L 1 KR 541/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 732/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 541/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. November 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Magenbypass-Operation als Sachleistung.

Der 1973 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger beantragte am 25. Oktober 2013 bei der Beklagten die Gewährung einer laparoskopischen Magen-Bypass Operation (Roux-en-Y-Magenbypass) bei einer Adipositas (BMI 36,9 kgm²) unter Beifügung eines Antrages des Krankenhauses Sachsenhausen für eine stationäre Krankenhausbehandlung (Abrechnung nach DRG K04A) und eines ernährungspsychologischen Attestes der Praxis für Ernährungsberatung C. vom 26. August 2013 nebst eines Gutachtens zur ambulanten ernährungsmedizinischen Beratung aus der Diabetologischen Schwerpunktpraxis D./Dr. E. vom 19. August 2013. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sie neben den bereits eingereichten Unterlagen im Weiteren die folgenden Angaben des Klägers und seiner behandelnden Ärzte benötige:

- Ausgefüllter Versichertenfragebogen
- Psychotherapeutischer Behandlungsbericht
- Internistischer Befundbericht
- Ernährungsprotokoll und Gewichtsprotokoll über einen Zeitraum von 2 bis 4 Wochen
- Weitere Unterlagen, sofern vorhanden (Blutuntersuchungen, Berichte aus Krankenhäusern oder Rehabilitationskliniken, Orthopädische Behandlungsberichte).

Nach Übersenden der Unterlagen würden diese dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Verfügung gestellt. Mit Schreiben vom 26. November 2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass diese noch nicht über seinen Antrag vom 25. Oktober 2013 habe entscheiden können, da wegen der noch nicht eingegangenen Unterlagen ein Gutachtensauftrag beim MDK noch nicht habe erfolgen können. Als Frist zur Vorlage der Unterlagen wurde dem Kläger der 18. Dezember 2013 gesetzt. An die Vorlage der Unterlagen erinnerte die Beklagte im Anschluss daran erneut mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 unter Fristsetzung bis zum 9. Januar 2014. Unter dem 30. Dezember 2013 legte der Kläger den angeforderten Versichertenfragebogen, ein Ernährungstagebuch, einen Gewichtsverlauf und weitere medizinische Unterlagen der ihn behandelnden Ärzte vor.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Antrag an den MDK zur Begutachtung weitergeleitet worden sei. Sobald das Gutachten vorliege, werde sich die Beklagte bei dem Kläger melden. Der MDK wies den Kläger mit Schreiben vom 7. Januar 2014 auf die Notwendigkeit der Vorlage weiterer Unterlagen (Darstellung des Versicherten zum bisherigen Gewichtsverlauf und bisherigen Therapieversuchen, internistisch-ernährungsmedizinische Stellungnahme zum Ausschluss endokrinologischer und anderer internistischer Grunderkrankungen, fachpsychiatrische Stellungnahme zum Ausschluss von Ess-Störungen und anderer psychiatrischer Kontraindikationen, Bescheinigung über regelmäßig durchgeführte Bewegungstherapie inklusive Gewichtsverlauf unter der Therapie, Bescheinigung über durchgeführte psychologisch-verhaltenstherapeutische Behandlung mit Angaben zum Therapieverlauf und Einschätzung der Compliance) bis zum 17. Januar 2014 hin. In seiner Stellungnahme vom 20. Januar 2014 teilte der MDK, Dr. F., der Beklagten sodann mit, dass aufgrund der nicht vollständig vorliegenden Unterlagen aus sozialmedizinischer Sicht (derzeit) nicht zu entscheiden sei, ob eine medizinische Indikation für die beantragte Maßnahme vorliege. Mit Schreiben vom 22. Januar 2014 informierte die Beklagte den Kläger hierüber und forderte von dem Kläger die Unterlagen an. Hieran erinnerte sie den Kläger mit Schreiben vom 5. Februar 2014, vom 21. Februar 2014 und vom 11. März 2014 (Fristsetzung zur Vorlage bis zum 2. April 2014 und unter Hinweis auf Mitwirkungsobliegenheiten nach §§ 60 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I -).

Mit Bescheid vom 3. April 2014 lehnte die Beklagte eine Leistungsgewährung wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers ab. Am 15. April 2014 und 15. Mai 2014 gingen bei der Beklagten die angeforderten Unterlagen des Klägers ein.

Am 15. Mai 2014 gab die Beklagte erneut ein Gutachten bei dem MDK in Auftrag und informierte den Kläger hiervon gleichfalls mit Schreiben vom 15. Mai 2014. Der MDK, Dr. G., kam im Rahmen seines Gutachtens vom 3. Juni 2014 zu dem Ergebnis, dass vor einem operativen Eingriff dringend eine konservative Therapie (stationäre Rehabilitationsmaßnahme in einer entsprechenden Klinik) erfolgen solle.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2014 lehnte die Beklagte sodann unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK eine Kostenübernahme bezüglich der Magenbypass-Operation des Klägers ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 4. Juli 2014 holte die Beklagte erneut ein medizinisches Gutachten des MDK vom 26. September 2014, Dr. H., zu den von dem Kläger eingereichten weiteren medizinischen Unterlagen ein.

Am 26. November 2014 hat der Kläger beim Sozialgericht Darmstadt Klage auf Feststellung erhoben, dass sein Antrag auf Gewährung einer bariatrischen Operation vom 25. Oktober 2013 nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) als genehmigt gelte. Die Beklagte habe weder die vorgesehenen Fristen bei der Entscheidung eingehalten noch hinreichende Gründe hierfür mitgeteilt. Die beantragte Leistung gehöre auch zu den genehmigungsfiktionsfähigen Leistungen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2016 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 30. Juni 2014 gegen den Bescheid vom 4. Juni 2014 zurückgewiesen.

Im Anschluss daran hat der Kläger seine Feststellungsklage in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt.

Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass vorliegend eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei, festgehalten. Die Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V bezwecke eine Beschleunigung des Verfahrens. Nach der Intention des Gesetzes solle selbst ein verspäteter Abschluss des Verfahrens durch die Krankenkasse nur dann sanktioniert werden, wenn dies aus Gründen geschehe, die im Verantwortungsbereich der Krankenkassen lägen. Zu den Gründen, die nicht in den Verantwortungsbereich der Krankenkassen fielen, zählten insbesondere unvollständige Leistungsanträge sowie eine ungenügende oder nicht rechtzeitig erfolgte Mitwirkung der Versicherten. Vorliegend sei die Anforderung der Unterlagen durch die Beklagte umgehend und rechtzeitig vorgenommen worden. Zudem gelte die Genehmigungsfiktion nur, wenn sich der Versicherte die begehrte Leistung bereits selbst beschafft bzw. eine entsprechende schuldrechtliche Verpflichtung eingegangen sei und Kostenerstattung bzw. Freistellung verlange.

Nach Anhörung des Klägers hat die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2016 den der Genehmigung zugrunde liegenden fingierten Verwaltungsakt auf der Grundlage des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zurückgenommen. Die Rücknahme eines gesetzlich fingierten und die Leistungen genehmigenden Verwaltungsaktes erfolge vorsorglich für den Fall, dass ein Gericht im vorliegenden Rechtsstreit den Eintritt der Genehmigungsfiktion feststellen sollte. Klarstellend werde mitgeteilt, dass der Bestand des Rücknahmebescheides allerdings auch nicht von einer Bedingung in Bezug auf den Ausgang des Rechtsstreites abhängig gemacht werde. Sofern eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V eingetreten sein sollte, sei diese rechtswidrig. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Magenbypass-Operation seien nicht erfüllt.

Auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2016 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 15. November 2016 den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Magenbypass-Operation als Sachleistung zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

"Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten 4.7.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.4.2016 bzw. die Frage des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V. Auch der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 8.7.2016 ist nach Auffassung der Kammer nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn nach dieser Regelung wird ein neuer Verwaltungsakt dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da mit dem Rücknahmebescheid gerade die Genehmigungsfiktion aufgehoben, also im Sinne des § 96 SGG abgeändert werden sollte.

Der Versagungsbescheid der Beklagten vom 3.4.2014 musste von dem Kläger nicht gesondert angefochten werden. Denn ein Versagungsbescheid nach § 66 SGB I wirkt nur begrenzt bis zur Nachholung der Mitwirkungshandlung (vgl. jurisPraxiskommentar, § 66 SGB I, Rn. 29). Außerdem beinhaltet ein Versagungsbescheid keine Entscheidung über den Leistungsanspruch selbst (vgl. jurisPraxiskommentar, § 66 SGB I, Rn. 3). Und schließlich hat die Beklagte den Versagungsbescheid durch den Wiedereintritt in die Leistungsprüfung (nach der Nachholung der Mitwirkungshandlung) und der dann ergangenen Leistungsablehnungsentscheidung den Versagungsbescheid vom 3.4.2014 (konkludent) aufgehoben. ( ...)

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger kann sich im vorliegenden Fall mit Erfolg darauf berufen, dass die begehrte Magenbypass-Operation gemäß § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V als genehmigt gilt. Daher ist die Beklagte verpflichtet, die Magenbypass-Operation als Sachleistung zu gewähren. Die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und daher aufzuheben.

Im Einzelnen:

1. Voraussetzung für den Eintritt der Genehmigungsfiktion ist zunächst, dass der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V eröffnet ist. In zeitlicher Hinsicht greift die Regelung lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Versicherte ab dem 26.2.2013 stellen. Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift gilt, dass Ansprüche auf unmittelbare Geldleistungen und Ansprüche für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von § 13 Abs. 3a SGB V nicht erfasst sind (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 8.3.2016, Az. B 1 KR 25/15 R). ( ...)

§ 13 Abs. 3a S. 1 SGB V bestimmt also 2 exakte zeitliche Höchstgrenzen, nämlich die grundsätzlich für die Entscheidung der Krankenkasse geltende 3-Wochen-Frist und abweichend davon eine Frist von 5 Wochen, wenn eine gutachtliche Stellungnahme des MDK eingeholt wird. Die Fristen sind sehr kurz bemessen, gerade im Vergleich zu der 6 Monats-Frist, die § 88 Abs. 1 SGG für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage vorsieht. Diese Entscheidungsfristen gelten nur für das Antragsverfahren, nicht für das Widerspruchsverfahren. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes beginnt sowohl der Lauf der 3-Wochen-Frist als auch der 5-Wochen-Frist mit dem Antragseingang. Die Fristen werden gemäß § 26 Abs. 1, 3 S. 1 SGB X in entsprechender Anwendung der §§ 187 ff. BGB berechnet (vgl. jurisPraxiskommentar, 3. Auflage, § 13 SGB V, Rn. 61, 62).

2. Im vorliegenden Fall sind alle Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V zum Eintritt der Genehmigungsfiktion für die Magenbypass-Operation erfüllt.

Im Einzelnen:

a) Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ist hier eröffnet, da der Kläger seinen Antrag auf die gewünschte Magenbypass-Operation erst am 25.10.2013, somit nach dem 26.2.29013, gestellt hat. Außerdem geht es dem Kläger weder um eine unmittelbare Geldleistung noch um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, sondern um die Bewilligung einer bestimmten stationären Krankenhausbehandlung.

b) Die vom Kläger begehrte Sachleistung einer Magenbypass-Operation gilt im vorliegenden Fall auch im Sinne des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V als genehmigt. Denn die Beklagte hat im vorliegenden Fall die Fristen des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht eingehalten und dies dem Kläger auch nicht schriftlich im Sinne von § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V mitgeteilt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen der Kammer:

(1) Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 3a SGB V sind in weiten Teilen in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur umstritten. Das Bundessozialgericht hat zur Auslegung von § 13 Abs. 3a S. 1, 5, 6 SGB V in dem Urteil vom 8.3.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) nunmehr insbesondere ausgeführt:

"Der Eintritt der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V) ist in der Erstattungsregelung (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V) verkürzend mit den Worten "nach Ablauf der Frist" vorausgesetzt. Gemeint ist nicht jeder Fall des Ablaufs der Fristen nach § 13 Abs 3a S 1 oder S 4 SGB V. Der Erstattungsanspruch setzt nach seinem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V) und dem Eintritt der Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V) vielmehr voraus, dass die KK keinen oder keinen hinreichenden Grund mitteilte. Nur im Fall grundlos nicht fristgerechter Leistungserbringung kann sich der Versicherte aufgrund der Regelung die erforderliche Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung von der KK verlangen (vgl hierzu auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, BT-Drucks 17/11710 S 29 f). Der Regelungszweck, Bewilligungsverfahren der KKn zu beschleunigen (vgl hierzu auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Entwurf eines PatRVerbG der Bundesregierung, aaO S 29), zielt nicht darauf ab, hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der KK prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die KK zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut - ggf wiederholt - mitteilen." (Hervorhebung in Fettdruck durch das Gericht)

Diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts schließt sich die Kammer an.

(2) Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte weder die 3 Wochen-Frist noch die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V eingehalten hat.

Der Kläger stellte seinen Antrag auf die Magenbypass-Operation nämlich am Freitag den 25.10.2013. Die Frist von 3 Wochen ist dabei im vorliegenden Fall maßgeblich, weil die Beklagte weder unverzüglich noch innerhalb der 3-Wochen-Frist eine gutachtliche Stellungnahme im Sinne des § 13 Abs. 3a s. 2 SGB V in Auftrag gegeben hat und demnach den Kläger darüber auch nicht unterrichtet hat. Dass die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 30.10.2013 darüber unterrichtet hat, dass man beabsichtige eine gutachterliche Stellungnahme einzuholen, wenn der Kläger weitere Unterlagen vorlegt, reicht zur Verlängerung der 3-Wochen-Frist auf 5 Wochen nicht aus, da eine gutachterliche Stellungnahme des MDK "tatsächlich erfolgt" und der versicherte darüber unteerrichtet werden muss. Dafür sprechen die gesetzgeberischen Ziele der Beschleunigung und der Transparenz. Denn die Gesetzesmaterialien heben hervor, dass den Leistungsberechtigten durch die Unterrichtung Klarheit darüber verschafft werden soll, ob die 3-Wochen Frist oder die 5-Wochen-Frist gilt (vgl. jurisPraxiskommentar, 3. Auflage, § 13 SGB V, Rn. 63.2; BT-Drs. 17/10488, S. 32).

Das Bundessozialgericht hat Urteil vom 8.3.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) dazu ausgeführt:

"Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von 3 Wochen aber annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt."

Die 3-Wochen-Frist endete im vorliegenden Fall am Freitag den 15.11.2013. Die Beklagte entschied aber erst später, nämlich im April bzw. im Juli 2014.

Soweit die Beklagte vorträgt, dass sie aufgrund der fehlenden Unterlagen des Klägers gar nicht habe innerhalb der Fristen des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V entscheiden könne, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Es wäre der Beklagten durchaus möglich gewesen fristgerecht den Antrag des Klägers abzulehnen oder einen Versagungsbescheid zu erlassen, was sie schließlich im April 2014 auch verspätet getan hat. Die verzögerte Entscheidung lag somit nach Auffassung der Kammer auch durchaus im Verantwortungsbereich der beklagten Krankenkasse.

(3) Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Beklagte auch die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht eingehalten hat. Selbst wenn man also vertreten wollte, dass hier die 5-Wochen-Frist gilt, würde dies am Ergebnis nichts ändern. Die 5 Wochen-Frist wäre am 29.11.2013 abgelaufen. Die Beklagte entschied aber erst später, nämlich im April bzw. im Juli 2014.

(4) Die Beklagte kann sich nach Auffassung der Kammer auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein hinreichender Grund, nämlich die fehlende Mitwirkung des Klägers, vorgelegen habe, der die Überschreitung der 3-Wochen-Frist (oder der 5-Wochen-Frist) rechtfertige und somit der Genehmigungsfiktion entgegenstehe.

Zunächst ist nach Auffassung der Kammer nicht ersichtlich, dass der Kläger im Hinblick auf die 3-Wochen-Frist bzw. bis zum Ablauf der 3-Wochen-Frist seinen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der Kläger die Unterlagen, diese mit Schreiben vom 30.11.2013 angefordert hatte, zunächst nicht vorgelegt hat. Jedoch hatte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 30.10.2013 gerade keine Frist zur Vorlage der Unterlagen gesetzt. Außerdem hat der weitere Verlauf des Verfahrens gezeigt, dass es überflüssig war, dass die Beklagte vor der Beauftragung des MDK überhaupt Unterlagen des Klägers anfordert. Denn der MDK hat nach seiner Beauftragung im Januar 2014 umgehend ein Schreiben an den Kläger geschickt, mit dem darüber hinaus noch weitere Unterlagen angefordert worden sind. Auch vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Vorgehensweise der Beklagten im vorliegenden Fall dem Gebot des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V, eine "zügige" Bearbeitung zu gewährleisten, im vorliegenden Fall nicht entsprochen hat. Die Beklagte hätte umgehend nach Antragseingang den MDK beauftragen können und der MDK hätte dann die erforderlichen medizinischen Unterlagen angefordert. Dem ist die Beklagte jedoch nicht gerecht geworden. Bereits aus diesem Grunde ist der Einwand der Beklagten nicht überzeugend.

Darüber hinaus weist das Gericht darauf hin, dass das Vorliegen eines hinreichenden Grundes für eine verspätete Entscheidung, nicht ausreichend ist, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion über die 3-Wochen-Frist bzw. die 5-Wochen-Frist hinauszuschieben. Vielmehr sieht § 13 Abs. 3a S. 5, 6 SGB V vor, dass die Krankenkasse dem Leistungsberechtigten
- rechtzeitig und
- schriftlich und
- unter Darlegung der Gründe
mitteilen muss, dass sie die Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht einhalten kann. Dazu hat das Bundessozialgericht in Entscheidung vom 8.3.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) ergänzend ausgeführt:

"Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der KK prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt." (Hervorhebung in Fettdruck durch das Gericht)

Diesen Anforderungen ist die Beklagte - unabhängig von der Frage, ob ein hinreichender Grund vorgelegen hat - nicht gerecht geworden. Die Beklagte hat nämlich dem Kläger nicht mitgeteilt, dass sie die 3-Wochen-Frist oder die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht einhalten kann. Dazu findet sich in sämtlichen Schreiben der Beklagten kein Wort.

Des Weiteren hat die Beklagte vor Ablauf der 3-Wochen-Frist in keinster Weise darauf hingewiesen, dass sich die 3-Wochen-Frist (oder die 5-Wochen-Frist) durch die fehlende Vorlage von medizinischen Unterlagen verlängern könnte. Von einer rechtzeitigen Mitteilung im Sinne des § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V kann daher keine Rede sein.

Und schließlich hat die Beklagte nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine prognostizierte, taggenau Dauer angegeben, für die der Eintritt der Genehmigungsfiktion herausgeschoben wird. Daran fehlt es vollends. Im Ergebnis ist die Genehmigungsfiktion im Sinne des § 13 Abs. 3a S. 6 SGBV somit auch deshalb nach 3 Wochen eingetreten, weil es an einer rechtzeitigen schriftlichen Mitteilung im Sinne von § 13 Abs. 3a S. 5 SGBV fehlt.

Gleiches würde im Übrigen auch dann gelten, wenn man hier von der Maßgeblichkeit der 5-Wochen-Frist ausgehen wollte. Auch dann würde es an einer rechtzeitigen schriftlichen Mitteilung im dargestellten Sinne von § 13 Abs. 3a S. 5 SGBV fehlen. Denn auch vor Ablauf der 5-Wochen-Frist hat die Beklagte dem Kläger nicht mitgeteilt, dass sie die 5 Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht einhalten kann und ebensowenig hat die Beklagte im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts taggenau angegeben, für wie lange sich der Eintritt der Genehmigungsfiktion herausschiebt. Zu all dem findet sich nämlich in dem Schreiben der Beklagten vom 26.11.2013 (vgl. Bl. 30 der Verwaltungsakte), dass als einziges noch rechtzeitig im Sinne von § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V sein könnte, kein Wort. Die bloße Fristsetzung, dass die medizinischen Unterlagen nunmehr bis zum 18.12.2013 vorgelegt werden sollen, wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht.

c) Auch die weiteren Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion liegen hier vor.

Insbesondere hat der Kläger einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt, der genehmigungsfähig ist. Dazu hat das Bundessozialgericht in Entscheidung vom 8.3.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) ausgeführt:

"Damit die Leistung im Rechtssinne nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Entsprechend den allgemeinen, in § 42a VwVfG ( ...) normierten Grundsätzen ( ...) gilt "eine beantragte Genehmigung ( ...) nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt ( ...), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist". Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen ( ...). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist ( ...). So lag es hier. Der Klägerantrag auf Gewährung von Psychotherapie als Langzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen war im Rechtssinne hinreichend bestimmt und fiktionsfähig.

Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall. Der Antrag des Klägers war hinreichend bestimmt und damit genehmigungsfähig. Aus dem Antrag geht hervor, dass er wegen krankhafter Adipositas eine Magenbypass-Operation begehrt, für die er einen ausführlichen Arztbericht des Krankenhauses Sachsenhausen vom 9.7.2013 vorgelegt hat, aus dem sogar hervorgeht, dass für die stationäre Behandlung die DRG-Fallpauschale K04A abgerechnet werden soll.

Mehr kann nach Auffassung der Kammer für einen genehmigungsfähigen Antrag nicht gefordert werden.

d) Schließlich ist die vom Kläger als Sachleistung begehrte Magenbypass-Operation auch eine Leistung, die der Kläger im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 8.3.2016 für erforderlich halten darf und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Dazu hat das Bundessozialgericht in Entscheidung vom 8.3.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) ausgeführt:

"Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. ( ...) Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. ( ...) Die beantragte Psychotherapie unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der GKV, wie oben dargelegt. Der Kläger konnte auch aufgrund der fachlichen Befürwortung seines Antrags durch die Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin J. die Behandlung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt fern." (Hervorhebung in Fettdruck durch das Gericht)

So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Der Kläger darf die begehrte Magenbypass-Operation – nach dem hier anzulegenden subjektiven Maßstab (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 8.3.2016, Az. B 1 KR 25/15 R) - aufgrund der fachlichen Befürwortung durch das Krankenhaus Sachsenhausen für erforderlich halten. Die Leistung liegt auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung. Vielmehr handelt es sich um eine Leistung, die das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung vorsieht, worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat. Ob hier tatsächlich die "medizinischen" Voraussetzungen für eine Magenbypass-Operation vorliegen oder ob die Auffassung des MDK zutreffend ist, vermag die Kammer ohne sachverständige Hilfe nicht zu beurteilen. Darauf kommt es aber auch gar nicht an, da die Genehmigungsfiktion nach dem Willen des Gesetzgebers nur dadurch eintreten soll, dass die Krankenkasse – wie im vorliegenden Fall - die Fristen und die Mitteilungspflichten des § 13 Abs. 3a SGB V nicht einhält. Anhaltspunkte für ein mißbräuchliches Verhalten des Klägers liegen nicht vor.

Vor diesem Hintergrund – bzw. vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – vermag auch der Einwand der Beklagten nicht zu überzeugen, dass im vorliegenden Einzelfall die Voraussetzungen für eine Magenbypass-Operation nicht vorliegen würden, wie der MDK festgestellt habe. Denn darauf kann sich die Beklagte hier im Rahmen der Genehmigungsfiktion nicht berufen. Darauf kommt es nämlich für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach den gesetzlichen Vorgaben gerade nicht an, solang die Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung liegt oder missbräuchlich ist, was hier jedoch nicht der Fall ist. Dass bei dieser Gesetzeslage bzw. unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Versicherte aufgrund der Genehmigungsfiktion Leistungen erhalten, die sie möglicherweise ansonsten wegen des Wirtschaftlichkeitsgebotes oder des Qualitätsgebotes nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung bekommen würden, ist der vom Gesetzgeber vorgesehen "Genehmigungsfiktion" des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V bzw. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts immanent, und kann dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht entgegen gehalten werden, solange nicht die Offensichtlichkeits- oder Missbrauchsschwelle überschritten wird (vgl. dazu auch: jurisPraxiskommentar, 3. Auflage, § 13 SGB V, Rn. 71.3).

e) Im Ergebnis ist nach Auffassung der Kammer die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V eingetreten, so dass der Kläger die begehrte Magenbypass-Operation als Sachleistung von der Beklagten beanspruchen kann.

3. Entgegen der Ansicht der Beklagten tritt die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V auch nicht nur im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruches ein. Diese Rechtsauffassung der Beklagten ist zwar mit guten Gründen vertretbar und insoweit verweist die Beklagte auch in nachvollziehbarer Weise auf eine Entscheidung des 1. Senates des Hessischen Landessozialgerichts. Jedoch hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts sich in der Entscheidung vom 8.3.2016 – obwohl es nur über einen Kostenerstattungsanspruch zu entscheiden hatte – auch schon dazu geäußert, ob § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V einen Sachleistungsanspruch vermitteln kann. Dazu heißt es im Urteil des Bundessozialgerichts wörtlich:

"Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht (vgl § 13 Abs 3a S 7 SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl LSG NRW Beschluss vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht schließlich der Sanktionscharakter der Norm (vgl hierzu Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1)."

Dem schließt sich die Kammer nunmehr an. Somit kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V auch einen Sachleistungsanspruch vermitteln, den der Kläger im vorliegenden sozialgerichtlichen Verfahren auch einklagen kann. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, das Risiko einer Selbstbeschaffung auf eigene Kosten zunächst einzugehen, um dann anschließend auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V zu klagen.

4. Die Kammer ist schließlich auch davon überzeugt, dass die eingetretene Genehmigungsfiktion für die im Streit stehende Magenbypass-Operation nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

Insbesondere die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 45 SGB X liegen nicht vor.

§ 45 Abs. 1 SGB X sieht nämlich vor, dass ein Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigenden Verwaltungsakt) und rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf. § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X sieht dabei als Einschränkung vor, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte die erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (vgl. § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X).

Außerdem handelt es sich bei § 45 Abs. 1 SGB X um eine Ermessensvorschrift ("darf"). Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung muss der Verwaltungsträger das Ermessen überhaupt betätigt haben und es entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens ausüben. Die Gerichte haben diese Entscheidung auf Ermessensfehler, wie etwa einen Ermessensnichtgebrauch, einen Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung zu überprüfen. Im Rahmen von § 45 Abs. 1 SGB X muss der Rücknahmebescheid erkennen lassen, dass das Ermessen ausgeübt wurde und welche Aspekte in das Ermessen eingestellt wurden (vgl. jurisPraxiskommentar, § 45 SGB X, Rn. 120).

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 45 Abs. 1 SGB X liegen hier jedoch nicht vor. Zunächst ist die eingetretene Genehmigungsfiktion nicht rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 1 SGB X. Denn aus den dargelegten Gründen liegen hier die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion vor. Diese kann die Beklagte nicht unter Berufung auf das Ergebnis eines MDK-Gutachtens aushebeln. Solange die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion vorliegen, kann sie auch nicht nach § 45 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden.

Hinzu kommt, dass für die Kammer auch nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte eine fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen hat. Die Beklagte hat in ihrem Rücknahmebescheid vom 8.7.2016 nämlich in keister Weise erkennen lassen, dass das Ermessen ausgeübt wurde und welche Aspekte in das Ermessen eingestellt wurden. Es finden sich lediglich Ausführungen zu der Frage, ob sich der Kläger gemäß § 45 Abs. 2 S. 1, 2 SGB X auf Vertrauensschutz berufen kann und ob das Vertrauen des Klägers in die Genehmigungsfiktion unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist. Dies ist jedoch nicht die gebotene Ermessensausübung im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X. Vielmehr sprechen die weitere Ausführungen im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 8.7.2016 dafür, dass gerade kein Ermessen ausgeübt wurde, da es ausdrücklich heißt, dass die Rücknahme der fingierten Genehmigung zu erfolgen "hat".

Daher ist der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 8.7.2016 gleich aus mehreren Gründen aufzuheben.

Es ist auch kein Anhaltspunkt ersichtlich, dass die Genehmigungsfiktion widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Insbesondere sind keine geänderten Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts entfallen lassen könnten."

Gegen das der Beklagten am 28. November 2016 zugestellte Urteil hat diese am 16. Dezember 2016 Berufung zu dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2015, L 1 KR 413/14 hin, wonach die Genehmigungsfiktion nur dann eingreife, wenn sich der Antragsteller die begehrte Leistung bereits selbst beschafft habe und eine Kostenerstattung geltend mache, was vorliegend nicht der Fall sei. Zudem könne die vom Bundessozialgericht geforderte taggenaue Mitteilung in dem Fall, in dem der Versicherte durch die verschleppende Einreichung von entscheidungsrelevanten Unterlagen den Fristablauf im Wesentlichen verursache, obwohl die Krankenkasse ihn darauf hingewiesen habe, dass ohne die Unterlagen eine abschließende Entscheidung nicht möglich sei, nicht gelten. Die Krankenkasse sei faktisch dadurch gezwungen, den Antrag des Versicherten abzulehnen. Dies sei insbesondere dann unbillig, wenn etwa nicht der Versicherte selbst, sondern seine behandelnden Ärzte die Verzögerung zu vertreten hätten. Selbst wenn man unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 1. Senates des Bundessozialgerichtes vom 11. Juli 2017, B 1 KR 26/16 R zu dem Ergebnis gelange, dass vorliegend von einer Genehmigungsfiktion auszugehen sei, müsse jedoch die Rücknahme der Genehmigungsfiktion beachtet werden. Bezüglich der Rücknahmemöglichkeiten einer Genehmigung aufgrund gesetzlicher Fiktion entspreche die Rechtsauffassung des 1. Senates des Bundessozialgerichtes zudem nicht der vom 3. Senat des Bundessozialgerichtes in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R geäußerten. Zudem müsse sich der Kläger nach § 166 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Kenntnisse des Krankenhauses Sachsenhausen zurechnen lassen. Dem Krankenhaus sei bekannt gewesen, dass lediglich bei einem BMI von über 40 kgm² ein Nachweis der durchgeführten konservativen Therapieversuche Leistungsvoraussetzung für eine Genehmigung darstelle. Im Falle des Klägers seien weder die konservativen Therapieversuche oder die Durchführung eines multimodalen Konzepts noch gegebenenfalls weitere Voraussetzungen gemäß der entsprechenden S3-Leitlinie mit der Antragstellung dargelegt worden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Darmstadt vom 15. November 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Vorsitzende des Senats hat mit Beschluss vom 14. Februar 2017 auf den Antrag des Klägers auf Anbringung eines Vollstreckungsvermerkes auf dem erstinstanzlichen Urteil die Vollstreckung des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. November 2016 (Az.: S 8 KR 732/14) vorläufig ausgesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 15. November 2016 den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2016 und den Bescheid vom 8. Juli 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Magenbypass-Operation als Sachleistung zu gewähren. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat Anspruch auf Versorgung mit einer bariatrischen Operation als Naturalleistung.

Der Anspruch entstand kraft fingierter Genehmigung des Antrags. Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. § 13 Abs. 3a SGB V (in der Fassung durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten PatRVerbG - vom 20. Februar 2013, BGBl I 277) erfasst die von dem Kläger beantragte Leistung zeitlich und als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart. Der Kläger war zudem leistungsberechtigt. Er erfüllte mit seinem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen, den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit einer bariatrischen Operation. Der Kläger durfte die beantragte Leistung auch für erforderlich halten. Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht ein. Die Genehmigung ist schließlich auch nicht später erloschen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) und weist lediglich ergänzend auf Folgendes hin:

Soweit die Beklagte einen Naturalleistungsanspruch unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10. Dezember 2015, L 1 KR 413/14 – juris -, aufgehoben durch Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. März 2018, B 3 KR 4/16 R) als Rechtsfolge der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V verneint, weist der Senat darauf hin, dass diese Rechtsprechung von dem Senat angesichts der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11. Juli 2017, B 1 KR 26/16 R nicht weiter aufrechterhalten wird.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es auch unerheblich, ob sie meint, dass der maßgebliche Sachverhalt noch weiter aufzuklären gewesen sei. Hierzu führt das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 11. Juli 2017, Az.: B 1 KR 26/16 R, ausdrücklich aus:

"Ein hinreichender Grund für die Nichteinhaltung der Frist kann insbesondere die im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) gebotene Einholung von weiteren Informationen beim Antragsteller oder Dritten sein, um abschließend über den Antrag entscheiden zu können. In diesem Sinne führen die Gesetzesmaterialien beispielhaft an, "dass die Versicherten oder Dritte nicht genügend oder rechtzeitig bei einer körperlichen Untersuchung mitgewirkt oder von einem Gutachter angeforderte notwendige Unterlagen beigebracht haben" (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zum PatRVerbG-Entwurf, BT-Drucks 17/11710 S 30 zu § 13 Abs 3a S 4 SGB V). Die Regelung des Fristbeginns mit Antragseingang entspricht auch dem Zweck des § 13 Abs 3a SGB V, die Bewilligungsverfahren bei den KKn zu beschleunigen (BT-Drucks 17/10488 S 32).

Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, in § 13 Abs 3a SGB V Regelungen aufzunehmen entsprechend § 42a Abs 2 S 2 VwVfG über den Fristbeginn ("Eingang der vollständigen Unterlagen"; hierauf dennoch abstellend zB LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24.2.2016 - L 9 KR 412/15 B ER - Juris RdNr 11) oder entsprechend § 32 Abs 1a S 3 und 4 SGB V (eingefügt mit Wirkung zum 1.1.2012 durch Art 1 Nr 5 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Danach ist in Fällen eines Genehmigungsverfahrens bei langfristigem Behandlungsbedarf mit Heilmitteln, das eine Genehmigungsfiktion nach Ablauf von vier Wochen nach Antragstellung vorsieht, der Lauf der Frist bis zum Eingang der vom Antragsteller zur Verfügung zu stellenden ergänzenden erforderlichen Informationen unterbrochen. Die Nichtübernahme solcher Regelungen in § 13 Abs 3a SGB V dient dazu, eine zügige Bescheidung der Anträge im Interesse der betroffenen Versicherten zu erreichen (BT-Drucks 17/6906 S 54; zutreffend Bayerisches LSG Urteil vom 12.1.2017 - L 4 KR 295/14 - Juris RdNr 56). ( ...)

Die Beklagte informierte in ihrem Telefonat mit der Klägerin, in dem sie ein Ernährungstagebuch sowie Ultraschallbefunde der Nebennieren und der Schilddrüse anforderte, auch nicht formgerecht über einen hinreichenden Grund für die Überschreitung der Frist und deren voraussichtliche, taggenau bestimmte Dauer. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der KK prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die KK zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller vor Fristablauf die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut ggf wiederholt - mitteilen. Erst nach Ablauf der letzten, hinreichend begründeten Frist erwächst das sich aus dem Antrag ergebende Begehren kraft Genehmigungsfiktion in einen Anspruch auf Naturalleistung, wenn die KK dem Antragsteller keine Entscheidung zur Sache bekanntgegeben hat (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 20).

Ohne eine taggenaue Verlängerung der Frist könnte der Antragsteller nicht erkennen, wann die Fiktion der Genehmigung eingetreten ist. Dies widerspräche dem dargelegten Regelungsgehalt und Beschleunigungszweck der Norm (vgl rechtsähnlich BGH Urteil vom 20.4.2017 - III ZR 470/16 - Juris RdNr 40 zu § 42a Abs 2 S 3 LVwVfG (Baden-Württemberg); unzutreffend Hessisches LSG Urteil vom 23.2.2017 - L 8 KR 372/16 - Juris RdNr 23; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.2.2017 - L 11 KR 2090/16 - Juris RdNr 29; Sächsisches LSG Beschluss vom 6.2.2017 - L 1 KR 242/16 B ER - Juris RdNr 44). Hierfür genügt eine Mitteilung entweder des neuen, kalendarisch bestimmten Fristendes oder des konkreten Verlängerungszeitraums in der Weise, dass der Antragsteller ohne Schwierigkeiten das Fristende taggenau berechnen kann.

Die Beklagte gab nach den Feststellungen des LSG in dem Telefonat nicht in diesem Sinne taggenau ein Fristende an, sondern ihre Ermittlungswünsche."

Dies charakterisiert im vorliegenden Fall in identischer Weise das Vorgehen der Beklagten. Ein kalendarisch bestimmtes Fristende oder ein taggenaues Fristende im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat nach eigener Überprüfung anschließt, wurde dem Kläger nicht mitgeteilt.

Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung, dass der Kläger die Leistung subjektiv habe nicht für erforderlich halten dürfen, kann von dem Senat nicht nachvollzogen werden. Hierzu führt bereits das Bundessozialgericht gleichfalls in seiner Entscheidung vom 11. Juli 2017, B 1 KR 26/16 R aus:

"Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26)."

Die von dem Kläger begehrte stationäre bariatrische Operation liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Kläger durfte in seinem Fall eine bariatrische Operation aufgrund der Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 9. Juli 2013 auch für erforderlich halten.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass zwar nach der Rechtsprechung des 1. Senates des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11. Juli 2017, B 1 KR 26/16 R – juris -) grundsätzlich eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X in Betracht komme, sich die Rechtmäßigkeit insoweit jedoch nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V und nicht nach denen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs richte und diesbezüglich bei dem 3. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2017, B 3 KR 30/15 R eine andere Rechtsauffassung vertreten sieht, kommt es hierauf nach der Auffassung des Senats im vorliegenden Fall gerade nicht an.

Wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, übte die Beklagte im Rahmen des Rücknahmebescheides vom 8. Juli 2016 bereits ihr (Rücknahme)Ermessen nicht aus, sodass der Rücknahmebescheid vom 8. Juli 2016 aufgrund eines Ermessensfehlers in Form eines Ermessens- bzw. Abwägungsdefizits rechtswidrig ist. Die Rücknahmeentscheidung muss nicht nur erkennen lassen, dass die zuständige Behörde eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat, sondern auch diejenigen Gesichtspunkte, von denen sie sich bei der Ausübung ihres Ermessens hat leiten lassen. Die im Rahmen des § 45 SGB X erforderliche Ermessensausübung ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (vgl. Lang/Waschull, in: Diering/Timme, Sozialgesetzbuch X, 4. Auflage, 2016, § 45 Rdnr. 59 mwN; Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 R 14/11 R). Für die Frage, ob die zuständige Behörde überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat (und diese sich innerhalb der Grenzen des Ermessens bewegt), kommt es dabei auf den Inhalt des Rücknahmebescheides, insbesondere auf seine Begründung an (Merten in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 08/17, § 45 SGB X Rdnr. 102ff). Ausweislich des Wortlautes des Rücknahmebescheides ging die Beklagte von einer gebundenen Entscheidung aus ("hat"). Ein "Ermessen" wird im Rahmen des Bescheides überhaupt nicht erwähnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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