L 9 KR 344/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 2461/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 344/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Aufgrund der Einfügung des § 211 Abs. 4 SGB V ist eine als Landesverband gemäß § 207 Abs. 4 SGB V handelnde Krankenkasse ab dem 1. Januar 2009 nicht befugt, in einem Gesamtvertrag die Kostenbeteiligung der einstrahlenden Krankenkassen an den ihr als Landesverband auferlegten Kosten des Sprechstundenbedarfes zu regeln.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung weiterer Kosten für Sprechstundenbedarf für die Jahre 2009 bis 2012.

Die Klägerin ist seit der Hauptsitzverlegung der Beklagten nach Potsdam zum 1. April 2005 die einzige Innungskrankenkasse im Land Berlin, die Beklagte ist die einzige Innungskrankenkasse im Land Brandenburg. Beide nehmen daher gemäß § 207 Abs. 4 Sozialgesetzbuch/ Fünftes Buch (SGB V) als einzige Krankenkassen ihrer Art in dem jeweiligen Bundesland die Funktion des Landesverbandes der Innungskrankenkassen wahr.

Bereits seit 1993 besteht zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen eine Vereinbarung über den Sprechstundenbedarf, nach der der Bezug von Sprechstundenbedarf der Berliner Vertragsärzte über die AOK Berlin (nunmehr Nordost, im Folgenden als "AOK" bezeichnet) als Umlagekasse erfolgt, die die Bedarfe als Sachleistung an die Ärzte erbringt.

Die ihr dadurch entstehenden Kosten stellt die "AOK" gemäß der parallel zur Sprechstundenvereinbarung zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen geschlossenen Vereinbarung über die Abrechnung von Sprechstundenbedarf den an der Vereinbarung mit der KV Berlin beteiligten Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen in Rechnung. Mit Wirkung zum 1. April 2005 wurde die Abrechnungsvereinbarung neugefasst. Nach dem Ausscheiden der Beklagten als zuständiger Landesverband für Berlin zum 31. März 2005 trat die Klägerin als nunmehr zuständiger IKK Landesverband Berlin am 10. August 2006 der Vereinbarung mit Wirkung zum 1. April 2005 bei.

In der Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf ist u.a. folgendes geregelt: " 1. Gegenstand der Vereinbarung ist 1.1 die Genehmigung und Abrechnung des vertragsärztlichen Sprechstundenbedarfs gemäß § 83 SGB V entsprechend der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen in Berlin über die Anforderungen Verwendung von Sprechstundenbedarf in der jeweils gültigen Fassung, ( ) 4.1 Die AOK Berlin - Die Gesundheitskasse teilt die nach 1.1 übernommenen Aufwendungen (mit Ausnahme des auf Auftragsgeschäfte entfallenden Teils der Aufwendungen) jeweils nach Ablauf eines Monats nach den zuletzt bekannten Mitgliederzahlen (KM 6 Stichtag 01.07. des Vorjahres unter Einbeziehung der betreuten Personen gemäß § 264 SGB V). der Innungskrankenkassen, auf und stellt , der BIG Gesundheit - Die Direktkrankenkasse,. die auf diese entfallenden Beträge zuzüglich der anfallenden Bearbeitungskosten (vgl. Abschnitt 8) in Rechnung. ( ) 5. jeweils nach Ablauf eines Kalenderjahres wird anhand der Mitgliederzahlen (KM 6 Stichtag 01.07. des Abrechnungsjahres unter Einbeziehung der betreuten Personen gemäß § 264 SGB V) eine Jahresendabrechnung mit Angabe der Differenzbeträge vorgenommen, die sich gegenüber den vorangegangenen Monatsabrechnung ergeben."

Am 5. Dezember 2007 schloss die Klägerin (handelnd als IKK Landesverband Berlin) mit der KV Berlin und den weiteren Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen eine neue Vereinbarung über die Anforderung und Verwendung von Sprechstundenbedarf ab, nach der die Anforderung des Sprechstundenbedarfes durch die Vertragsärzte weiterhin über die "AOK" als Umlagekasse erfolgt (Punkt 2 der Vereinbarung) und in deren Anl. 1 eine Aufstellung der als Sprechstundenbedarf verordnungsfähigen Mittel aufgeführt war. Demnach gehören zum Sprechstundenbedarf Arzneimittel für Notfälle und zur nicht planbaren Sofortbehandlung, diagnostische Arzneimittel, Testsubstanzen und sonstige Mittel zur Diagnostik, Arzneimittel für Anästhesieleistungen, Kontrastmittel, Desinfektionsmittel (zur Anwendung am Körper des Patienten), Verband- und Nahtmaterial sowie diagnostische und therapeutische Hilfsmittel (z.B. Augenklappen, Einmal-Fingerlinge, Einmal-Infusionsbesteck, Ohrenklappen, Verbandklammern etc.).

In der Folge kam es unter den Innungskrankenkassen zu Streitigkeiten inwieweit die jeweilige als Landesverband fungierende Innungskrankenkasse bzw. der Landesverband der Innungskassen berechtigt sei, von den sog. einstrahlenden Innungskrankenkassen (die nicht Mitglied in dem Landesverband sind und daher nicht durch entsprechende Satzungsregelungen gem. § 210 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 SGB V an der Finanzierung von Aufgaben beteiligt werden können) einen Ausgleich für die von ihm verauslagten Kosten für den Sprechstundenbedarf einzufordern. Schließlich verständigten sich die Innungskrankenkassen dahingehend, dass die Kosten für den Sprechstundenbedarf für die Jahre 2005 bis 2008 auf die einstrahlenden Innungskrankenkassen entsprechend ihres Versichertenanteils (KM 6 Versichertenstatistik) aufgeteilt werden, wobei die einstrahlenden Innungskrankenkassen aufgrund fehlender rechtlicher Grundlage nur mit einer Quote von 50% belastet wurden.

Am 21. Oktober 2008 schloss die Klägerin (handelnd als IKK Landesverband Berlin) mit der KV Berlin einen Gesamtvertrag (GV) gemäß § 83 SGB V mit Wirkung zum 1. Juli 2008 (§ 19 Abs. 1 GV).

Nach § 1 Abs. 1 GV regelt dieser die vertragsärztliche Versorgung der Anspruchsberechtigten der Innungskrankenkassen sowie der von diesen im Rahmen der Leistungsaushilfe nach EG-Abkommensrecht (zwischenstaatlichen Auslandsabkommen) Betreuten. Nach § 1 Abs. 4 GV ist die Vereinbarung über die Anforderungen Verwendung von Sprechstundenbedarf in der jeweils aktuellen Fassung Bestandteil des Vertrages (Anlage 3).

In § 3 (Sachkosten und Sprechstundenbedarf) wurde u.a. Folgendes vereinbart: (2) Anforderung und Verwendung von Sprechstundenbedarf regeln die Vertragspartner gesondert in Anlage 3 zum Gesamtvertrag.

(3) Die auf die Versicherten der Innungskrankenkassen sowie die weiteren in § 1 Abs. 1 Genannten entfallenden Anteile der Kosten für Sprechstundenbedarf einschließlich der anteiligen Verwaltungskosten (Bearbeitungskosten) sind von den einzelnen Innungskrankenkassen zu tragen. Der Landesverband der Innungskrankenkassen übernimmt zunächst die Kosten für die Sprechstundenbedarfsprodukte und die anteiligen Verwaltungskosten (Bearbeitungskosten) für alle Innungskrankenkassen entsprechend der jeweils gültigen Abrechnungsvereinbarung Sprechstundenbedarf zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen in Berlin. Der Landesverband der Innungskrankenkassen legt diese bis 31. Dezember 2008 nach den Anteilen der jeweils aktuellen KM-6 (Versicherte) sowie der Betreuten nach § 264 SGB V auf die einzelnen Innungskrankenkassen um. Die jeweiligen Anteile werden in Bezug auf die Versicherten und Betreuten aller Innungskrankenkassen in Berlin ermittelt. Ab 1. Januar 2009 erfolgt die Umlage nach den Anteilen der jeweiligen morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (mit der Zahl und Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundener Behandlungsbedarf) sowie der Anteil der Betreuten nach § 264 SGB V. Die jeweiligen Anteile werden in Bezug auf den Gesamt-Behandlungsbedarf der Versicherten und Betreuten aller Innungskrankenkassen in Berlin ermittelt.

Nachdem durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008 mit Wirkung zum 17. Oktober 2008 der § 211 Abs. 4 SGB V eingeführt wurde, schlossen die jeweiligen Landesverbände der Innungskrankenkassen, darunter die Klägerin in ihrer Funktion als Landesverband Berlin und die Beklagte in ihrer Funktion als Landesverband Brandenburg, am 4. November 2009 sowohl einen Vertrag, mit welchem sie das Nähere zur Aufbringung der Mittel nach § 211 Abs. 4 mit Wirkung zum 17. Oktober 2008 regelten als auch eine Vereinbarung über Vertragspartner-Umlagen (VP-U) mit Wirkung zum 1. Januar 2009 (§ 9 der Vereinbarung). Darin heißt es unter anderem:

§ 1 Grundlagen der Vereinbarung Die Innungskrankenkassen in ihrer Funktion als Landesverbände und die Landesverbände der Innungskrankenkassen vereinbaren, zusammen mit den Landesverbänden der anderen Kassenarten, mit den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen die Abgabe und die Beschaffung von Sprechstundenbedarf, die Durchführung von Schutzimpfungen gemäß § 132e SGB V, die Beschaffung der Impfstoffe sowie die Beschaffung von Vordrucken (Kassenrezepte, KV-Karten-gerechte Vordrucke - § 34 BMV-Äm § 17 BMV-Z). Verträge über die Durchführung von Schutzimpfungen gemäß § 132e SGB V können auch von Innungskrankenkassen anstelle des IKK-Landesverbandes mit den zuständigen kassenärztlichen Vereinigungen geschlossen werden.

§ 2 Kostenausgleich zwischen den Innungskrankenkassen (1) Mit dieser Vereinbarung verpflichten sich die Innungskrankenkassen, die Kosten des Sprechstundenbedarfs, der Impfstoffe für ihre Versicherten und von Vordrucken gemäß § 1 den am Wohnort der Mitglieder zuständigen Innungskrankenkassen bzw. Landesverbänden nach den Modalitäten zu erstatten, die in den jeweiligen Verträgen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. zwischen den Vertragspartnern auf Landesebene vereinbart sind. (2) Soweit IKK-bezogene Daten für eine Kostenaufteilung nach den Modalitäten gemäß Abs. 1 nicht zur Verfügung stehen, erfolgt die Kostenaufteilung auf die Innungskrankenkassen hilfsweise nach KM 6-Versichertenzahlen mit Stichtag 01.07. des Abrechnungsjahres unter Ausschluss der im Ausland lebenden Versicherten. ( )

§ 4 Abrechnung (1) Erhält der zunächst leistungspflichtige IKK-Landesverband oder die zunächst leistungspflichtige Innungskrankenkasse eine Rechnung für im Rahmen dieses Vertrages ausgleichsfähige Kosten, ist er/sie berechtigt, diese entsprechend dem Verteilungsschlüssel nach §§ 2, 3 den Innungskrankenkassen in Rechnung zu stellen. Als rechnungsbegründende Unterlagen 1. sind die an sie gerichteten Rechnungsunterlagen vollständig und 2. ist eine Übersicht über die Verteilung der Kosten auf die Innungskrankenkassen beizufügen. Die Rechnungsstellung gegenüber den Innungskrankenkassen ist unabhängig davon zulässig, ob es sich um eine Abschlagszahlung, andere vorläufige Zahlungen oder um eine Endabrechnung handelt. (2) Die Rechnungen sind innerhalb von 21 Kalendertagen nach Rechnungseingang zu zahlen und werden unter dem Vorbehalt der sachlich-rechnerischen Prüfung bezahlt. Der Vorbehalt endet sechs Monate nach Eingang der Endabrechnung bei der Innungskrankenkasse. (3) Leistet die Innungskrankenkasse nach Ablauf des Zahlungszieles und trotz Mahnung nicht innerhalb von weiteren 7 Kalendertagen, kommt sie in Verzug. Die Verzugsfolgen richten sich nach dem BGB. ( )

§ 5 Informationsrecht (1) Die Innungskrankenkassen haben das Recht, vom zunächst leistungspflichtigen Landesverband die Übersendung der folgenden Unterlagen zu verlangen: - Kopien der den ausgleichsfähigen Kosten zu Grunde liegenden Verträge - die amtliche KM 6-Statistik (soweit nicht anderweitig, z.B. DOMINIKK, verfügbar). (2) Die Erfüllung dieser Informationspflicht hat keine Auswirkung auf die Fälligkeit der Zahlungsforderung nach § 4 dieses Vertrages. ( )

§ 7 Verhältnis der Vereinbarung zu bestehenden Vereinbarungen Soweit abweichende Vereinbarungen zu den Gegenständen dieser Vereinbarung bestehen, werden sie im Verhältnis zwischen den Partnern dieser Vereinbarung durch diese ersetzt.

Im Nachgang zu dieser Vereinbarung teilte die IKK Sachsen mit einem Rundschreiben an alle Vorstände der Landesverbände der Innungskrankenkassen und der Innungskrankenkassen vom 26. November 2009 klarstellend mit, dass § 7 der VP-U Vereinbarung beabsichtige, dass die VP-U Vereinbarung eventuell bestehende bisherige Ausgleichs- und Beteiligungsvereinbarungen zwischen einzelnen Innungskrankenkassen und den Landesverbänden mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 zu ersetzen. Dies gelte jedoch nicht für gesamtvertragliche Vereinbarungen der Landesverbände mit ihrer Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung, die bereits unmittelbare finanzielle Beteiligungen der nach dem Wohnortprinzip einstrahlenden IKK vorsehen.

Mit Schreiben vom 1. April 2010, bei der Beklagten eingegangen am 6. April 2010, forderte die Klägerin von der Beklagten den vorläufigen Ausgleich der Kosten des Sprechstundenbedarfes, der Impfstoffe und Vordrucke in Berlin gemäß § 2 der VP-U Vereinbarung für das Jahr 2009 i.H.v. 2.548.652,42 Euro. Ausweislich der beigefügten Kostenaufstellung entfielen auf die Beklagte für den Bereich des Sprechstundenbedarfes von den Gesamtkosten in Höhe von 1.687.745,18 Euro 1.167.281,30 Euro. Dies waren 69,41 % des zu verteilenden Gesamtbetrages. Den Prozentsatz bestimmte die Klägerin anhand des Anteils der Beklagten an der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV). Demgegenüber ermittelte sie den Kostenanteil für Impfungen und Vordrucke anhand der Versichertenstatistik (KM 6) zum Stichtag 1. Juli 2009, woraus sich ein Anteil der Beklagten an den Gesamtkosten von 64,41 % ergab.

Am 20. April 2010 veranlasste die Beklagte eine Zahlung i.H.v. 2.464.269,99 Euro, von der Differenz zu dem geforderten Betrag entfielen 84.032,54 Euro auf den Sprechstundenbedarf. Sie teilte der Klägerin mit, dass sie die Rechnung anteilig kürze, da die Verteilung der Kosten nicht anhand der MGV, sondern entsprechend der Abrechnungsvereinbarung Sprechstundenbedarf anhand der KM 6 Mitgliederzahlen zu erfolgen habe und sich daher eine entsprechend geringere Kostenbeteiligung für die Beklagte ergebe.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2010 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass sie für die Bestimmung des Verteilungsmaßstabes innerhalb der Innungskrankenkassen auf § 3 Abs. 3 des Gesamtvertrages der Klägerin mit der KV Berlin zurückgegriffen habe. Zum Abschluss dieses Vertrages sei sie nach § 83 SGB V in Verbindung mit § 44 BMV-Ä verpflichtet gewesen und dieser binde auch die Beklagte. Die von der Beklagten vorgenommene Kürzung des Rechnungsbetrages verstoße gegen § 2 Abs. 1 VP-U Vereinbarung. Die Klägerin setzte der Beklage eine Frist zum Ausgleich der Forderung bis zum 14. Mai 2010 und wies darauf hin, dass anschließend Verzug vorliege.

In der Folge kam es auch für die Jahre 2010 bis 2012 zwischen den Beteiligten zu Unstimmigkeiten in Bezug auf den für den Sprechstundenbedarf anzuwendenden Verteilungsmodus, im Zuge dessen die Beklagte die auf Basis des Anteils an der MGV ermittelten Rechnungen der Klägerin unter Anwendung des Verteilungsschlüssels der KM 6 Mitgliederzahlen kürzte und die Klägerin die offenen Differenzbeträge anmahnte. Im Einzelnen ergeben sich Differenzbeträge, Zahlungsaufforderungen, Mahnungen und Zahlungsziele wie folgt:

Jahr Rechnungs-datum Forderungs-differenz in EUR Mahnung Zahlungsziel Erfüllung/ Verrechnung Zeitpunkt Restforderung 2009 1.4.2010 84.032,54 3.5.2010 14.5.2010 1065,55 12.11.2013 82.966,99 2010 15.7.2010 10.564,91 26.7.2010 5.8.2011 10.564,91 6.1.2011 28.920,30 27.1.2011 7.2.2011 28.920,30 21.2.2011 11.597,95 21.3.2011 31.3.2011 11.597,95 21.2.2014 15.106,34 - - Vollständig mit Gegenford. Impfen 21.2.2014 0 2011 18.7.2011 10.627,30 13.10.2011 27.10.2011 10.627,30 22.9.2011 9.240,90 25.10.2011 9.11.2011 9.240,90 29.2.2012 16.754,36 1.11.2012 15.11.2012 16.754,36 24.2.2014 30.854,50 - - Vollständig mit Gegenford. Impfen 24.2.2014 0 2012 2.10.2012 22.710,35 1.11.2012 22.11.2012 22.710,35 17.11.2014 47.322,86 - - 47.322,86

Im Zuge der Endabrechnungen der Kosten für Sprechstundenbedarf, Impfstoffe und Vordrucke verrechnete die Klägerin Erstattungsansprüche der Beklagten wegen vorläufig zu hoch abgerechneter Leistungen für Impfstoffkosten mit den Nachzahlungsansprüchen bezüglich der Kosten des Sprechstundenbedarfes. Daher fordert sie von der Beklagten für das Jahr 2009 noch einen Betrag von 82.966,96 Euro, für das Jahr 2010 einen Betrag von 51.083,16 Euro, für das Jahr 2011 einen Betrag von 36.622,56 Euro und für das Jahr 2012 einen Betrag von 70.033,22 Euro.

Am 27. Dezember 2012 hat die Klägerin Leistungsklage gegen die Beklagte bezüglich der streitigen Forderung für das Jahr 2009 beim Sozialgericht Berlin erhoben. Am 23. Dezember 2013 hat sie die Klage auf die streitige Forderung für das Jahr 2010, am 30. Dezember 2014 auf die streitige Forderung für das Jahr 2011 und am 22. Dezember 2015 auf die streitige Forderung für das Jahr 2012 erweitert.

Mit Urteil vom 10. Juni 2016 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin insgesamt 240.705,90 Euro zuzüglich Verzugszinsen i.H.v. 8 % bis zum 29. Juli 2014 und i.H.v. 9 % ab dem 30. Juli 2014 zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 2 Abs. 1 der zwischen den Beteiligten geltenden VP-U Vereinbarung i.V.m. dem Gesamtvertrag vom 21. Oktober 2008 ergebe. Die Regelung des § 2 Abs. 1 der VP-U Vereinbarung könne sich nur auf den zwischen der KV Berlin und der Klägerin als Landesverband der Innungskrankenkassen am 21. Oktober 2008 geschlossenen Gesamtvertrag und nicht auf die Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf vom 10. August 2006 beziehen, weil die Vertragspartner des Gesamtvertrages andere seien als die Partner der Abrechnungsvereinbarung. Hierfür spreche zudem die systematische Stellung der Regelung, da § 2 Abs. 2 der Vereinbarung lediglich hilfsweise die Anwendung der Kostenaufteilung nach KM 6 Versichertenzahlen vorsehe, so dass in Abs. 1 wohl von der Berechnung nach den Anteilen der jeweiligen MGV ausgegangen werde. Es sei hinzunehmen, dass die anteilige Verteilung der Kosten auf die einstrahlenden Innungskrankenkassen einem anderen Maßstab folge, als die Verteilung unter den Vertragspartnern der Abrechnungsvereinbarung. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf die mangelnde Kenntnis des Gesamtvertrages berufen, da sie als einstrahlende Krankenkasse nach § 83 SGB V an diesen unabhängig von ihrer Kenntnis gebunden sei. Die Forderung bestehe auch in der zuletzt von der Klägerin geltend gemachten Höhe, da die Beteiligten diese Berechnung übereinstimmend für rechnerisch richtig erklärt haben. Der Verzinsungsanspruch ergebe sich aus § 4 Abs. 3 der VP-U Vereinbarung i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB. Gegen das ihr am 23. Juni 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. Juli 2016 Berufung eingelegt.

Sie ist der Auffassung, dass das Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 10. Juni 2016 zu Unrecht einen Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zuerkannt habe. Ein solcher ergebe sich nicht aus § 2 Abs. 1 VP-U Vereinbarung i.V.m. § 3 Abs. 3 GV. Vielmehr verweise die Vorschrift des § 2 Abs. 1 VP-U Vereinbarung auf die Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf vom 10. August 2006 und sehe damit eine Abrechnung anhand der KM 6 Mitgliederzahlen vor. Daher begehre sie auch nicht die Anwendung von § 2 Abs. 2 der VP-U Vereinbarung und damit die Verteilung anhand der KM 6 Versichertenstatistik. Bei Abschluss der VP-U Vereinbarung am 4. November 2009 seien die Vertragspartner darin übereingekommen, dass die Verteilung der Kosten des Sprechstundenbedarfes im Gleichklang zu den Abrechnungsmodalitäten erfolgen soll, denen der jeweilige Landesverband bzw. die als Landesverband handelnde Innungskrankenkasse durch vertragliche Regelungen mit den kassenärztlichen Vereinigungen bzw. den Vertragspartnern auf Landesebene ausgesetzt sei. Da solche Regelungen sowohl direkt in Verträgen mit den KVen als auch gesondert mit Vertragspartnern auf Landesebene vereinbart wurden, sollten beide Varianten im Wortlaut des § 2 Abs. 1 VP-U Vereinbarung berücksichtigt werden. Der Beklagten sei bei Abschluss dieser Vereinbarung nicht bekannt gewesen, dass die Klägerin am 21. Oktober 2008 einen Gesamtvertrag mit der KV Berlin geschlossen habe, der einen anderen Verteilungsschlüssel als die Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf vorsehe. Andernfalls hätte sie auf eine entsprechend eindeutige Regelung hingewirkt. Nunmehr ergebe sich, dass bei Abstellen auf den Gesamtvertrag andere Abrechnungsergebnisse entstünden, als bei Anwendung der Abrechnungsvereinbarung Sprechstundenbedarf. Die Konkurrenz der beiden Regelungen könne nicht zulasten des Gesamtvertrages aufgelöst werden, da für den Abschluss eines neuen Gesamtvertrages zum Sprechstundenbedarf für die Klägerin kein Anlass bestanden habe. Vielmehr stelle die Vereinbarung über den Sprechstundenbedarf zwischen der KV Berlin und den Landesverbänden bereits die entsprechende gesamtvertragliche Regelung gemäß § 83 SGB V dar. Es sei absolut untypisch und einmalig, dass in einem Gesamtvertrag zwischen dem Landesverband und der KV eine detaillierte Regelung zur Weitergabe der Kosten an die gleichfalls betroffenen Innungskrankenkassen geregelt werde, obwohl durch diesen Vertrag eine direkte Zahlungsverpflichtung des Landesverbandes gegenüber der KV nicht normiert werde. Eine Regelung zur Verteilung von Kosten innerhalb der vom Gesamtvertrag betroffenen Krankenkassen sei kein zulässiger Vertragsinhalt eines Gesamtvertrages. Zudem handele es sich insoweit um einen Vertrag zu Lasten Dritter, der die Beklagte nicht binde. Die Klägerin habe einseitig ihre Vorstellungen von einem gerechten Kostenausgleich in den Gesamtvertrag eingebracht; die KV Berlin selbst habe kein Interesse an einer solchen Regelung, da eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin für Sprechstundenbedarf gegenüber der KV Berlin nicht existiere. Dementsprechend sei bei Abschluss der Sprechstundenbedarfsvereinbarung zwischen der KV Berlin und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen nach der Vereinbarung, dass die "AOK" die Erbringung und Abrechnung des Sprechstundenbedarfes übernehme und damit die KV Berlin in die Abrechnung dieser Leistungen nicht eingebunden sei, auch keine Regelung zur Verteilung dieser Kosten unter den Krankenkassen erfolgt. Dies sei allein Interesse und Aufgabe der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen gewesen, sodass diese parallel zu der Sprechstundenvereinbarung mit der KV Berlin eine Vereinbarung über die Abrechnung dieser Kosten untereinander getroffen haben. Auf diese Regelung nehme § 2 Abs. 1 der VP-U Vereinbarung Bezug. Die Beklagte erkenne den in Berlin zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen vereinbarten Verteilungsschlüssel, nicht hingegen den einseitig von der Klägerin im Gesamtvertrag aufgestellten internen Verteilungsschlüssel als bindend an. Bei der Abrechnungsvereinbarung handele es sich auch um einen Vertrag auf Landesebene, da die "AOK" in ihrer Funktion als Landesverband der Ortskrankenkassen gehandelt habe. In Anwendung des in der Abrechnungsvereinbarung gewählten Verteilungsmaßstabes der KM 6 Mitgliederstatistik habe die Beklagte die Kosten für den Sprechstundenbedarf an die Klägerin ausgeglichen.

Überdies sei der von der Klägerin gewählte Abrechnungsmodus nach dem Anteil an der MGV nicht sachgerecht, weil auch viele nicht der MGV unterliegenden ärztlichen Leistungen Sprechstundenbedarf verursachen würden. Einer Vereinbarung über die Abrechnung des Sprechstundenbedarfes zwischen den verschiedenen Landesverbänden anhand des Anteils an der MGV stehe entgegen, dass die Krankenkassen jeweils die vereinbarte MGV geheim halten würden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass selbst wenn das Gericht eine Zahlungsverpflichtung zu Lasten der Beklagten feststelle, kein Anspruch auf Verzugszinsen in der geltend gemachten Höhe bestehe, da es sich zum einen nicht um Ansprüche aus einem Rechtsgeschäft gemäß § 288 Abs. 2 BGB, sondern um anhand öffentlich-rechtlicher Vereinbarung festgelegte Aufwandspauschalen handele und zum anderen die Schreiben der Klägerin an die Beklagte nicht verzugsbegründend im Sinne von § 4 Abs. 3 VP-U Vereinbarung seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sie gegen die Beklagte für die Jahre 2009 bis 2012 einen weitergehenden Zahlungsanspruch in Höhe von 240.705,90 Euro habe. Dieser ergebe sich aus § 2 Abs. 1 der VP-U Vereinbarung. Der zur Bestimmung der Abrechnungsmodalitäten heranzuziehende Vertrag sei vorliegend der Gesamtvertrag gemäß § 83 SGB V zwischen der Klägerin und der KV Berlin vom 21. Oktober 2008. Nach § 3 Abs. 3 GV sei der Sprechstundenbedarf zwischen den Innungskrankenkassen ab dem 1. Januar 2009 anhand des Anteils an der MGV zu verteilen. Die Klägerin sei in ihrer Funktion als Landesverband der Innungskrankenkassen im Land Berlin zum Abschluss des Gesamtvertrages mit der KV Berlin gemäß § 83 SGB V verpflichtet gewesen. Dieser habe nach § 87 SGB V in Verbindung mit dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (Punkt 7.3) und § 44 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) auch zwingend Vorgaben zum Sprechstundenbedarf und dessen Abrechnung zu enthalten. Diesen Vorgaben sei durch den Abschluss des Gesamtvertrages am 21. Oktober 2008 entsprochen worden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Klägerin durch Abschluss des Gesamtvertrages am 21. Oktober 2008 mit der KV Berlin die zuvor bestehende Regelungslücke zur Verteilung der Kosten des Sprechstundenbedarfes zwischen den Innungskrankenkassen durch Aufnahme einer entsprechenden Regelung geschlossen habe. Die Zulässigkeit einer solchen gesamtvertraglichen Umlageregelung ergebe sich bereits daraus, dass es den Gesamtvertragspartnern auch freigestanden hätte, analog der Zahlung der Gesamtvergütung eine Regelung aufzunehmen, wonach jede einzelne Innungskrankenkasse den auf sie entfallenden Anteil direkt an die Kassenärztliche Vereinigung oder an einen Dritten entrichtet. Entgegen der Ansicht der Klägerin könne nicht auf die Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf abgestellt werden, da es sich bei den zwischen den verschiedenen Landesverbänden der Krankenkassen abgeschlossenen Vertrag weder um einen solchen mit der KV Berlin, noch um einen Vertrag zwischen den Vertragspartnern auf Landesebene handele, denn jedenfalls die "AOK" sei kein Vertragspartner auf Landesebene. Er werde auch nicht aufgrund des Zusammenhanges mit der Vereinbarung über den Sprechstundenbedarf zu einem Vertrag im Sinne von § 2 Abs. 1 der VP-U Vereinbarung, denn es handele sich um inhaltlich unterschiedliche Vereinbarungen mit unterschiedlichen Vertragspartnern. Hätten die Vertragspartner der VP-U Vereinbarung tatsächlich gewollt, dass die Verteilung der Sprechstundenbedarfskosten zwischen den Innungskrankenkassen nach den gleichen Modalitäten erfolge wie zwischen der Umlagekasse und der Innungskrankenkasse als Landesverband, so hätten sie dies eindeutig formulieren müssen. Für eine entsprechende Auslegung fehle es an Anhaltspunkten in der VP-U Vereinbarung. Überdies sei diese als freiwillige Vereinbarung ergänzend zu dem am gleichen Tag abgeschlossenen Vertrag gemäß § 211 Abs. 4 SGB V geschlossen worden, so dass diese freiwillige Vereinbarung logischerweise hinter die verpflichtenden Vertrags- bzw. Rechtsgrundlagen zurücktrete. Daher bestehe auch kein Vorrang der Abrechnungsvereinbarung vor dem Gesamtvertrag.

Demgegenüber sei in § 2 Abs. 2 der VP-U Vereinbarung geregelt, dass die von der Beklagten favorisierte Abrechnung nach den KM 6 Versichertenzahlen nur hilfsweise erfolge. Im Ergebnis regle daher der Gesamtvertrag den internen Ausgleich zwischen dem Landesverband und den einstrahlenden Innungskrankenkassen. Die darin gewählte Verteilung zwischen den Innungskrankenkassen anhand des jeweiligen Anteils an der MGV sei auch sachgerecht, da eine verursachergerechte Aufteilung der Kosten für den sogenannten Sprechstundenbedarf auf einzelne Leistungen oder einzelne Versicherte nicht möglich sei und zudem seit dem 1. Januar 2009 das Kopfpauschalen-System durch die Einführung der MGV abgelöst worden sei. Da die Beklagte als einstrahlende Krankenkasse an den Gesamtvertrag gemäß § 83 SGB V unabhängig von ihrer Kenntnis gebunden sei, könne sich diese auch nicht auf eine Unwirksamkeit der Regelung aus dem Grundsatz des Vertrages zu Lasten Dritter berufen. Die Klägerin sei überdies unabhängig von den Mahnschreiben der Klägerin gemäß § 286 Abs. 2 BGB in Verzug geraten.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und geheimen Beratung war.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2016 ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 240.705,90 Euro zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen.

Die von der Klägerin am 27. Dezember 2012 erhobene und mit Schriftsätzen vom 23. Dezember 2013, 30. Dezember 2014 und 22. Dezember 2015 erweiterte allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen weitergehenden Zahlungsanspruch für den Ausgleich von Kosten des Sprechstundenbedarfes gemäß § 211 Abs. 4 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 der VP-U Vereinbarung. Hiernach ist eine Innungskrankenkasse verpflichtet, die Kosten des Sprechstundenbedarfs den am Wohnort der Mitglieder zuständigen Innungskrankenkassen bzw. Landesverbänden nach den Modalitäten zu erstatten, die in den jeweiligen Verträgen mit den kassenärztlichen Vereinigungen bzw. zwischen den Vertragspartnern auf Landesebene vereinbart sind. Zwar besteht demnach grundsätzlich ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erstattung der von ihr verauslagten Kosten für den Sprechstundenbedarf, jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für die Bestimmung, wie die von ihr an die "AOK" aufgrund der Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf vom 1. April 2005 verauslagten Kosten auf die einzelnen Innungskrankenkassen mit Versicherten mit Wohnsitz in Berlin (sog. einstrahlende Krankenkassen) zu verteilen sind, nicht auf § 3 Abs. 3 des zwischen ihr als Landesverband und der KV Berlin abgeschlossenen Gesamtvertrages vom 21. Oktober 2008 abzustellen, sondern - wie die Beklagte einwendet - auf die zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen am 10. August 2006 abgeschlossene Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf.

Der von der Klägerin mit der KV Berlin am 21. Oktober 2008 abgeschlossene Gesamtvertrag kann nicht als Grundlage für die Bestimmung der Verteilungsmodalitäten zwischen der Klägerin und der Beklagten als einstrahlende Innungskrankenkasse herangezogen werden, denn dieser ist unwirksam, soweit er in § 3 Abs. 3 die Aufteilung der durch die Klägerin zu tragenden Kosten des Sprechstundenbedarfes auf die einstrahlenden Krankenkassen regelt.

Dies folgt aus § 58 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/ Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach diesen Vorschriften ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn dieser gegen ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB verstößt. Die Regelungen der §§ 53 ff. SGB X über öffentlich-rechtliche Verträge sind auf Gesamtverträge nach § 83 SGB V, bei denen es sich um Normverträge handelt, anwendbar (BSG, Urteil vom 28. September 2005, B 6 KA 71/04 R, Rn. 24, juris).

Es liegt ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB vor, denn die Klägerin war nicht befugt, mit der KV Berlin in einem Gesamtvertrag eine Kostenverteilungsregelung zu vereinbaren, die nicht unmittelbar die Kostentragung der vom Gesamtvertrag betroffenen Innungskrankenkassen im Verhältnis zur KV Berlin, sondern lediglich das Innenverhältnis zwischen den Innungskrankenkassen betrifft (vgl. zu Zuständigkeitsregelungen als Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB BSG, Urteil vom 13. Juli 2017, B 8 SO 21/15 R, Rn. 18, juris; Becker, in Hauck/ Noftz, SGB X, § 58 Rn. 77).

Eine solche Kompetenz folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht bereits aus § 83 SGB V selbst. Nach dieser Vorschrift schließen die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort in ihrem Bezirk einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen; die Landesverbände der Krankenkassen schließen die Gesamtverträge mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart. Zwar ist die Klägerin als einzige Krankenkasse ihrer Art mit Sitz in Berlin gemäß § 207 Abs. 4 SGB V verpflichtet und befugt, die Aufgaben eines Landesverbandes wahrzunehmen, wozu auch der Abschluss von Gesamtverträgen gehört. Zudem ist die Beklagte als sog. einstrahlende Krankenkasse gemäß § 83 Satz 1 2. Halbsatz SGB V grundsätzlich an den von der Klägerin abgeschlossenen Gesamtvertrag als sog. Normvertrag gebunden. Demnach ist dem zuständigen Landesverband bzw. der als Landesverband handelnden Krankenkasse mit der Abschlusskompetenz zugleich die Rechtsmacht zugewiesen worden, die beteiligten Krankenkassen zur Zahlung der auf sie entfallenden Gesamtvergütung an die KV zu verpflichten. Das BSG führt insoweit aus (BSG, Urteil vom 28. September 2005, B 6 KA 71/04 R, Rn. 18, juris): "Ein Gesamtvertrag, der auf der Grundlage des § 83 Abs 1 SGB V nach Maßgabe des § 85 Abs 3 Satz 1 SGB V über die Anpassung der Gesamtvergütungen geschlossen wird, enthält zunächst obligatorische Bestandteile, solche also, die allein zwischen den KÄVen und den vertragsschließenden Landesverbänden der Krankenkassen wirken (zum (auch) obligatorischen Charakter von Gesamtverträgen siehe bereits Senatsurteil vom 14. Juni 1965 - SozR Nr 2 zu § 368h RVO; zuletzt Urteil vom 31. August 2005 - B 6 KA 6/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen; Orlowski in: Maaßen ua (Hrsg), SGB V - Gesetzliche Krankenversicherung, Stand März 2001, § 83 RdNr 9; Hencke in: Peters (Hrsg), Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl, Stand Januar 2004, § 82 RdNr 5). Zugleich enthalten sie aber auch normative Bestandteile, die kraft spezieller gesetzlicher Anordnung auch Personen (Vertragsärzte) und Institutionen (Krankenkassen) binden, die nicht am Vertragsschluss beteiligt sind (zur Normsetzung durch Vertrag im Vertragsarztrecht zuletzt BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 65-69). § 83 Abs 1 Satz 1 SGB V bestimmt ausdrücklich, dass die Vertragspartner die Gesamtvergütungen "mit Wirkung für die beteiligten Krankenkassen" vereinbaren, und ordnet damit deren unmittelbare Geltung für die betroffenen Krankenkassen an. Diese erfasst nach dem bis Ende 2001 geltenden Rechtszustand die Krankenkassen, die Mitglieder des vertragsschließenden Landesverbandes sind. Nach der Änderung des § 83 durch das Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte vom 11. Dezember 2001 schließen die KÄVen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen Gesamtverträge "mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart über die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten mit Wohnort in ihrem Bezirk". Das hat zur Folge, dass eine Krankenkasse sogar einen Gesamtvertrag gegen sich gelten lassen muss, den ein Landesverband abgeschlossen hat, dem sie selbst nicht angehört (Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. Mai 2001; BR-Drucks 336/01, S 6 zu § 83 Abs 1; Limpinsel in Jahn, Gesetzliche Krankenversicherung, Stand 2004, § 83 RdNr 6). An den von ihrem Landesverband bzw von dem wegen des Wohnsitzes ihres Mitglieds zuständigen Krankenkassen-Landesverband geschlossenen Gesamtvertrag über die Veränderung der Gesamtvergütung ist die einzelne Kasse gebunden."

Jedoch hat die Klägerin vorliegend zu den Kosten des Sprechstundenbedarfes gerade keinen Gesamtvertrag mit der KV Berlin abgeschlossen, kraft dessen unmittelbar eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber der KV Berlin entsteht. Auch trifft der Gesamtvertrag vom 21. Oktober 2008 zu dem Sprechstundenbedarf, der, wie die Klägerin zutreffend darlegt einer gesamtvertraglichen Regelung zugänglich ist, keine eigenständige Regelung, da diese bereits in der Sprechstundenvereinbarung zwischen der KV Berlin und den Landesverbänden vom 5. Dezember 2007 besteht. Diese stellt selbst einen Gesamtvertrag dar und wurde im hier streitigen Zeitraum weder durch die Klägerin noch durch die KV Berlin gekündigt. Vielmehr wurde die Sprechstundenbedarfsvereinbarung in § 1 Abs. 4 GV ausdrücklich als Anlage 3 als Bestandteil des Gesamtvertrages genannt und in § 3 Abs. 2 GV auf die gesonderte Vereinbarung zum Sprechstundenbedarf in Anlage 3 verwiesen. Einer weiteren Regelung hierzu bedurfte es nicht. Mangels Kündigung der Sprechstundenbedarfsvereinbarung wäre es der Klägerin entgegen ihren Angaben auch gar nicht möglich gewesen, in dem Gesamtvertrag mit der KV Berlin eine unmittelbare Verpflichtung der einstrahlenden Krankenkassen zur Zahlung der Kosten des Sprechstundenbedarfes an die KV zu vereinbaren.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es überhaupt rechtlich zulässig war, in einem Gesamtvertrag mit der KV Regelungen zu treffen, die allein die Rechtsbeziehung der von dem Gesamtvertrag erfassten Krankenkassen zueinander betreffen, denn jedenfalls durch die Einfügung des § 211 Abs. 4 SGB V durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008 (BGBl. I, 2426) mit Wirkung zum 17. Oktober 2008 (Veröffentlichung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 16/10609) war die Klägerin mit Beginn des hier streitigen Zeitraums nicht befugt, den § 3 Abs. 3 GV mit der KV Berlin zu vereinbaren. Denn dass die Kosten für den Sprechstundenbedarf einschließlich der anteiligen Verwaltungskosten (Bearbeitungskosten) von den einzelnen Innungskrankenkassen zu tragen sind und die Klägerin diese zunächst nur für diese im Außenverhältnis zur Umlagekasse übernimmt, ergibt sich bereits aus der Abrechnungsvereinbarung zur Sprechstundenbedarfsvereinbarung in Verbindung mit § 211 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift werden die für die Finanzierung der Aufgaben eines Landesverbandes erforderlichen Mittel von seinen Mitgliedskassen sowie von den Krankenkassen derselben Kassenart mit Mitgliedern mit Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Landesverbandes aufgebracht. Damit ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz selbst, dass die Beklagte als einstrahlende Krankenkasse sich an der Finanzierung der Aufgaben der Klägerin als Landesverband zu beteiligen hat.

Es handelt sich bei der Beteiligung an den Kosten des Sprechstundenbedarfes, die der Klägerin aufgrund der Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf im Verhältnis zur "AOK" als Umlagekasse entstehen, auch um eine Aufgabe im Sinne des § 211 Abs. 4 SGB V. Denn zu diesen gehören nicht nur unmittelbar der Abschluss des Gesamtvertrages aus § 83 SGB V selbst, sondern auch die sich daraus für die Klägerin als Vertragspartnerin des Gesamtvertrages ergebenden weiteren Aufgaben - wie hier die Verpflichtung zum Ausgleich des Sprechstundenbedarfes gegenüber der "AOK". Eine Begrenzung des § 211 Abs. 4 SGB V lediglich auf unmittelbar gesetzlich übertragene Aufgaben lässt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrer Entstehungsgeschichte herleiten. Mit der Einfügung des § 211 Abs. 4 SGB V sollte gerade die bis dahin bestehende Beschränkung der Finanzierung von Aufgaben auf die Mitgliedskassen eines Landesverbandes (über Satzungsvereinbarung nach § 210 SGB V) aufgelöst und die einstrahlenden Krankenkassen an der Finanzierung der Aufgaben des Landesverbandes beteiligt werden. Dabei hatte der Gesetzgeber vor allem die durch die Landesverbände abgeschlossenen Vereinbarungen zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten, deren Kosten nicht versichertenbezogen abgerechnet und der zuständigen Krankenkasse in Rechnung gestellt werden können, im Blick (vgl. BT-Drs. 16/10609, S. 60). Auch die Sprechstundenbedarfsvereinbarung stellt eine solche Vereinbarung zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten dar, bei der eine Abrechnung nur pauschal und nicht konkret anhand des einzelnen Versicherten erfolgt (vgl. Krauskopf, in Krauskopf, SGB V, 102. EL Februar 2019, § 211 Rn. 33).

Indem Satz 3 des § 211 Abs. 4 die jeweiligen Landesverbände der Krankenkassen dazu verpflichtet, das Nähere zur Aufbringung der Mittel durch einen bundesrechtlichen Vertrag untereinander zu regeln, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass es Aufgabe der Landesverbände ist, konsensuale Regelungen zu der Kostenverteilung zu treffen und damit zugleich klar gestellt, dass einseitige gesamtvertragliche Regelungen über Kostenverteilungen auf Landesebene nicht zulässig sind. Daraus folgt zugleich, dass ein qualifizierter Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB vorliegt (vgl. zur Notwendigkeit des qualifizierten Rechtsverstoßes BSG, a.a.O, Rn. 24), denn das vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 211 Abs. 4 SGB V verfolgte Ziel darf nicht durch die Vereinbarung einer Regelung im Gesamtvertrag unterlaufen werden.

Dementsprechend haben die Landesverbände der Innungskrankenkassen am 9. November 2009 in der VP-U Vereinbarung auch mit Wirkung zum 1. Januar 2009 gemeinsam vereinbart, nach welchen Modalitäten die Erstattung der Kosten des Sprechstundenbedarfes zwischen den Innungskrankenkassen erfolgen soll. Das im Nachgang zu der Vereinbarung erfolgte Rundschreiben der IKK Sachsen stellt lediglich klar, dass die VP-U Vereinbarung unmittelbare finanzielle Beteiligungen in gesamtvertraglichen Regelungen nicht betrifft. Um eine solche unmittelbare finanzielle Beteiligung der einstrahlenden Krankenkassen an den Kosten des Sprechstundenbedarfes handelt es sich vorliegend bei der Regelung des § 3 Abs. 3 GV jedoch nicht.

Die von der Beklagten geschuldete Kostenerstattung für den Sprechstundenbedarf ergibt sich mithin aus § 211 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 VP-U Vereinbarung in Verbindung mit der Abrechnungsvereinbarung zum Sprechstundenbedarf zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen vom 1. April 2005. Die in letzterem Vertrag - zwischen Vertragspartnern auf Landesebene - vereinbarten Modalitäten sind der Berechnung des Kostenerstattungsanspruchs zwischen den Innungskrankenkassen als Verteilungsschlüssel zugrunde zu legen. Nach § 4.5. der Abrechnungsvereinbarung erfolgt die Verteilung des Sprechstundenbedarfes anhand der zum Stichtag 1. Juli des Abrechnungsjahres erstellten KM 6 Mitgliederstatistik. In Anwendung dieser Berechnungsbasis hat die Klägerin - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - keinen weitergehenden Zahlungsanspruch gegen die Beklagte. Folglich besteht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen aus § 4 Abs. 3 Satz 2 VP-U Vereinbarung i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved