Vertragsarzt muss - wegen seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der sogenannten Honorarverteilungsgerechtigkeit - die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimer Weise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Daher ist allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen und damit ihre Praxis zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (vgl. zuletzt BSG Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 25 f.; vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn. 19 ff, vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R Rn 18 m.w.N.).

Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht dahingehend konkretisiert, dass Praxen in der Aufbauphase die Steigerung ihres Honorars auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein muss, während dies anderen, noch nach der Aufbauphase unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen jedenfalls innerhalb von fünf Jahren ermöglicht werden muss. Dabei bemisst das Bundessozialgericht die Dauer einer Aufbauphase mit einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Diese Grundsätze gelten unabhängig von der Art der Honorarverteilungsregelungen (vgl. zuletzt BSG, BSG Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 25 f.; vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn. 19 ff; Urteil vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R Rn 19f. m.w.N.).

Bezüglich des Neupraxenstatus von BAGs und MVZs hat das BSG diese Rechtsprechung weiter konkretisiert. Danach ist vorliegend eine dreistufige Prüfung erforderlich. Es kommt darauf an, ob der üBAG selbst und den diese bildenden MVZ P. und MVZ am Krankenhaus H. der Neupraxenstatus zukommt. Hinsichtlich der Frage, ob bei beiden MVZ der Neupraxenstatus besteht, ist wiederum auch entscheidend, ob sich die in diesen tätigen Ärzte ebenfalls noch in der Aufbauphase befinden.

Das BSG hat in der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R entschieden, dass es eine bereits bestehende BAG nicht dadurch den Neupraxenstatus erwerben kann, dass sie einen Arzt aufnimmt, dem selbst der Neupraxenstatus zukommt. Der neu aufgenommene Arzt muss damit rechnen, dass mit dem Eintritt in die bestehende BAG die Position seiner Einzelpraxis als Aufbaupraxis verloren geht (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R Rn 27).

Im vorliegenden Fall haben jedoch das bereits seit 1. April 2006 zugelassene MVZ P. und das seit 1. Oktober 2010 zugelassene MVZ am Krankenhaus H. zum 1. April 2012 eine üBAG gegründet. Diese Konstellation, in der zwei Ärzte beziehungsweise hier MVZ eine BAG durch den Zusammenschluss erst zum Entstehen bringen und die Frage, ob dann der bei einem Partner der BAG bestehende Neupraxenstatus bestehen bleibt, hat das BSG in dieser Entscheidung jedoch ausdrücklich dahinstehen lassen (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R Rn 29).

In der aktuelleren Rechtsprechung hat das BSG nunmehr auch diese Konstellation konkretisiert. Es hat klargestellt, dass es hinsichtlich der Bewertung, ob sich eine BAG in der Aufbauphase befindet, sowohl darauf ankommt, ob die BAG selbst sich noch in der Aufbauphase befindet als auch, ob die jeweiligen in der BAG tätigen Ärzte noch den Neupraxenstatus beanspruchen können. Das der BAG zuzuweisende RLV ist aus der Addition der arztbezogen ermittelten RLV für die einzelnen dort tätigen Ärzte zu ermitteln. Jedoch ist die Neupraxenregelung dann nur auf die Ärzte anzuwenden, die selbst noch einen Neupraxenstatus beanspruchen können. Diese verlieren diesen aber – entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht durch den Zusammenschluss mit Ärzten, die diesen nicht mehr beanspruchen können (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 26ff.).

Das Abstellen auf die BAG bei der Beurteilung, ob eine Aufbaupraxis vorliegt, steht im Einklang mit dem Umstand, dass bei gemeinsamer Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in Gestalt einer vom Zulassungsausschuss genehmigten BAG diese auch hinsichtlich der Vergütung und Abrechnung der KÄV als einheitliche Rechtspersönlichkeit wie ein Einzelarzt gegenübertritt (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 27).

Da sich jedoch das RLV der BAG aus der Addition der arztbezogen zu ermittelnden RLV für die jeweils in der BAG tätigen Ärzte ergibt, ist zu prüfen, ob auch jeder in der BAG tätige Arzt sich noch in der Aufbauphase der vertragsärztlichen Tätigkeit befindet. Das ist nach der Rechtsprechung des BSG dann nicht mehr der Fall, wenn ein Arzt in demselben Planungsbereich bereits in einem die Aufbauphase übersteigendem Zeitraum vertragsärztlich tätig war. Dabei ist auf die vertragsärztliche Tätigkeit im selben Planungsbereich abzustellen. (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 28).

Für die Frage, ob einer BAG selbst der Neupraxenstatus zukommt, ist der Zeitpunkt ihrer Gründung entscheidend (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 2/17 R Rn 27). Die üBAG zwischen dem MVZ P. und MVZ am Krankenhaus H. wurde zum 1. April 2012 gegründet. Sie befindet sich damit im hier streitigen Zeitraum noch in der Aufbauphase.

Es kommt daher darauf an, ob den die üBAG bildenden MVZ P. und dem MVZ am Krankenaus H. ebenfalls noch Neupraxenstatus zukommt. Dies ist allein hinsichtlich des MVZ am Krankenhaus H. der Fall. Für MVZ hat das BSG parallel zur Bewertung des Neupraxenstatus bei der BAG entschieden, dass es sowohl darauf ankommt, ob sich das MVZ selbst noch in der Aufbauphase befindet als auch darauf, ob der jeweils dort tätige Arzt diesen Neupraxenstatus noch beanspruchen kann. Der jeweilige Arzt muss damit rechnen, dass er den Neupraxenstatus verliert, wenn er in ein MVZ eintritt, dass diesen nicht mehr hat (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn 18 ff.).

Hinsichtlich der Frage, ob ein MVZ sich in der Aufbaufphase befindet, ist auf den Zeitpunkt der Zulassung abzustellen. Diese stellt grundsätzlich die Neuaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit dar (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn 24). Im vorliegenden Fall kommt dem bereits am 1. April 2006 zugelassenen MVZ P. im streitgegenständlichen Zeitraum kein Neupraxenstatus mehr zu. Jedoch ist das MVZ am Krankenhaus H. erst zum 1. Oktober 2010 zugelassen, so dass es in den Quartalen II-IV/2012 noch in der Aufbauphase war.

Insoweit ist weiter entscheidend, ob auch die im MVZ am Krankenhaus H. tätigen Ärzte, für die ein RLV gegenüber dem MVZ festgesetzt wird, über einen entsprechenden Neupraxenstatus verfügen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn 18 ff.). Das ist nur der Fall, wenn der Arzt vor seiner Tätigkeit im MVZ nicht bereits über einen den Anfängerstatus ausschließenden Zeitraum im selben Planungsbereich wie das MVZ selbst "vertragsärztlich tätig" war (BSG, Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn 25).

Die Kammer ist der Überzeugung, dass in den streitigen Quartalen II-IV/2012 zwar Dr. G. bereits länger als 12 Quartale im Planungsbereich vertragsärztlich tätig im Sinne dieser Rechtsprechung war, nicht jedoch Frau A.

Die Kammer geht davon aus, dass "vertragsärztlich tätig" im Sinne der Rechtsprechung zur Neupraxenregelung bedeutet, dass der jeweilige Arzt selbst als Vertragsarzt zugelassen gewesen sein muss. Allein die Tätigkeit als durch einen Vertragsarzt angestellter Arzt genügt jedoch nicht.

Diese Auslegung ergibt sich bereits aus § 95 Abs. 1 SGB V. Dieser lautet:

"An der vertragsärztlichen Versorgung nehmen zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen teil. 2Medizinische Versorgungszentren sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister nach Absatz 2 Satz 3 eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind."

§ 95 Abs. 1 S. 1 SGB V nennt einen numerus clausus der Formen der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (Hannes in Hauck/Noftz 6/17 § 95 Rn 25). Diese umfassen allein den zugelassenen Arzt beziehungsweise das zugelassene MVZ und den ermächtigten Arzt beziehungsweise die ermächtigte Einrichtung. Nicht erfasst sind angestellte Ärzte, die in Satz 2 und Absatz 9 gesondert genannt werden. In § 95 Abs. 9 SGB V ist geregelt, dass Vertragsärzte Ärzte mit der Genehmigung des Zulassungsausschusses anstellen können. § 95 SGB V unterscheidet also zwischen der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung durch zugelassene Leistungserbringer und der Tätigkeit angestellter Ärzte.

Dass allein die Anstellung im Planungsbereich nicht dazu führt, dass ein Arzt für sich nicht mehr den Neupraxenstatus beanspruchen kann, entspricht auch dem Sinn und Zweck der Privilegierung von Praxen in der Aufbauphase. Diese soll gerade die sofortige Wachstumsmöglichkeit für Ärzte gewährleisten, die noch keine vorherige Chance hatte, Patienten für sich zu gewinnen. Es soll ausgeglichen werden, dass noch kein Patientenstamm besteht und eine Kalkulationssicherheit hinsichtlich des Praxisaufbaus nicht gegeben ist (vgl. SG Berlin, Urteil vom 27. Juni 2012, S 83 KA 223/11 Rn 28). Angestellte Ärzte können jedoch in der Regel keinen Patientenstamm aufbauen. Entsprechend ist es auch unstreitig, dass ein bisher angestellter Arzt, der sich mit einer neu erteilten eigenen Zulassung niederlässt, als Aufbaupraxis anzusehen ist.

Danach war in den Quartalen II-IV/2012 für Dr. G. der Neupraxenstatus nicht mehr gegeben, denn dieser war bereits seit 1. Oktober 1999 mit einer eigenen Zulassung im Planungsbereich Berlin als Vertragsarzt tätig. Frau A. war jedoch nur als angestellte Ärztin im Planungsbereich tätig, seit 1. August 2008 an einem anderen MVZ in Berlin, seit 1. Oktober 2010 am MVZ am Krankenhaus H. Hinsichtlich des RLV der Frau A. ist daher die Fallzahlerhöhung im Rahmen der Neupraxensregelung zu gewähren.

Die Neupraxenregelung ist aber entgegen der Ansicht der Klägerin nicht für das gesamte RLV des MVZ am Krankenhaus H. zu gewähren. Soweit die Urteile des SG Berlin und LSG Berlin-Brandenburg (SG Berlin, Urteil vom 27. Juni 2012, S 83 KA 223/11 und LSG BB, Urteil vom 19. Februar 2014, L 7 KA 68/12) allein darauf abstellten, dass es hinsichtlich der Anwendbarkeit der Neupraxenregelung auf das MVZ als solches ankomme, wurde nunmehr durch das BSG klargestellt, dass der Neupraxenstatus sowohl für das MVZ als solches als auch für den jeweils in diesem tätigen Arzt bestehen muss und die Fallzahlerhöhung ausschließlich in Bezug auf das in die Summe des RLV einfließenden RLV des jeweiligen Arztes mit Neupraxenstatus anzuwenden ist (BSG, Urteile vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R und B 6 KA 2/17 R).

Nicht entscheidend für die Anwendbarkeit der Neupraxenregelung ist, dass die Anstellung der Fachärztin für Neurochirurgie Frau A. auf einem neu zugelassenen Arztsitz und nicht im Wege der Nachbesetzung erfolgte. Denn die Rechtsprechung des BSG ist dahingehend eindeutig, dass bei Nichtbestehen der Neupraxenregelung für das MVZ als solches auch das Hinzukommen eines neuen Arztsitzes nicht zur Anwendbarkeit der Neupraxenregelung auf das gesamte schon länger bestehende MVZ führt, da es dies für die Aufnahme weiterer Ärzte an sich ausschließt (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013, B 6 KA 44/12 R Rn 27; Urteil vom 24. Januar 2018, B 6 KA 23/16 R Rn 27.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
Saved