S 33 AS 953/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
33
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 33 AS 953/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1035/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchbescheids vom 20. Mai 2014 und der ablehnenden Entscheidung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2015 verurteilt, der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten im Widerspruchsverfahren im Umfang von 5/6 zu erstatten.

Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob der Beklagte die Kosten des Widerspruchverfahrens (einschließlich der Kosten eines Bevollmächtigten) zu tragen hat.

Die Klägerin hat die griechische Staatsangehörigkeit. Am 18. Oktober 2013 stellte sie erneut einen Leistungsantrag beim Beklagten, nachdem der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 9. August 2013 bis zum 30. November 2013 Leistungen bewilligt hatte.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Am 12. Dezember 2013 stellte die Klägerin einen Antrag gem. § 44 SGB X, der mit Bescheid vom 12. Dezember 2013 abgelehnt wurde. Die Klägerin legte Widerspruch ein, der mit Bescheid vom 17. Januar 2014 zurückgewiesen wurde. Anschließend erhob sie Klage (S 29 AS 117/14).

Am 4. Februar 2014 stellte sie erneut einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab dem 1. März 2014 nachdem die 29. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt in einem Verfahren auf einstweiligen Rechtschutz den Beklagten für die Zeit bis zum 28. Februar 2014 verpflichtet hatte, vorläufig Leistungen zu erbringen.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2014 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Er gab an, dass der Leistungsausschluss gem. § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II greife, da sich die Klägerin nur zur Arbeitssuche aufhalte.

Mit Schreiben vom 24. März 2014 legte die Prozessbevollmächtigte Widerspruch gegen den Bescheid ein. Sie gab an, dass die Klägerin – nachdem sie bereits vom 18. September 2012 bis zum 30. Juni 2013 bei den Eheleuten C. gearbeitet habe, erneut von Herrn C. allein ab dem 1. April 2014 als Reinigungskraft beschäftigt werde. Der Arbeitsvertrag sei bereits mündlich abgeschlossen. Sie werde 10 Stunden wöchentlich für 350,00 EUR im Monat arbeiten. Außerdem verstoße der Leistungsausschluss für die Zeiträume, in denen die Klägerin sich lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufgehalten habe, gegen Europarecht. Mit Schreiben vom 2. April 2014 übersandte die Prozessbevollmächtigte den Arbeitsvertrag vom 1. April 2014.

Mit Bescheid vom 13. Mai 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 31. August 2014.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2014 wies der Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf den Bewilligungsbescheid vom 13. Mai 2014 zurück. Er führte u.a. aus, dass der Bescheid vom 13. Mai 2014 Gegenstand des Widerspruchverfahrens geworden sei und die Klägerin für die Monate Februar und März 2014 weiterhin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Eine Erstattung der ggf. entstandenen notwendigen Aufwendungen sei nicht möglich. Der Widerspruch sei nicht erfolgreich gewesen.

Am 3. Juni 2014 hat die Prozessbevollmächtigte Klage im Hinblick auf die Kostenentscheidung erhoben. Sie führt u.a. aus, dass die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung auch dann vorlägen, wenn die Behörde den Verwaltungsakt aus Gründen aufhebe, auf die sich der jeweilige Widerspruchsführer nicht gestützt habe. Dies gelte auch dann, wenn der Erfolg durch eine Änderung der Sachlage herbeigeführt worden sei.

Die Prozessbevollmächtigte beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Widerspruchbescheids vom 20. Mai 2014 und der ablehnenden Entscheidung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2015 zu verurteilen, der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten in Höhe von 5/6 zu erstatten und festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er führt u.a. aus, dass erst mit Widerspruchseinlegung die zur teilweisen Abhilfe führende Arbeitsaufnahme mitgeteilt worden sei. Im Rahmen des Weiterbewilligungsantrags habe die Klägerin zuvor angegeben, dass keine Änderungen eingetreten seien.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten verneint.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Die Klägerin hat gem. § 63 Abs. 1 SGB X einen Anspruch auf Erstattung von 5/6 der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen.

Gem. § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

Die entscheidende Voraussetzung ist, dass der Widerspruch erfolgreich ist. Dabei ist es zwar grundsätzlich ohne Relevanz, was der Widerspruchsführer vorgetragen hat und welche Gründe zur Stattgabe geführt haben, ein Widerspruch ist aber nicht immer schon dann erfolgreich, wenn zeitlich nach der Einlegung des Widerspruchs eine für den Widerspruchsführer günstige Entscheidung ergeht. Erforderlich ist vielmehr weiterhin, dass zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung besteht (zur Kausalität vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992, 4 RA 20/91; Urteil vom 25. März 2004, B 12 KR 1/03 R; Urteil vom 13. Oktober 2010, B 6 KA 29/09 R). Diese ursächliche Verknüpfung ist allerdings im Regelfall als gegeben anzusehen (der Gesetzgeber wollte das Kostenverfahren gerade nicht mit schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen belasten). Lediglich in Fällen, in denen der Widerspruchsführer eine zuvor pflichtwidrig unterlassene Handlung nachgeholt hat, fehlt es am kausalen Zusammenhang. Hier ist die nachgeholte Handlung ursächlich für den Erfolg (vgl. BSG, a.a.O.).

Vorliegend lag kein Fall der nachgeholten Mitwirkung vor. Es hatten sich vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse der Klägerin nach Erlass des Bescheids geändert. In derartigen Fällen sieht das Gericht keine Anhaltspunkte, von einem Fehlen der Kausalität auszugehen. Vielmehr ist die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ohne dass hierbei Mitwirkungspflichten verletzt würden, weil z.B. der Antragsteller bereits vor Erlass des Bescheids Kenntnis von der Änderung hatte und über eventuell in diesem Zusammenhang stehende Mitteilungspflichten belehrt worden war, mit einer Änderung der Rechtslage zu vergleichen, bei der ebenfalls von einem "Fortbestehen" der Kausalität auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010, B 6 KA 29/09 R). Dieser Sichtweise steht auch nicht die Entscheidung des BSG vom 24. Mai 1991 (7 Rar 2/91) entgegen. Diese Entscheidung beruht auf den Regelungen des § 193 SGG, der sich jedoch grundlegend von den Regelungen des § 63 SGB X unterscheidet. Insbesondere ermöglicht § 193 SGG eine Ermessensentscheidung, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war notwendig i.S. d. § 63 Abs. 2 SGB X.

Die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig ist, ist vom Standpunkt einer verständigen Person aus im Zeitpunkt der Beauftragung (ex ante) zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Bevollmächtigten bedient hätte. Dabei ist davon auszugehen, dass der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage ist, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts ist deshalb in aller Regel notwendig. Entscheidender Maßstab ist nicht das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko, sondern die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung eigener Interessen ist regelmäßig erforderlich, wenn in Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (BSG, Urteil vom 19.10.2011, B 6 KA 35/10 R).

Bei der Klägerin handelt es sich um eine griechische Staatsangehörige, die als Reinigungsfrau tätig ist. Die Fragestellungen, die sich – wie hier auch - im Hinblick auf die Regelungen in § 7 Abs. 1 SGB II für Ausländer ergeben, sind komplex. Eine einheitliche Rechtsprechung gibt es zu den diversen Problemlagen bisher nicht. Die Klägerin konnte deshalb nicht darauf verwiesen werden, ihre Rechte selbst durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt u.a., dass die Klägerin im Klageverfahren vollständig obsiegt hat.
Rechtskraft
Aus
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